Heimliche Frucht -  Julia Heinecke

Heimliche Frucht (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Gmeiner-Verlag
978-3-8392-7924-3 (ISBN)
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Schwarzwald 1950. Der Bauer Emil Dold lebt allein mit Agnes und Rosa auf dem Lenzenhof. Mit Agnes ist er verheiratet, mit der tüchtigen Magd Rosa pflegt er ein Liebesverhältnis. Als Rosa ein Kind erwartet, ist klar, dass es verschwinden muss. Nur wie? Keiner soll Rosas Nöte mitbekommen, und doch sieht jeder irgendetwas. Als schließlich die Gerüchte überhandnehmen, fängt Oberwachtmeister Bruno Strecker an, nachzuforschen.

Julia Heinecke wurde in Berlin geboren, wuchs im nördlichen Schleswig-Holstein auf und ist seit über einem Vierteljahrhundert in Südbaden zu Hause. Sie absolvierte eine Übersetzer-/Dolmetscherausbildung und studierte anschließend Kulturwissenschaften. Heute lebt und arbeitet Julia Heinecke als freiberufliche Übersetzerin, Lektorin und Autorin in Freiburg. In mehreren Publikationen hat sie sich sowohl auf Sachebene als auch in Romanform mit der Kulturgeschichte des Schwarzwaldes auseinandergesetzt.

Julia Heinecke wurde in Berlin geboren, wuchs im nördlichen Schleswig-Holstein auf und ist seit über einem Vierteljahrhundert in Südbaden zu Hause. Sie absolvierte eine Übersetzer-/Dolmetscherausbildung und studierte anschließend Kulturwissenschaften. Heute lebt und arbeitet Julia Heinecke als freiberufliche Übersetzerin, Lektorin und Autorin in Freiburg. In mehreren Publikationen hat sie sich sowohl auf Sachebene als auch in Romanform mit der Kulturgeschichte des Schwarzwaldes auseinandergesetzt.

Liebe


Wahrscheinlich waren sie sich zur Kirchweih 1948 zum ersten Mal begegnet. Der Lenz, also der Vater von Emil, trank zusammen mit Alfred, dem Vater von Rosa, ein Bier, und so kam eins zum anderen. Als dann auf dem Lenzenhof eine Magd gebraucht wurde – die Bäuerin war schon tot und die Töchter vom Lenz hatten nach Streitigkeiten mit ihrem Vater das Weite gesucht –, fragte Emil bei Rosas Eltern nach. Er saß dort am Stubentisch, trank den eingeschenkten Schnaps und betrachtete wohlwollend die junge Frau, die da zur Tür hereinkam. Und es ist nicht gelogen, wenn man sagt, dass auch Rosa den Emil wohlwollend anschaute.

Gewiss, einen Moment hatten Rosas Eltern schon darüber nachgedacht, ob es für ihre erst neunzehn Jahre alte Tochter das Richtige sei. Allein mit zwei Männern auf einem Hof, da war das Getratsche ja schon vorprogrammiert. Dass es schließlich so ein Ausmaß annehmen würde, hätten Rosas Eltern im Traum nicht gedacht.

Rosa war zu der Zeit auf dem Beha-Hof als Kindsmagd in Stellung, wurde dort aber nicht mehr unbedingt benötigt. Man war sich schnell einig, Rosa einverstanden, und so kam im Februar 1949, gleich nach Maria Lichtmess, endlich wieder eine Frau auf den Lenzenhof.

Kaum dort angekommen, sah sie gleich Handlungsbedarf. In gespieltem Ärger schlug Rosa die Hände zusammen.

»Wann wurde hier denn zuletzt geputzt?«

Sie lachte und schnappte sich den Besen, der unbenutzt neben der Küchentür lehnte. Mit weit ausholenden Schwüngen fegte sie in Nullkommanix durch. Dazu sang sie.

Emil beobachtete derweil im Türrahmen stehend, wie sie mit ihren kräftigen Armen in der Stube für Sauberkeit sorgte. Er wollte eigentlich nicht starren, sondern einfach weitergehen. Aber das ging nicht, er war magisch angezogen von der neuen Magd und ihrem Frohsinn.

Sie gefiel ihm. Sie war kein dürrer Hungerhaken, wie man es gerade bei den Frauen aus der Stadt sah. Denen steckte der Krieg sprichwörtlich noch in den Knochen. Rosa war von kräftiger, gedrungener Statur. Sie wirkte auf Emil ausgesprochen weiblich. Ihre schönen großen Brüste ließen sich durch die weichen Rundungen unter ihrer Bluse und dem Mieder erahnen. Sie hatte eine ausgeprägte Taille, und ihrem wohlgeformten Hinterteil mochte der Jungbauer am liebsten mal einen ordentlichen Klaps verpassen. Bei dem Gedanken bekam er rote Ohren und wandte sich ab.

Rosa fand sich schnell zurecht und lebte sich ein. Sie putzte, kochte, spülte, wusch, bügelte, flickte, fegte, molk, schlug Butter, drosch, fütterte die Tiere, kehrte den Stall, jätete Unkraut, half beim Steinen, beim Heuen, beim Säen, beim Ernten der Frucht und setzte Kartoffeln, als wäre sie schon immer da gewesen. Sie war überall, immer fix, klagte nie, sondern im Gegenteil summte stets ein Lied und strahlte über das ganze Gesicht. Sie schnitt sogar dem alten Lenz die Zehennägel (aber erst, nachdem sie ihn zu einem Fußbad verdonnert hatte). Sie machte sich unentbehrlich. Selbst in Emils Träumen.

*

Das Maiwetter zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne schien mild, ein leichter Wind wiegte die Grashalme auf der Wiese sanft hin und her.

»Bald können wir heuen«, sagte Emil zu Rosa.

»Wenn das Wetter so schön bleibt«, bestätigte Rosa.

Sie waren auf dem Weg ins Dorf, auf dem Kirchplatz wurde heute das Pfingstfest gefeiert. Die Währungsreform ein Jahr zuvor hatte für volle Regale und Entspannung gesorgt. Jetzt gab es wieder Musik, Tanz und Bier. Der alte Lenz war nach der Vormittagskirche gleich dortgeblieben.

Rosa freute sich unbändig, denn seit sie vor drei Monaten ihre Stellung auf dem Lenzenhof angetreten hatte, hatte sie ihre Eltern und Geschwister nur zweimal kurz nach der Kirche am Sonntag gesehen. Heute war endlich Zeit, alle nach Wochen wiederzutreffen, miteinander zu schwätzen und sich gemeinsam zu amüsieren. Das Pfingstfest war der besondere Höhepunkt der Gemeinde.

Emil freute sich ebenfalls. Er hatte sich fest vorgenommen, Rosa heute zum Tanz aufzufordern. Seit Tagen malte er sich aus, wie sie gemeinsam über die Tanzfläche schwebten. Wie er endlich einen Grund hatte, seinen Arm auf ihren Rücken zu legen. Er sie an sich heranziehen könnte. Ihren Körper spüren. Ihr ins Gesicht schauen, in ihre schönen blauen Augen. Emil beschleunigte seinen Schritt; je früher sie ankamen, desto besser, und Rosa hielt locker mit.

Alle Bewohner des kleines Ortes und aus der Umgebung waren gekommen. Man freute sich, nach den harten Nachkriegsjahren zusammen zu sein und endlich wieder ein bisschen zu feiern. Der Kirchplatz summte von Stimmen und Lachen. Bierkrüge stießen gegeneinander, Bälle wurden gegen Dosen geworfen, Ballwurferfolge beklatscht.

Rosa unterhielt sich angeregt mit ihren Schwestern. Emil hörte ihr lautes, fröhliches Lachen. Er setzte sich zu seinem Vater an den langen Tisch, an dem die Männer der Nachbarhöfe Bier tranken und schwätzten, und ließ Rosa nicht aus den Augen. Jetzt warf sie mit ihren zwei jüngeren Brüdern selbst ein paar Bälle und schaffte es, dass alle Dosen umfielen. Natürlich schafft sie das, dachte Emil, der Rosa fällt doch immer alles so leicht. Als die Mitglieder der Musikkapelle nach den Instrumenten griffen und die ersten Töne produzierten, flatterten in seinem Bauch tausend Schmetterlinge.

Die Trachtentanzgruppe machte den Anfang. Rosa stand ein paar Meter von Emil entfernt und klatschte im Takt. Sie trug heute ein modernes hellrotes Kleid mit weißem Gürtel, das ihre üppige Figur unterstrich, und sah gar nicht aus wie eine Schwarzwälder Magd. Das machte sie für Emil nur noch reizvoller. Jetzt wurde die Tanzfläche eröffnet, die ersten Männer forderten ihre Damen zum Tanz auf. Emil sprang von seiner Bank auf und lief schnurstracks zu Rosa.

»Tanzen wir?«

Rosa strahlte ihn an. »Gern.«

Emil griff ihre Hand und zog sie an sich. Endlich. Er spürte ihren festen, muskulösen Rücken. Ihre Augen glänzten und ihre Mundwinkel lachten, während sie sich im Takt der Musik bewegten. Leichtfüßig, weil alles so leicht war. Emil fühlte sich, als flöge er davon.

»Schau mal, die ganzen Weiber glotzen«, holte ihn Rosa auf den Boden zurück. Mit ihrem Kinn wies sie in Richtung Kirche. »Selbst die Erna ist dabei.«

Emil zog Rosa in die andere Ecke der Tanzfläche. »Lass sie reden, was wissen die schon. Wir machen nichts Verbotenes.«

Emil blickte über seine Schulter zurück. Seiner eigenen Schwester Erna troff das Geschwätz aus dem Mund, und Maria Wöhrle, die dem Lenzenbauern immer bei der Feldarbeit half, war zusammen mit Herta Spiegelhalter die größte Tratschtante überhaupt. Das wusste jeder. Die Vierte im Bunde, Elfriede Katzuleit, die Schlesien-Vertriebene, wollte einfach nur dazugehören und tratschte deshalb kräftig mit. Auch das wusste jeder. Ganz ungeniert hielten die vier Frauen Maulaffen feil.

Rosa lachte unbekümmert wie immer. »Komm, wir zeigen’s ihnen. Dass sie was zum Verzählen haben.«

Nach vielen weiteren Tänzen war es Zeit, in den Stall zu gehen. Das Vieh wollte gemolken werden. Lenz blieb sitzen. Das machte nichts, Emil und Rosa waren oft alleine im Stall, wenn dem Lenzenbauern wieder der Bauch so wehtat. Er war ganz empfindlich geworden; dann kochte Rosa für ihn extra eine Hafersuppe zu Mittag, weil er das Gemüse und den Salat nicht essen mochte.

Den Weg zurück zum Hof liefen Emil und Rosa viel langsamer als am Mittag. Sie trödelten. Keiner sagte ein Wort, aber hin und wieder kreuzten sich ihre Blicke, und ihre Hände waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Wie Magneten fühlten sie sich voneinander angezogen. Kurz vor der letzten Kehre, bevor es auf die kleine Straße zum Hof ging, griff endlich Emils linke nach Rosas rechten Hand. Beide schauten geradeaus, überwältigt von ihrem Mut, und zufälligerweise kam dort gerade der Postbote Werner Dreieich auf seinem Fahrrad die Straße entlang – natürlich ohne Post, denn es war ja Sonntag. Emil ließ los, und Rosa versteckte ihre Hand verschämt hinter ihrem Rücken und rieb sie, als würde sie brennen.

Der Postbote hielt an. Linker Fuß auf dem Boden, rechter auf der Pedale, Hände am Lenker, so stand er da und wartete, dass die zwei näher kamen.

»Salli, Emil«, grüßte er freundlich. »Was für ein schöner Tag heute, gell?«

»Ja, ein wunderbarer Tag«, bestätigte Emil.

»Bald können wir heuen, wenn es so bleibt.«

»Ja«, nickte Emil.

»Schönen Abend miteinander.« Werner Dreieich zwinkerte den beiden zu, gab sich mit seinem linken Fuß auf dem Boden Schwung, setzte sich zurück auf den Sattel und radelte davon.

»Schönen Abend«, riefen ihm Emil und Rosa zeitgleich hinterher. Dann schauten sie sich an und kicherten.

Sie kicherten so, wie es nur Verliebte taten.

Rosa setzte sich auf den Melkschemel und fing an, die erste Kuh zu melken. Wie immer summte sie dazu. Emil konnte den Blick nicht von ihr lassen, während er das Heu vor die Kühe warf. Er war nervös. Und Rosa, das sah er ganz genau, war es auch, egal, wie schön sie summte.

Später stellte sie in der Stube Speck und Brot auf den Tisch.

»Ich hab eigentlich gar keinen Hunger«, bemerkte Emil.

»Ich auch nicht«, erwiderte Rosa, »aber es ist ja Essenszeit.«

Sie setzten sich gegenüber, Rosa blinzelte in die Abendsonne und konnte Emil, der vor dem Fenster saß, kaum erkennen, während Emil an nichts anderes dachte, als dass er diese Lippen der ihm gegenüber ins rechte Licht gerückten Rosa küssen wollte. Hastig sprang er nach ein paar Bissen auf und sprach das Gebet, das die Mahlzeit...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2024
Reihe/Serie Romane im GMEINER-Verlag
Verlagsort Meßkirch
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • Babymord • Bauer • Bauernhof • Crime • Dreiecksbeziehung • Ehefrau • illegitim • Kind • Magd • Mord • Schwanger • Schwarzwald • True • Verbrechen • wahre
ISBN-10 3-8392-7924-0 / 3839279240
ISBN-13 978-3-8392-7924-3 / 9783839279243
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