Hannah Arendt. 100 Seiten (eBook)

Reclam 100 Seiten
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2024 | 1. Auflage
100 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962264-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hannah Arendt. 100 Seiten -  Maike Weißpflug
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Die Klassikerin des politischen Denkens »Arendt erinnert uns daran, dass Menschen Wunder vollbringen können, wenn sie zusammen handeln.« Hannah Arendt ist die wohl populärste politische Denkerin des 20. Jahrhunderts. Ihr Begriff des politischen Handelns inspiriert Menschen auf der ganzen Welt bis heute. Doch wie kann Arendt in Zeiten multipler Krisen und eines Wiedererstarkens rechter Ideologien neu gelesen werden? Maike Weißpflug stellt Arendt als eine faszinierende historische Persönlichkeit vor, führt durch ihr politisches Denken und zeigt, wie mit Arendt Politik zur gemeinsamen Sorge um die Welt werden kann. Mit 4-farbigen Abbildungen und Infografiken. 

Maike Weißpflug, geb. 1978, ist politische Theoretikerin und erkundet die Beziehungen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung. Seit 2021 arbeitet sie als Expertin für Strategie und Beteiligung beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).

Maike Weißpflug, geb. 1978, ist politische Theoretikerin und erkundet die Beziehungen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung. Seit 2021 arbeitet sie als Expertin für Strategie und Beteiligung beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).

Was ist Politik?


Arendts politische Theorie gleicht weniger einem Haus mit festem Grundriss, Etagen und Zimmern als einem Mobile, bei dem die einzelnen Begriffe sich bewegen, in Beziehung zueinander stehen und immer neue Verbindungen eingehen. Dieses Kapitel ist daher wie ein kleines Arendt-Glossar aufgebaut, in dem ihre wichtigsten Begriffe vorgestellt werden. Die Begriffe sind dabei kein Selbstzweck, sondern stellen eine Einladung dar, sie mit historischen oder gegenwärtigen politischen Erfahrungen in einen Zusammenhang zu bringen. Arendt nennt diese Vorgehensweise »Übungen im politischen Denken« (das ist auch der Untertitel ihres sehr zu empfehlenden Buches Zwischen Vergangenheit und Zukunft). Das Ziel dieser Übungen ist es, den politischen Begriffen neues Leben einzuhauchen:

Gemeint ist jener Geist, der sich gerade aus den Schlüsselwörtern der politischen Sprache, als da sind Freiheit und Gerechtigkeit, Autorität und Vernunft, Verantwortung und Tugend, Macht und Ruhm, so schmählich verflüchtigt und leere Hülsen hinterlassen hat, mit denen fast alle Rechnungen ohne Rücksicht auf die dahinter liegende phänomenale Wirklichkeit beglichen werden müssen. (Vorwort von Zwischen Vergangenheit und Zukunft)

Den Anspruch, den Arendt für diese Art des Denkens formuliert, finde ich unfassbar aktuell und immer noch gültig: Es sind Versuche, sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden, und zwar »nicht, um definitive Lösungen zu finden, sondern in der Hoffnung, die umstrittenen Punkte zu klären und ein wenig Sicherheit im Umgang mit besonderen Fragen zu erwerben«. Das bedeutet natürlich auch, dass unsere heutigen Versuche konkret ganz anders aussehen werden als die Hannah Arendts. Es kommt darauf an, gegenwärtige Erfahrungen zu reflektieren und die politischen Begriffe mit neuem Leben zu füllen. Und manchmal ist dies eine irritierende Angelegenheit. Zum Beispiel beim Begriff der Freiheit, der in Anlehnung an Hannah Arendt während der Coronapandemie plötzlich auf Demonstrationen der sogenannten Querdenkerbewegung inflationär und sinnentstellt skandiert wurde. Diese vollkommen verdrehte Aneignung hat mich ganz schön auf die Palme gebracht. Arendt als Stichwortgeberin für Verschwörungstheorien? In solchen Momenten ist es gut zu wissen, wo man genau nachlesen kann, was Arendt wirklich gesagt und gedacht hat.

Politische Theorie, keine Philosophie


»Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen.« In dem bereits erwähnten Fernsehinterview mit Günter Gaus protestiert Arendt deutlich. Sie will partout nicht Philosophin genannt werden. Als Gaus darauf besteht, erwidert sie nur, dagegen könne sie nichts machen. Dann beginnt sie zu erklären, worin für sie der Unterschied zwischen Philosophie und politischer Theorie besteht. Und schon sind wir mittendrin im Herzen ihres Denkens. Arendt glaubte, dass die europäische Philosophie seit der Antike im Kern politikfeindlich sei und ein gehöriges Maß dazu beigetragen habe, dass in der Moderne kaum noch jemand weiß, was Politik, was politisches Handeln eigentlich sei. Was meint Arendt damit? Gut verdeutlichen lässt sich der Gedanke an Platons Höhlengleichnis, einer allegorischen Erzählung, mit der er in seinem Werk Der Staat erklärt, warum die Philosophie die beste Grundlage für das gesellschaftliche Zusammenleben sei: Das Gleichnis beschreibt eine Gruppe von Menschen, die in einer Höhle gefangen gehalten werden. Die Gruppe steht für die Gesellschaft. Die Menschen sind so angekettet, dass sie nur nach vorne schauen können und nur die Schatten an der Wand sehen, die durch das Licht einer Feuerstelle hinter ihnen erzeugt werden. Diese Schatten sind für die Gefangenen die einzige Realität, die sie kennen, und sie glauben, dass sie die Welt repräsentieren. Eines Tages wird ein Gefangener befreit und gezwungen, aus der Höhle herauszukommen. Anfangs ist er geblendet und kann die wirkliche Welt draußen nicht erkennen. Aber nach und nach gewöhnt er sich an das Licht und bemerkt, dass die Schatten in der Höhle nur eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit darstellen. Er sieht die Wahrheit. Der befreite Gefangene kehrt schließlich in die Höhle zurück, um den anderen Gefangenen von der wahren Welt zu erzählen. Aber diese glauben ihm nicht und halten ihn für verrückt. Sie können sich die wirkliche Welt nicht vorstellen und sind weiterhin von den Schatten an der Wand gefangen. Platon zeigt mit diesem Gleichnis, dass unser Verständnis der Realität oft begrenzt ist und dass wir uns bemühen müssen, die Wahrheit zu erkennen. Er argumentiert, dass diejenigen, die diese Wahrheit erkannt haben, eine Verantwortung haben, sie anderen mitzuteilen und sie aus der Dunkelheit der Ignoranz herauszuführen. Das Höhlengleichnis ist ein Aufruf zu Vernunft und Bildung, und es fordert dazu auf, die Wahrheit zur Grundlage gesellschaftlicher Ordnung und staatlicher Entscheidungen zu machen (Platon ging sogar so weit, zu fordern, die Philosophen zu Königen zu machen).

Arendt sieht das ganz anders. Für sie ist das Höhlengleichnis der Auftakt eines Denkens, das die Politik, deren Welt die Höhle selbst ist, verachtet: »Unsere Tradition politischer Philosophie begann, als Plato entdeckte, daß eine Abwendung von der gemeinsamen Welt menschlicher Angelegenheiten im Wesen philosophischer Erfahrung zu liegen scheint.« (Zwischen Vergangenheit und Zukunft) Der Philosoph muss die Höhle verlassen, um die Wahrheit zu erkennen. Doch damit lässt er auch die Politik hinter sich. Arendt will die Höhle nicht verlassen, sondern sich das Zusammenspiel der unterschiedlichen Perspektiven in der Höhle anschauen. Kurzum: Politische Theorie nach Arendt heißt: nachdenken in der Höhle.

Das ist für Arendt vor allem deshalb wichtig, weil es sich bei der Politikvergessenheit für sie nicht um ein rein akademisches Problem handelt, sondern um ein politisches und gesellschaftliches. Nicht nur die Philosophie hat vergessen, was Politik ist, die moderne Gesellschaft hat es auch. Für Arendt besteht das Problem dieser Denktradition darin, dass sie keine Begriffe für das Zusammen-Handeln, die gemeinsame Welt und die Perspektivenvielfalt, kurz: die Zutaten des Politischen, hat.

Philosophische Einflüsse

Auch wenn Arendt so scharf gegen die philosophische Tradition schießt und nicht Philosophin genannt werden will, spielt die abendländische Philosophie doch eine ziemlich große Rolle in ihrem Denken. Zu einigen Philosophen wie Kant und Aristoteles hat sie eine große Nähe, mit anderen wie Marx oder Heidegger setzt sie sich kritisch auseinander. Es fällt auf, dass Arendt sich ausschließlich auf den klassischen Kanon der westlichen Philosophie bezieht und nur sehr wenige Frauen eine Rolle spielen. Gleichzeitig fordert sie eine Überwindung dieses Kanons im politischen Denken, wenngleich auch aus ganz anderen Gründen als die identitätspolitischen oder postkolonialen Positionen heute.

Aristoteles (384–322 v. Chr.):
Der Begriff des Handelns

Von dem griechischen Philosophen Aristoteles übernimmt Arendt einige grundlegende begriffliche Unterscheidungen und die grundsätzliche Haltung, Theorie- und Begriffsbildung immer mit echten Erfahrungen zu verknüpfen. Seiner Bestimmung des Menschen als »Zoon politikon«, als politischem Wesen, folgt sie jedoch nicht.

Augustinus (354–430):
»Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen«

Arendts Dissertation handelt von Augustinus’ Liebesbegriff. Darüber hinaus tauchen einige Motive von Augustinus an zentralen Stellen in Arendts Theorie auf. So endet das Buch über die totale Herrschaft mit Augustinus’ Versprechen des Anfangs, das mit jeder Geburt eines Menschen gegeben wird.

Immanuel Kant (1724–1804):
»Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen«

Arendt hat Kant sehr früh gelesen und war seiner Philosophie immer eng verbunden. Besonders reizt sie seine Kritik der Urteilskraft. Arendt nimmt Kant als einzigen Philosophen des westlichen Kanons von ihrem Urteil aus, politikfeindlich zu sein. Leider konnte sie ihr Buch über das Urteilen, in dem sie eine politische Theorie der Urteilskraft entfalten wollte, nicht fertigstellen. Als sie starb, fand man in ihrer Schreibmaschine das Titelblatt und das Eingangszitat zu dem Buch. Zum Glück sind einige Seminarnotizen und eine Vorlesung erhalten, so dass wir uns zumindest eine grobe Vorstellung von der Richtung machen können, die das Buch genommen hätte.

Alexis de Tocqueville (1805–1859):
»Da die Vergangenheit die Zukunft nicht mehr erhellt, tappt der Geist im Dunkeln.«

Arendt stützt sich auf Tocqueville, um den Unterschied zwischen der amerikanischen Demokratie und dem Nationalstaat europäischer Prägung zu beschreiben. Einig ist Arendt mit Tocqueville auch darin, dass es Intellektuellen oft schwerfällt, sich auf die Politik einzulassen und die Erfahrungen des Handelns wahrzunehmen, wie Tocqueville dies in seinen Beschreibungen der Vereinigungen in der US-amerikanischen Gesellschaft tut.

Karl Marx (1818–1883):
Das Ende der Tradition
...

Erscheint lt. Verlag 6.9.2024
Reihe/Serie Reclam 100 Seiten
Reclams Universal-Bibliothek
Zusatzinfo 9 farbige Abbildungen und 1 Illustration
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Aufklärung • Banalität des Bösen • beginnen • Biographie • Denken • Ding an sich • Eichmann Prozess • Einführung • Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft • Epistemologie • Erkenntnis • Erkenntnistheorie • Erläuterung • Ethik • Finstere Zeiten • Freiheit • Gesamtwerk • Geschichte • Gewalt • Grenze • Grundlagen • Handeln • Ideologie • Interpretation • Kantjahr • Kategorischer Imperativ • Kolonialismus • Leben • Leben und Werk • Lehre • Macht • Menschliche Vernunft • Metaphysik • Moral • Nationalstaat • Natur • Neigung • Neuanfänge • Pflicht • Philosophie • Pluralität • Politik • Politisches Handeln • praktische Vernunft • Recht • Religion • Revolution • Sinnlichkeit • Theologie • Totalitarismus • Urteilen • Urteilskraft • Vernunft • Verstand • Verstehen • was ist aufklärung • Welt • Wissenschaft • Zukunft • Zweckmäßigkeit
ISBN-10 3-15-962264-9 / 3159622649
ISBN-13 978-3-15-962264-4 / 9783159622644
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