Selig sind die Dürstenden -  Anne Holt

Selig sind die Dürstenden (eBook)

Ein Fall für Hanne Wilhelmsen

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03792-211-8 (ISBN)
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In Oslo herrscht eine ungewöhnlich schwüle Hitze. Hanne Wilhelmsen wird zu einem alten Schuppen gerufen, in dem literweise Blut vergossen wurde - ohne dass man eine Leiche findet. Als sich vergleichbare Fälle an den kommenden Wochenenden wiederholen, tappt die Kripo noch immer im Dunklen. Bis plötzlich die Opfer auftauchen und alles auf ein rassistisches Motiv hindeutet. Doch dann wird die junge Medizinstudentin Kristine Haverstad vergewaltigt und brutal getötet. Hanne Wilhelmsen ist dem Täter auf der Spur - ebenso wie der nach Rache dürstende Vater von Kristine ...

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

Montag, 10. Mai


»Was in aller Welt hattest du denn am Wochenende beim Job zu suchen? Findest du nicht, dass wir auch so schon genug malochen müssen?«

Polizeijurist Håkon Sand stand in der Tür. Er trug neue Jeans und ausnahmsweise einmal Jackett und Schlips. Das Jackett war ein wenig zu groß, der Schlips eine Spur zu breit, aber Håkon sah trotzdem ganz brauchbar aus. Abgesehen von der Länge der Jeans. Hanne Wilhelmsen konnte sich nicht zurückhalten; sie hockte sich vor ihn und klappte schnell die überflüssigen zehn Zentimeter nach innen, wodurch sie unsichtbar wurden.

»Du darfst sie nicht nach außen umschlagen«, sagte sie freundschaftlich und erhob sich. Sie strich ihm in einer leichten, fast liebevollen Geste über den Ärmel. »So, jetzt siehst du ganz toll aus. Musst du ins Gericht?«

»Nein«, sagte der Polizeijurist, der trotz der vertraulichen Geste verlegen geworden war, als seine Kollegin ihn auf seine mangelhafte Eleganz hingewiesen hatte. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, dachte er, sagte aber etwas anderes.

»Ich bin gleich nach der Arbeit zum Essen verabredet. Aber du, weshalb warst du gestern hier?«

Ein hellgrüner Umschlag schwebte durch die Luft und landete elegant auf Hanne Wilhelmsens Schreibunterlage.

»Den habe ich gerade reingekriegt«, sagte er. »Komische Kiste. Kein Wort von zerlegten Menschen oder Tieren in unserem Bezirk.«

»Ich hab’ eine Extraschicht bei der Bereitschaft eingelegt«, erklärte sie und ließ den Umschlag unberührt liegen. »Die haben da im Moment zu viele Krankheitsfälle.«

Der Polizeijurist, ein ziemlich gut aussehender Mann mit dunklem Teint und graueren Schläfen, als seine fünfunddreißig Jahre hätten erwarten lassen, ließ sich in den Besuchersessel fallen. Er nahm die Brille ab und putzte sie mit seinem Schlipszipfel. Die Brille wurde kaum sauberer, der Schlips jedoch war danach um einiges mehr zerknittert.

»Der Fall liegt jetzt bei uns. Wenn es einer ist. Kein Opfer, niemand hat was gehört, niemand hat was gesehen. Komisch. Es sind ein paar Bilder dabei.«

Er zeigte auf den Umschlag.

»Die brauche ich nicht, danke«, sagte sie abwehrend. »Ich war ja da. Und es hat wirklich nicht besonders schön ausgesehen. Aber weißt du«, fügte sie hinzu und beugte sich vor. »Wenn das alles Menschenblut war, dann müssen dort zwei oder drei Leute umgebracht worden sein. Ich glaube eher, dass uns da ein paar Rotzbengels einen Streich spielen wollen.«

Diese Theorie wirkte durchaus nicht unwahrscheinlich. Es war das schlimmste Jahr, das die Osloer Polizei je hatte durchmachen müssen. Innerhalb von sechs Wochen war die Stadt von drei Morden heimgesucht worden, von denen mindestens einer wohl niemals aufgeklärt werden würde. Im selben Zeitraum waren nicht weniger als sechzehn Vergewaltigungen angezeigt worden, sieben davon hatten die Medien ausgiebig dargestellt. Dass eines der Opfer eine Abgeordnete der Christlichen Volkspartei war – sie war auf dem Heimweg von einer nächtlichen Ausschusssitzung im Schlosspark brutal überfallen worden –, konnte den Zorn der Allgemeinheit über den ausbleibenden Fahndungserfolg der Polizei nun wirklich nicht verringern. Mit großzügiger Unterstützung durch die Boulevardpresse protestierten nun die Bürger der Stadt wutschnaubend gegen die scheinbare Handlungsunfähigkeit im Polizeigebäude. Das große, leicht geschwungene Haus stand unverändert da, starr und grau, scheinbar unberührt von der gnadenlosen Kritik. Seine Bewohner kamen morgens mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick zur Arbeit. Sie gingen allabendlich viel zu spät mit hängendem Kopf nach Hause und konnten als Resultat ihres Tageseinsatzes nichts anderes vorweisen als weitere Sackgassen, in die vermeintliche Spuren sie geführt hatten. Die Wettergötter machten sich einen Spaß mit hochsommerlichen Temperaturen. Vor allen Fenstern auf der Südseite des riesigen Gebäudes waren die Rollos heruntergelassen, aber das half auch nicht und ließ das Haus nur blind und taub aussehen. Nichts half, und nichts konnte offenbar den Weg aus einer fachlichen Sackgasse weisen, die sich mit jedem neuen, in die riesigen Computersysteme eingegebenen Fall weiter zu verschließen schien. Die Computer sollten ein Hilfsmittel sein, wirkten aber eher unfreundlich, fast höhnisch, wenn sie morgens ihre Listen der ungelösten Fälle ausspuckten.

»Was für ein Frühling«, sagte Hanne Wilhelmsen und seufzte theatralisch. Resigniert zog sie die Augenbrauen hoch und sah ihren Kollegen an. Ihre Augen waren nicht besonders groß, aber von auffälligem Blau mit einem klaren schwarzen Rand um die Iris, was sie dunkler wirken ließ, als sie waren. Ihre Haare waren ziemlich kurz und dunkelbraun. In unregelmäßigen Abständen zupfte sie zerstreut daran herum, als wünsche sie sich lange Haare und glaube, das Wachstum durch die Zupferei beschleunigen zu können. Ihr Mund war ausgeprägt; der Schwung der Oberlippe traf in der Mitte mit einem unteren Zwilling zusammen – wie eine zögernde Hasenscharte, die sich die Sache noch einmal überlegt hatte und ein sinnlicher Bogen geworden war, kein Gebrechen. Über dem linken Auge zog sich parallel zur Braue eine Narbe hin. Sie war hellrot und noch nicht sehr alt.

»So was habe ich noch nie erlebt. Ich bin allerdings auch erst seit elf Jahren hier. Kaldbakken hat schon dreißig auf dem Buckel. Aber er hat so was auch noch nicht erlebt.«

Sie zog an ihrem T-Shirt und schüttelte es.

»Und diese Hitze macht die Sache auch nicht besser. Nachts ist die ganze Stadt auf den Beinen. Eine Regenperiode wäre jetzt toll. Dann bleiben die Leute wenigstens zu Hause.«

Sie blieben ein wenig zu lange sitzen. Sie redeten über alles und nichts. Sie waren gute Kollegen, denen nie der Gesprächsstoff ausging, die aber nur wenig übereinander wussten. Lediglich, dass sie beide ihre Arbeit mochten, dass sie sie ernst nahmen und dass die eine tüchtiger war als der andere. Das spielte keine große Rolle für ihre Beziehung. Sie war ausgebildete Polizistin; ihr Ruf war immer gut gewesen, reichte jedoch seit einer dramatischen Geschichte im vergangenen Herbst ins Legendäre. Er stapfte seit über sechs Jahren als mittelmäßiger Jurist im Haus herum, niemals strahlend, niemals blendend. Aber im Laufe der Zeit hatte er sich den Ruf erarbeiten können, pflichtbewusst und fleißig zu sein. Und er hatte in der erwähnten dramatischen Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt, weshalb er jetzt mehr denn je als solide und zuverlässig galt: als ziemlich uninteressant also.

Vielleicht ergänzten sie einander. Vielleicht steckte die Tatsache, dass sie nie miteinander konkurrierten, hinter ihrer guten Zusammenarbeit. Aber es war eine seltsame, von den sechs Mauern des Polizeigebäudes begrenzte Freundschaft. Håkon Sand bedauerte das sehr und hatte mehrmals versucht, es zu ändern. Es war nun schon eine Weile her, dass er so ganz nebenbei ein Essen vorgeschlagen hatte. Er war so schroff abgewiesen worden, dass er auch lange keinen Versuch mehr unternehmen würde.

»Na gut, vergessen wir erst mal den blutigen Schuppen. Ich hab’ auch sonst genug zu tun.«

Hanne Wilhelmsen klopfte auf einen hohen Stapel von Ordnern, die in einem Fach beim Fenster lagen.

»Haben wir doch alle«, erwiderte der Polizeijurist und ging die zwanzig Meter über den Flur zu seinem eigenen Büro.

 

»Warum warst du noch nie mit mir hier?«

Die Frau auf der anderen Seite des kleinen Zweipersonentisches lächelte vorwurfsvoll und fasste nach seiner Hand.

»Ich wusste doch nicht, ob du dieses Essen magst«, antwortete er, sichtlich froh darüber, dass die Mahlzeit so gut angekommen war. Die tadellos gekleideten pakistanischen Kellner, deren Sprache anzudeuten schien, dass sie in einem Osloer Krankenhaus geboren worden waren und nicht in einem Gesundheitszentrum in Karachi, hatten sie zuvorkommend durch das Menü gelotst.

»Es liegt ein bisschen blöd«, sagte er nun. »Aber ansonsten gehört es zu meinen Lieblingsrestaurants. Gutes Essen, tolle Bedienung und Preise, die sich ein Staatsangestellter leisten kann.«

»Du warst also schon öfter hier«, sagte sie. »Mit wem denn?«

Er gab keine Antwort, sondern hob sein Glas, um zu verbergen, wie peinlich ihm diese Frage war. Alle seine Frauen waren hier gewesen. Die ganz kurzfristigen, viel weniger, als ihm lieb war, und die zwei oder drei, mit denen er einige Monate durchgehalten hatte. Jedes Mal hatte er an sie gedacht. Daran, wie es wäre, mit Karen Borg hier zu sitzen. Und nun saßen sie hier.

»Denk nicht an die Ersten. Konzentrier dich lieber darauf, die Letzte zu sein«, grinste er schließlich.

»Wie elegant formuliert«, entgegnete sie, aber in ihrer Stimme lag dieser Hauch von … nicht von Kälte, aber von einer Kühle, die ihn immer in Panik versetzte. Dass er es auch nie lernte!

Karen Borg wollte nicht über die Zukunft reden. Seit fast vier Monaten trafen sie sich nun mehrmals pro Woche. Sie aßen zusammen und gingen ins Theater. Sie wanderten im Wald und liebten sich, sobald sich eine Gelegenheit bot, Was nicht zu oft vorkam. Sie war verheiratet, ihre Wohnung war also ausgeschlossen. Ihr Mann wisse zwar, dass sie ein Techtelmechtel hätten, behauptete sie, aber sie wollten erst alle Brücken hinter sich einreißen, wenn sie sicher wären, dass sie genau das wollten. Natürlich hätten sie zu ihm gehen können, was er auch jedes Mal vorschlug. Aber das wollte sie nicht.

»Wenn ich zu dir nach Hause gehe, dann habe ich eine Entscheidung getroffen«, erklärte sie unlogischerweise. Håkon Sand war sicher, dass die Entscheidung, überhaupt mit ihm ins Bett zu gehen, ein...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2024
Reihe/Serie Hanne-Wilhelmsen-Reihe
Hanne-Wilhelmsen-Reihe
Übersetzer Gabriele Haefs
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Hanne Wilhelmsen • Norwegen • Psychologie • Rache • Rechtsradikalismus • Scandicrime • Skandinavien • Vergeltung • Vergewaltigung • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-03792-211-7 / 3037922117
ISBN-13 978-3-03792-211-8 / 9783037922118
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