Das Vermächtnis von Murano (eBook)

Roman - Das bewegende Familienepos, so schillernd und farbenfroh wie das berühmte Muranoglas aus Venedig
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2024 | 1. Auflage
560 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29897-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Vermächtnis von Murano -  Jessica Amankona
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Wo Träume aus Feuer und Sand entstehen
Murano, 1893: Eine gute Partie zu machen interessiert Orietta Volpato wenig. Als rebellische Tochter einer venezianischen Glasbläserfamilie träumt die Zwanzigjährige vielmehr davon, eines Tages den Betrieb der Familie zu übernehmen. Ihr großes Idol ist die einflussreiche Salondame Sibilla Veridiani. Orietta tut alles dafür, eine der heißbegehrten Eintrittskarten zum Maskenball der Veridiani anlässlich des Karnevals zu ergattern. Kurz bevor sie ihrem schillernden Traum ganz nah ist, trifft sie bei einer Gondelfahrt auf einen mysteriösen Fremden, der ihr Herz ungewohnt höherschlagen lässt. Doch dann verspielen ihre Brüder die Manufaktur, und Orietta ist die Einzige, die das Erbe ihrer Familie jetzt noch retten kann. Trifft sie die falsche Entscheidung, könnte nicht nur ihr Leben in tausend Scherben zerspringen.

Jessica Amankona wurde 1987 in Osnabrück geboren, und wuchs in einem Frauenhaushalt mit vier Schwestern und ihrer Mutter auf. An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster studierte sie spanische und französische Philologie. Neben dem Schreiben führt sie auf Instagram einen wachsenden Buch-Blog und wenn sie nicht gerade selbst fiktive Welten erschafft, träumt sie sich gerne in ferne Zeiten oder Länder. Für ihren Debütroman »Das Vermächtnis von Murano« hat sie akribisch recherchiert, und ist selbst auf den Spuren der Glasbläser durch die Gassen Venedigs gestreift.

Kapitel 1


Mein Liebster …

O du mein Geliebter …

Verehrter Francesco …

Sie wusste nicht einmal, wie sie beginnen sollte. Enerviert ließ Orietta den Kopf auf die Tischplatte sinken. Mit fünf kleinen Schubladenkästchen, einem verschließbaren Rollo und vier schlanken Holzbeinen sah ihr Sekretär aus wie ein kleines Klavier aus Nussbaumholz, und das dumpfe Pochen, das bei der Berührung mit Oriettas Stirn entstand, erfüllte sie beinahe mit demselben Unmut, wie es der Zusammenklang vieler gleichzeitig falsch angeschlagener Tasten getan hätte. Die Angst, den Brief nicht mehr rechtzeitig fertig zu bekommen, ließ ihre Ohren heiß werden.

Doch sie war ja selbst schuld.

Tagsüber hatte die Arbeit in der Glaswerkstatt Vorrang. Heute etwa hatte sie den Transport eines Kronleuchters aus changierendem Muranoglas von der Glashütte der Familie Volpato zum Palazzo eines noblen Kunden im Sestiere San Polo, Calle del Paradiso, begleitet. Eine halbe Stunde lang hatte sie zitternd neben der Fracht auf der kalten Bank eines Vaporettos gekauert, doch das Verfahren, das dem Leuchter in einem riesigen, mit Wasser gefüllten Fass die risikoarme Fahrt durch das enge innerstädtische Kanalgeflecht ermöglichte – und das ihrem Einfall zu verdanken war –, hatte sich auch dieses Mal wieder bewährt. Anders als in einem mit Watte gepolsterten Karton konnte der achtarmige Leuchter auf diese Weise weich in seiner Verpackung treiben, statt auf einem sperrigen Lastenwagen über das Pflaster zu holpern. Abends wiederum wanderte sie – manchmal sogar noch in ihren Träumen – die deckenhohen Regale und Vitrinen ab, die beim kleinsten Lichteinfall eine funkelnde Schatzhöhle aus dem Warenlager machten. Wann sollte sie also Zeit haben, irgendwelche Gefühle zu Papier zu bringen?

Zur Unterstützung rief sich Orietta nun ihre Schilderungen aus den vorherigen Briefen ins Gedächtnis, und schon bald kratzte die Feder wieder über das Papier. Zunächst zaghaft, dann immer entschlossener füllte sie zwei Seiten mit ihrer verschnörkelten Handschrift. Gerade hatte sie den Abschiedsgruß unter das Ende gesetzt, als ein kurzer Blick auf die Wanduhr sie daran erinnerte, endlich zusammenzupacken und nach unten zu gehen. Sie fixierte die eingerollten Seiten mit einer rosafarbenen Satinschleife, dann gab sie einen Pumpstoß Rosenduft in die Luft und schwang den Brief hindurch. Bereits aus dem Zimmer geeilt, kehrte sie noch einmal zu ihrem Schreibtisch zurück und parfümierte auch ihr geflochtenes dunkles Haar, das wenigstens duften sollte, wenn es schon so zerrauft von ihrem Kopf abstand. Ihr letzter Griff ging zum Wintermantel, den sie sich auf der Treppe überzerrte, während sie nach unten lief und aus der Ladentür schlüpfte. Die eine Hand noch am Knauf, schoss die andere bereits hoch an das dort schaukelnde Windspiel. Kein Geräusch der Welt war für Orietta so sehr verknüpft mit ihrem Leben und ihrer Familie, denn seit sie sich erinnern konnte, erklang tagsüber die sanfte Melodie der mundgeblasenen Glastropfen, wenn Kunden eintraten. Jetzt in der Nacht jedoch hätte der glockenhelle Klang der gesamten Nachbarschaft ihren heimlichen Ausflug verkündet, also hielt Orietta das kühle, bunt schillernde Glas behutsam fest. Während das Windspiel längst zur Ruhe gekommen war, hämmerte Oriettas Herz noch immer in ihrer Brust.

Sie betrat die schmale Gasse zwischen dem Nebengebäude und dem Glaswarenladen ihrer Eltern, wo sich in den oberen beiden Geschossen die Wohnung und unten die Ladenfläche befand. Schnellen Schrittes ließ sie das Schaufenster mit der Markise und dem »Geschlossen«-Schild hinter sich, den Schriftzug, der in großen Lettern über dem Eingang auf der rot getünchten Wand angebracht war und allen Passanten und Besuchern mitteilte, wer hier Unikate aus Glas zum Verkauf anbot: die Vetreria Volpato.

Vom Ufer des Hauptkanals aus, der wie eine Lebensader die Insel durchzog, fiel ihr schwaches Licht vor die Füße. Es begleitete sie ein paar Schritte weit, doch dann endete der Kegel, und Orietta tauchte in die Dunkelheit. Wie heranwallenden Rauch, den man erst wahrnahm, wenn er einen bereits von allen Seiten umhüllte, bemerkte Orietta die Gestalt vor sich nicht, bis ihr deren Parfüm in die Nase stieg. Das Treffen fand auf Oriettas eigenen Vorschlag hin nachts in einer Gasse und nicht auf einem öffentlichen Platz oder in der Vetreria statt, zum einen, um Gerüchte zu vermeiden, zum anderen aus Scham vor ihren Brüdern Jacopo und Giovanni.

»Ich habe den Brief«, sagte sie schließlich. Nicht sehen zu können, mit wem sie sprach, schickte ein aufregendes Kribbeln durch ihren Körper. »In jeder Zeile steckt Herzblut. Darauf haben Sie mein Wort.« Wie aus dem Nichts schlossen sich Finger um die verschnürte Papierrolle, die Orietta nach vorne hielt und die sie so schnell nicht hatte loslassen wollen – jedenfalls noch nicht. Auffordernd streckte sie die andere Hand aus. »Für meine Mühen.«

Es raschelte geheimnisvoll in der angespannten Stille, und kurz darauf entfachte ein Streichholz fauchend eine kleine Flamme, die, in eine Laterne gesperrt, den Bereich um Orietta und ihr Gegenüber erhellte. Die beliebteste Damenmaske im venezianischen Karneval, die Colombina, starrte ihr entgegen, und während sie die obere Gesichtshälfte der Unbekannten bedeckte, ließ sie einen feinen rosigen Mund und ein spitzes Kinn frei. Die Kapuze eines Überwurfes aus dunkelblauen Seidentaft verbarg das Haar seiner Trägerin und wies sie durch den modischen Schnitt und neuartigen Zustand als Dame der oberen Schicht aus. Vielleicht war es eine Diplomatentochter, die sich am Hafen in einen Arbeiter verguckt hatte. »Erst möchte ich mich von der Qualität Ihrer Fähigkeiten überzeugen«, sagte die Unbekannte auf jene freundliche, aber gebieterische Weise, mit der eine Hausherrin ihre Untergebenen anweist. Ihr Blick huschte ängstlich durch das Gässchen, doch da sich offenbar niemand zum Lauschen angepirscht hatte, kehrte er rasch zu Orietta und dem Liebesbrief zurück; die vornehme Stimme war nun von Sehnsucht und Hoffnung durchdrungen. »Wird er bald nach mir suchen?«

Orietta lächelte. »Er ist Ihnen bestimmt bereits mit Haut und Haaren verfallen.« Sie löste die Satinschleife, glättete das Papier und hielt es ihrer Kundin gerade so nah vor Augen, dass diese davon ablesen konnte. »Trifft der Ton Ihren Geschmack?« Obwohl sie sich für eloquent hielt, blieb doch immer ein Rest Unsicherheit. Aber vielleicht war es gerade ihre eigene Verletzlichkeit, die sie so empfänglich für die Zerrissenheit ihrer Kundinnen machte.

»Signorina Lettrista, ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet. Sie sind ein wahrer Geheimtipp! Hier, nehmen Sie!« Die Kundin schüttete ein paar Münzen aus der kleinen Beuteltasche, die von ihrem Handgelenk baumelte, in Oriettas Hand. Plötzlich konnte sie nicht schnell genug die vereinbarten dreißig Centesimi loswerden und den Brief an ihre Brust pressen. Es war ohnehin ein geringer Betrag und nur die Hälfte von dem, was die Dame für eine Rundfahrt mit der Gondel durch den Canal Grande zahlen würde. Kurz spielte Orietta mit dem Gedanken, eine nachträgliche Gebühr zu erheben, doch die Preise für Glaswaren richteten sich ja auch nicht nach den Bankkonten der Käufer. Diese waren beständig und ehrlich, genauso, wie Orietta auch selbst sein wollte. Sie würde sich nicht an unerwiderter Liebe bereichern. Das Gefühl, übersehen zu werden, war, wie sie aus eigener Erfahrung wusste, schon Qual genug. Nur leider überstieg aufgrund ihrer großen Leidenschaft, des Verfassens von Essays, ihr Papierverbrauch das ohnehin schon großzügige Budget, das ihre Eltern für ihre Bildung angesetzt hatten. Also musste sie für die Auftragsbriefe eine kleine Entschädigung nehmen, zumindest so viel, dass es ihre Materialkosten deckte.

»Ich habe zu danken«, sagte sie und deutete eine Verbeugung an. »Vielleicht geben Sie mir für den nächsten Auftrag etwas mehr Zeit? Und was die Geheimhaltungspflicht betrifft: Sie dürfen mich gern an eine Freundin weiterempfehlen. Arrivederci!«

»A presto!«

Orietta folgte der Kundin mit den Augen, bis die Laterne nur noch ein winziges Glimmen in der Ferne war, dann trat sie an ihrem Ende der Gasse wieder auf die beleuchtete Fondamenta, jenen Gehweg vor der Vetreria, der dank einer der Hauptanlegestellen tagsüber von Touristen überschwemmt wurde. Wie ein steinerner Silberstreif führte er am Wasser entlang, wurde hier von ausladenden Markisen überdacht, mündete dort in schmale Arkadengänge. Plötzlich und ohne dass sie ihn bemerkt hätte, hakte sich Jacopo an ihrem linken Arm unter, Giovanni ergriff ihren rechten. Beide wirkten sehr zufrieden mit sich, und so zwischen ihnen eingekeilt, wurde Orietta klar, dass ihre Brüder vielleicht doch am Ende der Gasse gestanden und das ganze Gespräch mit angehört hatten.

»Solltet ihr nicht in euren Betten liegen? Der Schmelzofen nimmt keine Rücksicht auf Müdigkeit.«

»Und solltest du nicht deinen Verstand darauf verwenden, einen Ehemann zu finden?«, konterte Giovanni, und Jaco fügte hinzu: »Und zwar für dich selbst, anstatt schlecht gekleideten Adelstöchtern das Geld aus der Tasche zu ziehen?«

»Immer noch besser, als es zum Fenster rauszuschmeißen.« Sie versuchte sich aus dem brüderlichen Schraubstock zu winden, doch natürlich war sie machtlos gegen die stählernen Muskeln ihrer Brüder, die sie beide dem stundenlangen Hantieren unter mühsamen Bedingungen verdankten. Ihnen erklären zu wollen, dass das Verfassen von Briefen eine Dienstleistung wie jede andere war, schien aussichtslos. »Unterhalten wir uns drinnen weiter. Oder wollt ihr die ganze...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2024
Reihe/Serie Die Murano-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
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ISBN-10 3-641-29897-0 / 3641298970
ISBN-13 978-3-641-29897-5 / 9783641298975
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