Hooked - Dunkles Nimmerland (eBook)
368 Seiten
Cross Cult (Verlag)
978-3-98666-462-6 (ISBN)
A.C. Wise ist die Autorin von 'Hooked' und des Bestsellers 'Wendy, Darling'. 2020 wurden beim Nebula Award Werke von ihr in den Kategorien Beste Novelle und Beste Kurzgeschichte nominiert. 2021 stand sie auf der Shortlist für den Bram Stoker Award, zudem war sie zweimal Finalistin für den Sunburst Award und Finalistin für die Lambda Literary Awards. Ursprünglich aus Kanada stammend, lebt sie heute in Pennsylvania, USA und arbeitet als Stipendiatin an der Penn Academy of Fine Arts in Philadelphia.
A.C. Wise ist die Autorin von "Hooked" und des Bestsellers "Wendy, Darling". 2020 wurden beim Nebula Award Werke von ihr in den Kategorien Beste Novelle und Beste Kurzgeschichte nominiert. 2021 stand sie auf der Shortlist für den Bram Stoker Award, zudem war sie zweimal Finalistin für den Sunburst Award und Finalistin für die Lambda Literary Awards. Ursprünglich aus Kanada stammend, lebt sie heute in Pennsylvania, USA und arbeitet als Stipendiatin an der Penn Academy of Fine Arts in Philadelphia.
DER GESCHMACK VON MOHNBLUMEN
LONDON – 1939
Die Welle schlägt über ihm zusammen. Er ist vorbereitet, voller Panik.
Er erinnert sich daran zu ertrinken.
Seine Gliedmaßen sind schwer und wollen ihn nach unten ziehen, seine Lungenflügel schreien geradezu vor Verlangen, sich auszudehnen. Sein Mund ist bereit, ihn zu verraten und sich zu öffnen, um Wasser einzulassen anstatt Luft.
James tastet nach dem Tisch neben ihm und nach seiner Pfeife. Doch der Rauch ist bereits in seinen Lungenflügeln. Er erinnert sich daran auszuatmen. Sobald er es tut, gibt auch seine Lunge endlich Ruhe. Der Rauch wirbelt über ihm, hängt einen Moment lang in der Luft und scheint Form annehmen zu wollen. Aber als er wieder hinsieht, löst er sich auf.
Als er einen weiteren Zug aus der Pfeife nimmt, breitet sich ein nagendes Hungergefühl in ihm aus. James hat das Gefühl, zweimal da zu sein, wie ein Geist, der sich aus seiner Haut löst und im Zimmer umherstreift. Er hat jegliches Zeitgefühl verloren und wiederholt dieselben Handlungen, die er eben erst ausgeführt hat – seine Hand zittert vor Verlangen, sein Inneres zieht sich schmerzhaft zusammen, Schweiß klebt auf seiner Haut. Er hört das hölzerne Kästchen klappern, sein Vorrat an Opium schwindet mit jedem Tag weiter.
Ihm wird schwindlig, als er sich dabei beobachtet, spürt, wie er die teerartige Masse zu einer klebrigen Kugel rollt, in lange Stränge zieht und seine Pfeife auffüllt. Er spürt den Rauch in seiner Lunge. Diesmal ist ihm nur ein wenig Zeit verloren gegangen, Minuten anstatt Stunden oder Jahre. Trotzdem ist es verwirrend. Und es geschieht nun immer öfter, dass er den Bezug zur Zeit verliert. Sein Magen krampft sich erneut zusammen, er verspürt den Drang, sich übergeben zu müssen. Im nächsten Moment kracht er in seinen Körper zurück, der auf der Chaiselongue liegt und nach Luft schnappt.
Er erinnert sich daran zu ertrinken.
Eigentlich sollte die Droge den Effekt abmildern, die Erinnerungen an all die Tode lindern, die er durch die Hand eines Kindes, eines Jungen erlitt. Bisher war das so, doch nun verschlimmert sie die Empfindungen nur, reibt ihn zwischen zwei Welten auf, zwischen dieser und …
James weigert sich, den Namen Gestalt annehmen zu lassen. Er ist nicht dort; er ist hier, in London. Zu Hause.
Aber was für ein Zuhause ist dies ohne …
Er wirft einen Blick auf das Kästchen neben ihm. Was soll er nur tun, wenn das Opium aufgebraucht ist? Er ist ein alter Mann und spürt das Alter nun deutlicher als je zuvor. Seine Finger, die andere blitzschnell um ihre Habseligkeiten erleichtern konnten und auch flink mit der Klinge waren, sind langsam geworden. Welches Talent ist ihm geblieben? Wovon soll er leben?
Er lässt sich nach hinten sinken, lacht rau auf und hustet. Wäre er jemand anderes, hätte er wohl Angst. Es wäre eine Art Wettlauf zu beobachten, was ihn wohl zuerst dahinrafft – Verhungern, Entzug oder Wahnsinn. Doch er war immer viel zu stur und verbissen, um zu sterben. Trotz aller Erschöpfung ist ihm doch klar, dass er überleben wird.
Mit seiner knochigen Hand führt James die Pfeife ein weiteres Mal zum Mund. Seine andere Hand, aus Holz und verziert mit Silber, ruht in seinem Schoß. Die feingliedrigen Gelenke, die es ihm ermöglichen, die Finger zu beugen oder zu strecken, wenn ihm wieder einfällt, wie es geht, scheinen sorgsam etwas in seiner Handfläche verbergen zu wollen. Doch seine Hand ist leer. Er holt Luft und hält sie an.
»Du hast mir versprochen, vorsichtig zu sein. Deine Träume sind gefährlich, James.«
Die Stimme schneidet wie ein Messer durch die Luft und James dreht sich ruckartig um. Ein weiterer Hustenanfall bringt seine Augen zum Tränen. Verschwommen erkennt er Samuel, der in der Ecke steht und die Hände vor dem Körper gefaltet hat. In seinem Gesicht spiegeln sich Tadel und Kummer.
Nun vergisst James vollends zu atmen. Er vergisst die Schmerzen in seinem Bein und die Tatsache, dass er mittlerweile einen Stock zum Gehen braucht. Er steht schon auf, ist auf dem Weg zu Samuel, als ihn ein plötzlicher Schmerz in seinem Oberschenkel in die Knie zwingt. Ein Schmerzensschrei bleibt ihm in der Kehle stecken. Und trotzdem kriecht er beinahe auf Händen und Knien zu dem Feldscher hinüber, um sein Gesicht in Samuels Mantel zu verbergen.
Doch James zwingt sich dazu, sich wieder aufzurichten.
»Verpiss dich!« Er stößt die Worte voller Emotionen aus und bemüht sich, überzeugend zu wirken. Der Rauch lässt die Worte kratzig klingen. »Du bist nicht real.«
Das mag unwirsch klingen, doch das ist Samuels Geist auch.
»Ich will dich hier nicht haben.« James versucht, so abfällig zu grinsen wie früher.
Er hüllt sich in die Erinnerung daran, wie er in seinem blutroten Mantel wie in einer Rüstung über das Deck stolzierte und die Männer um ihn herum erzitterten. Diese Person muss er sein, nicht diese mitleiderregende, elende Kreatur. Samuel ist nicht hier bei ihm; Samuel ist seit fünfzehn Jahren tot.
Und doch ist die Trauer noch ebenso groß. Sie belauert ihn, stets bereit, wie eine Welle über ihm zusammenzubrechen, wenn James’ Konzentration auch nur für einen kurzen Moment nachlässt. Falls er unachtsam wird, läuft die Zeit weiter und der Schmerz ist wieder so frisch wie zuvor – schlimmer als der Tod, schlimmer als jedes einzelne Mal, wenn er ertrank.
Doch der Schemen in der Ecke weigert sich zu verschwinden. Weder waren Samuels Augen jemals so blaugrau wie jene, die James nun unheilvoll fixieren, noch hatte seine Haut die Farbe von Meerwasser und war auch niemals so durchscheinend. James kann durch ihn hindurch die Wand dahinter erkennen.
Samuel ist nicht real. Er ist nicht hier. Allerdings mildert die Erkenntnis James’ Sehnsucht in keiner Weise. Der Schmerz zerreißt ihn förmlich und lässt ihn geschunden zurück.
»Warum lässt du mich nicht endlich in meinem Elend allein?« Es liegt Schärfe in seinen Worten und er wendet sich ab, damit er nicht sehen muss, ob Samuel seinem Wunsch nachkommt und sich auflöst.
Doch er fühlt es. Ein Tsk, ein enttäuschendes Geräusch, das direkt an den empfindlichen Knochen in seinem Ohr erklingt. Und dann ist Samuel verschwunden. Genau wie alle anderen Piraten, die James allein zurückgelassen haben. Den einzigen verbleibenden Piraten.
Auf der Stelle überkommt ihn ein Gefühl des Verlusts. Doch anstatt in die Ecke zu kriechen und die Luft anzuflehen, sinkt er in das Gefühl hinab und lässt zu, dass es ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Der Schmerz in seiner Brust lässt für kurze Zeit nach.
Er stützt sich auf einen Arm und hievt sich vom Boden hoch, die Anstrengung lässt seine Muskeln zittern. Sein Oberschenkel, in dem schon seit langer Zeit Schrapnelle stecken, die aus Metall sind oder auch nicht, protestiert. Aber sein Bein hält stand und James holt seinen Gehstock, der hinter der Chaiselongue lehnt.
Er lässt den Blick über die Regale voller Bücher schweifen – von denen er kein einziges gelesen hat –, dann die Wand entlang und hinauf zu dem Fenster, das wie ein Auge auf London hinabschaut, zum Bett, das für einen Mann allein viel zu breit ist, zum Ofen, dem Wasserkessel, der Garderobe, seinem Mantel, der neben der Tür hängt. Zuletzt fällt sein Blick, wie sonst auch, auf den Schädel, der auf dem Nachttisch steht.
James humpelt langsam zum Bett hinüber. Er lässt sich darauf sinken, ignoriert den knirschenden Schmerz, der von dem Knie herrührt, mit dem er auf den Boden gestürzt ist, und den ständigen Schmerz in seinem Oberschenkel. Seine Hand – die aus Fleisch und Blut – legt sich auf den Schädel. Die Windungen seiner Fingerspitzen treffen auf diejenigen, die in den Schädel eingraviert wurden. Das silberne Muster entspricht demjenigen auf seiner anderen Hand, der aus Holz. Er hatte einen Beinschnitzer gefunden und damit beauftragt, und obwohl der Mann beim Anblick eines menschlichen Schädels zunächst mit Entsetzen reagierte, hatte ihn James’ Geld am Ende doch überzeugt.
Als er den Schädel auf seinen Schoß legt, beruhigen sich endlich sein Herzschlag und seine Atmung. Er ist hier und jetzt in London. Sein Name ist James, nicht Hook. Und er ist niemandes Käpt’n.
Und doch … Es fällt ihm nicht schwer, sich das Gefühl des schwankenden Decks unter seinen Füßen in Erinnerung zu rufen, das Knarzen der Taue und Schlagen der Segel. Nimmerland – nun lässt er den Namen zu; es ist immer da und Hook lauert nur knapp unter der Oberfläche. Manchmal ist er nie fortgegangen, nie geflohen und durch die Welt gefallen.
Das hat Samuel nie verstanden und James hat es nie...
Erscheint lt. Verlag | 4.11.2024 |
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Reihe/Serie | Dunkles Nimmerland | Dunkles Nimmerland |
Übersetzer | Iris Bachmeier |
Verlagsort | Ludwigsburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Albtraum • Christina Henry • Feminismus • Hook • Klassiker • Neuerzählung • Nimmerland • Peter Pan • reimagining • Retelling • Trauma • wendy darling |
ISBN-10 | 3-98666-462-9 / 3986664629 |
ISBN-13 | 978-3-98666-462-6 / 9783986664626 |
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