Flegeljahre -  Jean Paul

Flegeljahre (eBook)

Bearbeitet von Bille Imfluss

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
236 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-8426-0 (ISBN)
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Der Roman Flegeljahre ist eine Biografie. Sie handelt von Walt, dem weichen, zarten Juristen mit Hang zur Poesie ("Streckverse"), und von seinem wilden Zwillingsbruder Vult, dem satirischen Flötisten. Beide, Walt und Vult, sind wohl ein Teil Jean Pauls, und so ist diese Biografie auch eine Autobiografie. Jean Paul lebte in seinen Büchern und lässt die Zwillinge ebenfalls an einem Buch schreiben. - Leider bleibt ihr Buchprojekt Hoppelpoppel erfolglos. Die Brüder kommen mit dem Schreiben nicht voran, und kein Verleger zeigt Interesse an diesem Mix aus Gefühl und Satire. Doch die Zwillinge bleiben ihrem Wesen treu: der sanfte, gefühlvolle Walt und der satirisch harte, in sich zerrissene Vult - kein Zusammenleben ist denkbar, und so enden die Flegeljahre, wie sie enden müssen ... Jean Paul: "Keine Hand kann den poetischen, lyrischen Pinsel fest halten und führen, in welcher der Fieberpuls der Leidenschaft schlägt. Der bloße Unwille macht zwar Verse, aber nicht die besten; selber die Satire wird durch Milde schärfer als durch Zorn, so wie Essig durch süße Rosinenstiele stärker säuert, durch bittern Hopfen aber umschlägt." Der Roman beginnt wie ein Märchen: Dem einfältig-arglosen, herzensguten, blonden Bürschchen winkt eine dicke Erbschaft, wenn es einige Aufgaben erfüllt ... - Und Walt ist ja wirklich bemüht, all diesen Anforderungen gerecht zu werden, doch kommt immer irgendetwas dazwischen. - Jean Paul: "Im Grunde muß jede Hauptmaterie für einen Autor nur das Vehikel und das Pillensilber und der Katheder sein, um darin über alles andere zu reden." Für die Kürzungen im Buch zeigt er Verständnis. Jean Paul: "Ich habe mich und den Leser schläfrig geschrieben. - Morgen mehr!"

Nr.51 AUSGESTOPFTER BLAUMÜLLER


Entwicklungen der Reise – und des Notariats

Der Notar glaubte wie ein erwachter Siebenschläfer eine ganz umgegossene Stadt zu durchtreten, teils weil er einige Tage daraus weggewesen, teils weil eine Feuersbrunst, obwohl ohne Schaden, da gehauset hatte. Noch in den Gassen blieb er auf Reisen.

Auch zog das Volk, durchs Feuer aus der Alltäglichkeit aufgerissen, gescharet hin und her, um das Unglück zu besehen, das hätte geschehen können. Walt lief zuerst zum Bruder mit dem größten Drange, dessen Neugierde unglaublich zu spannen und zu stillen. Vult empfing ihn ruhig, sagte aber von sich, er sehe erhitzt aus und gebe das glühende Gesicht der Feuers-Not schuld. Der Notar wollte ihn sofort mit den erlebten Reise-Wundern in die Höhe schrauben und droben erquicken; er schickte daher die lockendsten Ankündigen voraus, indem er sagte:

„Bruder, ich habe dir Sachen zu melden, in der Tat Sachen“ – „Auch ich“, unterbrach Vult, „bin mit einigen sieben Wundern der Welt versehen und kann erstaunen lassen. Nur erst das erste! Flitte genas! Noch staunt und starret die Stadt.“ - „Unter dem Lazarus-Tor sah ich ihn schon am Schalloch stehen“, versetzte Walt, eilig wegredend. – „Das ist ganz natürlich“, fuhr jener fort. „Denn der Doktor Hut, ein wahrer Chapeau wie wenige, hat ihn wieder auf die Hinter-Beine gebracht, so daß der Testator sich selber beerbt als allernächster Anverwandte und du so wenig bekommst als der Rest. Wie freilich darüber die alten Ärzte, besonders die ältesten, welche in jeder Stadt als ein wahrer Rat der Alten einen Alterserlaß (veniam aetatis) nicht von 20, sondern von allen irdischen Jahren dem jüngsten erteilen und so die Sterblichkeit der Einwohner köstlich mit der Unsterblichkeit verknüpfen, wie sie, sag’ ich, darüber, daß ein so junger Wicht einen nicht ältern herstellte, außer sich sein müssen: dies kann man ganz natürlich noch wenig oder nicht bestimmen, bevor gar eine bekannte Arbeit von Flitte gedruckt und bekannt geworden. Es hat nämlich der Elsasser eine schwache Danksagung ein paar Male umgearbeitet, worin er im Reichs-Anzeiger (Doktor Hut schießt die Inserats-Gelder her) mitten vor der Welt Huten gerührt genug dankt und beteuert, nie könn’ ers ihm lohnen, was ein so wahres Gefühl ist, da er nichts hat.“

Walt konnte sich nicht länger eindämmen: „Liebstes Brüderlein,“ begann er, „wahrlich mehr deinen Einfällen als deinen Berichten horch’ ich zu; denn das, was ich dir zu erzählen ... Deinen Brief nämlich mit dem Wundertraum hab’ ich wirklich und in der Tat empfangen; aber was wäre bloß dies? Eingetroffen ist er von Punkt zu Punkt, von Komma zu Komma; höre nur!“

Er legte ihm jetzt die Spiel-Wunder zum ersten Male vor – dann (wegen der verworrenen Wellen der alles heranschwemmenden Flut) – zum zweiten Male. Kein Abenteuer, selber das schlimmste, ist je so selig zu erleben als zu erzählen. Ja er hätte beinahe von Winas liebendem Blick unter dem Wasserfalle in seinem Sturm den Schleier gehoben, hätt’ er nicht auf dem ganzen Wege, mit Wina an einer Hand und mit Vulten an der andern, das Wichtigste vorläufig bedacht und sich die stärkstenGründe eingeprägt gehabt, daß er durchaus Wina in den General einkleiden müsse und Empfindungen, obwohl nicht Tatsachen, unterschlagen; so gern er auch in das einzige ihm vom Leben aufgeschloßne Herz die beiden Arme seines in Liebe und in Freundschaft geteilten Stroms ergossen hätte.

„Aus deinen Abenteuern in Bezug auf meinen Brief“, sagte Vult, „mach’ ich eben nicht das Meiste – ich lege dir nachher eine sehr gute Hypothese darüber vor –, hingegen in Jakobinens ‚Stell-dich-ein’ säh’ ich mit Freuden klärer.“ Walt erzählte dann den Nachtbesuch ganz wahr, hell und leicht und vergaß keine einzige Empfindung dabei.

„Nichts will ich leichter erklären“, fing endlich Vult an. „Kann denn nicht ein Kerl, der alle Verhältnisse weiß, dir durch Wälder und Felder immer drei Schritte nach- oder vorgeschlichen sein – mit der Flöte geblasen haben – deinen Namen in den Krügen und Hotels vorausgesagt – und so fort? - „Unmöglich!“ sagte Walt. „Und vollends der Larvenherr?“ – „Hast du die Larve etwa in der Tasche?“ sagte Vult. Er zog sie hervor, Vult drückte sie vor das Gesicht, funkelte ihn darhinter mit Zorn-Augen an und rief wild mit bekannter Stimme des Larvenherrn: „He? Bin ichs? – Wer seid ihr?“ – „Himmel, wie wäre denn das?“ rief der erschrockene Walt. – Sanft hob Vult die Larve ab, sah ihn ganz heiter an und sagte: „Ich weiß nicht, was deine Gedanken über die Sache sind; ich sentiere, daß sowohl der Larvenherr und Flötenspieler als auch ich und der Briefschreiber dieselben Personen sind.“ – „Mein Verstand steht still“, sagte Walt. „Kurz, ich wars,“ beschloß Vult. Aber der Notar wollte seiner eigenen Bestürzung nicht recht glauben:

„Etwas Wunderbares“, sagte er, „steckt gewiß noch hinter der Zauberei; und warum hättest du mich überhaupt so sonderbar hintergangen?“

Aber Vult zeigte, daß er ihm einige Lust zuwenden, ja einige Unlust ersparen wollen. Er fragte schelmisch-blickend, ob er nicht zur rechten Zeit seine Maske ins Zimmer geworfen, ehe Jakobine die ihrige fallen lassen.

Endlich sagte er gerade heraus, die Klausel des Testaments, welche für Fleisches-Sünden um halbe Erbschaften bestrafe, sei allgemein bekannt, und Walt sei leider stets sehr unschuldig, auf nichts aber werde in einer Aktion öfter und besser geschossen als auf Schimmel wegen der Farbe der Unschuld – die sieben Erben decken, wie kluge Feldherrn, ihr Lager mit Morast – „kurz,“ beschloß er, „wie Taubenhändler wahrhaft betrügen und zwei Täubinnen oft für ein ordentliches Paar Ehetauben ausgeben:

hätte man es mit dir und der Aktrice nicht ebenso machen können, wär’ ich dir nicht nachgereiset?“ – Da wurde der Notar blutrot vor Scham und Zorn, sagte: „O garstig über die Maßen“ – und setzte unter dem Umherfahren nach dem Hute hinzu: „In diesem Lichte steht ein armes Mädchen bei dir?“ – und dein eigner Bruder dazu?“ – lief fort – sagte wild weinend: „Gute Nacht; aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“ – und ließ keiner Antwort Zeit. Vult ärgerte sich fast über den unvermuteten Zorn.

„Ich, ich?“ – wiederholte Walt auf der Gasse innigst-verletzt – „ich hätte mich versündigen sollen an einem Tage, wo mir Gott den rührendsten Reise-Abend bescherte und die fromme Wina mir so nahe lebte? – Das wolle Gott nicht!“ –Als er aber in sein Stübchen trat: überflog ihn eine ganz besondere Seligkeit und zehrte den Schmerz auf: – eine neue Empfindung wird an einem alten Orte lebendiger; – es war Winas guter Blick unter dem Wasserfalle, der jetzt ein ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden überstrahlte und alle Taublumen darin blitzen ließ. Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen geworden so wie neu: der Park unten, in dessen Gängen er sie einmal gesehen, und Raphaela im Hause, die ihre Freundin war, gehörten unter die Habseligkeiten seiner Brust. Selber seinen eignen Roman Hoppelpoppel kannte er kaum mehr, auf so neue Gemälde des liebenden Herzens stieß er jetzt darin, von denen er erst diesen Abend recht faßte, was er neulich etwa damit haben wollen; nie fand ein Autor einen gleichtöniger gestimmten Leser als er heute. Er bauete sich sogleich ein zartes Bilderkabinet für die Gemälde von den Auftritten, die Wina vermutlich diesen Abend haben könnte; z.B. im Schauspielhause, oder in den Leipziger Gärten, oder in einer gewählten Gesellschaft mit Musik. Darauf setzte er sich hin und beschrieb es sich mit Feuerfarben, wie ihr etwa heute sei in Glucks Iphigene auf Tauris; dann machte er selige Gedichte auf sie; dann hielt er die Papiere voll Eden ins Tageslicht und verkohlte alles, weil er, sagt’ er, nicht einsehe, mit welchem Rechte er ohne ihr Wissen so vieles von ihr offenbare, ihr oder andern.

Als er zu Bette ging, verstattete er sich, Winas Träume sich zu erträumen.

„Wer kann mir verbieten,“ sagt’ er, „ihre Träume zu besuchen, ja ihr sehr viele zu leihen? Ist der Schlaf vernünftiger als ich? O sie könnte im wilden Wahnsinn desselben ja recht gut träumen, daß wir beide unter dem Wasserfalle ständen, verbunden aufflögen in ihm, umarmend hinschwämmen auf seinem flüssigen Feuergolde und zum Sterben herabstürzten mit ihm und vergöttert still nun weiter flössen durch die Blumen, in den Strahlen, sie mit ihrer Welle in meine schimmernd, und wir so uns ineinander verrönnen in das weite hohe blaue reine Meer, das sich über die schmutzige Erde deckt. Ach, wenn du so träumen wolltest, Wina!“...

Erscheint lt. Verlag 7.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-7578-8426-4 / 3757884264
ISBN-13 978-3-7578-8426-0 / 9783757884260
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