Der Marsch ins Reich der Caoba (eBook)

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2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61369-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Marsch ins Reich der Caoba -  B. Traven
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»Von 1931 bis 1940 erschienen die Dschungel-Romane über die Zwangsarbeit der Indios in den Mahagoni-Lagern des Südens, die thematisch eine Einheit bilden. Der Mahagoni-Zyklus behandelt die Zustände und Vorgänge in Südmexiko, die unmittelbar zur Revolution von 1910 gegen die Diktatur Porfirio Diaz' führten, speziell die brutale Ausbeutung der indianischen Bevölkerung durch die Großgrundbesitzer.«

B. Traven (1882-1969), war bis 1915 unter dem Pseudonym Ret Marut als Schauspieler und Regisseur in Norddeutschland tätig. Es folgte der Umzug nach München, wo er 1917 die radikal-anarchistische Zeitschrift ?Der Ziegelbrenner? gründete und sich an der bayerischen Räteregierung beteiligte, die 1919 gestürzt wurde. Es gibt heute Hinweise, dass er der uneheliche Sohn des AEG-Gru¨nders Emil Rathenau und damit der Halbbruder von Walther Rathenau war, der 1922 als deutscher Außenminister ermordet wurde. Nach seiner Flucht nach Mexiko 1924 schrieb er unter dem Namen B. Traven 12 Bücher (darunter sein wohl bekanntester Roman ?Das Totenschiff?) und zahlreiche Erzählungen, die in Deutschland Bestseller waren und in mehr als 40 Sprachen veröffentlicht und weltweit über 30 Millionen Mal verkauft wurden. Viele davon wurden verfilmt, so ?Der Schatz der Sierra Madre? (Hollywood 1948), ?Das Totenschiff? (Deutschland 1959) und ?Macario? (Mexiko 1960). 1951 wurde er mexikanischer Staatsbürger, heiratete 1957 Rosa Elena Luján, seine Übersetzerin und Agentin, und starb am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt.

Es geschah in den zwanzig Minuten zwischen dem Sonnenuntergang und dem Einbruch völliger Nacht, daß auf dem steinigen Felde, wo die Urwaldarbeiter lagerten, der junge Indianer Andres ankam.

Er ging gebückt unter dem schweren Packen, den er, an einem breiten rohen Riemen über der Stirn, auf seinem Rücken schleppte. Das Hemd hatte er ausgezogen, um es vor dem Durchscheuern auf dem Rücken zu schonen. Über dem nackten Rükken trug er ein Antilopenfell, das mit dünnen rohen Riemen am Traggurt befestigt war. Und auf diesem Fell ruhte der Packen. Andres trug weiße Baumwollhosen. Das rechte Hosenbein war bis zum oberen ersten Drittel des Oberschenkels aufgekrempelt. Das linke Hosenbein dagegen war aufgekrempelt gleich über dem Knie. An den Füßen hatte er Sandalen, die aus rohem Leder gearbeitet waren. Auf dem Packen, oben aufgebunden, hatte er seinen Hut. Es war der Hut der Zoquesen, jener Indianer, die im Westen des Staates ihre Wohngebiete hatten. Ein sehr hoher Hut, aus Palmenbast geflochten, oben in einer ganz merkwürdigen Weise leicht eingebuchtet, die ihn aber auf den ersten Blick von jedem anderen ähnlichen Hut unzweideutig unterschied.

Der junge Bursche hatte eine bronzebraune Hautfarbe, dickes, schwarzes, strähniges Haar, das ihm wirr um den Kopf wuschelte. Aber er trug es nicht halblang, quer über die Stirn abgeschnitten wie die Indianer der Fincas und der unabhängigen Dörfer, sondern er trug es kurz geschnitten nach Art der Mexikaner in den Städten.

Diese Tatsache, daß der Schnitt seines Haares nicht übereinstimmte mit seinem übrigen Aussehen und mit der rein indianischen Art, wie er seinen Packen schleppte, war die Ursache, daß alle Burschen, die auf dem weiten Felde lagen, ihre Augen auf ihn richteten. Sie waren dessen gewiß, daß dieser Bursche sich verlaufen und auf diesem Felde nichts zu suchen hatte. Gleich von dem Feuer, das ihm am nächsten lag, schrie einer der indianischen Burschen in der Sprache der Tseltalen herüber: »He, du, Jüngelchen, wo willst du denn hin mit deinem Kattun? Die indianischen Händler haben ihre Stände in der Straße, die von Teultepec geradeaus herunter in den Pueblo führt.«

»Bin ich durchgekommen«, rief Andres, in Tseltal antwortend, »aber ich bin kein Comerciante. Ich gehe nach den Monterias. Und ich vermute, hier ist es, wo sich die Peones sammeln für den Enganche.«

»Du gehst auch zu den Monterias?« fragte rufend ein anderer vom selben Campfeuer aus. »Als was? Bist ein Capataz, he, du? Da wollen wir gleich einmal vorher miteinander reden und gut. Morgen ist es vielleicht zu spät, wenn du der Peitscher und Henker bist. Auf dich, Hermanito, mein süßes Brüderchen, habe ich seit einem Jahr gewartet.«

Der Indianer war, während er sprach, auf Andres zugekommen. Jetzt stand er vor ihm, ballte beide Fäuste und rief: »He, du, Schlucker und Aufhänger, runter mit deinem Packen. Ich schlage keinem das Maul breit, der eine mächtige Carga auf dem Nacken schleppt.« Andres ließ sich auf die Knie herunter, zog den Kopf aus dem Stirngurt, schob sich ein wenig vor, um vom Packen loszukommen, und stand dann auf.

Aber ehe er seine Knie ausstrecken konnte, bekam er einen heftigen Faustschlag mitten in das Gesicht. Er taumelte zurück, schüttelte sich, sprang zur Seite, und eine Sekunde später befand er sich in einem lustigen Kampfe mit dem Angreifer.

Sie schlugen und balgten sich wohl zehn Minuten herum, ohne daß der eine oder der andere als endgültiger Sieger hervorging. Dann schienen sie gleichzeitig einzusehen, daß beide ihre Prügel davontragen würden und daß darum der ganze Kampf Unsinn sei. Und als sie einmal für eine halbe Sekunde voneinander frei waren, sprangen sie beide gleichzeitig voneinander fort, um reichlich Zwischenraum zu gewinnen.

Das gab Andres Zeit, endlich auf die Begrüßungsfrage des aufgeregten Burschen zu antworten: »Loco, ich glaube, du bist verrückt oben und unten. Bin kein Capataz, nie ein Capataz gewesen, nirgends, auf keiner Finca und in keiner Monteria. Daß du das weißt, du Burro, du Esel, der du bist. Und nun komm nur heran, m’ijito, mein Herzenssöhnchen. Diesmal kriege ich dich und heftig. Jetzt bin ich drin im Getümmel.«

»Verdad?« fragte der andere. Er begann nun Spanisch zu reden. »Ist das die Wahrheit? Du bist kein Capataz? Dann setz dich nur hierher. Hier an unser Feuer. Bienvenido, ’miguito, willkommen, Freundchen.«

»Nicht hier«, sagte Andres. »Ich will mir ein Feuer suchen, wo andere Muchachos sitzen, die zu dem verfuckten Hurenknecht Gabriel gehören. Dieser Hundesohn von einem vergewaltigten, notgezüchtigten Kojoten, das ist mein Enganchador.«

»Dann bist du hier an der ganz richtigen vertrauten Häuslichkeit«, mischte sich ein zweiter Bursche, der am Feuer saß, ein. Auch er sagte es in Spanisch. »Hier dieses heimatliche Herdfeuer ist eine vollständige Gruppe des Weiberschänders Gabriel. Wie heißt denn sein Apellido, sein anderer Name? Richtig, Orduñez. Das ist er. Du hast dir da einen feinen Enganchador ausgesucht, Brüderlein. Kinder hat er auch gemordet. Seinen eigenen Bruder hat er an den Pferdeschwanz gebunden und ihn abgeschunden, bis nicht ein Fetzen Fleisch auf dem Gerippe blieb. Weißt du, was der einmal war? Rück deinen Packen nur hier heran. Ich gieße dir das Wasser über die Hände, damit du dich waschen kannst. Hier nimm den Kaffee. Kannst dir auch ein paar Totopostles anwärmen. Und nimm dir genügend Frijoles. Wir sind nicht arm. Denke nur das nicht von uns. Wir sind die Caobafäller. Lustig und zufrieden und singen immer Lieder. Besser: zieh dir dein Hemd an. Du kühlst zu rasch ab, und morgen hast du die Calentura auf dem Ursch, und wir können dich schleppen. Na, nimm dir nur ordentlich, von dem Fleisch auch. Wir erwischen morgen mehr Hühner, wenn die Leute auf den Carnaval gehen. Ausencio, gibt acht auf die Polizisten, die ja überhaupt nur Besoffene suchen, um die Geldstrafen hereinzuzaubern für den Alcalde. Ich drehe den Hühnern den Hals so rasch um, die vergessen darüber ganz und gar zu schreien und quieksen nur wie Mäuse.«

Andres, die Hände unter den verbeulten Kessel haltend, den sein Gefährte hielt, wusch sich, rieb die Hände trocken, schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht, spülte sich den Mund aus, spuckte das Wasser in einem weiten Bogen fort und schob dann einige der ihm angebotenen Totopostles an das Feuer.

Gabino, der Bursche, der ihm die lange Rede gehalten hatte, glaubte es der Gastfreundschaft schuldig zu sein, den neu angekommenen Arbeitsgenossen zu unterhalten. Sie sprachen von nun an alle Spanisch. Gabino redete weiter darauflos: »Hier wir alle sind aus dem Enganche des Pferdestehlers Gabriel. Da, das nächste Feuer auch. Überhaupt die Mehrzahl der Burschen, die hier herum ihre Feuer haben, gehören alle zum Enganche, zum Kontrakt, des ausgespienen Gabriel.«

»Ausgespien?« rief einer der Burschen, »ausgespien? Daß ich nicht zerberste vor Lachen. Der ist nicht ausgespien. Der ist nicht von einer Frau von vorn geboren. Den hat ein Stinktier von hinten ausgebrochen, und es ist nicht einmal stehengeblieben, zu sehen, was es ist. Es ist nur gerannt und gerannt, um weit fortzukommen und unschuldig zu sein am Jüngsten Gericht an solchem Scheusal.« Andres brockte sich die gewärmten Totopostles in den Kaffee und sagte: »Wenn ihr alle wißt, was er für ein Schurke ist, warum habt ihr euch denn von ihm einfangen und an den Haken nehmen lassen? Möchte ich wissen.«

»Wahrscheinlich bist du ganz und gar freiwillig hier. Du wärest der einzige. Der einzige in der ganzen Welt. Oder du weißt nicht, wohin du kommst und was dir bevorsteht«, sagte Gabino. »Freiwillig bin ich nicht hier«, antwortete Andres.

»Das brauchst du uns nicht zu sagen«, meinte einer der Burschen. »Nein, freiwillig nicht«, redete Andres weiter. »Der Finquero, bei dem mein Vater Peon, Landarbeiter, ist, wollte die sechzig Pesos Schulden, die mein Vater bei dem Patron hat, eintreiben. Mein Vater wird nun alt, und der Finquero glaubt, daß mein Vater die Schuld nicht abarbeiten kann und sterben könnte, ehe der letzte Centavo bezahlt ist. Da hat er nun, um sicher zu seinem Gelde zu kommen, meinen Vater für die Schuldsumme an Don Gabriel, den Enganchador der Monterias, verkauft. Mein Vater würde die erste Woche in der Monteria nicht überleben, wahrscheinlich würde er nicht einmal den langen Marsch durch den Dschungel aushalten. Da bin ich heimgekommen von meiner Arbeitsstelle und trete in den Kontrakt meines Vaters.«

»Genau, was ich sagte«, Gabino schob lässig einen Ast in das Feuer. »Du bist genau so freiwillig hier wie wir alle. Wie das ganze Feld voll indianischer Burschen, die da überall an den Feuern hocken und auf den Abmarsch warten. Alle so freiwillig wie ihre Geburt, an der sie ebenso unschuldig sind. Und du brauchst mir nichts weiter zu erzählen, warum du hier bist, und wie alles geht in der Welt. Don Gabriel würde deinen Vater nicht für die Monterias angekauft haben, wenn ihm nicht dein Patron oder richtiger gesprochen der Patron deines Vaters gesagt hätte, daß du ein junger und starker Bursche bist, der zu arbeiten versteht. Der weiß gut, der Pferdeschänder und Säuglingsräuber, daß du an die Stelle deines Vaters treten wirst, wenn es nahe zum Tage des Abmarsches kommt.«

Andres drehte sich um und fragte: »Wo ist denn der Muchacho, der mir den...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-257-61369-5 / 3257613695
ISBN-13 978-3-257-61369-8 / 9783257613698
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