Aussicht auf ein neues Morgen -  Kati Stephan

Aussicht auf ein neues Morgen (eBook)

Roman | Die Geschichte dreier Frauen in der DDR

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0727-4 (ISBN)
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Drei Frauen, drei Träume ... und nicht alle davon können wahr werden

Hanna zieht Mitte der Siebzigerjahre nach Ost-Berlin, um eine Stelle beim Postamt im Fernsehturm anzutreten. Dort lernt sie Trudi und Babs kennen. Jede von ihnen hat ganz unterschiedliche Erwartungen und Hoffnungen für das Leben in der Großstadt.

Trudi, die erfahrenste und aufmüpfigste unter den Frauen, ist nach Ost-Berlin gekommen, um endlich einen Weg in die westliche Freiheit zu finden. Babs die in einem kleinen Dorf aufgewachsen ist leidet an Heimweh. Erst als sie auf den jugoslawischen Gastarbeiter Miro trifft, fühlt sie sich immer wohler.

Und Hanna lernt den rebellischen Musiker Peter kennen und fühlt sich von seiner offenen Art immer mehr angezogen. Doch mit seiner systemkritischen Einstellung gerät er ins Auge der Staatssicherheit. Kann die aufblühende Liebe das überstehen?



Kati Stephan hat sich schon immer für die Geschichte der ehemaligen DDR interessiert, auch wenn sie sich selbst nur noch vage an den Fall der Berliner Mauer erinnern kann. Sie studierte Germanistik, Politik und Geschichte, arbeitete in der Fernsehbranche und war als Lektorin in einem Hörbuchverlag tätig. Heute widmet sie sich als freiberufliche Autorin unter anderem dem Schreiben zeitgeschichtlicher Romane. Mit 'Mauerträume' kehrt Kati Stephan literarisch in ihre Heimatstadt zurück: Ost-Berlin.

Hanna – Spätsommer 1976


Durch den Sucher ihrer Kamera ragte der Berliner Fernsehturm vor ihr imposant in die Höhe. Mit Fingerspitzengefühl stellte Hanna die Linse scharf, während sie sich die Nase am klobigen Gehäuse platt drückte. Die rot-weiß gestreifte Spitze des Turms passte nicht ganz aufs Bild, egal wie sehr sie den Winkel auch zu verändern versuchte. Sie drückte den Auslöser. Für den Bruchteil einer Sekunde öffnete sich die Blende, und das stolze Monument der noch jungen sozialistischen Republik wurde in Schwarz-Weiß auf Zelluloid gebannt.

Zufrieden ließ Hanna die Kamera sinken – das Abschiedsgeschenk ihres Vaters. Bevor sie in Greifswald in den Zug gestiegen war, hatte er ihr im Bahnhof ein Päckchen überreicht. Voller Neugier hatte sie es sogleich geöffnet und war ihm um den Hals gefallen, als sie die »Praktica« darin entdeckte. Eine Träne hatte sie ebenfalls verdrückt, die jedoch gar nicht weiter aufgefallen war. Denn schon als sie den Bahnsteig betreten hatte, sah sie nur noch verschwommen durch ihren Tränenschleier.

Aber nicht nur der Abschied von ihrem Vater war ihr schwergefallen. Sie hatte in diesem Moment auch an ihre Mutter denken müssen, die sechs Jahre zuvor von ihnen gegangen war. Oft merkte sie an den kleinen Dingen, dass sie ihre Mutter noch immer vermisste. Auch ihr hätte sie gerne an diesem Tag Lebewohl gesagt. Hanna hätte sie ebenfalls in den Arm nehmen wollen, sie dem Zug hinterherwinken sehen und im Abteil ein Stullenpaket auspacken wollen, das ihre Mutter ihr zuvor liebevoll geschmiert hätte. Doch so hatte sie sich nur von ihrem Vater verabschieden können, der ihr bei der letzten Umarmung noch einen Apfel für die Fahrt in die Jackentasche steckte.

Die Tränen waren während der Zugfahrt getrocknet. Die Vorfreude, die sie in den letzten Wochen kaum hatte schlafen lassen, gewann schnell wieder die Oberhand. Die Gedanken an ihre Mutter waren ebenso weitergewandert wie die Wolken am Himmel, der durch das Abteilfenster an ihr vorbeizog. Denn morgen schon würde sie genau hier, am Fuße des Fernsehturms, in dem kleinen Postamt ihre Stelle antreten. Sie konnte es kaum erwarten.

Beschwingt nahm sie ihren Koffer in die Hand, den sie neben sich abgestellt hatte, und eilte zur Straßenbahnhaltestelle. Die Kamera baumelte dabei an einem Band um ihren Hals. Etwas ratlos blieb sie vor dem Fahrplan stehen. Rote, schwarze, grüne Linien zogen sich auf der Karte wie Adern durch eine Stadt, die größer war als jede andere Stadt, die sie je zuvor besucht hatte. Gegen Berlin war Greifswald geradezu beschaulich und übersichtlich. Man traf sich im Konsum, an der Wache der Freiwilligen Feuerwehr oder in der Eckkneipe. Jeder kannte jeden oder zumindest war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man einander über mehrere Ecken kannte.

Freundlich wandte Hanna sich dem Mann zu, der neben ihr stand. Er trug eine blaue Latzhose, seine Alu-Brotdose hatte er unter den Arm geklemmt. »Entschuldigen Sie! Können Sie mir helfen?«

Mürrisch drehte der Mann sich um. »Seh ick aus wie die Auskunft?«

»Oh, nein, aber … Ich wollte nur wissen«, stotterte Hanna überrascht. Mit so viel Unfreundlichkeit hatte sie nicht gerechnet.

Der Mann winkte ab. »Schon jut! Wo müssen Se denn hin, Fräulein?«

Hanna versuchte, sich in ihrer Heiterkeit nicht beirren zu lassen, und lächelte wieder. Sie hatte von der etwas eigentümlichen Berliner Art schon gehört. »Ich muss nach Hohenschönhausen. In den Clara-Zetkin-Weg …« Sie kramte aus ihrer Rocktasche einen Zettel hervor und vergewisserte sich noch einmal der korrekten Hausnummer. »12c. Dort beziehe ich mein neues …«

»Dit is janz leicht zu finden«, unterbrach der Mann sie ungeduldig. Er war zwar gewillt, ihr zu helfen, an ihrer Lebensgeschichte hatte er jedoch offensichtlich keinerlei Interesse. »Da müssen Se die Vier nehmen. Rausfahren bis zur Leninallee, dann umsteigen inne Sechs, und wenn Se den Horizont vor lauter Beton nich mehr sehn, sind Se da.«

Hannas mehr als irritierten Blick bemerkte der Mann nicht mehr. Denn er hatte sich bereits umgedreht und stieg in die Straßenbahn, die gerade einfuhr. Es war die Linie, von der er gerade gesprochen hatte, im letzten Moment sprang Hanna in den Waggon.

Alle Sitzplätze waren belegt. Als die Bahn sich in Bewegung setzte, klammerte Hanna sich etwas umständlich an die Haltestange, die an der Waggondecke angebracht war. Dabei musste sie sich ganz schön strecken – für kleinere Menschen wie sie war die Stange viel zu hoch angebracht. Im Rückfenster der Straßenbahn sah sie, wie der Fernsehturm immer kleiner wurde. Jetzt würde er vermutlich aufs Bild ihrer Kamera passen.

Die Fahrt führte sie durch das sprudelnde Zentrum der Stadt. Die prächtigen Paradestraßen waren breit und baumgesäumt. Dichter Verkehr schlängelte sich darauf. Hanna hatte noch nie so viele Autos, Motorräder und Fahrräder auf einem Fleck gesehen. Überall hupte, knatterte und klingelte es. Die Bürgersteige waren belebt von Arbeiterinnen und Arbeitern, die nach Feierabend auf ihrem Weg nach Hause waren, von Kindern in Jungpionier-Uniformen sowie alten Herrschaften, die auf Bänken sitzend das Treiben auf der Straße mit Argusaugen beobachteten. In den Schaufenstern der vorbeiziehenden HO-Geschäfte wurden allerlei Waren angeboten, die man im heimatlichen Konsum vergebens suchte. Modische Kleidung, Elektronikgeräte, Delikatessen aus dem sozialistischen Ausland, hier schien es all das zu geben, was das hart arbeitende Konsumentenherz begehrte.

An der Leninallee stieg Hanna in die Sechs um. Das Stadtbild änderte sich allmählich. Die mehrstöckigen Mietshäuser, trotz teils prekären Bauzustands überaus stattlich, stammten nicht mehr aus der Vorkriegszeit. Am Rand der Stadt war man dabei, neue Bleiben für die Bürger aus dem Boden zu stampfen. Noch immer herrschte in der Deutschen Demokratischen Republik Wohnungsknappheit, obwohl der Krieg schon drei Jahrzehnte zurücklag. Wie klobige Pilze wuchsen praktische Plattenbauten in die Höhe, ohne Schnörkel, Zierde oder überflüssiges Beiwerk. Wie Bauklötze standen sie aufgereiht nebeneinander.

Als die Bahn die Endstation erreichte, stieg sie aus und blickte sich etwas unschlüssig um. Die Haltestelle, die mitten in einer dieser neuen Wohnbausiedlungen lag, war wie leergefegt, weshalb sie schließlich mit ihrem Koffer in der Hand einfach losstiefelte, in der Hoffnung, nicht in die vollkommen falsche Richtung zu laufen.

Nachdem sie an zahlreichen etwas niedrigeren Wohnblöcken vorbeigelaufen war und einige Nebenstraßen überquert hatte, erreichte sie den Clara-Zetkin-Weg. Vor der Nummer zwölf blieb sie stehen. Es war ein breiter Plattenbau, hinter dem die Abendsonne beinahe gänzlich verschwand. Hanna schaute hoch, zählte die Etagen. Elf Stockwerke waren es. Das Haus hatte drei Aufgänge, an den ersten beiden ging Hanna vorbei. Vor dem letzten Aufgang stand ein Mädchen in Hannas Alter. Ihre roten Haare waren zu einem langen Zopf geflochten, der über ihre Schulter hing. Ihr sommersprossiges Gesicht war pausbackig. Ohnehin schien sie etwas mehr auf den Hüften zu haben. Der Tellerrock, der ihr bis zu den Knöcheln ging, wirkte recht ausladend. Die grob gestrickte Wolljacke betonte ihre breiten, kräftigen Schultern. Sie trug ebenfalls einen Koffer in der Hand und blickte sich unsicher um.

Lächelnd trat Hanna an sie heran. »Hallo! Wartest du auf Frau Hübner?«

Die junge Frau nickte erleichtert. »Du auch?«

Ehe Hanna etwas erwidern konnte, schlenderten ein paar junge Männer in Jeansjacken mit aufgestellten Kragen an ihnen vorbei. Lässig hatten sie die Hände in ihre Hosentaschen vergraben. Ihre dunklen Haare fielen ihnen über die Schultern. Sie grinsten frech in ihre Richtung. Der eine spitzte seine Lippen und ließ einen provokanten Pfiff erklingen.

»Ah! Neue Post-Mädchen!«, rief ein anderer ihnen zu, wobei er das O ungewöhnlich langzog.

Während Hanna noch überlegte, welcher Akzent das wohl sein könnte, stellte die junge Frau neben ihr den Koffer ab und stemmte empört ihre Hände in die Hüften. »Für euch Post-Fräulein, kapiert?«

Die Jungs hielten inne und schauten die junge Frau erstaunt an, mit Widerworten hatten sie wohl nicht gerechnet. Dann lachten sie etwas verlegen. Einer von ihnen hingegen grinste anerkennend. Er hatte pechschwarzes, etwas kürzeres Haar, das ihm ins schmale Gesicht fiel, und markante Wangenknochen. Seine rechte Augenhöhle war auffallend lila gefärbt. Offensichtlich hatte sie vor nicht allzu langer Zeit die Bekanntschaft mit etwas Stumpfem gemacht, vermutlich einer Faust.

Auch Hanna huschte ein Lächeln über das Gesicht. Sie mochte die unverblümte Art der jungen Frau schon jetzt. Als die Männergruppe weitergezogen war, streckte Hanna ihr die Hand entgegen. »Ich bin Hanna Liebig.«

»Schomann, Barbara. Aber so nennt mich nur meine Mutter. Meine Brüder nennen mich Baby. Aber am liebsten werde ich Babs genannt.«

»In Ordnung, Babs«, erwiderte Hanna lachend.

»Entschuldige, ich rede immer so viel, wenn ich nervös bin.«

»Ich bin auch aufgeregt. Ist doch spannend, oder? Hier werden wir wohnen.« Hannas Blick wanderte die grau verputzte Häuserfassade hoch. Von hier unten sah es so aus, als würde das Haus bis in den Himmel hineinragen.

Auch Babs schaute nach oben, sie schien von der architektonischen Meisterleistung jedoch nicht so begeistert zu sein. »Sieht ganz schön trostlos aus. Nicht ein Blumentopf steht auf den Fenstersimsen.«

Da öffnete sich die Tür. Eine zierliche ältere Frau mit grau meliertem Dutt sah die...

Erscheint lt. Verlag 25.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 70er Jahre • alles tun für Liebe • DDR • drei Frauen • Flucht • Freundschaft • gegen das System • Leben in Ost-Berlin • Ost-Berlin • Ost-Berlin-Reihe • Rebellin
ISBN-10 3-7499-0727-7 / 3749907277
ISBN-13 978-3-7499-0727-4 / 9783749907274
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