Fritz Martins (1890-1956) -  Ralf Czubatynski

Fritz Martins (1890-1956) (eBook)

Das bewegte Leben eines Perleberger Tischlermeisters im Kontext seiner Zeit
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
504 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-6284-2 (ISBN)
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Fritz Martins wird 1890 in Perleberg geboren. Er erlebt vier politische Systeme und wird dabei zwangsläufig in den Bann großer Ereignisse gezogen. Er kämpft als 'Untertan Wilhelms' im Ersten Weltkrieg und erlebt als sich etablierender Handwerksmeister die Diskontinuitäten Weimars und die Zerstörung der bunten Vielfalt jener Jahre. Sich passiv mit dem NS-System arrangierend, findet seine tief ausgeprägte Heimatliebe zur Prignitz Wiederklang in der ehrenamtlichen Leitung des Perleberger Museums. Bis zu seinem Tode 1956 bekommt er schließlich auch die Repressionen der DDR-Diktatur zu spüren. Das Buch vermittelt, gestützt auf reichhaltigen Quellenauszügen von und über Fritz Martins, wie sehr ein Leben mit den wichtigen Ereignissen des letzten Jahrhunderts verknüpft ist. Die vielen, teils auch längeren Zitationen aus der Fachwissenschaft bieten darüber hinaus aktuelle historische Kontroversen und Bewertungen und regen zum Diskurs an.

Ralf Czubatynski, geboren 1970 in Perleberg, arbeitet als Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Evangelische Religion am Landesgymnasium für Musik in Wernigerode.

1. Vorwort


„Wer in die Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu »Land und Leuten« mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben das Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche Vergleiche tot zu machen. [...] Das Beste aber dem du begegnen wirst, das werden die Menschen sein, vorausgesetzt, daß du dich darauf verstehst, das rechte Wort für den »gemeinen Mann« zu finden. Verschmähe nicht den Strohsack neben dem Kutscher, laß dir erzählen von ihm, von seinem Haus und Hof, von seiner Stadt oder seinem Dorf, von seiner Soldaten- oder seiner Wanderzeit, und sein Geplauder wird dich mit dem Zauber des Natürlichen und Lebendigen umspinnen. Du wirst, wenn du heimkehrst, nichts Auswendiggelerntes gehört haben wie auf den großen Touren, wo alles seine Taxe hat; der Mensch selber aber wird sich vor dir erschlossen haben. Und das bleibt doch immer das Beste.“1

So, wie es Theodor Fontane im Vorwort zur zweiten Auflage seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beschreibt, begibt sich die Biografie nun auf eine imaginäre Reise in die Mark. Im Kern in die Westprignitz, genauer in die Kreisstadt Perleberg. Der Vorsitzende des Prignitzer Geschichtsvereins, Uwe Czubatynski, fasst die Situation regionalgebundener Darstellungen wie folgt: „Die gerade in jüngster Zeit zu beobachtende Wiederbelebung der Heimatgeschichte bietet ein ambivalentes Bild. So erfreulich die Beschäftigung mit der lokalen Überlieferung auch ist, so sind doch die zahlreich erscheinenden Zeitungsaufsätze in der Regel wissenschaftlich fast völlig wertlos. Das gleiche gilt leider auch von den meisten zum Zwecke des Tourismus produzierten Broschüren. Hinzu kommt die mangelhafte Berücksichtigung der Regionalgeschichte in akademischen Strukturen, so daß solide Forschungsergebnisse nicht allzu oft anzutreffen sind.“2

Die vorliegende Darstellung ergänzt das regionalgeschichtliche Spektrum, indem es das Leben eines Mannes beschreibt, der – wie alle Menschen seiner Generation – in die Ereignisse des 20. Jahrhunderts „auf eine Art und Weise hineingezogen wurde, wie es wir nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen nicht kennen und hoffentlich nie kennenlernen werden“3 – doch gleichwohl mit der gebotenen „Sensibilität für historische Irrwege“, die es dabei eben auch gab, die Vergangenheit betrachten müssen.4 Ein Erfassen epochaler Sinnwelten zum Erspüren persönlicher Denk- und Verhaltensmuster bei Fritz Martins erlaubt beziehungsweise verpflichtet zu den teilweise ausführlichen historischen Kontextbetrachtungen und nimmt dem scheinbar berechtigten Einwand einer Akzentverschiebung mit einer unstimmigen quantitativen Verhältnismäßigkeit einzelner Textabschnitte zwischen einer Biografie im engeren Sinne und einer historischen Darstellung von vornherein seine Schärfe.

Die Arbeit spürt Menschen auf, bevor sie vielleicht „für immer im undurchdringlichen Nebel der Geschichte des 20. Jahrhunderts verschwunden wären“.5 Und doch kann die Arbeit keineswegs den Anspruch erheben, den Gegenstand quellenkritisch vollständig zu erfassen. Sie bleibt eine schemenhafte Skizze, die versucht, in der heutigen Deutung jene Leerstellen ansatzweise zu schließen, die das Vergangene für uns heute in sich trägt. Der Historiker Johann Gustav Droysen formulierte es im 19. Jahrhundert so: „Das Gegebene für die historische Forschung sind nicht die Vergangenheiten, denn diese sind vergangen; sondern das von ihnen in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene, mögen es Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Ueberreste des Gewesenen und Geschehenen sein. [...] Immer oder fast immer liegen nur Einzelheiten aus den einstigen Wirklichkeiten, nur einzelne Auffassungen von dem, was war und geschah, noch vor. Jedes historische Material ist lückenhaft, und die Schärfe in der Bezeichnung der Lücken ist das Maass für die Sicherheit der Forschung. [...] Jeder Einzelne hat seine Welt, deren Mittelpunkt sein Ich ist. In dies Heiligthum dringt der Blick der Forschung nicht. Wohl versteht der Mensch den Menschen, aber nur peripherisch; er nimmt seine That, seine Rede, seine Miene wahr, aber immer nur diese eine, diesen Moment. Beweisen, dass er ihn richtig, dass er ihn ganz verstanden, kann er nicht. [...] Die Interpretation der Ideen füllt die Lücke, welche die psychologische Interpretation lässt.“6

Doch wie findet man Menschen in einer nicht mehr zugänglichen Vergangenheit? Die Quellenlage ist gut, aber nicht übervoll. Als unmittelbare Zeitzeugin kann nur die Tochter Auskunft geben, die ihren Vater bereits mit 15 Jahren verlor. Es wäre also nicht verwunderlich, würde die kleine persönliche Geschichte kaum mehr fassbarer Menschen von der großen Historie verschlungen werden. Deshalb bleiben wir auch in dieser Arbeit nicht immer zuverlässige Rekonstrukteure des vergangenen Geschehens. Und: Wir sind gefangen in den Erklärungsmustern unserer Zeit, unseres Horizontes. Wiebke Bruhns warnt in der ausgezeichneten Biografie über ihren Vater, den hingerichteten Widerstandsoffizier Hans Georg Klamroth mit den Worten Bertolt Brechts vor einer zeitdistanzierten Verurteilung: „Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut, in der wir untergegangen sind, gedenkt, wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, auch der finstern Zeit, der ihr entronnen seid.“7 Die Arbeit fordert beispielhaft dazu heraus, auf einen „imperialen Duktus einer Vergangenheitsbetrachtung, die anmaßend zu wissen behauptet, »wie es eigentlich gewesen sei«“, gerade in Bezug auf eine Personenbewertung zu verzichten.8 Ihr muss gleichzeitig aber auch bewusst sein, dass im Prozess einer „Tradierung von Geschichtsbewusstsein“ über „intergenerationelle Weitergabeprozesse“ zwar stofflich lebendige Vergangenheit, aber doch nur eine selbst rekonstruierte – weil ausschnitthaft und gedeutet – und nicht authentische Geschichte in unser Gegenwartsbewusstsein tritt.9

Eine gelingende Biografie aus der zeitlichen Distanz kann aber eben nur gelingen, wenn wir die Zeit verstehen, in der die Menschen lebten. Deshalb sind ausführliche Darlegungen zum historischen Kontext nötig. Im Fokus sollen hier aber weniger altbekannte Fakten als vielmehr Denkweisen aus den besprochenen Zeiten stehen. Breiten Raum wird auch deswegen der Entfaltung des deutschen Nationalismus eingeräumt. Von besonderem Wert als Quelle sind die frühen Tagebuchaufzeichnungen von Fritz Martins. Eine zeitliche Differenz zwischen dem Erlebten und der Präsentation des Erlebten in der Gegenwart des Schreibens wird gerade bei den Kriegserlebnissen praktisch aufgehoben. So „rekonstruieren wir also, wie die Zeitgenossen ihre Welt wahrnahmen, versuchen wir zu begreifen, warum Menschen damals so handelten, wie sie handelten“, um das Risiko „vorschneller und einfacher Urteile“ zu verringern.10 Den Protagonisten an einigen Stellen selbst sprechen zu lassen, vermittelt Nähe zum Geschehen und verleiht der Darstellung vermehrt eine Authentizität, welche ein interpretierendes Arbeiten auf Basis der Quellen nicht zu leisten vermag. Gerade biografische Narrationen „repräsentieren eine soziale Realität in der Gegenwart ihrer Produktion“.11 Die privaten Aufzeichnungen von Fritz Martins sind von der „Aura biographischer Unmittelbarkeit“ umgeben.12 Bei allen bekannten Werteinschränkungen des Zeitzeugen als legitime Quelle im Selbstverständnis des Geschichtswissenschaftlers, sind die lebensgeschichtlichen Narrative doch als wichtiger Baustein der Erinnerungskultur zu begreifen. In der zeithistorischen Interpretation können sowohl die Tagebuchaufzeichnungen als auch die Darlegungen in der Familienchronik für sich in Anspruch nehmen, den „sinnweltlichen Normalitätsstandards ihrer Zeit“ zu entsprechen, die der Historiker doch erfassen und als „kritisches Korrektiv“ interpretieren und der Laie als Interessierter erspüren möchte.13 In Biografien und Tagebüchern „kommt alles zusammen: das Individuelle und das Allgemeine, der Mensch und die »Charaktermaske«, der Zeitgeist und das individuelle Temperament, die Tendenz und der Zufall“.14 Da, wo sich das Paradigma der „Objektivität herrschaftlich in die Beletage, in den Kommandozentralen des wissenschaftlichen Establishments eingerichtet hatte“, dürfen nun wieder die individuellen Erlebnisse, die Subjektivität der persönlichen Aufzeichnungen als unbedingter Gewinn für die Komplexität historischer Interpretationsleistungen miteinbezogen werden.15 Hier wird der „Zeitzeuge nicht zum Feind des Historikers“. Martins spricht nicht über erlebte Jahre mit großer zeitlicher Distanz, sondern meist, wie in der Tagebuchquelle, in der Unmittelbarkeit seiner Gegenwart. So wird er nicht zur „autoritativen Beglaubigungsinstanz“, wie der Zeitzeuge heute häufig in der medialen oder schulischen Zeitzeugenpräsenz in Anspruch genommen wird.16

Aber auch die Perspektive des Autors ist zu berücksichtigen. Eine...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-7583-6284-9 / 3758362849
ISBN-13 978-3-7583-6284-2 / 9783758362842
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