Ihr wollt es dunkler -  Stephen King

Ihr wollt es dunkler (eBook)

Spiegel-Bestseller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
736 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-31513-9 (ISBN)
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Nach einer außerweltlichen Begegnung in den Wäldern von Maine machen zwei Freunde urplötzlich große Karriere; ihr Geheimnis nehmen sie mit in den Tod. Danny träumt von einer Leiche, die er dann tatsächlich findet; in den Augen der Polizei kann nur er der Mörder sein. Vic macht Ferien in Florida, wo er eine verschrobene alte Frau kennenlernt; eine Bekanntschaft, die in einem Horrorstrudel endet. Das sind nur drei von zwölf neuen Storys, die Stephen King in Ihr wollt es dunkler versammelt - viele Genres umspannende Geschichten über das gegenwärtige Amerika, über finstere Mächte und existenzielle Fragen. Seine Erzählsammlungen - zuletzt Zwischen Nacht und Dunkel, Basar der bösen Träume und Blutige Nachrichten - stehen regelmäßig weltweit auf den Bestsellerlisten.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

Der fünfte Schritt


Harold Jamieson, ehemals technischer Leiter bei der New Yorker Stadtreinigung, genoss seinen Ruhestand. Er wusste aus seinem kleinen Freundeskreis, dass das keineswegs allen so ging, und schätzte sich daher glücklich. Er bewirtschaftete in Queens ein knapp einen halben Hektar großes Stück Land mit ein paar gleich gesinnten Gartenfreunden, hatte Netflix für sich entdeckt und kam mit den Büchern voran, die er schon immer einmal lesen wollte. Er vermisste seine fünf Jahre zuvor an Brustkrebs verstorbene Frau zwar noch, abgesehen von diesem anhaltenden Schmerz führte er jedoch ein recht ausgefülltes Leben. Er schärfte sich jeden Morgen vor dem Aufstehen ein, den anstehenden Tag genießen zu wollen. Mit seinen achtundsechzig Jahren glaubte er, noch ein gutes Stück seines Lebenswegs vor sich zu haben, konnte dabei aber nicht abstreiten, dass der Weg langsam schmaler wurde.

Das Beste an diesen Tagen – sofern es nicht regnete, schneite oder zu kalt war – war der Spaziergang nach dem Frühstück, neun Blocks bis in den Central Park. Obwohl er ein Handy bei sich hatte und auch ein Tablet nutzte (und beinahe schon davon abhängig war), zog er es immer noch vor, die New York Times in Papierform zu lesen. Im Park setzte er sich auf seine Lieblingsbank und las dort rund eine Stunde lang die Rubriken von hinten nach vorn und sagte sich, dass er sich so vom Unglaublichen zum Lächerlichen vorarbeite.

Eines Morgens Mitte Mai, es war zwar etwas kühl, aber durchaus passendes Wetter, sich zum Lesen auf die Bank zu setzen, stellte er bei einem Blick über die Zeitung verärgert fest, dass sich ein Mann mittleren Alters auf dem anderen Ende niederließ, obwohl in der Nähe viele andere Bänke leer waren. Der Eindringling in Jamiesons morgendliche Privatsphäre war wohl Mitte bis Ende vierzig, weder gut aussehend noch hässlich, sondern, im Gegenteil, vollkommen unauffällig. Das galt auch für seine Kleidung: New-Balance-Laufschuhe, Jeans, eine Yankees-Kappe und ein Yankees-Hoodie mit zurückgeschlagener Kapuze. Jamieson musterte ihn mit einem abweisenden Seitenblick und wollte aufstehen, um sich eine andere Bank zu suchen.

»Gehen Sie nicht«, sagte der Mann. »Bitte. Ich habe mich hergesetzt, weil ich jemand brauche, der mir einen Gefallen tut. Ist keine große Sache, aber ich zahle dafür.« Er langte in die Bauchtasche des Hoodies und zog einen Zwanzigdollarschein heraus.

»Ich tue Fremden keine Gefallen«, sagte Jamieson und erhob sich.

»Aber genau darum geht es – dass wir Fremde sind. Hören Sie mir kurz zu. Wenn Sie nein sagen, ist das in Ordnung. Aber bitte hören Sie mich erst an. Sie könnten …« Er räusperte sich, und Jamieson erkannte, dass der Mann nervös war. Vielleicht sogar verängstigt. »Sie könnten mir das Leben retten.«

Jamieson überlegte kurz, dann setzte er sich wieder. Allerdings so weit von dem anderen Mann entfernt, wie die Bank es zuließ, ohne dass die Pobacke überhing. »Ich gebe Ihnen eine Minute, aber wenn es mir zu verrückt wird, gehe ich. Und stecken Sie das Geld weg. Ich brauch es nicht und will es nicht.«

Der Mann sah den Geldschein an, als wäre er überrascht, dass er ihn immer noch in der Hand hielt, dann steckte er ihn zurück in die Bauchtasche. Er stützte die Hände auf die Oberschenkel und sah auf sie hinab, anstatt Jamieson anzublicken. »Ich bin Alkoholiker. Vier Monate trocken. Vier Monate und zwölf Tage, um genau zu sein.«

»Glückwunsch«, sagte Jamieson. Er meinte es wohl ernst, dennoch wuchs seine Bereitschaft aufzustehen, um den Park zwangsläufig zu verlassen. Der Typ schien bei Sinnen zu sein, aber Jamieson war alt genug und wusste, dass der Wahnsinn manchmal nicht auf den ersten Blick zu erkennen war.

»Ich habe es vorher schon drei Mal versucht und einmal fast ein Jahr durchgehalten. Das hier könnte meine letzte Chance sein, alles wieder ins Lot zu bringen. Ich bin bei den AA. Das sind die …«

»Ich weiß wohl, was das ist. Wie heißen Sie, Mr. Vier-Monate-Trocken?«

»Sie können mich Jack nennen, das reicht. Im Programm verwenden wir keine Nachnamen.«

Jamieson wusste auch das. In den Netflixserien gab es viele Figuren mit Alkoholproblemen. »Also, was kann ich für Sie tun, Jack?«

»Bei meinen ersten drei Versuchen habe ich im Programm keinen Sponsor gefunden – das ist eine Person, die einem zuhört, Fragen beantwortet und einem manchmal auch sagt, was man tun soll. Dieses Mal hatte ich einen. Habe ihn beim Sunset-Meeting in der Bowery kennengelernt und war ganz begeistert von dem, was er so sagt. Von seinem Auftreten auch. Na ja, er ist seit zwölf Jahren trocken, steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und arbeitet im Verkauf, genau wie ich.«

Er hatte sich Jamieson zugewandt und ihn angesehen, jetzt aber senkte er den Blick wieder auf seine Hände.

»Ich war ein verdammt guter Verkäufer. Ich habe fünf Jahre lang den Vertrieb von … Ach, das spielt keine Rolle, aber es war ein großes Ding, Sie kennen die Firma. Das war in San Diego. Jetzt verkaufe ich nur noch Grußkarten und Energydrinks an Läden und Tankstellen in den fünf Stadtbezirken. Die unterste Stufe auf der Karriereleiter, Mann.«

»Kommen Sie zur Sache«, sagte Jamieson, allerdings keineswegs ungehalten. Ohne es zu wollen, hatte er ein gewisses Interesse entwickelt. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass sich ein Fremder zu einem auf die Bank setzte und sein Herz ausschüttete. Schon gar nicht in New York. »Ich wollte noch nachsehen, wie die Mets gespielt haben. Die haben einen guten Saisonstart hingelegt.«

Jack rieb sich mit einer Hand über den Mund. »Mir gefiel der Typ, den ich da in der Bowery kennengelernt habe, also habe ich nach einem Meeting all meinen Mut zusammengenommen und ihn gebeten, mein Sponsor zu werden. Das war im März. Er hat mich angesehen und gesagt, dass er das übernehmen würde, aber nur unter zwei Bedingungen: Dass ich alles tue, was er sagt, und dass ich ihn sofort anrufe, wenn es mich nach einem Drink gelüstet. Ich habe gesagt: ›Dann rufe ich jeden verdammten Abend an‹, und er darauf: ›Dann rufst du eben jeden verdammten Abend an, und wenn ich nicht rangehe, sprichst du auf den Anrufbeantworter.‹ Dann hat er mich gefragt, ob ich die Zwölf Schritte mache. Wissen Sie, was das ist?«

»Vage.«

»Ich hab gesagt, dass ich noch nicht so weit gekommen wär. Er meinte, dass ich damit anfangen müsse, wenn er mein Sponsor werden soll. Die ersten drei Schritte seien gleichzeitig die schwierigsten als auch die einfachsten. Im Prinzip besagen sie: Allein kann ich nicht aufhören, aber mit Gottes Hilfe kann ich es schaffen, also lasse ich mir von ihm helfen.«

Jamieson grunzte.

»Ich hab gesagt, dass ich nicht an Gott glaube. Der Typ – er heißt Randy – sagt, dass ihm das scheißegal ist. Ich soll mich jeden Morgen hinknien und diesen Gott, an den ich nicht glaube, bitten, mir zu helfen, einen weiteren Tag trocken zu bleiben. Und wenn ich einen Tag nichts getrunken habe, soll ich mich vor dem Schlafengehen hinknien und Gott für diesen trockenen Tag danken. Randy hat mich gefragt, ob ich dazu bereit wär, und ich habe das bejaht. Weil ich ihn sonst verloren hätte. Verstehen Sie?«

»Klar. Sie waren verzweifelt.«

»Genau! Bei den AA hier nennen sie es oft GOD, gift of desperation, also das Geschenk der Verzweiflung. Randy sagt, wenn ich die Gebete nicht mache, dann aber einfach behaupten würde, dass doch, würde er das merken. Schließlich hätte er dreißig Jahre lang allen Leuten die Hucke voll gelogen.«

»Also haben Sie doch gebetet? Obwohl Sie gar nicht an Gott glauben?«

»Ich habe gebetet, und es hat funktioniert. Was meinen Glauben betrifft, dass es keinen Gott gibt … je länger ich trocken bin, desto mehr gerät der ins Wanken.«

»Wenn Sie mich bitten wollen, mit Ihnen zu beten, vergessen Sie es.«

Jack lächelte auf seine Hände hinab. »Nein. Ich bin immer noch unsicher, wenn ich mich hinknie, selbst wenn ich allein bin. Vor einem Monat – im April – hat Randy mich aufgefordert, den vierten Schritt zu machen. Das ist eine moralische Bestandsaufnahme des eigenen Charakters – den man gründlich und furchtlos erkunden soll.«

»Haben Sie das getan?«

»Ja. Randy sagt, dass ich die schlechten Eigenschaften aufschreiben, dann eine neue Seite aufschlagen und dort die guten Eigenschaften auflisten soll. Für die schlechten Eigenschaften habe ich zehn Minuten gebraucht. Und mehr als eine Stunde für die guten. Am Anfang wollte mir einfach nichts Gutes einfallen, aber schließlich hab ich geschrieben: Ich habe halbwegs Sinn für Humor. Was auch stimmt. Nachdem ich das hatte, bin ich noch auf ein paar andere gute Sachen gekommen. Als ich Randy von meinen Schwierigkeiten, auf Charakterstärken zu kommen, erzählt habe, meinte er, das wäre normal. ›Du hast fast dreißig Jahre lang getrunken‹, hat er gesagt. ›Das hinterlässt jede Menge Narben und Abschürfungen im Selbstbild eines Menschen. Aber wenn du trocken bleibst, werden die Schürfwunden allmählich verheilen.‹ Danach hat er mich aufgefordert, beide Listen zu verbrennen. Er meinte, ich würde mich dann besser fühlen.«

»Hat das geklappt?«

»Komischerweise schon. Jedenfalls bringt uns das jetzt zu Randys Bitte für diesen Monat.«

»Wobei es sich wohl eher um eine Forderung handelt«, sagte Jamieson und lächelte kurz. Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie neben sich.

Jack lächelte ebenfalls. »Offenbar haben Sie die Dynamik zwischen Sponsor und...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2024
Übersetzer Wulf Bergner, Jürgen Bürger, Karl-Heinz Ebnet, Gisbert Haefs, Marcus Ingendaay, Bernhard Kleinschmidt, Kristof Kurz, Gunnar Kwisinski, Friedrich Sommersberg, Sven-Eric Wehmeyer
Sprache deutsch
Original-Titel You Like It Darker
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Aliens • Cujo • eBooks • Flugangst • Großvater • Horror • Hundegeschichte • Iren • Klapperschlangen • Kurzgeschichte • Kurzroman • Mystery • Neuerscheinung • Novelle • Science Fiction • Serienmörder • Teufelspakt • Thriller • Wahn
ISBN-10 3-641-31513-1 / 3641315131
ISBN-13 978-3-641-31513-9 / 9783641315139
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