KHUN CHANG und KHUN PHAEN -  Peter M. Hirsekorn

KHUN CHANG und KHUN PHAEN (eBook)

Der Schöne und das Biest
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
884 Seiten
TWENTYSIX EPIC (Verlag)
978-3-7407-4299-7 (ISBN)
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Das wohl bekannteste Drama der klassischen Literatur Thailands ist ein im Original rin Versepos. Das Grundmotiv stammt aus volkstümlichen Überlieferungen, die über Generationen von sogenannten Sepha-Erzählern vorgetragen wurden. Im frühen 19. Jahrhundert wurde es von verschiedenen Dichtern tradiert und jeweils um viele Details ergänzt. Sogar zwei Könige versuchten sich an der Bearbeitung des Stoffes. Die heute als offiziell geltende Fassung wurde 1917/18 von Prinz Damrong Rajanubhab zusammengestellt. Kernmotiv ist eine klassische Dreiecksgeschichte: Khun Chang und Khun Phaen, die beide dem niederen Adel angehören. Der eine ist reich, aber hässlich, der andere schneidig aber mittellos. Beide werben um die liebliche Wanthong. Im Verlauf der Handlung, die sich über einen Zeitraum von 50 Jahren erstreckt, kommt es zu zwei Kriegen, zu Entführungen, Verrat, einem idyllischen Waldaufenthalt, Gerichtsverfahren, Folter und Haft. Letztlich verurteilt der König Wanthong zum Tode, weil sie sich weigert, sich endlich für einen der beiden Männer zu entscheiden. Den Reiz des Stückes machen so vielfältige Elemente wie Heldenmut, romantische Liebe, Sexualität, Gewalt, übersinnliche Fähigkeiten, Horror, stellenweise derbe Komik, aber auch Abschnitte lyrischer Schönheit aus. Erstmalig das komplette Werk in Prosa und deutscher Sprache.

Peter Hirsekorn, Jahrgang 1957, kaufmännische Lehre und Abitur am Staatlichen Abendgymnasium Hamburg, Studium der Neueren Geschichte, Politischen Wissenschaften und Anglistik an der FU Berlin und den USA. Nach dem Studium über 20 Jahre in leitenden Positionen der IT-Industrie in Deutschland, Frankreich, Spanien, USA und Singapur tätig. Der Autor kennt und bereist Südostasien und Thailand seit mehr als 30 Jahren und lebt seit einigen Jahren überwiegend als Autor in Pattaya und auf der Familienfarm in Ban Du (Udon Thani). Bekannt sind vor allem seine zahlreichen Nacherzählungen von klassischen Werken der Thai-Literatur, häufig erstmalig in deutscher Sprache.

Den Lehrern wurde Respekt gezollt35,
der Beginn der Arbeit an diesem Werk ist gewollt.
Was zutrug sich, als König Phra Phanwasa36,
herrschte im Reich von Ayutthaya.p
In dieser Welt, da ist sein Geist,
unerreicht und weit gereist.
Ein Quell der Freude, vom Himmel gesandt,
Schutz und Schild seines Volkes in diesem Land.
Die Untertanen in seinem Reich,
senken das Haupt voll Ehrfurcht sogleich.
Alle Müang37, welche die Heilige Stadt umgeben,
in Ergebenheit die Hände zum Wai38 erheben.
Souverän bewahrt er das königliche Gut,
vor Gesundheit strotzend und mit fröhlichem Mut.
Den königlichen Tugenden39 zu folgen bereit,
wodurch er sein ganzes Volk erfreut.

Das ist die Geschichte von Khun Phaen, Khun Chang und der schönen Wan Thong. Im Jahr 14740 dieser Ära, waren die Eltern dieser drei Personen Untertanen im Reich Seiner Majestät, König Phanwasa. Hier wird ihre Geschichte erzählt, also liebe Zuhörer, seid aufmerksam. Alles andere außer Acht lassend, wollen wir uns zunächst mit der Geburt unserer drei Charaktere beschäftigen und wie ein böser Geist auf der Spitze eines Baumes sie in den Schoß ihrer Mütter brachte. Des Nachts, begleitet von gelegentlichem Gelächter, formen diese bösen Geister Figuren, modellieren sie ohne Vorlagen, indem sie ihr Aussehen immer wieder verändern, bis sie zum Abschluss noch die letzten Details hinzufügen. Während einer dieser Nächte saß ein modellierender Geist auf der Spitze eines Baumes, erreichten einige Höllenwesen, die dort eine lange Zeit fürchterlich und erbarmungswürdig unter den Torturen gelitten hatten41, das Ende ihres Karmas42 und wurden freigelassen.

Wiedergeboren aus der Existenz vormaliger Höllenwesen, den sogenannten Phi Pret („Leidende Geister“)43, versuchten sie in wilder Hast ihr Glück in den himmlischen Sphären zu finden, aber sie kamen zu spät. Der modellierende Geist fing sie ab, formte sie nach Gutdünken und sorgte dafür, dass jeder von ihnen in den Schoss seiner künftigen Mutter schlüpfte. Nun ist es an der Zeit, Khun Siwichai44 vorzustellen, einen fleißigen und dienstbeflissenen Offizier des königlichen Elefantenkorps aus Suphan Buri45. Er war sehr reich und sein enormes Vermögen gestattete ihm viele Bedienstete. Gemeinsam mit seiner Frau Thep Thong46 lebte er in seinem prächtigen Anwesen an der Landungsstelle Tha Sip Bia47.

Eines Nachts wälzte sich Thep Thong unruhig im Bett hin und her. In ihrem Traum sah sie einen Elefantenbullen sterben und die steile Uferböschung herunterrollen. Danach begann dessen Kopf gewaltig anzuschwellen und sofort zu verfaulen. Dann flog ein kahlköpfiger Sunda-Marabu48 aus dem nahen Wald herbei, packte den Elefanten mit seinem Schnabel und setzte ihn in ihrem Schlafgemach in der Mitte des Hauses ab. In ihrem Traum rief sie dem Storch zu: „Kommt zu mir, kahlköpfiger Herr.“ Dann schloss sie den Storch und den toten Elefanten in ihre Arme und schlief seelenruhig ein. Als sie aufwachte, verursachte der faulige Geruch des Storches und des Elefanten, sofort Übelkeit und heftiges Würgen. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper und begann am ganzen Leib zu zittern. Thep Thong weckte ihren Mann und bat ihn, ihr einige Schläge auf den Nacken zu versetzen. Von Panik ergriffen und mit vor Angst weit aufgerissenen Augen knetete und massierte Khun Siwichai den Nacken Thep Thongs. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich und erzählte ihm, was sie geträumt hatte. Für den Gatten war der Fall klar: „Du wirst schwanger werden, das ist sicher. Also nichts, was dich beunruhigen sollte. Wir werden einen Sohn haben. Das Zeichen dafür war der Storch mit dem Elefanten in seinem Schnabel. Wir werden mit einem Kind gesegnet sein, meine Liebe, aber es wird ein Leben lang kahlköpfig bleiben. Und er wird uns Kummer bringen und Schande bereiten. Aber er wird auch sehr reich sein und fünf Ochsenkarren voller Geld sein Eigen nennen können.“

Thep Thong war über diesen Segen nicht erfreut. Noch immer würgte sie der modernde Gestank und wütend antwortete sie: „Die Familie deiner Mutter soll verflucht sein, warum hast du mich auf diese Art geschwängert? Warum sollte ich ein kahlköpfiges Balg aufziehen wollen?“ In der Folge schwoll ihr Bauch gewaltig an und ragte weit nach vorn. Sie fühlte sich sehr unwohl und stand auf, setzte sich wieder hin und wälzte sich unablässig von einer auf die andere Seite. Ihr Verlangen nach Alkohol und Phla49 war derart stark, dass ihr ganzer Körper vor Gier zitterte. Wenn sie mit ihrem Mann schimpfte, sabberte sie wie ein Phi Grasü50 und knurrte: „Ich füttere einen Geist51, der sich meines Körpers bemächtigt hat. Je mehr ich esse, umso größer wird mein Hunger.“ Und so schaufelte die werdende Mutter ganze Hände voller Aale, Hühner, Frösche, Schildkröten, Schmetterlingsagamen52, riesige Spinnen und Rotohrfrösche53 in sich hinein.

Viele Monate vergingen, in denen sie Schmerzen hatte, unter Übelkeit und Erbrechen litt und ihr immer wieder schwindelig wurde. Dann, nach zehn Monaten54 begann das Ungeborene arg zu strampeln, was die Schmerzen noch einmal verstärkte. Sie krümmte und wälzte sich auf ihrer Bettstatt und begann unkontrolliert zu schreien. Aufgeregt eilten ihr Mann, die Eltern und alle Diener herbei. Einige versuchten sich an glücksbringenden Mantras mit Bruchreis, andere wiederum rezitierten Gebete und stopften Kaurimuscheln55 in die Ritzen der hölzernen Wände. Die Hebamme wurde herbeigerufen und als sie den Bauch Thep Thongs abgetastet hatte stellte sie fest, dass sich das Kind noch immer in der Beckenendlage befand. Während sich einige hinter sie gesetzt hatten um ihren Rücken zu stützen, kauerten andere an ihrer Seite. Sie schrie, stöhnte und warf ihren Kopf hin und her. Zitternd packte Khun Siwichai sie bei den Haaren und blies ihr seinen Atem auf die Stirn. Während die Hebamme über dem Bauch hockte, half die Mutter Thep Thongs beim Pressen. Dann plötzlich die Ansage der Hebamme: „Das Kind liegt nun richtig, in der Kopflage. Also, jetzt nochmal mit aller Kraft pressen!“ Großmutter Khong56 unterstützte das Pressen und ließ sich gegen die dahinterliegende Wand zurückfallen, als das Baby mit einem schnalzenden Geräusch aus dem Mutterleib schlüpfte. Und zur selben Zeit und Stunde wurde ein weißer Elefant57 zur Welt gebracht.

Thep Thong drehte sich herum und hielt ihren Sohn in die Höhe. “Au weia, was für eine Schande! So hat ihn der Geist geformt – kahl aus meinem Schoß, so rund wie der Mond. Erbärmlich sieht er aus, wie ein leidender Geist mit seinen lächerlichen zwei Haarsträhnen.“ Sie war so wütend, dass sie das Baby mit einem Tritt ihres linken Fußes auf den Boden beförderte, gerade so, als ob sie ihn töten wollte. „Was für eine vergebliche Liebesmühe, das die ganze Zeit mit rumgeschleppt zu haben. Verflucht sei die Familie deiner Mutter. Wer will schon so ein räudiges Hündchen aufziehen und sich zur Lachnummer für die Nachbarschaft machen. Von welchem Zweig der Familie hat er diesen Kopf geerbt?

Nachdem die Mutter ihre Wutrede beendet hatte, legte sie sich in die Nähe des Feuers58 zur Ruhe. Ammen und Dienerinnen nahmen sich des Neugeborenen an und fütterten es, schaukelten es sanft in der Wiege und sangen es in den Schlaf. Durch den Segen, der auf diesem unerwünschten Knaben lag, vermehrte sich der Wohlstand der Familie beständig seit dem Tag seiner Geburt und die Anzahl der weiblichen und männlichen Bediensteten vergrößerte sich nach und nach. Und das, obwohl die Mut ter nach wie vor ihr eigenes Kind verschmähte. Doch die Großeltern auf beiden Seiten waren hocherfreut und machten sich Gedanken, welchen vielversprechenden Namen sie ihrem Enkel geben sollten. „Seine Mutter hat doch geträumt, dass ein Storch einen Elefanten in seinem Schnabel tragend in dieses Haus gebracht hat. Seit seiner Geburt hat der Knabe einen kahlen Kopf, aber eine behaarte Brust. Als er aus dem Schoß der Mutter kroch, wurde König Phansawa ein weisser Elefanten präsentiert. Also lasst uns unseren geliebten Enkel in Erinnerung an dieses Ereignis Khun Chang nennen.“

Sie ließen für ihren kleinen Liebling eine Halskette, Fuß- und Armreifen aus Gold und Silber sowie Perlenketten für beide Arme anfertigen. Die Fußbänder waren so groß, dass der Knabe fortan breitbeinig laufen musste. Um die Hüfte trug er eine Kette mit...

Erscheint lt. Verlag 19.12.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7407-4299-2 / 3740742992
ISBN-13 978-3-7407-4299-7 / 9783740742997
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