Professor Zamorra 1292 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5943-4 (ISBN)
'Bist du bereit?', fragte Mercier.
Tanguy nickte. Die Wahrheit war, dass es ihm niemals mehr besser gehen würde. Ganz im Gegenteil, von nun an würde es nur noch bergab gehen. Er spürte, dass er jeden Tag weniger wurde. Der Appetit war erloschen, und sein Körper holte sich die benötigten Kalorien bereits aus seiner Muskulatur. Die Fettdepots waren längst erschöpft. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen. 'Wenn du mich unbedingt zu einem Mentalparasiten machen willst, dann leg los!'
Mercier schmunzelte. 'Mentalparasit? Wie kommst du denn nur darauf?'
Der Mentalparasit
von Stefan Hensch
»Was können wir für Sie tun, Colonel?«, fragte Zamorra, nachdem er und Nicole ausgestiegen waren.
»Kommen Sie bitte mit!«, forderte Mussa sie statt einer Antwort auf.
Jetzt erkannten sie, dass es sich um ein Militärfahrzeug handelte. Also hatte Zamorra recht gehabt.
»Da sitzen noch Leute drin!« entfuhr es Nicole erschrocken.
»Korrekt, Madame. Es handelt sich um einen Offizier und einen Unteroffizier aus einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Orléans. Beide wurden aus nächster Nähe erschossen.«
Chinon im Loiretal, Gegenwart
Zamorra stand mit offenem Mund im Wohnzimmer des alten Hauses, dessen Besitzer vor Kurzem verstorben war. Was er sah, war einfach überwältigend. An allen vier Wänden waren bis zur Decke vollbesetzte Bücherregale montiert. So war es auch in allen anderen Zimmern des Hauses. Das Wohnzimmer bildete gewissermaßen den Höhepunkt, denn hier war sogar die Innenseite der Tür mit Regalen bestückt. Unter der Decke gab es eine Art Hochregal, das mittels einer Kurbel nach oben oder unten bewegt werden konnte.
»Ihr Onkel war definitiv ein ...«, begann Nicole und suchte nach den richtigen Worten.
»Büchermensch«, vervollständigte sie den Satz.
Daniel Vinet musste schmunzeln. »Das kann man wohl sagen.« Er deutete mit dem Kinn auf einen Stapel englischer Bücher, die zu einem annähernd perfekten Würfel aufgeschichtet waren. »In den letzten Jahren hat er diese Serie eines Amerikaners gelesen, in dem die Zivilisation nach einem Krieg mit Atomwaffen völlig zusammenbricht und ein tapferer Held alles daransetzt, eine neue Gesellschaft aufzubauen.«
Zamorra nahm eines der Taschenbücher und blätterte es durch. »Ziemlich dick«, kommentierte er.
Nicole stand neben ihm und flüsterte: »Und so trashig.«
»Deshalb habe ich Sie auch nicht kontaktiert, obwohl Sie sich gerne an den Schmökern hier bedienen können.«
Der Professor fühlte Nicoles kritischen Blick auf sich ruhen und legte den Roman lieber wieder zurück.
Vinet ging zu einem Sideboard, das mitten im Raum stand. Er öffnete eine der Türen, um vorsichtig ein großes goldenes Buch hinauszunehmen und legte es auf dem Wohnzimmertisch ab.
»Das Interesse meines Onkels bezog sich auch auf seltene Bücher – oder was er dafür hielt. Ein Bekannter von mir ist Sprachwissenschaftler. Ich habe ihm einen Schnappschuss von dem Buch gezeigt, damit er mir sagen kann, um was für eine Sprache es sich dabei handelt. Er musste passen, hat jedoch naturgemäß großes Interesse an diem Buch.«
Was den Preis selbstverständlich in die Höhe treibt, ergänzte Zamorra gedanklich. Neugierig trat er an den Tisch heran und sah sich das Buch an. Es war in Leder gebunden und mit goldenen Lettern beschriftet. Das Leder war abgegriffen und von winzigen Rissen übersät, während das Blattgold vermeintlich zeitlos vor sich hin schimmerte.
»Nichts ist so treu wie Gold«, kommentierte Nicole.
Den Titel konnte Zamorra beim besten Willen nicht entziffern. Am ehesten erinnerten die Schriftzeichen ans Phönizische, jedoch waren die Ähnlichkeiten nur sehr vage. Die Schrift der Phönizier galt als Urahnin der meisten heute noch gebräuchlichen Schriften, und ihre Buchstaben waren mit viel Phantasie als Vorläufer unserer heutigen Schriftzeichen zu erkennen. Das traf bei der hier vorliegenden Schrift keinesfalls zu. Vielmehr wirkte es, als stammten die Schriftzeichen von der selben Hand, die auch die phönizische Schrift erschaffen hatte, jedoch hier einen gänzlich anderen Weg gegangen war. Zamorra sah sich jeden Buchstaben aufmerksam an, fand aber nichts, was in irgendeiner Form ein Erkennen auslöste. Merkwürdigerweise galt das nicht für den Namen des Verfassers.
»Wilhelm von Zanth«, las Nicole prompt vor.
»Haben Sie je von diesem Autor gehört?«, wollte Vinet wissen.
»Nein«, antworteten die beiden Dämonenjäger nahezu gleichzeitig.
»Glaubst du, das Buch fällt in unser Metier?«
Zamorra sah sie an. »Die Sprache alleine macht es fast dazu«, sagte er nachdenklich und klappte es vorsichtig auf. Auch im Inneren waren die eigentümlichen Schriftzeichen benutzt worden. »Was möchten Sie für das Schätzchen haben?«
Vinet nannte seinen Preis, und Zamorra ärgerte sich schon, dass er überhaupt gefragt hatte. Eine gute halbe Stunde später verließen Sie das Haus mitsamt dem seltsamen Buch.
Vor sechs Jahren, in der Nähe von Auxerre
Einst war es der Stammsitz eines Adelsgeschlechts der Bourgogne, bevor es eines Tages ausstarb und vom Antlitz der Welt verschwand. Betagte Erben im weit entfernten Paris wussten mit dem stattlichen Herrenhaus nichts anzufangen, veräußerten es aufgrund ihres Traditionsbewusstseins jedoch nicht. Mit den Jahrzehnten ging es von einer Hand zur anderen und verfiel mit jedem Wechsel zusehends.
Eines Tages brach der Tag an, an dem die Menschen Dingen wie Traditionen deutlich weniger Gewicht als noch in der Vergangenheit beimaßen, und die Immobilie wurde zum Kauf angeboten. Das wuchtige Gebäude mit seinen vielen Zimmern und dem verschwenderisch großen Grundstück wurde von einer anonymen Holding erworben. Schon bald begannen umfangreiche Sanierungsarbeiten, und die Menschen in der Gegend wurden Zeuge, wie die Uhr für das Gebäude rückwärts lief. Zuerst wurde es aufwendig erneuert, dann folgte der Garten, und zuletzt errichteten die neuen Eigentümer eine wuchtige Mauer, die das gesamte Grundstück einfasste.
Von nun an kehrte auch das Leben in das ehemals verfallene Haus zurück. Edle Limousinen brachten Menschen aus den Großstädten, die fürs Wochenende oder einige Wochen blieben. Niemals betrat nur ein einziger Einheimischer das Herrenhaus. Im Dorf verbreitete sich das Gerücht, dass es sich um das Seminarzentrum eines weltweit operierenden Hedgefonds handeln würde. Böse Zungen vermuteten hingegen, dass es sich viel eher um eine Einrichtung einer Sekte handelte, vielleicht Scientology. Letztlich täuschten sich die Menschen. Was von dem Herrenhaus Besitz ergriffen hatte, war schlimmer als eine Finanzheuschrecke oder eine Sekte. Viel schlimmer ...
Gabriel Mercier saß in dem behaglich eingerichteten Kaminzimmer in einem grünen Clubsessel und sah die Kursteilnehmer an. Er trug einen locker sitzenden grauen Zweireiher im klassischen Prince-of-Wales-Karomuster. In der Rechten hielt er ein Glas Portwein. »Grundpfeiler unserer Weltanschauung ist, dass es auf diesem Planeten zwei Sorten Menschen gibt: uns und die gewöhnlichen Menschen.«
Die jungen Leute kicherten und applaudierten. Die Stimmung war ausgelassen und glich eher einer entspannten Dinnerparty als einem Seminar. Und doch würde dieser Kurs für einige Anwesende die Weichen für die Zukunft stellen. Niemand der höchstens Zwanzigjährigen musste sich selbst oder der Gesellschaft noch irgendetwas beweisen. Alle kamen sie aus wohlhabenden oder noch begüterteren Elternhäusern und Familien. Töchter und Söhne von Unternehmern, erfolgreichen Rechtsanwälten, Ärzten und Politikern. Und doch teilten sie alle das gleiche Bedürfnis: Den Hunger nach wahrer Erkenntnis und Macht.
»Sie meinen Minderleister, Professor Mercier?«, fragte ein junger Mann in einem Designeranzug.
Der Angesprochene trank einen Schluck Portwein, ehe er antwortete. »So werden diese Menschen oftmals bezeichnet, obwohl das kein ganz zutreffender Ausdruck ist. Es sind Schlafende, Luis. Im Gegensatz zu uns haben diese Leute keinen Zugriff auf die Informationen, die wir besitzen. Vielleicht besteht unsere Aufgabe darin, sie im wahren Wissen zu unterrichten.«
Luis Littell lachte. »Nicht im Ernst? Mein Vater sieht dieses Pack als unnütze Esser, die unserer Herrschaft im Wege steht. Und damit steht er nicht alleine. Meister Gray hat das in seiner letzten Ansprache genauso formuliert.«
Augenblicklich veränderte sich die Stimmung im Kaminzimmer. Mercier hob spöttisch die linke Augenbraue. »Ich schätze die Meinung von Rupert Gray. Solange er jedoch nicht Großmeister ist, bleibt es allerdings nur eine von mehreren Perspektiven.«
»Kannst du dir nicht vorstellen, wie einsam eine Welt ohne diese Menschen wäre? Du müsstest selbst den Müll rausbringen, den Porsche waschen und deine Anzüge bügeln«, meinte ein schlanker Kursteilnehmer in weißem T-Shirt und Bluejeans.
Luis erblasste sichtlich, was wieder für deutlich bessere Laune bei den Anwesenden sorgte.
»Richtig, Tanguy. Die Welt wäre langweiliger«, schloss sich Mercier an.
Der zentrale Kellerraum des Anwesens sah wie der überdimensionierte Proberaum einer Band aus. Sämtliche Wände waren mit einer dicken Dämmung überzogen. Die Räume waren völlig leer. Die Kursteilnehmer hatten es sich auf Decken bequem gemacht und lagen überall auf dem Boden verteilt.
Mercier saß auf einem Hocker und lehnte mit dem Rücken an der weichen Kellerwand. Draußen hätte die Welt untergehen können, ohne dass es jemand ...
Erscheint lt. Verlag | 2.12.2023 |
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Reihe/Serie | Professor Zamorra |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-5943-3 / 3751759433 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5943-4 / 9783751759434 |
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