Slawischer Frühling -  Nicolina Trunte

Slawischer Frühling (eBook)

Ein historischer Roman. Band II
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
522 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-7640-5 (ISBN)
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Der vorliegende zweite Band des Romans behandelt die Jahre 862 bis 917 nach den Erinnerungen des fiktiven Ich-Erzählers Grigorij. Soeben von einer diplomatischen Mission zu den Chazaren im Nordkaukasus zurückgekehrt, bietet sich unerwartet die Gelegenheit, die von den Slawenlehrern geschaffene Schrift im Reich des Fürsten Rastislaw einzuführen. Dabei wird Grigorij Augenzeuge vielfältiger Wirren und kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Slawen, Franken und Bulgaren, gelangt in das skandalträchtige Rom und wird selbst betroffen von der Landnahme der Ungarn, bevor er im Alter im Bulgarien Fürst Symeons des Großen in Ochrid zur Ruhe kommt. Der Roman besticht durch ungewöhnliche Detailtreue, fast alle auftretenden Personen und geschildeten Ereignisse sind historisch bezeugt oder zumindest wahrscheinlich. Der Roman bildet somit nicht nur eine spannende Lektüre, sondern für Leserinnen und Leser zugleich eine lehrreiche Erweiterung ihrer historischen Kenntnisse für eine Zeit und einen Raum, der sonst in deutscher Sprache so gut wie keine Aufmerksamkeit gefunden hat.

Ich bin Slawistin im Ruhestand. Nach Studium der allgemeinen und vergleichenden Sprachwissenschaft, der Slawistik mit Schwerpunkt Südslawistik und der Islamkunde, daneben, jedoch jeweils ohne Abschluss, auch der Romanistik, Byzantinistik, Neogräzistik, der Wissenschaft vom Christlichen Orient und der Orthodoxen Theologie war ich von 1980 bis 2013 am Slavistischen Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität angestellt und habe neben wissenschaftlichen Aufgaben regelmäßig und gern unterrichtet. Nach der Auflösung des Slavistischen Seminars und dem Eintritt des Rentenalters unterrichte ich seit 2014 bis heute weiterhin Kirchenslawisch am Slavischen Institut der Universität zu Köln.

Kapitel 20


Auf der alten Heerstraße


Es war einige Wochen später, wir saßen in gewohnter Runde zusammen und übersetzten Kirchenbücher ins Slawische. Nachdem wir ja schon auf dem Heiligen Berg das Festtagsevangelium, den Psalter und den Praxapostolos vollendet hatten, bemühten wir uns jetzt, was deutlich schwieriger war, um das Tropologion. Während draußen Sommerhitze brütete, so daß wir über die Kühle innerhalb der Klostermauern recht froh waren, beschäftigten wir uns mit dem Fest der Geburt unseres Herrn Jesus Christus. Das war der Wunsch Vater Methods, der hoffte, daß wir Weihnachten bereits im Kreise slawischer Brüder würden feiern können.

Die gewohnte Runde wie auf dem Heiligen Berg war es eigentlich nicht, denn zu den Vätern Konstantinos und Methodios, den Brüdern Kyriakos, Nikitas und Anastasios sowie mir war als siebter Bruder Savvas gestoßen, der nach der Rückkehr von seiner Mission zu den Ros Vater Methodios in sein Kloster Polychronion gefolgt war Er nannte uns spöttisch die Sieben Säulen der Weisheit. Das mochte überheblich klingen, aber eigentlich stimmte es ja: wir waren die Bauleute am Tempel, den nach den Sprüchen Salomons die Weisheit für die Slawen zu errichten sich anschickte.

An diesem Tage aber fehlte, als wir uns versammelten, gerade Savvas. Er erschien aber bald darauf in Begleitung eines mardaitischen Marineoffiziers, den er uns als Jūanān vorstellte. Er war ihm – die Welt (wəsə mirɐ) ist wirklich nur ein großes Dorf – auf der Straße begegnet und hatte ihn als jenen Offizier wiedererkannt, der ihn seinerzeit, als er noch Muslim war, gefangengenommen hatte, bevor er Christ und Mönch wurde.

„Jūanān ist gerade mit einem Schiff aus Venedig gekommen und bringt Neuigkeiten, die für uns von Belang sind“, erläuterte Bruder Savvas.

„Das ist richtig. Nachdem ich von eurem Bruder Savvas erfahren hatte, daß ihr beabsichtigt, über Venedig in das Slawenland zu reisen und dabei darauf vertraut, daß Karlomannus, der Präfekt des Ostlandes, eure Weiterreise nach Morisena urbs nicht behindern wird, solltet ihr wissen, daß Karlomannus von seinem Vater Hludowicus nach Ratisbona befohlen worden und nach Zusicherung freien Geleits dorthin abgereist ist. Man mutmaßt, daß Karlomannus sich seinem Vater unterwerfen wird, so daß ihr auf der Weiterreise nach Morisena wohl nicht mehr mit dem eurem Unternehmen eher geneigten Karlomannus zu tun haben werdet, sondern mit den Männern des Frankenkönigs Hludowicus.“

Es war in der Tat so, daß wir über Venedig ins Slawenland reisen wollten. Denselben Weg hatte, wie wir von Slawomir wußten, die slawischen Gesandtschaft auf dem Wege zu uns genommen, auf Römerstraßen nach Venedig, dann auf dem Seeweg in die Kaiserstadt. Das war zwar der längste der möglichen Reisewege, er galt aber als der sicherste. Die einzige Gefahr drohte hier von slawischen Seeräubern vom Flusse Narenta oder Naron, den die dortigen Slawen Neręty nennen. Die aber beraubten wohl venezianische Kauffahrteischiffe, trauten sich aber nicht an wehrhafte romäische Dromonen, die zudem eher wenig Beute versprachen. Wir kämen also allemal sicher nach Venedig, unsere Mission könnte aber auf dem Landwege in Schwierigkeiten geraten, wenn Hludowics Leute die Straßen durch Pannonien kontrollierten und uns unter dem Vorwand, unsere Sicherheit nicht gefährden zu wollen, an der Weiterreise nach Moravien hinderten.

Vater Konstantinos sah das Problem und sandte sogleich einen Bruder zu Photios, und schon tags darauf trafen wir erneut mit Seiner Heiligkeit und Käsar Vardas zusammen. Es war Vardas, der, nachdem Vater Konstantinos von den neuen Erkenntnissen berichtet hatte, das Wort ergriff.

„Unter diesen Umständen ist es wohl doch empfehlenswert, den noch dazu kürzesten Weg auf der alten Heerstraße zu wählen, auch wenn diese quer durch heute bulgarisches Gebiet führt. Ihr reist als kaiserliche Gesandte und seid als solche vor Übergriffen sicher, zumal unsere Beziehungen zu den Bulgaren seit den letzten Friedensverträgen vor zehn Jahren ungetrübt sind. Auch ist trotz territorialer Zugeständnisse, der Überlassung von Gebieten südlich von Develtos an Chan Boris, Thrakien großenteils weiterhin in unserer Hand, und die Bulgaren werden sich hüten, daran etwas zu ändern. Bei feindlichen Aktivitäten ihrerseits müßten sie mit umgehenden Reaktionen rechnen. Der Weizen steht noch auf dem Halm, und sie wissen, daß durch Handelsverträge abgesichert, sie ihren Anteil daran erhalten werden, auf den sie im Winter ja angewiesen sind. Auf Reichsgebiet ist die Straße, wie mir der Logothet des Wegenetzes versichert, in gutem Zustand; ihr findet überall Pferdewechselstationen und Gasthäuser. Erst hinter Philippupolis und um Serdica ist die Straße infolge der seinerzeitigen kriegerischen Auseinandersetzungen und der Tatsache, daß diese Gebiete der Herrschaft des Reiches entglitten sind, nicht mehr ausreichend gewartet worden, aber auch die Bulgaren nutzen die Wege und haben sie sicher nicht völlig verkommen lassen. Mit Wagen kämt ihr zwar nicht mehr überall durch, aber zu Pferde müßtet ihr ohne größere Probleme Viminacium am Danuvius erreichen können. Ob freilich es dort noch eine Schiffsbrücke gibt, ist zweifelhaft, aber eine Fährverbindung wird sich finden, wenn nicht dort, dann in Alba Bulgarica. Jenseits des Stromes befindet ihr euch bereits in Großmoravien. Länger als einen Monat werdet ihr für den Weg kaum brauchen.“

„Und wie sind die Beziehungen zwischen Bulgaren und Morawern heute?“ fragte Vater Konstantinos.

„Sie sind Konkurrenten um die Vorherrschaft über die Slawen, seit Mojmir im Zentrum des untergegangenen Awarenreiches seine Herrschaft aufgerichtet hat. Die Beziehungen der beiden Nachbarn zueinander waren meistens friedlich und sind es auch heute. Nur als vor fast vierzig Jahren die bis dahin bulgarischer Herrschaft unterstehenden Stämme der Abodriten, Timočanen und Braničewer das bulgarische Joch abschütteln und sich dem morawischen Fürsten Mojmir unterstellen wollten, kam es zu kriegerischen Zusammenstößen, wobei die bulgarische Flotte den Dravus aufwärts weit in slawisches Gebiet hinein vorgedrungen ist und Teile vorübergehend besetzt hielt. Allein das von den Slawen Bälgrad genannte Singidunum sichert seither als Alba Bulgarica die Grenze des Bulgarischen Reiches gegen Großmoravien und das Frankochorion zwischen Danuvius und Savus.“

„Dann ist wohl klar, daß wir auf diesem Wege reisen sollten“, meinte Vater Konstantinos.

„Ja, und zwar möglichst bald“, fügte Photios hinzu. „Wir wissen nicht, was bei den Verhandlungen in Ratisbona herauskommen wird, aber ich gehe davon aus, daß König Hludowicus sich gegen seinen Sohn durchsetzt. Der Konflikt zwischen Franken und Morawern erledigt sich damit aber nicht. Wir müssen damit rechnen, daß es über kurz oder lang wieder zu Krieg kommt, wobei immer auch die Gefahr besteht, daß Hludowicus sich mit Boris gegen Rastislaw verbünde. Seit sieben Jahren herrscht Friede zwischen Bulgaren und Franken, nachdem es Hludowicus gelungen war, die Kroaten gegen die Morawer zu hetzen und damit das morawisch-bulgarische Bündnis gegen die Franken aufzubrechen. Auf sich allein gestellt haben da die Morawer eine böse Niederlage einstecken müssen. Aus jenem Frieden der Bulgaren mit den Franken kann jederzeit leicht ein gegen die Morawer gerichtetes Bündnis werden. Damit aber würde eine Konstellation wiedererstehen, wie sie vor sechs Jahrzehnten zu der tiefsten Erniedrigung kaiserlicher Politik durch Franken und Bulgaren geführt hat. Zwar richtete sich solch ein Bündnis heute nicht gegen das Reich, aber es könnte uns dennoch nicht gleichgültig sein, denn es liegt in unserem Interesse, daß Moravien als eigenständiger Staat erhalten bleibe und Franken und Bulgaren voneinander trenne.“

„Das ist richtig“, stimmte Vardas zu. „Militärisch dürften wir uns in einen möglichen Konflikt nicht einmischen und könnten den Morawern nicht helfen, denn unsere Kräfte sind noch immer im Osten durch den Emir von Melitini und die von ihm geschützten Paulikianer gebunden. Wir dürfen nicht einmal in den Verdacht geraten, uns in den Konflikt einmischen zu wollen, sonst stünde zu befürchten, daß Boris mit Heeresmacht den Krieg um Thrakien wieder aufnehmen würde.“

Tatsächlich versprach der Plan, den Photios ausgearbeitet hatte, am ehesten Erfolg bei der Durchsetzung der Interessen des Reiches. Wenn der Papst sich dafür gewinnen ließe, würden die Ambitionen der Franken am mittleren Danuvius auf den Widerstand des Papsttums stoßen und eine Vereinigung der fränkischen Truppen mit den bulgarischen würde unmöglich.

„Vermutlich wird auch Karlomannus, selbst wenn er Hludowicus wieder einmal einen Treueid leisten sollte“, warf Photios ein, „auch den mit...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7583-7640-8 / 3758376408
ISBN-13 978-3-7583-7640-5 / 9783758376405
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