Das große Spiel (eBook)

Roman. »Was für ein Roman - klug, fesselnd und ein bisschen beunruhigend. Richard Powers ist ein begnadeter Erzähler.« Dörte Hansen
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2024 | 1. Auflage
512 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-32199-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das große Spiel -  Richard Powers
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Eine Insel. Vier Suchende. Verbunden durch das vielleicht letzte große Abenteuer der Menschheit. - Das bewegende Meisterwerk von Pulitzer-Preisträger und Autor des Weltbestsellers »Die Wurzeln des Lebens«
Auf Makatea, einst ein vergessener Fleck im endlos blauen Pazifik, soll die Gesellschaft der Zukunft entstehen. Über Umwege und Gezeiten finden auf der Insel vier Menschen zusammen, deren Schicksale nachhaltig mit dem des Planeten verknüpft sind: Evelyne Beaulieu, die in den Tiefen des Ozeans taucht, um das geheimnisvolle Spiel der Riesenmanta zu entziffern. Ina Aroita, die die paradiesischen Strände nach Materialien für ihre Skulpturen abwandert - doch schon lange schwemmt das Meer nur noch Plastikmüll an. Und der verträumte Büchernarr Rafi Young und der visionäre Computernerd Todd Keane, deren Freundschaft an dem kühnen Versuch zu zerbrechen droht, eine neue Welt zu erschaffen, um sich vor dem Untergang der jetzigen zu retten. Virtuos komponiert der große Erzähler Richard Powers die dringenden Fragen unserer Zeit - über die Auswirkungen der Klimakrise und die Hoffnung Künstlicher Intelligenz - zu einem fesselnden und zutiefst bewegenden Epos.

»Einfach nur: Wow! Der neue Roman des preisgekrönten US-Autors Richard Powers (hervorragend übersetzt von Eva Bonné) ist eine Güteklasse à la ?Wenn du dieses Jahr nur noch einen Roman liest, nimm diesen!?« emotion, Timothy Sondershüsken

»Wohl kein ein anderer Autor ist in der Lage, naturwissenschaftliche und philosophische Themen literarisch so packend und stimmig zu verknüpfen der amerikanische Autor Richard Powers. (...) Aus Wissenschaft wird bei ihm Literatur, aus spröden Worten werden Sprachmelodien, (...) Algorithmen werden zu Poesie.« Radio 3/RBB, Frank Dietschreit

»Atemberaubend schön, ungeheuer spannend und natürlich zugleich bedrückend.« DLF Kultur, Studio 9, Joachim Scholl

»Wer erzählt hier eigentlich? Die Antwort wird am Ende gegeben. Und ist einer der überraschendsten Twists in der jüngeren Literaturgeschichte.« STERN, Oliver Creutz

»?Das große Spiel? ist brillant, fesselnd und wichtig - und das beste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe!« Andrea Wulf

»Gibt es etwas, das Richard Powers nicht schreiben kann? Sein neuer Roman ist wie der Ozean. Groß und geheimnisvoll, voller Tiefe und Leben.« Percival Everett

»Eine außergewöhnliche Reise durch vier Leben, die auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sind - absolut mitreißend, beunruhigend und doch voller Hoffnung.« Emma Donoghue

»Dieser faszinierende Roman ist eine sprachmächtige Botschaft für diesen zerbrechlichen Planeten.« Kirkus Review

»Wäre Powers ein amerikanischer Autor des 19. Jahrhunderts, welcher wäre er? Wahrscheinlich Herman Melville mit ?Moby Dick?. Seine Leinwand ist so groß.« Margaret Atwood

»Powers komponiert einige der schönsten Sätze, die ich je gelesen habe. Ich habe Ehrfurcht vor seinem Talent« Oprah Winfrey

»Es ist unmöglich, die Bedeutung von Powers' Botschaft zu leugnen.« The Sunday Times

Richard Powers, Jahrgang 1957, ist Autor mehrerer preisgekrönter Bestsellerromane, darunter sein hochgelobter Roman Der Klang der Zeit und Das Echo der Erinnerung, für den er 2006 den National Book Award erhielt. Für seinen Roman Die Wurzeln des Lebens wurde er 2019 mit dem Pulitzer Prize ausgezeichnet. 2021 erschien sein Roman Erstaunen, für den er auf der Shortlist für den Booker Prize und der Longlist für den National Book Award stand. Heute lebt Richard Powers in den Great Smoky Mountains der Appalachen.

Literaturpreise und Würdigungen:

Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction 2022 - Longlist

National Book Award 2021 für »Erstaunen« - Longlist

Booker Prize 2021 für »Erstaunen« - Shortlist

Pulitzer Prize for Fiction 2019 für »Die Wurzeln des Lebens«

Man Booker Prize 2018 - Shortlist

National Book Award 2006 für »Das Echo der Erinnerung«

Man Booker Prize 2014 - Longlist

Pulitzer Prize for Fiction 206 - Finalist

National Book Award for Fiction 2006

Das, woran ich leide, nennen wir Computermenschen Latenz. Ich ziehe mich in die Vergangenheit zurück, ähnlich wie meine Mutter in ihren letzten Jahren. Der Fluch wird nicht in allen Familien weitergegeben, aber in manchen schon. Wer weiß, vielleicht war meine Mutter ebenfalls betroffen. Vielleicht verbarg sich hinter dem tödlichen Unfall eine unentdeckte Krankheit.

Während die letzten Monate und Jahre verschwimmen, gewinnen die prägenden Ereignisse meiner Kindheit an Kontur. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mein erstes eigenes Zimmer unter dem Dach unseres Schlosses in Evanston. Die Details treten deutlicher hervor, als die Erinnerung es eigentlich hergäbe. Ein kleiner Schreibtisch, darauf Haie und Rochen aus Kunststoff. Ein Regal mit Literatur über die Tiefsee. Ein rundes Fischglas voller Guppys und Schwertträger. In der Abstellkammer türmen sich Tauchermasken, Schnorchel, getrocknete Nesseltiere und im Souvenirladen des Shedd Aquarium gekaufte Fossilien von Korallen und Fischen aus dem Devon.

An der Wand über meinem Bett hing ein gerahmter Artikel aus der Chicago Tribune vom 1. Januar 1970: »Die Nummer eins des neuen Jahrzehnts«. Als Kind hatte ich ihn wahrscheinlich Tausende Male gelesen. Das dazugehörige Schwarz-Weiß-Foto zeigte mich, den neugeborenen Todd Keane, der eine Sekunde nach Mitternacht im Saint-Francis-Krankenhaus von Evanston entbunden wurde und nun in kindlichem Staunen in die Kamera blickt. Vielleicht versucht er, das rätselhafte Ding vor seinem Gesicht zu erkennen.

Nummer eins: So nannten meine Eltern mich jahrelang. Weil ich klein war, setzte der Name mich ein wenig unter Druck, doch als Einzelkind nahm ich meinen Titel und mein Geburtsrecht sehr ernst. Ich trug die schwere Last, der erste Mensch zu sein, der die Zukunft erreichen würde.

Aber hier bin ich nun, und ich habe es endlich geschafft.

Meine Mutter wollte ihren makellosen Körper nicht durch eine Schwangerschaft ruinieren, aber mein Vater brauchte jemanden, der ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit als Schachgegner zur Verfügung stand. Wie sie die Sache am Ende klärten, ist mir unbekannt. Vielleicht durch Schere, Stein, Papier. Mittels Geschick und Überredung. Mit der Hilfe eines Scheingerichts oder durch eine Pro-und-Kontra-Debatte. Möglicherweise habe ich meine Geburt einem Spielwürfel zu verdanken.

Der Dauerkrieg zwischen den beiden prägte meine gesamte Kindheit. Ihre Auseinandersetzungen wurden ebenso von Lust befeuert wie von Hass. Während der Schlacht setzten sie auf ihre jeweilige Superkraft: mein Vater auf seine Manie, meine Mutter auf die Hinterlist der Unterdrückten. Ich war ein altkluges Kind und hatte spätestens im Alter von vier Jahren begriffen, dass es meinen Eltern bei ihrem Wettstreit darauf ankam, einander möglichst großen Schaden zuzufügen, ohne dass es Tote gab, und dabei empfanden sie einen reinen Schmerz und eine Erregung, wie sie nur der Hass erzeugen kann. So gesehen handelte es sich um eine beidseitige autoerotische Seelenstrangulierung, bei der beide Parteien ebenso großzügig austeilten wie einsteckten.

Mein Vater dachte schnell, so schnell, dass ihn der Rest der Welt zu langweilen schien. Er arbeitete auf dem Parkett der Terminbörse von Chicago, zu einer Zeit, als der Handel noch nicht elektronisch abgewickelt wurde. Er, ein Krieger des Ausrufverfahrens, stand aufrecht in der Mitte des Oktagons, während die Wellen des Kapitalismus aus allen Richtungen auf ihn einbrachen. Er verstand es, die Ängste der anderen im Blick zu behalten und Profit daraus zu schlagen, außerdem unterschied sein Gehirn kaum zwischen Stress und Nervenkitzel. Er behielt stets den Kopf über Wasser, während seine Kollegen dahindümpelten oder absoffen. Allein mit einer Drehung des Handgelenks und einem von wahnwitzigem Gebrüll begleiteten Fingerschnipsen verdiente und verlor er absurde Summen. Seine Großhirnrinde wurde so lange von Neurotransmittern geflutet, dass mein Vater nur noch funktionierte, wenn sein Wohlergehen latent bedroht war – wofür meine Mutter als gute Hausfrau zuverlässig sorgte.

Einen Kick verschafften ihm auch sein getunter Mercedes Cabrio 450 SL, eine Cessna Skyhawk, die auf dem Chicago Midway Airport stand und vorzugsweise bei stürmischem Wetter geflogen wurde, und eine Geliebte mit einer unregis­trierten Smith-&-Wesson-Halbautomatikpistole in einer kleinen Lederhandtasche von Louis Vuitton.

Meine Mutter war eine verkappte Romantikerin. Als sie hinter das Doppelleben meines Vaters kam, engagierte sie einen Privatdetektiv und brachte in Erfahrung, was eigentlich aus dem Jungen geworden war, der sie damals in der New Trier High School so verehrt hatte und der später als Nachwuchsfeldspieler für die Chicago Cubs im Einsatz war. Wie sich ­herausstellte, betrieb er inzwischen ein AMC-Autohaus in Elk Grove. Meine Mutter lieferte sich mit diesem Mann unzählige, quasi öffentliche Szenen, in denen sie Schluss machten oder sich wieder versöhnten; aber im Grunde bettelte sie meinen Vater damit nur an, das Ganze zu unterbinden. Mein lieber Vater schluckte den Köder jedes Mal, wieder und wieder.

Versteh mich bitte nicht falsch. Falls reich zu sein bedeutete, sich mit inkompetenten Eltern abfinden zu müssen, konnte ich das voll und ganz akzeptieren. Ich liebte unseren Reichtum. Meine Trostpreise waren zahlreich und spektakulär. Trotzdem hasste ich meinen Vater dafür, dass er meine Mutter betrog, und ich hasste meine Mutter für den Verrat an mir. Ich war aber noch nicht alt genug, um zu wissen, wie man gute Miene zum bösen Spiel macht. Für mich bestand die Lösung anscheinend darin, einfach an einem anderen Ort zu sein.

Ich fand diesen Ort im Michigansee. Wenn meine Gedanken sich überschlugen und die Zukunft auf mich zugerast kam wie ein Wurfmesser, half nur noch eins: aus meinem Turmfenster zu schauen und mir vorzustellen, ich ginge am Grund des Sees spazieren.

Sobald ich unter Wasser war, klangen die Streitereien plötzlich gedämpft. Ich wusste das aus Erfahrung, von den Sommerferien am Lee Street und Lighthouse Beach. Freund und Feind wurden ebenso flüssig wie stumm und stemmten sich gegen den Widerstand des trägen, blaugrün schimmernden Wassers. Am Grund des Sees gab es keine Menschen. Einen besseren Ort zum leben konnte ich mir nicht vorstellen.

In Big Sky verletzte mein Vater sich beim Skifahren mit seiner Geliebten den Rücken. Er entkam nur knapp einer Querschnittslähmung. Der Schmerz war unerträglich, er musste sofort operiert werden. Meine Mutter nahm mich mit nach Montana, und dort bekam ich ihn zu sehen, wie ich ihn nie gesehen hatte, niedergestreckt und beinahe nachgiebig. Sie sahen einander verträumt an und hielten Händchen, zusammengeschweißt von der Katastrophe, der sie nur knapp entronnen waren. Doch sobald die Intensivschwester den Raum verließ, gingen sie einander an die Gurgel.

»Du hast mir erzählt, du wärst auf einem Kongress in New York.«

»Wie leichtgläubig du bist! Was will ein Börsenmakler aus Chicago auf einem New Yorker Kongress?«

Als könnte ich sie nicht hören, flüsterte sie: »Du bist das letzte Stück Scheiße und ich werde die Scheidung einreichen.«

»Zu spät!« Das Oxycodon ließ seine Augen leuchten und tanzen. »Meine Anwälte haben das schon erledigt.«

Meine Mutter schnappte nach Luft und krümmte sich vornüber. Gegen einen Börsenmakler kann man beim Pokern nicht gewinnen, insbesondere dann nicht, wenn ihm Sieg und Niederlage egal sind. Meinem Vater kam es allein darauf an, einen weiteren Punkt zu erspielen.

Er legte ihr seinen unversehrten Arm um die Taille. »Ich liebe dich«, sagte er. »Du würdest mir einfach alles glauben.«

Sie hörten niemals auf, einander mit Scheidung zu drohen. An einem Abend im Juni saß die fünfjährige Nummer eins mit eingezogenem Kopf am Kinderschreibtisch im Turmzimmer, während das Geschrei aus der Küche durch alle Etagen drang. Die Stimme meines Vaters war so volltönend wie die eines Nachrichtensprechers. »Du Schlampe! Ich kann es gar nicht erwarten, endlich frei zu sein!« Meine Mutter schnaubte. »Frei? Du blöder Idiot. Du kriegst Toddy, er war deine Idee.« Noch mehr Gebrüll, dann Stille, zuletzt ein leises Winseln wie von einem Tier, das um Futter bettelt.

Ich sah auf den See hinaus und ging, wie ich es inzwischen gelernt hatte, ins Wasser. Am Grund des grünen, gedämpften Zauberreichs lief ich bis nach Michigan, das ich mir als Land der Dünen und des Strandhafers vorstellte.

Im selben Sommer verendeten die Flussheringe. An den Stränden der Stadt lagen Hunderttausende verwesende Fische. Mit leichter Verzögerung wurde mir etwas bewusst: Wenn ich unter Wasser zum Nachbarstaat hinüberlief, würde ich den See, auch wenn seine Oberfläche diesen Eindruck vermittelte, nicht unbewohnt vorfinden. Dort unten wimmelte es von Leben. Zuerst erschrak ich, aber nach einer Weile war ich begeistert. Als ich das nächste Mal über den Boden des Sees nach Michigan ging, durchquerte ich Schwärme von Fischen, und alle kamen auf mich zugeschwommen und bestaunten mich wie ein Weltwunder.

Vergiss also eins nicht: Trotz der vielen Hundert Stunden Videomaterial, trotz zahlloser Interviews, zweier Biografien (nur eine davon autorisiert), Hunderttausender Internetseiten und Texte über mich und meine Firma, trotz der Millionen von E-Mails, Textnachrichten und Gesprächsprotokollen, der endlosen digitalen Krumen...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2024
Übersetzer Eva Bonné
Sprache deutsch
Original-Titel Playground
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • AI • Artificial Intelligence • Bestsellerautor • Daniel Kehlmann • eBooks • Eine Frage der Chemie • Freundschaft • Gaming • Jonathan Franzen • KI • Klimakrise • Klimawandel • Kolonialismus • Künstliche Intelligenz • makatea • Meeresbiologie • naturthriller • Neuerscheinung • overstory • Ozean • Paul Auster • Pazifik • Planet • Playground • Polynesien • Pulitzer-Preis • Rassismus • Roman • Romane • Schöpfungsmythos • seasteading • Spiele • Sport • SWR Bestenliste • Technologie • Tiefseetauchen • Wurzeln des Lebens • Zukunft
ISBN-10 3-641-32199-9 / 3641321999
ISBN-13 978-3-641-32199-4 / 9783641321994
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