Die Kälte der Mur (eBook)
256 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-076-1 (ISBN)
Gudrun Wieser, geboren 1987 in Frohnleiten, machte ihre Matura bei den Ursulinen in Graz (damals noch eine reine Mädchenschule), darauf folgte das Lehramtsstudium für Deutsch und Latein an der Karl Franzens Universität in Graz. Aus Leidenschaft für die alten Sprachen hängte sie 2017 noch ein Doktorat in Klassischer Philologie (Latein) in Graz und Wien an. Als Lehrerin verschlug es sie nach einem Abstecher als Lektorin an der Universität und mehreren Sprachkursen an der Urania an das geschichtsträchtige Akademische Gymnasium Graz, wo sie nun Latein, Deutsch, Interkulturelles Soziales Lernen und Darstellendes Spiel unterrichtet. Daneben tritt sie als Erzählerin allein und als Duo Wieser&Wiesler mit der Schauspielerin und Autorin Marion Wiesler auf.
Gudrun Wieser, geboren 1987 in Frohnleiten, machte ihre Matura bei den Ursulinen in Graz (damals noch eine reine Mädchenschule), darauf folgte das Lehramtsstudium für Deutsch und Latein an der Karl Franzens Universität in Graz. Aus Leidenschaft für die alten Sprachen hängte sie 2017 noch ein Doktorat in Klassischer Philologie (Latein) in Graz und Wien an. Als Lehrerin verschlug es sie nach einem Abstecher als Lektorin an der Universität und mehreren Sprachkursen an der Urania an das geschichtsträchtige Akademische Gymnasium Graz, wo sie nun Latein, Deutsch, Interkulturelles Soziales Lernen und Darstellendes Spiel unterrichtet. Daneben tritt sie als Erzählerin allein und als Duo Wieser&Wiesler mit der Schauspielerin und Autorin Marion Wiesler auf.
1
… in welchem die Toten stückweise auftauchen und vorerst niemand weiß, was man mit ihnen anfangen soll …
Im Grunde hatte der Mord an Leutnant Vocelka gar nichts mit den grausigen Funden zu tun, welche der Gendarmerie von Gratwein monatelang das Leben schwer machten. Dennoch wäre die eine Sache wohl nicht ohne die andere rechtzeitig aufgeklärt worden. Und wer weiß, welches noch größere Unheil sich dann zugetragen hätte.
Die ganze Angelegenheit begann, als der Gendarm Wilhelm Koweindl von der völlig aufgelösten Schusterswitwe Magdalene Ertl aufgesucht wurde, die ihn mit äußerstem Nachdruck dazu drängte, sich einen gewissen Fund am Murufer anzusehen.
Eigentlich war sie nur wieder auf der Suche nach einem der Gemeindekinder gewesen, die ihr seit dem Tod ihres Mannes zur Pflege und als Zuverdienst anvertraut worden waren und ihr aus Gründen, die nie eine vollständige Aufklärung erfahren hatten, regelmäßig entwischten. Natürlich wusste sie, an welchen Orten sich die Bengel am liebsten herumtrieben, wenn sie sich vor ihren Schlägen oder der Arbeit drückten, doch diesmal hatte sie eine Entdeckung ganz anderer Art gemacht.
Lieber hätte der Gendarm sich in diesem Moment seiner Jause gewidmet, denn seit er einen minderjährigen Hühnerdieb dingfest gemacht hatte, brachte ihm der dankbare Kernbauer immer wieder ein paar Eier und Würste mit, wenn er zum Markt fuhr. Doch vor der Schusterswitwe gab es kein Entrinnen. Ehe die Frau womöglich ihre Drohung wahr machte und in seiner Amtsstube einem hysterischen Anfall erlag, folgte ihr Wilhelm lieber zur Mur hinunter.
»Na, Herr Gendarm, was ist das? Sagen Sie mir, was das ist!«, wiederholte die Frau ein ums andere Mal und deutete mit anklagend ausgestrecktem Finger auf etwas gräulich Bleiches, das im seichten Wasser lag.
»Gnädige, jetzt beruhigen Sie sich einmal«, sagte er mit aller amtlichen Strenge.
Ein Übermaß an Eile hatte noch keinen Sachverhalt befriedigend aufklären können.
»Da, schauen Sie!«, persistierte die Witwe.
Mit einem Blick, als überlegte er, ob er nicht einfach wieder kehrtmachen und sich seiner eigentlichen Arbeit widmen sollte, brachte er sie endlich zum Schweigen.
Seit dem letzten Unwetter hatte sich an dieser Stelle, wo die Mur eine Kurve Richtung Gratkorn beschrieb und das Zigeunerloch sich weithin sichtbar in den Felsen bohrte, eine Schotterbank gebildet. Sehr zur Freude der Buben der Umgebung, die nun nach Herzenslust Dämme bauen und alle möglichen selbst konstruierten Boote und Flöße schwimmen lassen konnten; die Leute, welche den Fluss als Transportweg benötigten, waren darüber weniger begeistert.
Vorsichtig trat Wilhelm einen Schritt näher, balancierte mit vorgebeugtem Oberkörper auf einem Stein, um nicht ins Wasser steigen zu müssen. »Das ist …« Er beendete den Satz nicht, denn als ihm klar wurde, was da vor ihm lag, zuckte er dermaßen zusammen, dass er ausglitt und sich nur mit einem wagemutigen Ausfallschritt seiner langen Beine vor einem Sturz retten konnte. Allerdings stand er danach knöcheltief im kalten Wasser der Mur, und nur mit Mühe konnte er Haltung und Anstand bewahren.
»Haben Sie es gesehen? Das ist doch …«
»… eine Hand«, beendete Wilhelm den Satz.
Das Wasser kroch klamm seine Hosenbeine empor, seine Schuhe – die einzigen, die er besaß – würden wohl tagelang nicht mehr trocken werden.
»Und was machen wir jetzt?«, wollte die Schusterswitwe wissen.
»Ich kann Sie beruhigen, gnädige Frau, Sie müssen gar nichts machen«, erwiderte Wilhelm nur mit einem Stoßseufzer gen Himmel. Für ihn selbst bedeutete dies, dass er sich nun überlegen musste, wie er dieses offenbar bereits im Verwesungszustand befindliche Körperteil vorschriftsgemäß an Land holte. Weiter musste er so rasch wie möglich Meldung erstatten und herausfinden, wem denn kürzlich eine Hand abhandengekommen sein könnte. Ein solcher Verlust konnte ja schwerlich unbemerkt bleiben.
Die Witwe Ertl ließ es sich nicht nehmen und beobachtete höchst interessiert, wie Wilhelm erst einige Minuten sinnend im Wasser stehen blieb (nasser konnte er ohnehin nicht mehr werden), ehe er kurz entschlossen die Ärmel seines Uniformrocks hochschob und mit zusammengekniffenen Lippen die Hand aufhob. Dann wandte sie sich ab und eilte von dannen, gewiss, um noch vor dem Mittagsläuten möglichst vielen Leuten von ihrer grausigen Entdeckung zu berichten.
Eine genauere Betrachtung des Fundstücks sparte Wilhelm sich vorerst. Dieses Sinnbild menschlicher Vergänglichkeit weit von sich gestreckt, marschierte er mit langen, triefenden Schritten zum Gendarmerieposten zurück, wo er mangels einer besseren Idee die Hand auf einen Teller legte, auf welchem eine Stunde zuvor noch eine vielversprechende Jause auf ihn gewartet hatte. Wurst und Eier hatten inzwischen ihren Weg in den Magen des jungen Leopold Leitner gefunden, der seit kurzer Zeit dem Posten Gratwein als Probegendarm zugewiesen war.
Wer jenen Burschen zum ersten Male zu Gesicht bekam, mochte vielleicht meinen, dass sich jemand einen Spaß erlaubte und in einer womöglich widerrechtlich angeeigneten Uniform sein Unwesen trieb. Leopold nämlich sah so wenig wie ein Gesetzeshüter aus, wie man es sich nur vorstellen konnte. Mit engelsgleich goldgelocktem Haupthaar und einem Milchbart, welcher schwerlich der Bezeichnung wert war, glaubte man ihm kaum seine vorschriftsmäßigen vierundzwanzig Jahre, die ihn zum Eintritt in ein Gendarmeriekorps berechtigten. Hinzu kamen Sanftmut, Geduld und Freundlichkeit in einem solchen Maße, dass sich Wilhelm heimlich fragte, ob der Bursche nicht in einem Priesterseminar besser aufgehoben wäre. Ganz zu schweigen von seiner geradezu unverschämt schönen Handschrift und exzellenten Beurteilungen in allen Fächern.
Leopold unterbrach seinen Bericht, an dem er schrieb, und erhob sich zum Gruß. Auch das geforderte militärische Verhalten wirkte an ihm irgendwie fehl am Platz. »Was soll das sein?«, fragte er, als er des überraschenden Fundes ansichtig wurde.
»Wonach schaut’s denn aus?«
Leopold zögerte. »Eine Hand?«
Ein unangenehmer Geruch begann sich langsam, aber deutlich auszubreiten.
»Na gratuliere«, brummte Wilhelm und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Mit einem leichten Würgen in der Kehle schaute er auf das makabre Stück Fleisch auf seinem Teller herab.
Bei näherer Betrachtung ließ sich erkennen, dass es sich um eine linke Hand handelte, die ein gutes Stück oberhalb des Handgelenks abgetrennt worden war. Auch wenn das Fleisch von der langen Zeit im Wasser aufgequollen und verfärbt war und den Blick auf helle Knochenfragmente freigab, konnte man erahnen, dass dafür ein halbwegs ordentliches Werkzeug, ein scharfes Messer und womöglich eine Säge, verwendet worden war. Jedenfalls war die Hand nicht lediglich mit roher Gewalt vom restlichen Körper getrennt worden.
»Wem gehört die denn?«
Wilhelm zuckte nur die Schultern. Vielleicht wäre es nun seine Aufgabe gewesen, dem jüngeren Kameraden eine Lektion in Sachen kluger und dummer Fragen zu erteilen, aber auf die Schnelle fiel ihm da auch nichts Passendes ein. Stattdessen versuchte er mit Hilfe eines Bleistifts – denn mit bloßen Fingern hätte er die Hand um nichts in der Welt mehr anfassen wollen – diese zur genaueren Inspektion herumzudrehen.
Als die Innenfläche sichtbar wurde, sogen beide Männer scharf die Luft ein. Nicht nur, weil sich irgendein bleiches Gewürm auf dem Teller regte, sondern weil nun erst sichtbar wurde, dass ein ungefähr viereckiges Stück Haut fehlte.
»Hat das jemand … abgefressen?«
Wilhelm warf dem Burschen, der sonst manchmal recht annehmbare Schlüsse zog, einen mitleidigen Blick zu. »Welches Vieh frisst denn bitte im Quadrat?« Zweifelsohne hatte ihn dieser Anblick mehr mitgenommen, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.
»Das heißt, jemand hat der Hand … also eigentlich der Person, der die Hand einmal gehört hat, die Haut abgezogen.« Leopold beugte sich über den Teller. »Man kann die Sehnen sehen.«
Wilhelm gab einen unartikulierten Laut von sich. Lieber wollte er sich tagelang durchs Gedachs schlagen, um irgendeinen Wilderer einzufangen, als sich nun mit dieser Hand auseinandersetzen zu müssen. Vor allem, da sich die Frage aufdrängte, wo sich wohl der Rest dieser Person befand.
»Ich denke, die Hand gehörte einer Frau«, fuhr Leopold fort, indem er seine eigenen Extremitäten zum Vergleich heranzog. »Und es muss eine arbeitende Frau gewesen sein, keine feine Dame. Eine Linkshänderin, würde ich sagen.«
Wilhelm, der dem Jüngeren mit gerunzelten Brauen gelauscht hatte, fuhr ungehalten auf: »Wir haben nicht mehr als eine linke Hand, da kannst du das leicht behaupten! Lernt man jetzt in der Ausbildung auch die Hellseherei?«
»Nein. Verzeihung.«
Leopolds knabenhaft betretene Miene ließ seinen Unmut sogleich wieder verblassen und entlockte Wilhelm ein Schmunzeln. Wenn er ehrlich war – was er jedoch niemals zugegeben hätte –, war es lediglich die Art, wie der junge Mann die Dinge betrachtete und sogleich eine Erkenntnis daraus ableiten konnte, die ihn aufregte. Bisher hatte er nämlich nur eine einzige Person kennengelernt, die auf diese Weise denken und kombinieren konnte, und das war Ida Fichte. Allerdings hatte er sich zuletzt alle Gedanken an diese Frau verboten, weshalb der Name vorerst auch nicht weiter erwähnt werden soll.
»Schon gut. Bitte erklär mir, wie du darauf kommst.«
»Ich kann mich natürlich irren«, räumte Leopold ein, »aber da, auf der Fingerspitze, auf dem Mittelfinger, ich nehme an, das ist Hornhaut, wie auf den...
Erscheint lt. Verlag | 24.8.2023 |
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Reihe/Serie | Historischer Kriminalroman |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | COSY • Familiengeheimnis • Graz-Krimi • Historischer Kriminalroman • Ironisch-sarkastisch • Krimi • Krimi mit Humor • Liebe und Leidenschaft • Medizin • Mord • Mur • Mystery • Österreich • Spannung • Steiermark |
ISBN-10 | 3-98707-076-5 / 3987070765 |
ISBN-13 | 978-3-98707-076-1 / 9783987070761 |
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