Der Auftrag der Zwillinge -  Lisa Sandlin

Der Auftrag der Zwillinge (eBook)

Thriller | Warmherzig und knallhart - Delpha Wade ermittelt endlich wieder

Thomas Wörtche (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
366 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77897-5 (ISBN)
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Beaumont, Texas, im Dezember 1973, während der Watergate-Affäre. Ein neuer Fall für Delpha Wade und Tom Phelan: Die Zwillingsschwestern Ruby und Emerald beauftragen Phelan Investigations damit, herauszufinden, wer sie langsam vermutlich mit Arsen vergiftet. Beide sind schon todkrank. Was die Sache kompliziert macht: Die Zwillinge sitzen in demselben Gefängnis, in dem auch Delpha einst eingesperrt war. Außerdem beginnt gerade die Privatisierung und Kommerzialisierung des Gefängniswesens in den USA. Delpha und Tom wittern unschöne Zusammenhänge. Dann ist da noch Charlie Benavidez, der sein Glück mit Shelly Petry gefunden hat. Leider ist Shellys Mutter eine beinharte Rassistin, die einen Mexikaner als Schwiegersohn niemals akzeptieren würde. Shelly ist plötzlich verschwunden, Charlie tief besorgt. Viel Arbeit also für Delpha und Tom, die sich endlich näherkommen ...



<p>Lisa Sandlin, geboren in Beaumont, Texas, lehrte lange Zeit in Omaha, Nebraska, lebt und arbeitet heute in Santa Fe, New Mexico. F&uuml;r ihre Kurzgeschichten genie&szlig;t sie h&ouml;chstes literarisches Renommee und wurde vielfach ausgezeichnet. F&uuml;r ihren ersten Roman, <em>Ein Job f&uuml;r Delph</em>a (st 4779), erhielt sie den Shamus Award und den Hammett Award.</p>

3. Dezember 1973


Nach ihrer Schicht im Holiday Inn klopfte die nach Raumspray duftende Ruby McClung an die Tür von Phelan Investigations. Delpha führte sie hinein. Nervös und mit herumschießendem Blick sah Ruby sich um, als könnte im nächsten Moment ein Tiger hinter einem Schrank hervorspringen, dann riss sie sich zusammen. Sie schlüpfte aus ihrem puderblauen Mantel, den sie über ihrer Zimmermädchenuniform trug – weißer Rock, weiße Schürze, weiße Bluse mit drei roten Streifen an den kurzen Ärmeln und ein Namensschildchen. Delpha fand die Uniform auf den ersten Blick furchtbar und wusste, dass es Ruby genauso ging, weil die Insassinnen von Gatesville Weiß trugen. Außerdem stand Frauen, die so bleich wie die Schwestern waren, Weiß nicht. Die McClungs brauchten Farbe, damit sie nicht wie tot aussahen.

Mit aufgerissenen Silberaugen nahm Ruby auf dem Mandantenstuhl Platz, ihre Wangen färbten sich rosa. An ihrem Hals bildete sich ein rotes Viereck.

Delpha hätte darauf wetten können, dass Ruby einen glatzköpfigen Ex-Cop mit Doppelkinn erwartet hatte, dessen Bauch fast die Hemdknöpfe sprengte. Stattdessen saß da der hübsche Tom Phelan, 29, mit schlampig gebügeltem Hemd und Krawatte, dessen dunkle Haare sich an den Enden lockten und der sich ihr gegenüber so höflich verhielt wie jedem anderen gegenüber.

Delpha öffnete das Fenster einen Spalt, nachdem Phelan gerade eine Zigarette ausdrückte und Ruby sich eine ansteckte, und nahm mit Block und Stift Platz. Seit Xavier Bell, einem Mandanten, der sie mal an der Nase herumgeführt hatte, setzte sich Delpha bei den Erstgesprächen immer dazu.

»Miss McClung, meine Sekretärin hat mir einen groben Überblick über Ihre Vergangenheit und Ihre gegenwärtige Lage gegeben. Soweit ich es verstehe, machen Sie sich Sorgen um Ihre Schwester. Wobei sie offenbar in sechs Monaten rauskommt. Das lässt sich doch abwarten.«

»Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie Emerald gesehen hätten.«

»Was führt Sie nach Beaumont? Warum sind Sie nicht zurück nach Austin? Oder zum Panhandle, wo Ihre Familie lebt?«

Ruby sah ihn überrascht an, als hätte sie nicht mit dieser Frage gerechnet. »Die sind alle tot. Hier wohnt eine Tante von uns. Sie hat mir eine Stelle besorgt.«

»Glauben Sie wirklich, dass Sie und Ihre Schwester mit Arsen vergiftet wurden?«

»Was anderes fällt uns nicht ein. Klar, wir sind Zwillinge, aber deswegen kriegen wir doch nicht gleichzeitig einen Gehirntumor oder so.«

»Wurden Sie von einem Arzt untersucht?«

»Als wir nach Gatesville gekommen sind, und später noch mal. Wir wissen, dass unsere Lungen nicht ganz in Ordnung sind. Wegen dem Staub und Dreck, den wir als Babys eingeatmet haben. Beim letzten Abhören hat der Arzt gesagt, dass Ems Herz Geräusche macht.«

»Wann war das? War es etwas Ernstes?«

»Vor fünf oder sechs Jahren. Ernst war’s nicht, er hat ihr keine Pillen oder so verschrieben.«

»Verstehe. Wer will Sie mit Arsen vergiften?«

»Keine Ahnung.«

»Fällt Ihnen jemand ein, der was gegen Sie haben könnte?«

»Na ja, da war eine Wärterin, die hat uns immer Albinos genannt, weil wir so helle Haut haben. Und uns so ähnlich sehen. Dann natürlich Justine, die mich vor einer Weile angegriffen hat, aber die wurde nach Rusk geschickt – Sie wissen schon, zu den Irren —, daher kann sie’s schlecht sein. Aber eine von ihren Freundinnen, die an der Essensausgabe arbeitet, hat irgendwann angefangen, böse Zeichen über unsere Teller zu machen. Und mit uns zu streiten. Sie heißt Helen. Emerald ist ihr aus dem Weg gegangen, aber ich … ich bin stinksauer geworden. Helen ist zwar ein Mordsbrummer, aber nicht gerade helle.«

»Will diese Helen Sie umbringen? Oder will sie Sie nur quälen?«

»Keine Ahnung.«

»Was hat sie denn gegen Sie beide? Hat es mit Ihrer Freundin zu tun?«

»Na ja, verglichen mit Helen sind Em und ich Marilyn Monroe. Und Helen ist Frankensteins Monster.«

»Und Helen war nicht klar, wie sie aussah, bis sie die McClung-Zwillinge das erste Mal gesehen hat?«, fragte Delpha.

Ruby sog den Rauch tief ein und hielt einen Moment die Luft an. Die Röte hatte mittlerweile ihren Kiefer erreicht.

»Könnte es einen anderen Grund geben, Miss McClung?« Die Beiläufigkeit, mit der er das fragte, konnte die Schärfe in seiner Stimme nicht ganz verbergen. Hören Sie auf, mich zu veräppeln.

»Ich hab doch schon gesagt, dass wir keine Ahnung haben. Wir wissen nur, dass was nicht stimmt. Das ganze Jahr über ging’s uns dauernd irgendwie … mies. Ich wehr mich ja, aber Em hat Angst. Es muss Arsen sein.«

Stille breitete sich aus, während Phelan die rauchende Ruby betrachtete.

»Erzählen Sie mir mal, wie’s kam, dass Sie anstelle Ihrer Schwester in Freiheit sind. Delpha sagt, dass es was mit einer Narbe zu tun hat.«

Ruby zuckte mit den Schultern. »Eher damit, dass wir eineiige Zwillinge sind. Wir haben immer dieselbe Frisur getragen und gleich viel gewogen. Weil man weiß ja nie, wann einem das mal zupasskommt. Als ich eines Tages in der Näherei saß, ging diese Irre an mir vorbei. Justine Gaddy hieß sie … die war echt irre, stundenlang hat sie vor sich hin gesungen und gebrabbelt. Jedenfalls hat sie sich vorgebeugt und mir das Bein vom Knie bis untern Rock mit einem Kartoffelschäler aufgeschlitzt. Und dazu hat sie gesagt, ach, nicht wichtig. Ich habe sie weggeschubst, bevor sie dort ankommen konnte, wo sie hinwollte. Sie wissen schon.«

Ruby sah sie stolz an. »Ich hab sie fertiggemacht, die gute Justine, am Schluss hat ihre Nase wie ein angekautes Marshmallow ausgesehen.«

»Klingt übel, Miss McClung. Der Kartoffelschäler muss wehgetan haben.«

»Und wie das wehtut, wenn man geschält wird. Aber das Schlimmste war, dass ich deswegen nicht mehr genauso aussah wie Emerald. Meine Schwester und ich haben immer gleich ausgesehen. Das hat uns gefallen.« Der weiße Rock war so weit hochgerutscht, dass man den Anfang der Narbe sehen konnte. Ruby schob ihn noch ein wenig höher. Ein hellroter Strich.

Entweder lag es an Phelans etwas rauem Mitgefühl oder an seinen sanften braunen Augen, dass Ruby sich hinter ihrer Mauer vorwagte. Jedenfalls bemerkte Delpha, dass Ruby mit ihm anders sprach als mit ihr.

»Wenn es Em und mir dreckig ging, besonders im letzten Jahr …« Rubys Blick huschte kurz zu Delpha. Sie zog an ihrer Zigarette und lehnte sich zurück, bis ihr Kopf an der hohen Rückenlehne des Lederstuhls lag. Der Rauch ringelte sich zur Decke.

»Dann setzten wir uns auf die untere Pritsche. Oder in den Tagesraum. Hielten uns an den Händen. Pressten uns bis runter zu den Füßen aneinander. Das Elend, das uns überkommen hatte, ihrs und meins, floss ineinander und schlug über uns zusammen und drückte uns runter. Manchmal heulten wir. Manchmal spürten wir nach einer Weile auch die Kraft zurückkommen, oder die Hoffnung. Die doppelte Kraft, das fühlte sich gut an. Dann wussten wir, dass wir rauskommen und neu anfangen könnten. Vielleicht heiraten, Kinder kriegen. Daran haben wir ganz fest gedacht, beide zur gleichen Zeit, und uns so aus dem Sumpf rausgekämpft. Wissen Sie, wovor die meisten Leute Angst haben? Vorm Alleinsein. Em und ich, wir sind nie allein. Nie. Das ist unser großes Plus. Wir haben immer uns.«

Ruby verschränkte die Hände und senkte den Kopf, hob an weiterzusprechen.

Delphas Nackenhaare stellten sich auf. Dass die McClungs das manchmal machten, hatte sie gehört. Einmal hatte sie es sogar mit eigenen Augen gesehen. Die anderen hatten leise miteinander getuschelt und zu ihnen rübergesehen. Die beiden gaben keinen Mucks von sich, rührten sich nicht mal. Die meisten glaubten, dass sie beteten. Zwei zierliche versteinerte Frauen, die auf einer Pritsche, einer Bank oder zwei Stühlen saßen, um sich eine Art Graben oder eine unsichtbare Mauer, die keiner überwinden konnte.

»Wissen Sie«, fuhr Ruby mit schwächer werdender Stimme fort, »in der Bank hab ich immer nur rote Sachen getragen und Em immer nur grüne. Damit die Leute uns unterscheiden konnten. Der Direktor fand das süß. Aber im Gefängnis gab’s nur weiße Sachen, höchstens trugen wir mal unsere roten oder grünen Haarspangen. Wenn wir Lust dazu hatten, haben ...

Erscheint lt. Verlag 20.5.2024
Reihe/Serie Ein Job für Delpha
Übersetzer Andrea Stumpf
Sprache deutsch
Original-Titel The People Store. A Delpha Wade and Tom Phelan Mystery
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Delpha Wade • Knast • Korruption • Kriminalroman • Spannung • ST 5418 • ST5418 • suhrkamp taschenbuch 5418 • Thriller • Watergate-Affäre
ISBN-10 3-518-77897-8 / 3518778978
ISBN-13 978-3-518-77897-5 / 9783518778975
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