Hasenprosa (eBook)

Roman | Ein Kippbild zwischen Abenteuer und Memoir, Magie und Alltag | Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024 (Shortlist)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
182 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77859-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hasenprosa -  Maren Kames
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Ein Buch wie ein Kindheitssommer, ausschweifend, »sturzoffen« und leuchtend schön.

»Wenn das alles gewesen ist, ziehe ich aus!«, ruft da eine und macht sich in ihren Meilenstiefeln, ihren Reisesocken davon. Auf der Rückbank: ein Hase. Es geht einmal quer durch die Zeit, die Zeitalter und hinaus, ins knalldunkle All. Im Strichflieger durch den Himmel und die Erinnerung: an zwei Großmütter, eine helle, eine dunkle, eine heile, eine wunde. Einen Großvater, seine furchigen Hände. Einen Bruder und seinen Baum. An rasende Träume, krumme Märchen und einen Purple Rain.

Maren Kames' Hasenprosa ist quecksilbrig und herznah. Sie ist voller »Punk, Punk, Punk« und Zärtlichkeit. Fein Gesponnenes steht neben präzise gebannter Weltwahrnehmung. Wir hören Glenn Gould und Billie Eilish, sehen Lionel Messi durchs Universum dribbeln und seilen uns mit dem Hasen von Fixsternen ab.



Maren Kames, 1984 in Überlingen am Bodensee geboren, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. Ihre Bücher <em>Halb Taube Halb Pfau</em> und <em>Luna Luna </em>wurden viel beachtet und mehrfach ausgezeichnet, <em>Luna Luna </em>war 2020 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde vom Schauspiel Leipzig für die Bühne adaptiert. <em>Hasenprosa</em>, ihr erster Roman, stand 2024 auf den Shortlists für den Deutschen Buchpreis und den Wilhelm Raabe-Literaturpreis.

Das mit dem Hasen ist rückwirkend betrachtet doch der Sommer der Anbahnung, der Maserung gewesen. Subkutan mauserte sich alles, äste sich unterholz vorwärts durchs Gras zu einer wie insgeheim vorgesehenen Stelle, suchte sich je eine behutsam ausgebuchtete Mulde und narbte dort friedwärts verabredet ganz langsam zu. Dabei hatte alles seine Zeit, schien es rückwärts bedacht, und nicht wenig davon, aber ich ahnte nichts. Unbeschrieben schritt ich fort, in meinen Meilenstiefeln dahin, meinen Reisesocken auf und davon.

Wenn das alles gewesen ist, rief ich mir über die Schulter, ziehe ich aus! Ich ahnte ja nichts. Wie arglos ich war, wie zartblau. Ich schimmerte blass, aber konstant wie ein Glashaus bei Nacht, ein Unbekümmer, Leichtling, schmeichelhaft seicht und selten effizient, kein Taugenichts, aber nah dran.

Die anderen frästen also solang. Rückwendig besehen graste alles wie wild, ackerte in offenbar unermüdlicher Selbstverständlichkeit an einer scheinbar gemeinsamen Sache, sie winkten auch manchmal, als langarmige Schemen weit hinten am Grasrand, ich sah sie wohl wedeln, doch begriff nicht weshalb. Nichtsahnend stand ich auf Stelzen, die wankten, es bangte und knackte schon lang, dann barst es, ich krachte.

Ich flog durchs Dach. Ich flog durch das Dach, das so lange tief unter mir sich und mich in Sicherheit gewogen hatte. Haltlos segelten wir hinab, einige Dachbalken und ich, in freiem Fall, wie man sagt, doch wie bleiartig das war, wie ekelhaft. Das kommt vom Thronen, dachte ich noch im Sturz, das kommt davon.

Ich war im Feld. Mit großem Haha war ich ins Feld eingefahren, meine eigene Raserei noch großspurig bewundernd, die Furche, die meine Bremsung hinterließ, war aber auch nicht von ungefähr, sondern hervorragend präzise und tief, und so fiel ich in die Blumenwiese und schlief. Man sang wohl für mich. Meine Bluse war nass. Über mir klaffte das Loch im Dach. Dort war es auch, wo ich sah: Klarer als im Schlaf war mir der Hase nie erschienen. Immerzu musste ich ihn mustern, mal verstohlen, mal unverhohlen betrachten, selbst im Schlaf (also meinem) stoben ihm die Seufzer noch zum Rachen heraus, es schnaubte und schlatterte. Er war so frech.

Insgeheim, meine ich, ist der Hase der Meister von allem gewesen. Er wusste Bescheid. Zunächst kam das als Ahnung zu mir, verschlafen, wie ich war. Es fuhr in einem schweren Block aus Fragen auf mich zu, durch mich hindurch oder um mich herum, da fing die Ungewissheit schon an, mit Bestimmtheit ließ sich allein das nicht mehr sagen.

War da ein Ruck im Moment, fragte ich, juckt mich was? Ist das mein Nasenbein? Und wohin blicke ich dann? In welche Zeit? Welches Jahrhundert, und was ist hinter mir? Wieso spannt das über den Wangen? Wovon bin ich wund? Was ist das Feste um meine Brust, etwas Schildartiges, Hartes? Soll ich das schützen? Bin ich ein Korb? Bastartig, verflochten, aus Flachs oder Rattan? Und hält das? Wie lange?

Das saß. Das hallte nach, und so hielt ich da inne. Ich schielte. Wohin der Block mich trieb, wohin die Fragen mich versiebten, hindrängten und zerstoben, war mir nicht klar. Dass ich mich langsam durch sie zerdehnte, inwärts schon faserte, sah ich wohl ein. Aber es war schier nicht zu richten, alles Baldowern und Strampeln schien schlicht zu nichts nütz, und schon fuhren sie fort, im Pulk. Das Tempo war garstig.

Was hab ich in der Hand, fragte ich inwendig getrieben zwangsweise weiter, wie fest? Ist das dicht? Und zerrinnt mir das unten, wie fang ich es auf? Über die Kuhle in meiner Brustmitte, mein Brustbein, Schlüsselbein, die Erhebung der Knochen, die zwei Kerben an meiner Leiste – was habe ich unterhalb der Leiste, zeigen die Kerben dahin? Wäre das indiskret? Ist ein Arzt in der Nähe? Ist das Bluesmusik da? Ist die nass? Mit Trompeten? Von wo? Bin ich ein Zwischenwesen? Gibt es mehrere von mir? Mit Blusen? Hat da einer gelacht?

Das waren die Fragen. Wir fuhren in einem Wagen, so viel war klar. Ich bin mit dem Hasen auf der Rückbank in einem traktorähnlichen Leihwagen durch eine Gegend gefahren, die Hollywood war oder eine andere abgewrackte, baracke Traumfabrik, der Hase hat immerzu gepfiffen wie ein Kessel unter Druck, wobei Kessel wie Karosse selbstverständlich zerbeult, und alle schepperten mit ihrem Blech, als wär’s ein Krachwettbewerb, auch die Rohrsysteme draußen pfiffen wie chorisch aus ihren rostigen Verschlussklappen, ich konnte mich kaum fokussieren auf das, was vor der Scheibe vorüberzog und weg war, es war alles im selben Moment verschwunden, in dem es erschienen war, eine vollends unnütze Fahrt ist es gewesen, es war so Schmach.

Immer wieder blickte ich, mich rasend fragend, aus dem fahrenden Wagen zu den hellen Billboards oberhalb der Straße, aber es schien unsinnig, und so wandte ich mich ab. Ich konnte es nicht ertragen, das Helle nicht und nicht das Hohe, schon gar nicht das gehörig nervtötende Getöse der offenbar untereinander kommunizierenden Bleche und Röhren. Ich ließ das am Rückspiegel baumelnde Wagennavigationsradio ballern, bis es aufbrach und franste, dann hängte ich es ab.

Der Hase saß immer noch auf der Rückbank und pladderte, er war nicht zu stoppen, er hielt seine Ohren in den Fahrtwind, es flatterte. Ich verstand nicht, was er sprach. Dann hängte ich auch ihn ab. Unbemerkt war ich in den Beiwagen unseres Gefährts gelangt, hatte entkoppelt und flog jetzt davon. Bald war der Hase ganz klein hinter mir. Dort vorn und so weit im Vorsprung war ich weitgehend allein mit den Fragen.

Bin ich in die Knie geraten, kam es mir, wie? Wann war ich in den Wind verzogen? Damals schon? Unbekannt? Ach. Und so fort. Unkonzentriert war ich, fahrig und span, spannenlang durch den Fahrtwind und flach wie ein Flusskiesel, äußerlich abgewetzt, innerlich dreckig, innendrin rundum besudelt. Das kommt vom Rasen, dachte ich noch im Stopp, das kommt davon.

Der Abstand zum hinter mir fahrenden Hasen war inzwischen unübersichtlich genug, also machte ich Halt. Stante pede öffnete ich alle Luken des Wagens, und herausgetobt kam eine Welt. Sie vibrierte. Sie blieb eine Weile, dann stob sie wieder fort.

Platt genug dachte ich, das war’s, aber da kam der Schwall. Eine ganze Lawine rundlicher Gebilde flog pflugförmig durch die Kulisse, viele davon glasartig und schillernd, manche scharf wie Geschosse, einige weicher, von Plüsch oder Wolle, da waren Jojos und Pompons, solche mit Schweif und ohne, motorisierte, analoge, drei Flummis, zwei Propeller, ein Ei und zig Kreisel, die meisten flogen solo, andere zusammen, einzelne hatten mobilemäßig ganze Familien von Kugeln im Schlepptau, also in kürzester Zeit ergoss sich ein unermessliches Bällebad ungehalten rings auf den Feldweg, um mich herum und über den Wagen.

Dann war es vorbei. Der Blechschaden war beträchtlich, aber auch völlig egal. Selbst der Fliehwagen schnaubte erschöpfte Wölkchen. Alles dampfte. Ich stemmte die Arme in die Hüften und stand da, wie man vor ramponierten Wagen auf Feldwegen steht. Ist denn hier ausnahmslos alles in Aufruhr, fragte ich, muss denn das sein? Ausgelaugt versuchte ich nochmal zu schlafen, aber die Steine waren zu hart. Also dachte ich nach. Bald dachte ich an meine Ma:

Dass sie beim Zwiebelschneiden zählt, und wie sie niest. Wie sie niest. Wie klein sie ist, und wie sie riecht. Dass sie permanent für andere Fährten legt, die andere dann meiden. Wie sie sich den Kopf zerbricht, und dass sie wach liegt, nachts, ein Wachtelei, sich Pfade ausdenkt, viel zu weit. Wie sie für alles immerzu Verantwortung spürt, und wie sie Tulpenzwiebeln setzt. Und dass sie nie weint.

So entfernte ich mich auch gedanklich immer weiter von dem Hasen. Dass das vorläufig gewesen ist, habe ich damals nicht gewusst. Es ist der Sommer der Anbahnung gewesen. Bis dahin merkte ich nur, wie alles kreisförmig wurde, dass meine Registratur versagte und wie nass meine Bluse war. So ab vom Schuss. Was tut man da? Ich ahnte es nicht.

In Abwesenheit des Hasen verbrachte ich unzählige lange, namenlose Tage damit, Klötze zu stapeln, bis mir völlig blöd zumute war, aber es wollte kein Haus daraus werden. Alleweil fiel mir das Geraffel mit einem Schlag auf die Füße, ich hatte die Schnauze gestrichen voll. Was ist es denn gewesen, das ich einstmals mag!, rief ich schwer verheddert. Wieso will es mit diesen Klötzen nicht klappen, gehe ich es falsch herum an? Ich wusste nicht mehr, wie herum richtig herum ging, nicht mehr, wie man...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Alice im Wunderland • Bücher Neuererscheinung • Coming-of-age • Deutscher Buchpreis 2024 • Düsseldorfer Poesie-Debütpreis 2017 • Erinnerung • Großeltern • Großmutter • Halb Taube Halb Pfau • Hessen • Kindheitserinnerungen • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Literaturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden 2020 • Literaturpreis »Text & Sprache« 2020 • Luna Luna • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Oma • Pop • Prince • Reise • Weltall
ISBN-10 3-518-77859-5 / 3518778595
ISBN-13 978-3-518-77859-3 / 9783518778593
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