Du kennst sie (eBook)

Thriller

(Autor)

Thomas Wörtche (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Deutsche Erstausgabe
399 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77898-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Du kennst sie - Meagan Jennett
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Eine Serienkillerin auf Männerjagd
Ein Katz-und-Maus-Spiel zweier Frauen, die in einer besseren Welt beste Freundinnen wären

Sophie Braam ist Barkeeperin in einem eher gehobenen Etablissement, irgendwo in Virginia. Sie ist die Chefin hinterm Tresen und Übergriffigkeiten der männlichen Kundschaft gewöhnt. Aber als ein Ekel-Typ ihr erst den Lieblingsrotwein wegsäuft und dann auch noch massiv zudringlich wird, hat sie die Schnauze voll.

Nora Winter ist Polizistin, die es, weil schwarz und weiblich, mit ihrer Karriere nicht leicht hat. Zufällig freundet sie sich mit Sophie an, wenngleich sie wittert, dass mit der rätselhaften Barkeeperin etwas nicht stimmt. Denn Sophie hat inzwischen Freude an finalen Lösungen gefunden und macht fröhlich weiter.

Nora leidet unter Albträumen von getöteten Frauen, muss aber nach der Männer-Mörderin fahnden, während ihr eigener Mann ins Visier von Sophie gerät ...

Meagan Jennett ist eine ehemalige Barkeeperin, die die Herstellung von Cocktails gegen das Verfassen ihrer eigenen Geschichten eingetauscht hat. Ursprünglich stammt sie aus Crozet, Virginia, und lebt jetzt in Schottland, wo sie an der Universität Glasgow gerade in Fine Arts promoviert. Du kennst sie ist ihr Debüt.

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Herausgeber der »global crime«-Reihe metro in Kooperation mit dem Unionsverlag (1999 – 2007), der Reihe »Penser Pulp« bei Diaphanes (2013-2014). Gründete 2013 zusammen mit Zoë Beck und Jan Karsten den (E-Book-)Verlag CulturBooks und gibt ein eigenes Krimi-Programm für Suhrkamp heraus. Co-Herausgeber des Online-Feuilletons CULTurMAG.

Birgit Salzmann studierte Deutsche Sprache und Literatur, Anglistik und Romanistik und übersetzt englischsprachige Literatur ins Deutsche. Sie lebt mit ihrer Familie in Marburg.

Eine packende Achterbahn der Gefühle, von ultracool bis rasend obsessiv.

Das faszinierende Doppelporträt zweier Frauen, die in einer besseren Welt beste Freundinnen wären.

»Klug und einzigartig — und ziemlich beunruhigend, ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.«

»Eine subversive Serienkiller-Geschichte.«

Sophie


Meine Geschichte beginnt wie so oft: Ich ignorierte einen Mann an einer Bar. Ich übersah ihn absichtlich, ehrlich gesagt, weil er in all den Monaten, in denen er nun schon herkam und kaum einen halben Meter entfernt mir gegenüber an der Kupfertheke saß, nicht ein einziges Mal nach meinem Namen gefragt hatte. Dafür rächte ich mich gewissermaßen, indem ich seinen vergaß, ihn aus der Tasche zog und auf den Boden fallen ließ, damit er am Ende des Abends mit den Essensresten weggefegt werden konnte. Er selbst wurde einfach zu Bud Light, bekam den Spitznamen, den ich ihm angesichts der einzigen Worte verpasste, die er je in meine Richtung geworfen hatte. Er gehörte in dieselbe Kategorie wie Whisky Ginger, Beer Is the Only Thing That Can Have Too Much Head und Give Me a Smile Girl.

Als ich noch jung und neu im Geschäft war, hielt ich solche Typen bloß für Müll, üble Rückstände, wie schmierigen Schimmel unter der Spüle, etwas, das es nur in den schäbigen Spelunken gab, in denen ich zu meinen Anfangszeiten abends Cocktails mixte. Ekelhaft, aber mit ausreichend scharfen Mitteln leicht zu entfernen. Doch bald schon begriff ich, dass sie in jeder Bar existierten, von College-Partyhöhlen mit klebrigen Fußböden bis zu eleganten Nachtklubs. Sie gehören ebenso zur Ausstattung wie die Fruchtfliegen. Früher dachte ich, sie wären harmlos, und lachte über sie. Doch dann lösten sie sich aus dem Schimmel wie die Maden und flogen mir in den Mund. Tausende züngelnder Zungen legten ihre Stimmen wie Eier an die weichen Stellen in mir, wo sie dann schlüpften; mit jedem schmierigen Kompliment, das mir über den Oberschenkel glitt, mit jedem unverschämten Witz, der mir in die Taille kniff. Ein ganzes Universum von Milben kam zum Vorschein und machte sich kriechend und krabbelnd unter meiner Haut breit.

Sie hätte es besser wissen müssen. Das sagen sie immer. Sie hätte nicht so dumm sein dürfen, hätte nicht spätabends alleine unterwegs sein dürfen, nicht diesen Rock tragen, nicht diesen Stimmen ihren lachenden Mund öffnen dürfen. (Auch nicht, wenn das Lachen ihr Schutzschild war, was oft genug zutraf.) Hätte sie ihren Mund, ihre Schenkel, ihr Herz geschlossen gehalten, wären sie niemals hineingekommen.

Ich hätte es besser wissen müssen, denn ich kannte sie, auch wenn ich mich nicht sofort daran erinnerte. Als Mädchen war ich im Wald hinter unserem Haus oft stundenlang durchs hohe Gras und dichte Unterholz gestreift. Meine Beine, bis auf ein paar zerrissene Shorts nackt, bildeten ein leichtes Ziel für Sandflöhe und Kleemilben. Als ich die winzigen Tiere zum ersten Mal meine Knöchel hinaufkrabbeln und sich in meine noch blasse Frühlingshaut fressen sah, fing ich an, laut zu schreien. Mein Vater lachte, als ich ihm die Bisse zeigte. Milben, sagte er, seien der Preis, wenn man hinaus ins raue Leben ging. Wenn ich den nicht zahlen wollte, müsse ich mich warm anziehen oder nicht vor die Tür gehen. Dann zeigte er mir, wie man farblosen Nagellack auf die Löcher auftrug, die sie gebohrt hatten. Die Milben unter meiner Haut seien zwar lebendig, erklärte er, könnten aber durch einen Pfropf getrockneten Lack ganz einfach erstickt werden. Ich pinselte und wartete ab, während mein Körper zu einem Friedhof wurde, und nach ein paar Tagen hörte der Juckreiz auf. Bevor er mir auch noch zeigen konnte, wie man die Löcher zupinselte, die Männerzungen bohrten, war mein Vater weg.

Nachdem ich Bud Light und seinesgleichen jahrelang zugenickt, mir lächelnd das Gejammer über ihre belanglosen Sorgen angehört und über ihre geschmacklosen Witze gelacht hatte, während sich ihre Stimmen immer lauter unter meine Haut gruben, bin ich zu einem Scheusal geworden, das sich hinter einer freundlichen Fassade versteckt.

Lächle, sagen sie mir, und ich lasse die Milben an meinem zerfressenen Kieferbogen entlang nach hinten krabbeln und mir den Mund zu einer Halloweenmaske verziehen. Voilà, mein grinsender Schädel.

Es kam eine Zeit, da nervten mich ihre Stimmen nicht mehr so sehr; seit ich merkte, wie viel Macht mir der beengte Raum hinter einem Bartresen verlieh. Männer reichen dir, öfter als sie glauben, das Seil, das du brauchst, um sie zu erhängen, verstehst du?

Jener Abend, der letzte Abend des Jahres, war wie ein Atemzug, der mir in der Kehle stecken blieb. Unser nettes kleines Städtchen Bellair, Zuhause von gerade einmal 7000 Seelen, ist kein Partyort. Wer hier Silvester feiern will, verschwindet über die dornige Stadtgrenze in den Glanz des nahe gelegenen Charlottesville oder in den Schmutz und Glimmer von Richmond. Ein paar investieren vielleicht sogar das Geld für eine Reise nach Washington D.C. Ein paar weitere ziehen es vor, ihre eigene Party zu feiern, schauen mal kurz rein, um diejenigen Mitarbeiter einzuladen, die sie mögen (Komm vorbei, wenn du Feierabend hast! Bei uns geht dann immer noch was ab!). Alle anderen bleiben zu Hause und kämpfen vor plärrenden Fernsehern gegen den Schlaf. Später dann durchstreifen Cops, deren grell erleuchtete Zellen darauf warten, gefüllt zu werden, auf kurvigen Sträßchen die Dunkelheit wie hungrige Haie, auf der Suche nach Verirrten. Sauf-Feiertage sind nun mal nichts für eine Kleinstadt.

Wir saßen in diesem kleinen Lokal fest, dem Blue Bell, und warteten auf den riesigen Andrang, der kommen würde oder auch nicht. Auf die Menschenmassen, die jeden Moment hereinplatzen würden, da war unser furchtloser Restaurantleiter Ty sich sicher. Denn »das eine Mal«, rief er uns zum hundertsten Mal vom Ende der Theke aus in Erinnerung und zog seine Krawatte gerade, »Silvester 2015, als wir nicht vorbereitet waren. Da haben sie uns den Arsch poliert. Erinnerst du dich noch, Soph?«

Woran ich mich erinnerte, waren ein verkaterter Tellerwäscher, der nicht hinterherkam, und ein Hilfskellner, der zu sehr damit beschäftigt war, mit dem weiblichen Bedienpersonal zu flirten, um sich auf seinen Job zu konzentrieren, aber ich ließ Ty reden. Seine Stimme ist wie eine Mücke, die mir um den Kopf schwirrt, leicht auszublenden. Unterdessen standen die Kartons mit den neuen Champagnerflöten, die er extra für den Abend bestellt hatte, noch da, wo er sie abgestellt hatte, ungeöffnet unter der Eiswanne. Mein Barhelfer hätte sie schon längst auspacken und spülen sollen, aber er war vor zwanzig Minuten nach unten gegangen, um Limetten zu holen und noch nicht wieder aufgetaucht. Höchstwahrscheinlich tratschte er irgendwo. Wenn Ty die Gläser selbst säubern und polieren wollte, bitte. Ich würde es ganz bestimmt nicht tun.

Irgendwer, wahrscheinlich die Empfangshostess, hatte Luftschlangen aufgehängt. Im Licht der niedrigen Deckenlampen golden und silbern glänzend schlangen sie sich quer durch den Raum. Riesige Luftballons wippten am Ende dünner Schnüre, die an Stuhl- oder Tischbeinen befestigt waren. Die Servicekräfte machten sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig mit einem Ballon vorm Gesicht zu erschrecken oder ihn jemandem so kräftig über die wohlfrisierten Haare zu reiben, bis sie sich elektrisch aufluden. Nach einer Weile sahen sie mit ihren hochstehenden Flusen alle aus wie Küken mit wehenden Flaumkronen auf den Köpfen. Kreischen und Gelächter schallten durchs Lokal, und irgendwer erwischte meinen Barhelfer, als er aus dem Keller hochkam, die dürren Arme mit Flaschen beladen und schwere Tüten mit Obst an den Händen baumelnd. Er stolperte, fing sich wieder und lief rot an. Ich versuchte, nicht die Augen zu verdrehen. Was mir schwerfiel angesichts des »Happy New Year«, das auf dem albernen Haarreif prangte, den Ty mir verpasst hatte. Ich machte mich genauso lächerlich wie alle anderen.

Eine Viertelstunde vorm Aufmachen tauchte Chefkoch aus seiner Küche auf, verkündete die Spezialgerichte des Tages und schubste einen Teller mit irgendeinem toten Fisch über meine saubere Arbeitsfläche. Kurz vor meinem Ellbogen kam er schlitternd zum Stehen, der Fisch starrte mit glasigen Augen auf die schimmernden Luftschlangen über sich. Die Leute vom Service versammelten sich, sahen das Tier mit gierigen Blicken an und hörten halbherzig der Lektion über die...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2024
Übersetzer Birgit Salzmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel You Know Her
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte aktuelles Buch • Aufwühlend • Booktok • Bücher Neuererscheinung • Katz und Maus Spiel • Kleinstadt • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Mord • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Nordamerika (USA und Kanada) • Serienkiller • Serienmörder • Southern Gothic • Spannung • ST 5421 • ST5421 • suhrkamp taschenbuch 5421 • Thriller • USA Süden • USA Süden South Atlantic States • USA Süden: South Atlantic States • Vereinigte Staaten von Amerika USA • Virginia • weibliche Hauptfiguren • Weiblicher Cop • You Know Her deutsch
ISBN-10 3-518-77898-6 / 3518778986
ISBN-13 978-3-518-77898-2 / 9783518778982
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