Das Geflüster (eBook)
352 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-28118-2 (ISBN)
Bevor der Sommer zu Ende geht, versammelt sich die Nachbarschaft der Harlow Street zu einem Gartenfest. Getränke fließen bis spät in die Nacht und alles scheint perfekt - vor allem die Gastgeberin. Bis zu dem Moment, als Whitney vor aller Augen die Fassung verliert, weil ihr neunjähriger Sohn Xavier nicht gehorchen möchte. Die emotionale Entgleisung sorgt für Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Als Xavier nur wenige Monate später aus seinem Kinderzimmerfenster stürzt, ist der Skandal unvermeidbar und das Urteil schnell gefällt. Doch in dieser Nachbarschaft ist niemand so vollkommen, wie er vorgibt zu sein. Im Laufe einer Woche spitzen die Dinge sich zu: Während Xavier zwischen Leben und Tod schwebt, müssen sich die Frauen in der Harlow Street ihren eigenen Abgründen stellen.
»Das Geflüster« ist ein mitreißenden Pageturner über vier Frauen, deren Leben sich verändert, als das Undenkbare passiert - und über das, was zerbricht, wenn gute Menschen unverzeihliche Entscheidungen treffen.
»Das Ende dieses Romans ist ein derartiger Hammer, dass Sie es zweimal lesen müssen, um es zu glauben.« New York Times
Ashley Audrain wuchs außerhalb von Toronto auf, studierte Medienwissenschaften und arbeitete viele Jahre im Bereich Public Relations unter anderem im Verlagswesen. Heute lebt sie als freie Autorin mit ihrer Familie in Toronto. Ihr Debütroman »Der Verdacht« begeisterte Lektorinnen und Lektoren in aller Welt; lange vor Erscheinen verkauften sich die Übersetzungsrechte in über 30 Länder.
September
Im Garten der Loverlys
Wie sich die Erwachsenen im Garten des teuersten Hauses der Straße gegenseitig mustern und dabei so aufgesetzt freundlich sind, erinnert an das Tierreich. Alle zieht es zu den attraktivsten Gästen. Man hat sich zu einem Familiennachmittag unter Nachbarn versammelt, der Kinder wegen, die sich in ihrer eigenen Welt befinden. Die Männer tragen ihre guten Schuhe und die Frauen Accessoires, die nicht spielplatztauglich sind, und alle unterhalten sich sehr gepflegt.
Das Essen kommt vom Cateringservice. In großen Stahlwannen wird das Craftbeer gekühlt, auf Holzbrettchen sind Miniburger und mit Pommes frites überquellende Papiertütchen angerichtet. Mit breiten Seidenschleifen zugebundene Partytüten liegen bereit. Für jedes Kind eine, erkennbar an den mit Zuckergussnamen beschrifteten Cookies.
Vor dem hinteren Zaun steht eine Reihe großer Bäume, gerade erst gepflanzt und von einem Kran an Ort und Stelle gehoben. Der unerfreuliche Fußweg dahinter, auf dem die Bewohner der vier Straßen weiter gelegenen, bezuschussten Wohnungen unterwegs sind und dessen Gullys bei Regen überfließen, ist nicht zu sehen. Der Rasen ist von einem phänomenalen Grün und mit einem Bewässerungssystem ausgestattet. Die Terrasse vor der Küche aus poliertem Beton wird von sorgfältig arrangierten Buchsbaumkübeln eingefasst. Es gibt einen Schuppen, der eigentlich mehr ist als das, mit einer Schwingtür und ordentlicher Beleuchtung.
Drei Kinder gehören zu diesem hoch aufragenden Haus, das, eigentlich undenkbar in diesem Stadtgebiet, zwei Parzellen beansprucht. Die dreijährigen Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, tragen zueinander passende Kleidung aus gestreiftem Baumwollkrepp. Sie haben der Mutter dieses avantgardistischen Hauses erlaubt, ihnen das Haar ordentlich mit Wasser zu kämmen und zu scheiteln. Der ältere Bruder, neunjährig, behält beharrlich seine Sportsachen vom Vorjahr mit fleckigem T-Shirt an. Die Gäste werden sich fragen, ob Kakao oder Blut. Aber Whitneys Mann hat ihr gut zugeredet, fünfzehn Minuten vor Partybeginn nur die allernötigsten Konflikte auszutragen.
Um 15.30 Uhr ist es ihr endlich gelungen, den Drang, ihm dieses Sportshirt vom Körper zu reißen und ihn in das taubenblaue Polohemd zu stecken, das sie extra für diese Party besorgt hat, abzuschütteln. Und auch die Anspannung, die einen als Gastgeberin befällt, hat sie abgelegt, und nun lässt sie sich von dem Gefühl berauschen, dass alle ihren Spaß haben. Die Gäste sind beeindruckt. Das kann sie ihren Blicken und ihren verstohlenen Gesten entnehmen, mit denen sie einander, so wie sie es erhofft hat, auf Details aufmerksam machen. Sie denkt an die Fotos, die heute Abend in den sozialen Medien auftauchen werden. Die Unterhaltung ist lebhaft, von Gelächter unterbrochen, und diese heitere Atmosphäre erfüllt sie mit Genugtuung.
Mara aus dem Nachbarhaus kommt nicht. Schuld daran ist der Lärm. Die Einladung auf Büttenpapier, die vor einem Monat auch in ihrem Briefkasten lag, ist sofort ins Altpapier gewandert. Sie weiß, dass diese Nachbarn Leute wie sie und Albert eigentlich nicht dabeihaben wollen, weil sie denken, sie hätte im Grunde genommen nichts beizutragen. Ihre über die Jahrzehnte erworbene Weisheit ist diesen Frauen, die bereits alles zu wissen glauben, vollkommen egal. Aber das ist in Ordnung. Durch die Ritzen des Bretterzauns sieht und hört sie alles, was sie wissen muss, während sie in ihrem eigenen Garten beschäftigt ist. Sie jätet Unkraut, bis ihr Kreuz so schmerzt, dass sie sich auf dem vermoosten Gartenstuhl erholen muss. Sie entdeckt etwas in den sattgrünen Blättern ihres Hortensienbuschs und schüttelt ihn. Ein Papierflugzeug trudelt im Sturzflug zu Boden. Wieder eines, das sie übersehen hat. Donnerstagmorgen hat sie mehrere in ihrem Garten gefunden. Als sie sich vorbeugt, hört sie Whitneys Stimme, die ihre Gäste übertönt und das Ehepaar von gegenüber begrüßt.
Dieses Paar, Rebecca und Ben, hat sich mit betonter Zielstrebigkeit auf die Suche nach der Gastgeberin gemacht, denn sie können nur zwanzig Minuten und eine Orchidee im Topf für sie erübrigen. Rebecca muss zur Arbeit. Ben ist Rebecca zuliebe mitgekommen, eigentlich wäre er lieber zu Hause geblieben. Er schweigt, während Whitney und Rebecca Höflichkeiten austauschen. Whitney macht Komplimente und stellt Fragen, tätschelt Rebeccas Hand und ihre Schulter, und Rebecca lässt es sich gefallen. Ganz untypisch für sie, ist sie von der Gastgeberin eingenommen und hofft, dass niemand sie unterbricht.
Bens Haar ist noch feucht von der Dusche, und er duftet frisch. Er fühlt Whitneys Blick auf sich ruhen, während sie sich mit seiner Frau unterhält. Seine Hand steckt in der Gesäßtasche von Rebeccas weißer Jeans, und er zieht sie an sich. Rebecca spürt, dass er ihrer Unterhaltung mit Whitney nicht folgt, nicht wirklich, und tatsächlich sieht er gerade lieber dem Zauberer zu, der ein buntes Halstuch um einen von Whitneys kichernden Zwillingen, dem Mädchen, wirbeln lässt. Sie hat Bens freundliche Augen entdeckt. Erwachsenen gegenüber ist er nicht übermäßig gesellig, aber Kinder fühlen sich immer von ihm angezogen. Er ist der Lieblingslehrer, der Onkel, der immer für Spiele zu haben ist, der Baseballtrainer.
Vom anderen Gartenende aus beobachtet Blair, wie sich Ben und Rebecca, während sie Whitneys Vortrag lauschen, verstohlen berühren, als würden sie einander immer noch vollständig genügen. Sie sind kinderlos, kinderfrei, und haben sich daher noch nicht so sehr verändert wie all die anderen. Sie unterhalten sich in ganzen Sätzen und in einem zivilisierten Tonfall. Wahrscheinlich haben sie auch noch jeden Tag Sex und Spaß dabei. Schlafen eng umschlungen im selben Bett ein. Ohne das Kissen, das ihre Seite des Bettes von seiner trennt, um sich der Illusion hinzugeben, der andere sei nicht da.
Blair beobachtet ihre beste Freundin Whitney, die die Unterhaltung mit Rebecca zu einem Ende bringt und sich unauffällig nach dem nächsten Gast umsieht. Aiden, der laute Mann, der jenseits von Blairs Kissenbarriere schläft, ist deutlich aus einer Ecke des Gartens zu hören. Wie immer hat er Publikum. Gerade steuert er eine Pointe an, die sie bereits kennt, er hat Whitneys Aufmerksamkeit sofort auf sich gezogen, als sie an ihm vorbeiging, und Blair quält das Bewusstsein darüber, dass sie selbst allein dasteht. Sie schaut sich nach Jacob um, Whitneys Mann, und entdeckt ihn bei einem ihr unbekannten Paar. Ein Kleinkind mit streng geflochtenen Zöpfen drängt sich zwischen die Beine der Mutter. Jacob deutet auf das Haus, zeichnet die Form des Dachs mit einem Finger nach und erklärt seine Gestaltung. Wie immer trägt er ein schwarzes T-Shirt, dazu gekrempelte schwarze Chinos und schneeweiße Designer-Sneakers ohne Socken. Sein Haar, seine Brauen, die skandinavische Brille, alles wirkt cool und intensiv, trotzdem ist er ein sehr sanfter Mensch. Er winkt Blair zu. Hallo! Sie errötet, weil sie sich ertappt fühlt. Er ist ein angenehmer Anblick. Suchend sieht er sich wieder nach seiner Frau um.
Whitney unterhält sich mit einigen Müttern aus der Klasse ihres älteren Sohnes Xavier. Es gibt einen Gruppenchat, an dem sich Whitney nur selten beteiligt, weil sie zu Projektarbeiten, dem Speiseplan der Schulmensa und der Deadline für die Klassenfotos selten etwas beizutragen hat. Aber sie ist trotzdem gern dabei. Gelegentlich kommentiert sie mit einem Emoji, wenn sie morgens früh ins Büro kommt, ihre dritte Tasse Kaffee trinkt und die Stille und die Zeit zum Nachdenken genießt. Daumen hoch. Herzchen. Danke für das Update! Nicht weiter hilfreich und eher ironisch. Whitney spürt den wachsamen Blick der Frauen, als sie sich ihren Männern zuwendet, die sofort ihre Gespräche unterbrechen und bei der Begrüßung eine aufrechtere Haltung einnehmen.
Rebecca wendet sich Blair zu. Jetzt sind sie mit den Höflichkeiten an der Reihe. Blair fällt nur das Wetter ein, immer dieses ewige Thema, wie schnell es jetzt abends abkühlt, und dann die aufreibenden Stunden, die Rebecca im Krankenhaus verbringt. Ihre Schicht beginnt in fünfundvierzig Minuten. Aber Rebecca liebt diese aufreibenden Stunden. Die beiden Frauen verbindet nichts, außer dass sie Nachbarinnen sind. Rebecca bietet sich an, Blair jederzeit mit ihrem medizinischen Wissen auszuhelfen und jede erdenkliche Frage zu beantworten. Ausschläge, Keuchhusten, juckendes Trommelfell oder auch grau verfärbte Kacke. Solche Dinge können Blair tagelang beschäftigen. Sie überlegt sich, wie es wohl ist, so zielstrebig zu sein. Und wie man nur weiße Jeans zu einer Grillparty mit Kindern anziehen kann.
Alle paar Sekunden fällt Rebeccas Blick auf Blairs siebenjährige Tochter. Sie kann sich kaum von ihrem Anblick losreißen und überlegt sich, wie es wohl wäre, mit einer eigenen Tochter hier zu sein. Sie verliert sich in diesem Gedankenstrang einer möglichen Zukunft, er wird länger und länger, wie das Halstuch, das der Magier aus seinem Zylinder hervorzaubert. Das Mädchen malt mit den Zwillingen, die darauf warten, mit dem Kaninchen an die Reihe zu kommen, mit Kreide auf den Terrassenboden aus Beton. Jetzt betrachten die beiden Frauen Blairs Tochter gemeinsam und tun so, als fänden sie die Kinder ungemein interessant.
Whitney gesellt sich mit einem neuen Drink zu ihnen, und Blair und Rebecca tauen spürbar auf. Whitney legt Blair eine Hand auf die Schulter und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass die kreideverschmierten Handflächen der Zwillinge sie stören. Süß, wie sie zusammen spielen, sagt Whitney gedehnt, wie gut Chloe auf die Kleinen eingeht. Unauffällig tritt sie einen Schritt zurück, um möglichen Kreideflecken auf ihrem Kleid zu entgehen.
Rebecca versucht...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Übersetzer | Holger Wolandt, Lotta Rüegger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Whispers |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • Affäre • Amerika • Bestseller • big little lies • Celeste Ng • eBooks • Eheprobleme • Familienroman • Frauen • Freida McFadden • Freundinnen • Geheimnis • kanadische Autorin • Kinderlosigkeit • Lebensentscheidungen • Liane Moriarty • lisa jewell • Lügen • Mutter • Mutterschaft • Nachbarschaft • Neid • Neuerscheinung • nicole trope • Psychologischer Roman • sharon bolton • Thriller • Unfall |
ISBN-10 | 3-641-28118-0 / 3641281180 |
ISBN-13 | 978-3-641-28118-2 / 9783641281182 |
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