Die Reise der Heilerin (eBook)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
416 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3356-1 (ISBN)

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Die Reise der Heilerin - Dagmar Trodler
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Dunkelstes Mittelalter, wilde Normannen und die fesselnde Geschichte einer jungen Heilerin.
Salerno im Jahre 1085. Die Nachrichten aus dem byzantinischen Kriegsgebiet sind schlecht: Herzog Robert Guiscard liegt im Sterben. Die junge Heilerin Ima von Lindisfarne wird gebeten, die Herzogin zu Robert zu begleiten. Auch Gérard de Hauteville begibt sich auf die gefährliche Reise, um die heimlich verehrte Ima zu beschützen. Als sie Roberts Heerlager erreichen, geraten Ima und Gérard jedoch in eine unfassbare Intrige. Unter barbarischen Kriegern auf sich gestellt, muss Ima bald das gewagteste Spiel ihres Lebens spielen ...
Das Buch erschien vormals unter dem Titel 'Die Totenfrau des Herzogs'.         



Dagmar Trodler, 1965 in Düren/Rheinland geboren. Sie arbeitete zunächst als Krankenschwester und studierte Geschichte und Skandinavistik. Sie lebt heute meistens auf Island. Gleich ihr erster Roman »Die Waldgrä?n« wurde ein Bestseller. www.dagmar.trodler.de

Erstes Kapitel


Was da ist, ist längst mit Namen genannt, und bestimmt ist, was ein Mensch sein wird.

Darum kann er nicht hadern mit dem, der ihm zu mächtig ist.

(Prediger 6,10)

Das Lied der Nachtigall glich einer verhaltenen Klage. Einsam saß sie irgendwo zwischen den Ästen des Olivenbaums, ein kleiner, unscheinbarer Vogel, in seinem grauen Federkleid perfekt mit den silbrigen Blättern verschmolzen. Aus diesem Versteck warf er seine feine Stimme mutig der Nacht entgegen. Perlend rollten die Töne am Mond entlang, tropften zur Erde herab. Sie schmolzen zu Tränen, erwuchsen aus tiefer Kehle und verwandelten sich in Schluchzer, die von der leisen Melodie aufgefangen wurden wie von einem zart gewebten Gespinst aus Hoffnung …

Ima lehnte sich gegen die Mauer. Die Steinstufen hatten die Hitze endgültig an die Nacht abgegeben und sich für den neuen Tag gereinigt und bereit gemacht. Ihre Kühle ließ Ima erschaudern, doch nicht genug, um aufzustehen. Eigentlich war sie sehr müde. Nachdem sie die halbe Nacht bei einer schweren Geburt Beistand geleistet und das Leben der Mutter nur mit knapper Not gerettet hatte, war ihr der Weg ins Bett zu schwer gefallen. Viel zu aufgewühlt hatte sie auf der Treppe einen Becher Wein getrunken, um zur Ruhe zu kommen, und war ins Träumen geraten, als die Nachtigall zu singen begonnen hatte. Vielleicht war sie auch darüber eingenickt.

Ein früher Morgenwind ließ sie erschaudern, und sie zog die Tunika enger um ihre Schultern. Man fror immer, wenn man müde war, doch Müdigkeit lähmte auch, und so fror man lieber, als dass man sich bewegte. Seufzend zog sie die Beine noch dichter an den Leib. Sanft klang die Stimme der Nachtigall. Sie streichelte ihre müden Sinne, verständnisvoll und beruhigend. Die Perlen netzten ihre Wangen. Das Lied aus den Bäumen war wie die Tropfen einer wohltuenden Medizin, und so blieb sie sitzen, wo sie sich vor Stunden niedergelassen hatte, um nachzudenken und in die Nacht hinauszuträumen, die Gedanken schweifen und sich von der Medizin heilen zu lassen.

Der Jasmin in Trotas Garten duftete betäubend. Alle paar Wochen wurde er von Ûder salernitanischen Ärztin sorgsam beschnitten, weil er sonst drohte, ihr kleines Krankenhaus zu überwuchern. Darüber schien er jedoch eher zu spotten und wuchs nach jedem Schnitt nur noch üppiger. Ima lachte leise. Wenn man ihn hochband, störte er längst nicht so und würde sogar in den Himmel wachsen und von dort seinen Duft auf den Garten zerstäuben. Doch das glaubte die Ärztin ihr nicht.

Sie glaubte ihr vieles nicht, was die Pflanzen betraf, dabei hatte Ima das von der Mutter gelernt – in den einsamen Jahren auf Lindisfarne, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte. Damals hatte sich das Gebet der Mönche von St. Cuthbert mit dem ewigen rauen Wind des Nordmeeres vermischt, und die Wellen waren das einzig Unberechenbare in ihrem Leben gewesen: Man hatte nie sagen können, wie weit sie an den Strand rollten und was sie alles mitzunehmen gedachten.

Manches ließen die Wellen auch liegen – Tang, Muscheln. Treibholz. Walknochen. Erinnerungen. Ihren Verlobten hingegen hatten sie auf den Meeresgrund gezogen und viele Tage später erst stumm zurückgebracht. Den Vater hatten sie für immer geraubt. Niemand auf der Insel hatte ihn wiedergesehen, und die Mutter war über den Verlust beinah wahnsinnig geworden … Als Ima ihn dann vor einigen Monaten völlig überraschend wieder getroffen hatte, war es ihr kaum möglich gewesen, mit ihm zu sprechen. Sich von den Wellen davontragen zu lassen war ihr wie ein Verrat vorgekommen. Aber das alles lag lange zurück, und mit der Zeit verblasste die Erinnerung an die Wellen von Lindisfarne. Es tat nicht gut, zu oft daran zu denken.

Zu weit hatten die Wellen vergangenes Jahr auch sie selbst von Lindisfarne fortgetragen. Zuerst hatten sie sie nach Süden gespült, auf eine Pilgerfahrt, deren Ziel – Santiago de Compostela – sie nie erreicht hatte, weil das Schicksal ihr erneut einen geliebten Menschen aus den Händen gerissen hatte. Ein düsterer Schatten hatte über dem Jahr des Herrn 1084 gelegen. Wie eine Feder auf dem Wasser war sie umhergetrieben und unfreiwillig in Apulien im Herzogtum des Normannen Robert Guiscard gelandet. Dort hatten sich die Ereignisse überschlagen und sie mit dem apulischen Heer nach Rom gerissen, wo Robert Guiscard mit einem Feldzug von beispielloser Skrupellosigkeit den Papst aus römischer Gefangenschaft befreit hatte. Die furchtbaren Tage der Plünderung lagen nun schon mehr als ein Jahr zurück – der Schrecken über das Erlebte würde sich vielleicht niemals geben.

Sie seufzte und legte den Kopf auf die Knie. Was mochte Gott sich dabei gedacht haben, ihr ausgerechnet in Rom die Liebe geschickt zu haben? Gérard de Hautevilles markantes Gesicht drängte sich vor ihr Auge – und jener Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren und er sie zum ersten Mal vor dem Tod bewahrt hatte. Dann, viele schmerzhafte Monate später in Rom, hatte er ihr ein zweites Mal das Leben gerettet. Da hatte sie schon gewusst, dass sie ihn gegen jede Vernunft liebte, denn der Soldat des Guiscard war von niedriger Geburt und unvermögend. Dennoch hatte er sich als Ritter mit Anstand erwiesen und sie nach Salerno zurückgebracht, zum Haus der Trota, wo sie sich, gepflegt durch die liebevollen und kundigen Hände der Ärztin, von den Strapazen und Ängsten hatte erholen können. Trotas Haus war der sichere Hafen gewesen, ein Ort voller Freundlichkeit und Liebe – es war ihr wie die Stadt ein neues Zuhause geworden.

Ima rieb sich mit beiden Händen das müde Gesicht. Dieses neue Zuhause kam ihr immer noch wie ein Wunder vor. Weder hohe Wellen noch Unberechenbarkeit schien es hier in Salerno zu geben, und auch nicht die salzige Eiseskälte des Nordmeeres. Oder den bösartigen Wind, der bis auf die Knochen drang und einen wie ein bohrender Schmerz an die eigene Vergänglichkeit erinnerte. Salerno war anders. Bunt, süß und laut, und irgendwie berechenbar. Hier gab es Wärme – meistens Hitze, doch das war nichts im Vergleich zu der Kälte auf der unwirtlichen Insel. Hier gab es nächtliches Leben, Musik, Fröhlichkeit, ausreichend Essen – und es gab keine Angst.

Ima hatte sich, seit sie in Salerno im Haus der alten Ärztin heimisch geworden war, nicht mehr gefürchtet, obwohl die herzogliche Residenz des Guiscard oben am Berg sie stets daran erinnerte, was sie durchlebt hatte.

Doch hatte ihr Herz sich erholt?

Ima betrachtete ihre schmalen Hände, denen es geschenkt war zu heilen. Trota, die Ärztin von Salerno und ihre Lehrmeisterin, hatte diese Hände respektvoll gesegnet und sich niemals vor dem sechsten Finger gefürchtet, der so vielen Menschen Angst einjagte. Ja, heilen konnte sie wohl  – andere Menschen. Aber sich selbst? Hatte ihr Herz sich erholt? Gérards Gestalt wehte durch ihre Gedanken. Viel gemeinsame Zeit war ihnen nicht vergönnt gewesen, des Guiscards Rastlosigkeit hatte ihn ihr schnell wieder genommen. Die Balkankriege nahmen kein Ende, man munkelte, Robert plane, Konstantinopel zu überfallen und den Basileus vom Thron zu stoßen. So wirklich vorstellen konnte sich das niemand – doch immerhin lagen schon im Herbst des letzten Jahres Truppen auf der anderen Seite des adriatischen Meeres.

Auch Gérard war monatelang Teil dieses Heeres gewesen, hatte wie durch ein Wunder das furchtbare Winterfieber überlebt und war von allen Unternehmungen wohlbehalten zurückgekehrt. Er stand in persönlichen Diensten von Roberts Zweitgeborenem Roger Borsa und machte sich Hoffnungen, an dessen Seite aufzusteigen. Ima starrte vor sich hin. Ein weiter Weg für einen Mann wie ihn. Leises Sehnen schmerzte in ihrer Brust. Wann hatten sie sich das letzte Mal gesehen? Jedes Treffen war viel zu kurz gewesen, immer war er entweder in Eile gewesen, oder sie hatte viel Arbeit in Trotas Krankenstation gehabt. Stets hatte Robert Guiscard mit seinen Plänen zwischen ihnen gestanden und alles verhindert, was über ein paar ungestörte leidenschaftliche Momente oder ein schüchternes Gespräch nach langen Wochen hinausging.

Die Nachtigall fing wieder an zu singen. Ihr zarter Schmelz zauberte Tränen auf Imas Gesicht – woher sie kamen, wusste sie nicht. Aber sie vermisste ihn. Obwohl sie in Trotas Haus so glücklich geworden war. Die viele Arbeit mit den Kranken ging ihr leicht von der Hand, sie konnte sich die Rezepturen und Ideen der alten Ärztin gut merken, und auch der größte Tumult – wenn drei Frauen gleichzeitig unter der Geburt schrien – brachte sie nicht aus der Ruhe. Trotas Haus war ein seltsamer Gegenpol zur kriegerischen Welt des Robert Guiscard – einer Welt, an der sie durch Gérard viel zu viel Anteil nehmen musste.

Sie hatte den Guiscard persönlich kennengelernt, damals in Rom, als er sie mitten in der Schlacht hatte rufen lassen, damit sie den Heiligen Vater heilte. Aus dieser Sache war ihr eine gewisse Achtung entgegengewachsen. Robert Guiscard vergaß niemanden, der ihm einmal gute Dienste erwiesen hatte. Ein zweites Mal hatte sie den Heiligen Vater zwar nicht mehr retten können, doch war seit seinem Tod im letzten Sommer kaum eine Woche vergangen, an dem nicht irgendwer aus dem herzoglichen Umfeld sie in die Residenz gerufen hatte. Er selbst weilte längst wieder bei seinem Heer, weit weg von zu Hause und, wie manche raunten, unsterblich.

Im Haus knarzte eine Tür. Irgendjemand war offenbar aufgewacht, dabei hatte die Morgendämmerung noch nicht begonnen. Die Nachtigall war wieder verstummt, ihr Lied passte einfach nicht zu dem Mann, um den ihre Gedanken jetzt kreisten.

...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2023
Reihe/Serie Wege der Eifelgräfin
Wege der Eifelgräfin
Sprache deutsch
Original-Titel Die Totenfrau des Herzogs
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Barbaren • Burgherrin • Eifel • Grafentochter • Gräfin • Liebe • Wiedersprüche • Wilddieb
ISBN-10 3-8412-3356-2 / 3841233562
ISBN-13 978-3-8412-3356-1 / 9783841233561
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