Mörderisches Watt (eBook)
368 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0689-5 (ISBN)
Touristenmagnet Büsum von seiner schaurigen Seite
Der pensionierte Oberstaatsanwalt Thies Jansen wird verdächtigt, seine Frau und deren Liebhaber, einen bekannten Krabbenfischer, ermordet zu haben. Seine Freunde Carsten Matthiessen und Hinnerk Petersen wollen das nicht glauben und setzen alles daran, die Unschuld ihres Freundes zu beweisen. Vor allem Carsten, der vor kurzem pensionierte Leiter der Büsumer Polizeistation, ist froh, wieder eine Aufgabe zu haben. Doch die Ermittlungen gestalten sich kompliziert, denn Thies hat sich in seinem Beruf über die Jahre einige Feinde gemacht. Und dann erfährt auch noch Carstens Tochter Lena, selbst Polizistin, von Carstens und Hinnerks Machenschaften und ist darüber alles andere als begeistert...
Svea Jensen ist das Pseudonym einer erfolgreichen Krimiautorin. Sie ist in Hamburg aufgewachsen und dem Norden stets treu geblieben: Nach vielen Jahren beim Norddeutschen Rundfunk lebt sie heute in Schleswig-Holstein, wo sie sich mittlerweile ganz dem Schreiben widmet. Während sie Verbrechen für ihre nächsten Bücher plottet, lässt sie sich am liebsten eine Nordseebrise um die Nase wehen.
4
Nach einer halben Stunde war der Einstand von Hanna Berger schon wieder vorüber gewesen. Sie hatte belegte Brötchen und Getränke in die Büsumer Dienststelle mitgebracht, über die sich die noch unbekannten Kollegen mit Heißhunger hergemacht hatten, aber die geplante kurze Ansprache, mit der sie sich hatte vorstellen wollen, war aufgrund eines Einsatzes auf der Strecke geblieben.
Leichenfund im Hochhaus, das sich hinter dem Seedeich westlich des Ortskerns befand. Männliche und weibliche Leiche, hatte es aus der Leitstelle geheißen. Ein Nachbar hätte den Fund gemeldet. Auf dem Weg zum Fahrstuhl sei ihm die angelehnte Wohnungstür aufgefallen, also hatte er kurzerhand die Wohnung betreten und die beiden Toten gefunden.
Die Namen der Getöteten hatte der Nachbar ebenfalls parat gehabt. Henriette Jansen und Heiko Fedders. Als dann noch die Info folgte, dass der Mann quasi in letzter Minute durch eine Kollegin daran gehindert worden war, die Familien der Getöteten zu benachrichtigen, war Berger der Geduldsfaden gerissen und hatte die Panik, die sie bei dem Wort Hochhaus überkommen hatte, in den Hintergrund gedrängt.
»Ist es üblich, dass solche Dinge hier von Außenstehenden erledigt werden?«, raunzte sie jetzt Sönke Gellert an, dem sie das Steuer des Dienstwagens überlassen hatte, da sie sich in Büsum noch nicht auskannte. Berger war normalerweise ein ausgeglichener Mensch, angesichts ihrer familiären Probleme und der vermaledeiten Versetzung in dieses Kaff an der Nordsee war ihre Zündschnur in letzter Zeit allerdings recht kurz. Dass hier jetzt auch noch eine Privatperson offensichtlich Sheriff zu spielen versuchte, brachte das Fass zum Überlaufen.
»Nein, natürlich ist das nicht üblich«, gab Gellert zur Antwort. »Aber Otto Kuhnert, also der Nachbar, wollte immer zur Polizei. Er hat vor zwanzig Jahren mehrere Anläufe unternommen, ist aber regelmäßig an den sportlichen Anforderungen gescheitert. Deshalb betätigt er sich gerne als Hilfssheriff, wenn er Gelegenheit dazu bekommt. Das kennen wir schon. Er steigt aber auch schnell wieder aus, wenn es zu kompliziert wird.« Gellert machte eine begütigende Armbewegung in Bergers Richtung, wobei Teile eines Tattoos unter dem kurzen Ärmel seines Diensthemdes hervorblitzten. Berger schätzte den Kollegen auf um die vierzig. Er war ein leicht verwegen aussehender Typ mit Bürstenschnitt und interessiert dreinblickenden grünen Augen.
»Lena ist schon vor Ort und hat ihm die Meinung gegeigt und ihn von weiteren Aktionen abgehalten.«
»Lena …?« Berger ahnte, von wem die Rede war.
»Lena Matthiessen.«
Ihre Stellvertreterin war also bereits tätig geworden. Berger wusste noch nicht so ganz, was sie von dieser Tatsache halten sollte. »Wieso war Frau Matthiessen vor uns vor Ort?«
»Weil Otto Lena direkt angerufen hat. Sie hat die Meldung an die Leitstelle rausgegeben.«
Das wurde ja immer besser, aber Berger verkniff sich eine weitere Erwiderung. Sie hatte sich schon gewundert, dass sich die Kollegin bis zu ihrer Abfahrt noch nicht in der Dienststelle hatte blicken lassen. Lena sei für die Spätschicht eingeteilt, hatte sie bei der kurzen Zusammenkunft mit ihrem neuen Team als Antwort auf ihre Frage nach dem Verbleib der Kollegin erhalten. Dabei hatte Berger ihr am Vortag eine Mail geschickt, dass sie um acht Uhr in der Dienststelle eintreffen würde, und war natürlich davon ausgegangen, dass Lena Matthiessen das als Aufforderung verstehen würde, anwesend zu sein. Wie der Rest des Teams, das war nämlich vollzählig erschienen. Eine Antwort auf ihre Mail war allerdings ausgeblieben, genau wie heute früh das Erscheinen der Kollegin.
Jetzt wusste sie ja, warum. Berger kannte Lena Matthiessen ebenso wenig wie ihre neuen Kollegen, da sie erst am Vorabend aus Lübeck angereist war. Sie wusste nur, dass die Frau jetzt ihre Stellvertreterin sein würde. Oder auch nicht, denn nach dieser Eskapade würde Berger noch einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob das eine gute Idee war. Es hatte den Anschein, dass die Matthiessen zu der Sorte zickige Kollegin gehörte, von denen Berger in Lübeck einige zu viel gehabt hatte. Aber vielleicht war die Frau auch scharf auf ihren Posten gewesen und hatte gehofft, ihren Vorgänger zu beerben. Was angesichts der Tatsache, dass es sich bei diesem um Matthiessens Vater handelte, ein klarer Fall von Vetternwirtschaft gewesen wäre. Allein schon die jahrelange Zusammenarbeit der beiden auf derselben Dienststelle war in Bergers Augen als grenzwertig zu betrachten.
Bei diesen Gedanken hätte sie fast ein bitteres Lachen ausgestoßen.
Glaubte sie wirklich, dass es ihr zustand, hier die Moralkeule zu schwingen? Ausgerechnet ihr?
Sie konzentrierte sich wieder auf Gellerts Ausführungen, der sie mit den Eckdaten des Gebäudes vertraut machte.
Erbaut im Jahr 1972, umfasste das Gebäude auf einer Höhe von 85 Metern 22 Etagen mit 196 Wohnungen sowie drei Fahrstühlen. Im Volksmund wurde es der Büsum-Finger genannt.
»Es gibt ab der zweiten bis zur zwanzigsten Etage auf jedem Flur neun Wohnungen unterschiedlicher Größen, also Zwei- und Dreizimmerwohnungen. Das Gebäude verfügt über drei Aufzüge, von denen die beiden linken auf die geraden Etagen führen und der rechte auf die ungeraden. Was auch noch besonders ist«, fuhr Gellert fort und parkte den Streifenwagen vor dem Eingang des Hochhauses, »die Aufzüge sind nur mit dem Schlüssel zu bedienen, mit dem man ins Haus kommt. Das ist also recht gut gesichert.« Er stieß ein kurzes Schnauben aus. »Oder besser gesagt, das war alles gut gesichert. Im Moment lässt sich die Eingangstür nämlich nicht mehr richtig schließen, und die Aufzüge kann man aufgrund eines Technikfehlers auch ohne Schlüssel, mit einem einfachen Knopfdruck holen. Mit anderen Worten, hier kann gerade jeder ein und aus gehen, wie es ihm beliebt.«
Berger stieg aus und legte den Kopf in den Nacken, um an der Außenfassade des Gebäudes emporzublicken. Ein Entschluss, den sie augenblicklich bereute und sofort wieder rückgängig machte.
Gellert hatte in der Zwischenzeit eine weitere Streifenwagenbesatzung angewiesen, die erforderlichen Absperrungen vorzunehmen und niemanden aus dem Gebäude heraus- oder hineinzulassen. Die restlichen Kollegen würden mit nach oben kommen, ein Kollege war in der Dienststelle verblieben.
Sönke Gellert trat zu Berger, als sie gerade die Stufen zum Eingang emporsteigen wollte. »Wir müssen in den zehnten Stock.«
Berger verharrte im Schritt.
Zehnter Stock …
Zwei lächerliche Worte, und ihr Körper wurde mit Überschallgeschwindigkeit in den Alarmmodus katapultiert. Sie hatte gehofft, ihr Trauma endlich überwunden zu haben, schließlich war sie mehr als ein Jahr in Therapie gewesen. Aber seit deren Ende vor einem halben Jahr hatte sie auch noch kein Hochhaus betreten müssen.
Berger registrierte Gellerts fragenden Blick, der bereits mit weiteren Kollegen vor der offenen Eingangstür stand und auf sie wartete. Los, feuerte ihre innere Stimme sie an, du schaffst das! Mach dich nicht gleich in den ersten Stunden vor deinen neuen Kollegen lächerlich.
Sie schaffte es tatsächlich, verließ den Fahrstuhl im zehnten Stock aber mit sehr wackligen Knien. Im Flur war keine Menschenseele zu sehen, was sie verwunderte, da sich Leichenfunde immer in Windeseile herumsprachen, erst recht, wenn sie in Wohnhäusern vorkamen und wie in diesem Fall auch noch von einem Nachbarn entdeckt worden waren, der damit unter Umständen schon hausieren gegangen war. Aber vielleicht hing der Umstand, dass es sich hier anders verhielt, mit der Besitzerin der energischen Stimme zusammen, die aus der letzten Wohnung auf der rechten Seite zu vernehmen war. Gut möglich, dass die Frau, bei der es sich vermutlich um Lena Matthiesen handelte, bei jedem, der sich hatte blicken lassen, dieselbe Ansage gemacht hatte wie in diesem Moment.
»Nein, Otto, du bleibst in deiner Wohnung, verdammt noch mal! Wie oft soll ich das denn noch sagen!«
Die in mauligem Tonfall vorgebrachte Antwort verstand Berger nicht, weil sie des Plattdeutschen nicht mächtig war.
»Also ehrlich, jetzt reicht’s mir! Du tust, was ich sage, sonst kriegst du mal so richtig Ärger!« Als die Frau auf den Flur hinaustrat und kurz in ihre Richtung blickte, hatte Berger zu der Stimme auch ein Gesicht. Attraktiv. Sehr sogar. Sie verfolgte, wie die Kollegin die Kapuze ihres Schutzanzugs überstreifte und die Wohnungstür mit einem energischen Ruck hinter sich zuzog, bevor sie einen Schlüssel ins Schloss steckte und ihn herumdrehte. Aus dem Inneren der Wohnung war wütender Protest zu vernehmen.
Die Frau kam auf sie zu.
»Otto mal wieder.« Gellert stieß einen tiefen Seufzer aus. »Immer dasselbe mit ihm.«
»Kennst ihn ja«, lautete die lakonische Antwort.
»Allerdings.« Gellert deutete auf die Kollegen, die mit hochgekommen waren. »Sollen wir schon mal mit der Nachbarschaftsbefragung anfangen?«
»Macht das.« Die Frau wandte sich an Berger und nickte kurz. »Lena Matthiessen. Sie müssen unsere neue Dienststellenleiterin sein.«
Berger verzichtete ebenfalls auf einen Händedruck. »Das bin ich in der Tat.« Der spitze Unterton in ihrer eigenen Stimme entging ihr nicht. Warum war sie so angefasst, dass nicht sie, sondern ihre Stellvertreterin als Erste vor Ort gewesen war? Das war doch sonst nicht ihre Art. Aber im Moment war ja sowieso nichts mehr wie sonst. Berger beschloss, sich zu mäßigen, und deutete zu der Wohnung, aus der Lena Matthiessen gekommen war. »Wie ich hörte, gibt es hier...
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Büsum • Ermittlerkrimi • Geheimnisse • Gerichtsmediziner • Männerfreundschaft • Nordseekrimi • Polizeiarbeit • Staatsanwalt • Tatort • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-7499-0689-0 / 3749906890 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0689-5 / 9783749906895 |
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