Korallenrosa (eBook)
368 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60672-1 (ISBN)
Carina Schnell ist gelernte Übersetzerin, spricht mehrere Sprachen und hat in verschiedenen Ländern gelebt. Ihr Herz hat sie allerdings an Kanada verloren. Nach dem Abi lebte und arbeitete sie einige Zeit in Toronto und hat Familie in einem gewissen kleinen Küstenstädtchen namens St. Andrews-by-the-sea. Die unendliche Weite des Landes, die raue Schönheit der Natur und die Freundlichkeit der Einwohner inspirieren sie bei jedem Besuch aufs Neue. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie mit einem Kanadier verlobt ist. Aktuell lebt sie mit ihm und ihrer Katze in Deutschland in einem Häuschen am Waldrand und träumt von einer Blockhütte in der kanadischen Wildnis.
Carina Schnell ist gelernte Übersetzerin, spricht mehrere Sprachen und hat in verschiedenen Ländern gelebt. Ihr Herz hat sie allerdings an Kanada verloren. Nach dem Abi lebte und arbeitete sie einige Zeit in Toronto und hat Familie in einem gewissen kleinen Küstenstädtchen namens St. Andrews-by-the-sea. Die unendliche Weite des Landes, die raue Schönheit der Natur und die Freundlichkeit der Einwohner inspirieren sie bei jedem Besuch aufs Neue. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie mit einem Kanadier verlobt ist. Aktuell lebt sie mit ihm und ihrer Katze in Deutschland in einem Häuschen am Waldrand und träumt von einer Blockhütte in der kanadischen Wildnis.
Kapitel 1
Chloé
Wie jeden Abend nahm ich meine bunt gefleckte Schürze um Viertel vor sieben ab und hängte sie an den Haken neben der Tür zur Backstube. Wie jeden Abend reinigte ich die Arbeitsflächen sorgfältig mit einem Lappen, schrubbte Puderzucker, Schokocreme und Puddingreste aus den Fugen. Und wie jeden Abend ging ich dann in den nun leeren Verkaufsraum, um auch den Tresen abzuwischen. Wir hatten zwar eine Reinigungskraft, die frühmorgens herkam, aber es hätte mir ein schlechtes Gewissen bereitet, ihr die gesamte Arbeit zu überlassen. Die routinierten Griffe gingen mir wie von selbst von der Hand, sodass ich in Gedanken bereits bei dem Liebesroman war, der zu Hause auf mich wartete.
Um Punkt sieben Uhr spähte ich durch die Ladentür, die im selben Rosa gestrichen war wie die Wände. Der Gehsteig war leer. Auf der Straße blitzten die Lichter des Feierabendverkehrs auf. Der Himmel erstrahlte in weichen Pastelltönen, die mich an meine meistbenutzten Lebensmittelfarben in der Backstube erinnerten.
»Das war’s für heute.« Ich drehte das altmodische Blechschild um, das nun verkündete, dass wir geschlossen hatten. Nach einem letzten Blick durchs Schaufenster ging ich zur verglasten Warenauslage neben dem Verkaufstresen, um nachzusehen, was übrig geblieben war. Ein guter Tag. Im unteren Regal lagen nur noch zwei einsame Erdbeer-Tartelettes, auf dem oberen waren ein paar Macarons verstreut wie eine Handvoll bunter Bonbons. Ich hatte Glück. Meine Lieblingssorte war dabei.
Als ich die Auslage auszuräumen begann, ertönte die Klingel über der Tür, die ich absichtlich noch nicht abgeschlossen hatte. Lächelnd blickte ich auf.
»Hallo, Herr Herrlich.«
Ich eilte zur Tür, um sie dem älteren Herrn aufzuhalten, der, schwer auf einen Gehstock gestützt, hereinkam. Er störte sich nicht an dem Geschlossen-Schild. Das tat er nie. Oft kam er ein paar Minuten nach Ladenschluss, weil er es nicht früher schaffte. Der Weg von seiner Wohnung war nicht weit, aber der leichte Anstieg den Hügel hinauf machte ihm immer mehr zu schaffen.
»Wie geht es Ihnen heute, Herr Herrlich?«
Schwer atmend winkte er ab. Ich nannte ihn Herr Herrlich statt Monsieur Herrlich, weil ihm das immer ein Lächeln entlockte. Manchmal korrigierte er meine Aussprache. Heute nicht. Vor zwanzig Jahren waren er und seine Frau Erna aus Deutschland hergezogen, um ihren Lebensabend im milderen Klima der französischen Riviera zu verbringen. Sie waren unsere treusten Stammkunden. Erna war allerdings vor ein paar Monaten verstorben, sodass mich Herr Herrlich nun jeden Tag allein aufsuchte – meistens, wie heute, zu spät. Doch wie immer hatte ich ihm seine Stammbestellung beiseitegelegt.
»Das Übliche?«, fragte ich allein der Form halber.
Ächzend nahm er an einem der drei runden Tische beim Schaufenster Platz und nickte. Seinen hölzernen Gehstock lehnte er an die Stuhllehne. Gegen einen Rollator hatte er sich vehement gewehrt, auch wenn ihm das Laufen mit jedem Tag schwerer zu fallen schien.
»Zwei Eclairs mit Sahne und Vanillepuddingcreme, kommt sofort.«
Ich huschte um den Tresen herum und verschwand in der Backstube. Die Eclairs hatte ich in unserem begehbaren Kühlschrank kalt gestellt. Herr Herrlich kaufte nach wie vor zwei, wie früher, als seine Frau noch gelebt hatte. Ich trug die länglichen, mit dunkler Schokolade bestrichenen Gebäckstücke in den Verkaufsraum und holte eine Schachtel unter dem Tresen hervor, um sie hübsch zu verpacken. Dabei spähte ich durch den Laden zu Herrn Herrlich rüber, dessen keuchender Atem langsam wieder regelmäßiger ging. Er sah aus dem Fenster, hatte kein Auge für die verschnörkelten Stühle, den altmodischen Bonbonautomaten in der Ecke oder die Werbeplakate von Patisserien aus dem vergangenen Jahrhundert, die die Wände zierten.
»Wissen Sie, ich kann Ihnen die Eclairs nach Ladenschluss gern vorbeibringen«, versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen. »Es liegt ja sowieso auf meinem Weg nach Hause.«
Das hatte ich ihm schon oft vorgeschlagen, und wie immer lehnte er ab. »Solange ich laufen kann, komme ich selbst her«, antwortete er mit seinem deutschen Akzent, den er nie abgelegt hatte. Die Treue zur Patisserie Y & Y rührte mich, auch wenn mir seine störrische Art Sorgen bereitete. Sollte ihm auf dem Weg hierher jemals etwas passieren, würde ich mir das nie verzeihen.
Nachdem ich die hübsch verzierte Schachtel geschlossen hatte, wickelte ich ein blaues Band darum und verknotete es obendrauf zu einer Schleife. Noch so eine Handbewegung, die ich im Schlaf hätte ausführen können. Gedankenverloren zupfte ich die Schleife zurecht. »Ich lege Ihnen noch zwei Erdbeer-Tartelettes dazu. Die essen Sie doch auch so gern.«
»Danke«, murmelte er zerstreut, während er aus dem Fenster blickte. »Wussten Sie, dass wir Eclairs im Deutschen auch als Hasenpfoten bezeichnen?«
Das erzählte er mir jeden Tag. Und jeden Tag tat ich so, als hörte ich es zum ersten Mal. »Das ist ja spannend«, antwortete ich lächelnd. »Sie sehen tatsächlich ein wenig wie Hasenpfoten aus.«
Die übrigen Tartelettes aus der Auslage wanderten in eine zweite Schachtel, und schließlich verfrachtete ich beide in eine kleine Papiertüte mit dem Logo der Patisserie – zwei verschnörkelte Ypsilons –, damit Herr Herrlich alles bequem nach Hause tragen konnte. Ich stellte die Tüte auf dem Tisch vor ihm ab. »Lassen Sie es sich schmecken.«
Er riss sich von seiner Betrachtung der Wasserfontänen auf dem Place Général de Gaulle los und sah mich an, als erinnerte er sich gerade erst daran, nicht allein hier zu sein. »Ich danke Ihnen vielmals, Chloé.« Mit überraschend feuchten Augen griff er nach meiner Hand und drückte sie. »Sie sind wirklich ein Engel, wissen Sie das? Das hat meine Frau auch immer über Sie gesagt.«
Ich drückte zurück. »Ja, ich erinnere mich.« Meine Kehle wurde eng, sodass ich mich räuspern musste. »Und sie war auch einer.«
Er nickte traurig, und seine Hand erschlaffte in meiner, als er tief seufzte. Dann war der Moment vorbei, und er ließ mich los, um nach seinem Gehstock zu greifen. Ich half ihm nicht beim Aufstehen, weil er darauf stets allergisch reagierte, reichte ihm aber die Tüte, nachdem er es allein geschafft hatte.
»Wie viel schulde ich Ihnen?«, fragte er, und wie jeden Tag berechnete ich ihm nur das Geld für die Eclairs.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Herr Herrlich«, sagte ich, nachdem er mir die Münzen über den Tisch zugeschoben hatte. »Kommen Sie gut nach Hause.«
»Sie auch, Chloé. Bis morgen.«
Ich hielt ihm die Tür auf und entließ ihn mit der Tüte voller Köstlichkeiten in den lauen Sommerabend. Durch die Scheibe blickte ich ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Dann schloss ich ab und ließ die elektrischen Rollläden herunter.
Wie jeden Abend richtete ich die übrigen Macarons auf einem Teller an und ließ sie, versehen mit einer Nachricht für unsere Reinigungskraft Arabella, auf dem Tresen stehen. Alle außer drei.
Sie hatten die Farbe von Korallen. Nicht die abgestorbenen grauen Dinger, die man heutzutage oft beim Schnorcheln in der Nähe der Küste zu Gesicht bekam. Nein, sie waren von einem durchdringenden Rosarot, das fast einen leichten Orangestich hatte. Es hatte mich viel Zeit und viele missglückte Versuche gekostet, um diesen Ton zu treffen. Denn es war nur gerecht, dass ich meiner Lieblingsmacaronsorte – Himbeere – meine Lieblingsfarbe verpasste. Schließlich traf ich auch sonst so ziemlich alle Entscheidungen in der Patisserie. Außer die wirklich wichtigen.
Wie jeden Abend legte ich die drei korallenrosafarbenen Macarons in eine Tupperdose, die ich eigens dafür von zu Hause mitbrachte. Ich brauchte keine hübsche Schachtel und auch kein Schleifenband. Schließlich waren sie bloß für mich.
Wie jeden Abend ließ ich die Dose in meine Handtasche gleiten, löschte zu guter Letzt das Licht und zog die...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Reihe/Serie | Sommer in Südfrankreich | Sommer in Südfrankreich |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Cote d'Azur • Deutsche Autorin • Diversity • Frankreich Romance • Französische Riviera • French Riviera • Küste Roman • Liebesroman • new adult deutsch • romance deutsch • Roman Diversität • Selbstfindung Roman • Spiegel-Bestseller-Autorin |
ISBN-10 | 3-492-60672-5 / 3492606725 |
ISBN-13 | 978-3-492-60672-1 / 9783492606721 |
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