Das Haus Zamis 82 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5936-6 (ISBN)
»Ein Club der Menschenfresser«, sagte Lydia. »Das klingt ja wirklich interessant.«
»Das Grand Gourmand ist ein guter Unterschlupf«, erwiderte Thekla. »Eine exquisite Adresse in Dämonenkreisen. Zumindest in manchen Teilen. Die ... Feinschmecker reisen von weither, um eines der speziellen Festmähler mitzuerleben.«
»Feinschmecker?«, fragte Adalmar. »Oder die Perversen?«
Thekla winkte ab. »Die meisten in der Schwarzen Familie ahnen nichts davon oder erhalten keinen Zutritt. Man wird uns dort nicht vermuten.«
»Wieso glaubst du, dass man uns aufnehmen wird?«, wollte Coco wissen.
»Das werdet ihr früh genug erfahren ...«
1. Kapitel
Sonja schaute ihn an und benötigte einige Sekunden, um zu verstehen, worauf er anspielte. Dann lächelte sie auf die einzige Art, die ihr möglich war: absolut hinreißend.
In weitem Umkreis waren die Straßenlaternen ausgefallen. Nur aus vereinzelten Fenstern strömte Helligkeit und schuf ein mattes Zwielicht. Kaum zu glauben, dass sie sich mitten in einer Stadt befanden, in der wenige Hundert Meter entfernt das Leben pulsierte. Das alles kam ihm viel eher vor wie die Kulisse in einem billigen Gruselstreifen. Oder einem Porno, wenn man an die noch immer deutlich hörbare Begeisterung der Dame dachte ...
Seine Begleiterin zwirbelte die Spitzen ihrer langen blonden Haare um den Zeigefinger der linken Hand. »Fehlen nur noch ein paar Nutten an der nächsten Straßenecke. Bist du dir sicher, dass wir noch richtig sind?«
Er tippte sich gegen die Stirn. »Meinst du hier oben?«
Das schien sie gar nicht lustig zu finden.
Also nickte er hastig; es galt, sie bei Laune zu halten, auch wenn er sich über diese Gegend selbst sehr wunderte. »Doch, doch, wir sind auf dem korrekten Weg, ganz bestimmt. Es ist nicht mehr weit. Du wirst begeistert sein.«
Hoffte er zumindest. Die Adresse des Grand Gourmand wurde nur flüsternd und unter der Hand weitergegeben – der absolute Szene-Gourmet-Tempel in Antwerpen; mit horrenden Preisen und dem besten Essen im Umkreis von hundert Kilometern.
Michel hatte einige Kontakte aus seiner aktiven Playboy-Zeit bemühen müssen (und noch mehr Scheine aus seiner dicken Geldbörse), um den Straßennamen und die Hausnummer in Erfahrung zu bringen.
Die offizielle Einladung, ohne die es keinen Einlass gab und die sorgfältig gefaltet in seiner Hosentasche steckte, hatte noch mehr Scheinchen gekostet. Doch das Geld war ihm völlig gleichgültig – er besaß mehr als genug davon, und wenn es dazu diente, Sonja zu beeindrucken und sie letztlich ins Bett zu bekommen, hätte er auch das Zehnfache hingeblättert.
Immerhin war es in seinem Alter nicht mehr ganz einfach, ein so blutjunges Ding wie ...
»Entschuldigen Sie.«, Sonjas Stimme riss ihn aus den Gedanken. »Können Sie uns weiterhelfen? Wir suchen ... ach, Michel, wie war noch mal die Adresse?«
Sonja sprach mit einem Mann, der aus einer verwitterten Tür getreten war. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und wirkten hinter dicken Brillengläsern riesig. Riesig und seltsam, irgendwie rötlich leuchtend wie die einer Katze.
Ein eigenartiger optischer Effekt, der an den Lichtverhältnissen liegen musste.
In der Helligkeit, die aus dem Hausflur fiel, präsentierte er sich schlecht rasiert, und glitzerte da nicht etwas in seinem Oberlippenbart? Alles in allem war der Kerl hässlich wie die Nacht. Sein Hemd hing ihm aus der Hose, bei der der Reißverschluss offen stand. Kurz wanderte Michels Blick in die Höhe; tatsächlich, das war das Haus mit dem geöffneten Fenster – ob dieser Kerl wohl ...?
»Die Adresse«, drängte Sonja.
Michel nannte sie.
Der Fremde kicherte. Und tatsächlich, da glitzerte wirklich etwas in seinem Bärtchen. Es wirkte rot wie Blut. Aber das täuschte sicherlich. Eine lange, schmale Zunge schob sich in einer vulgären Geste aus dem Mund des Hässlichen und leckte darüber – damit war das Corpus Delicti ohnehin verschwunden.
Ekelhaft.
Ein plumper Kerl.
»Was gibt's denn da zu lachen?«, fragte Michel Gibrat gereizt. »Kennen Sie die Straße oder nicht?«
»Wir wollen auch da hin«, sagte der Fremde. »Ist doch lustig, oder?«
In das Grand Gourmand? Das glaubst du doch selbst nicht. »Welch ein Zufall«, erwiderte Michel vorsichtig.
Die Frage, wen der Fremde mit wir meinte, erübrigte sich, als eine zweite Gestalt aus dem Haus trat, dem Hässlichen wie aus dem Gesicht geschnitten. Er nestelte an seiner Hose herum und schloss den Knopf. Offenbar waren es tatsächlich diese beiden gewesen, die die Frau dort oben zum Schreien gebracht hatten. Michel schüttelte sich. Hoffentlich hatte die Hure wenigstens genug verlangt – denn anders konnte er sich das nicht erklären.
»Alwin«, sagte der Erste, »diese netten Leute hier wollen zum Grand Gourmand.«
Der Zweite kicherte rau. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie dorthin wollen.«
Sonja stand plötzlich näher bei Michel. Offenbar fand sie die Fremden ebenso widerlich und beängstigend wie er. »Vielleicht sehen wir uns ja«, murmelte er unverbindlich und ging los. Seine Begleiterin zog er mit sich, ohne noch länger auf eine Wegbeschreibung zu warten. »Verschwinden wir von hier«, raunte er ihr zu.
Das musste er Sonja nicht zweimal sagen. Zu seiner Erleichterung bemerkte er, dass die beiden Kerle ihnen nicht folgten.
»Hast du gesehen?«, fragte das Fotomodell plötzlich. »Der Zweite hatte Blut auf dem Hemd.«
Gibrat sah vor seinem geistigen Auge, wie die Zunge des Ersten über den Oberlippenbart leckte. »Du hast dich bestimmt getäuscht.« Allerdings war er von seinen eigenen Worten ganz und gar nicht überzeugt.
Sie schwiegen eine Weile, während sie durch düstere Gassen stolperten. Michel fragte sich, ob es hier mit rechten Dingen zuging. In einer heruntergekommenen Gegend wie dieser sollte der angesagteste Gourmet-Tempel der Stadt liegen? Der geheime Treff für alles, was in Antwerpen Rang und Busen hatte?
Er wollte schon aufgeben, als er das Schild erblickte: GRAND GOURMAND. Sonst nichts, und in einfachen Buchstaben gehalten, aber mit grellen Leuchtröhren geformt.
»Sehr schlicht«, meinte Sonja geringschätzig. »Ich sag dir was, wenn's hier ein Taxi gäbe, würde ich sagen, lass uns lieber ...«
Die Tür öffnete sich.
Der junge Mann, der dahinter mit Anzug und Krawatte zum Vorschein kam, schien direkt der Fernsehleinwand entsprungen zu sein. Sein Lächeln war hinreißend, seine Stimme klang warm und volltönend. »Willkommen im Grand Gourmand. Gutes Essen ist unsere Spezialität.«
Vierzig Minuten später dachte Michel Gibrat, alternder Playboy weit jenseits seiner besten Tage und seiner vier verflossenen Hochzeiten, nicht mehr an die seltsame Episode auf dem Weg hierher.
Auch Sonja schien keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Sie sah blendend aus, und als sie den letzten Rest des butterzarten Carpaccio aß, verdrehte sie vor Verzückung die Augen. »Das Beste, das ich je gegessen habe«, raunte sie Michel zu.
Er genoss das Essen ebenfalls, noch mehr allerdings den Anblick des offenherzigen Ausschnitts ihres Designerkleides, das für viel Geld wenig Stoff präsentierte.
»Warten Sie nur«, meldete sich einer der dienstfertigen Kellner zu Wort, die stets und ständig allen Gästen jeden Wunsch von den Augen ablasen, »bis Sie das Rumpsteak probiert haben. Es ist heute besonders gelungen, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf ... Es stammt aus einer hervorragenden Quelle.« Er winkte affektiert mit den Händen. Die Nägel waren perfekt gepflegt, aber etwas zu lang, um unauffällig zu bleiben. »Nein, nein, fragen Sie nicht – unser Chefkoch gibt seine Bezugsorte niemals preis. Wie darf ich servieren? Ich empfehle Englisch.«
Also gut blutig, dachte Michel. »So mag ich es in der Tat am liebsten.«
Der Kellner lächelte breit und verschwand ebenso unauffällig, wie er gekommen war.
»Ich muss sagen«, säuselte Sonja, »dass du mich überrascht hast. Ich hab am Ende schon befürchtet, du führst mich in ein Drecksloch, aber hier ist alles wunderbar! Normalerweise nehme ich um diese Zeit ja nur noch Salat zu mir, aber ...«
Michel unterbrach sie mit einem gemurmelten Standard-Kompliment über ihre Figur, von wegen, dass sie eine Diät absolut nicht nötig habe und so weiter. Und das hatte sie auch wirklich nicht. Sie hob sich angenehm von jenen Hunger-Models ab, die seiner Meinung nach viel zu dürr waren, um potenziellen Liebhabern noch etwas zum Anfassen zu bieten.
Schneller als gedacht wurden ihnen die Rumpsteaks serviert – diesmal von einer Kellnerin, die der Schönheit ihres Vorgängers kein bisschen nachstand. Michel schaute ihren wiegenden Hüften nach, bis sich sein Blick an anderen Gästen fing. Er pfiff leise. Das war Belgiens berühmtester Showmaster, und mit ihm am Tisch saß diese Schauspielerin ... wie hieß sie doch noch ...
»Fan-tas-tisch!«, sagte Sonja. Sie kaute mit geschlossenen Augen. Auf ihrem Teller breitete sich unter ihrem Fleisch etwas mit Blut vermischte Soße aus; gerade wenig genug, um den Eigengeschmack nicht zu verderben. Zwiebeln dampften daneben.
Die Stimmung im Restaurant war prächtig. Aus einem Nebenraum drangen flotte Melodien; hin und wieder konnte man einen Blick durch die Schwingtür erhaschen und sah eine Menge Leute auf einer breiten Tanzfläche. Lachen hallte in der Luft.
So gut das Essen auch schmeckte, Michel war heilfroh, als sie den letzten Bissen vertilgt und sich in den...
Erscheint lt. Verlag | 2.12.2023 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-5936-0 / 3751759360 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5936-6 / 9783751759366 |
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Größe: 3,2 MB
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