Die schwarze Spinne (eBook)

und andere Erzählungen
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2023 | 1. Auflage
560 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61415-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die schwarze Spinne -  Jeremias Gotthelf,  Philipp Theisohn
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Ein ländliches, fröhliches Tauffest wird zum Rahmen einer schaurigen Geschichte. Sie erzählt von einem jahrhundertealten Pakt der Bauern mit dem Teufel. Seit damals lauert das Böse überall. Jederzeit können die schwarzen Spinnen wieder hervorbrechen. Auch im Haus des kleinen Täuflings. ?Die schwarze Spinne? ist eine der berühmtesten Novellen der Weltliteratur - und doch nur eine von vielen Geschichten, die von Gotthelfs vielfältiger, großartiger Erzählkunst zeugen.

Jeremias Gotthelf, geboren 1797 in Murten als Albert Bitzius, war Theologe und lebte als Pfarrer in Lützelflüh im Emmental. Seinem Engagement als Liberaler wurde mit der neuen Verfassung ein Ende gesetzt: Geistlichen wurde politische Betätigung verboten. Erst mit 40 Jahren begann er zu schreiben. Es entstanden 13 Romane sowie 75 Geschichten, die alle von den Menschen und vom Leben im Emmental erzählen und eine ländliche Comédie humaine bilden. Gotthelf starb 1854 in Lützelflüh.

Jeremias Gotthelf, geboren 1797 in Murten als Albert Bitzius, war Theologe und lebte als Pfarrer in Lützelflüh im Emmental. Seinem Engagement als Liberaler wurde mit der neuen Verfassung ein Ende gesetzt: Geistlichen wurde politische Betätigung verboten. Erst mit 40 Jahren begann er zu schreiben. Es entstanden 13 Romane sowie 75 Geschichten, die alle von den Menschen und vom Leben im Emmental erzählen und eine ländliche Comédie humaine bilden. Gotthelf starb 1854 in Lützelflüh.Philipp Theisohn, geboren 1974 in Bad Dürkheim, ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Direktor des Zentrums für literarische Gegenwart an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Literaturen der Schweiz.

Das Jahr 1837 wird vielen Menschen unvergesslich bleiben, die nicht ihren Träumen oder ihren Sünden allein leben, die einen offenen Sinn haben für die Stimme Gottes, welche zu uns redet in Schnee und Sonne, bei heiterem Himmel und im Dunkel der Gewitternacht.

Es war ein merkwürdiges Jahr, aber ein banges, angstvolles für Tausende; wohl ihnen, wenn diese Angst jetzt ihre Frucht trägt – ein gläubiges Vertrauen.

Der Winter, welcher bereits im Oktober 1836 angefangen, den 1. November 11 Grad Kälte gebracht hatte, wollte nie aufhören, der Frühling nie kommen. Am Ostersonntag den 26. März fuhren viele Herren lustig Schlitten, lustig gings auch von Biel nach Solothurn, wo sonst mancher Winter keine Bahn bringt. Während es lustig ging auf den breiten Straßen, konnte auch manch arm Mütterchen nicht an den auferstandenen Herrn denken. Es hatte kein Holz mehr, die zitternden Glieder zu wärmen, die Kälte drang ihm durch die gebrechlichen Kleider bis ans Herz hinan. Es musste hinaus in den schneeichten kalten Wald, einige Reiser zu suchen, oder musste den schlotternden Körper zusammendrücken in eine Ecke, in den eigenen Gliedern noch irgendwo nach einem Restchen Wärme spürend. Wenn diese frierenden Mütterchen den Zehnten gehabt hätten von dem an selbem Tage zum Überfluss getrunk’nen Wein, wie glücklich hätten sie am Abend ihre erwärmten Herzen ins Bett gelegt.

Aber auch mancher Bauer drückte sich in die engste Ecke seiner Stube, um das Brüllen der hungrigen Kühe an der leeren Krippe nicht zu hören, um nicht hinaus zu sehen in die Hofstatt, wo der Schnee so dicht in den Bäumen hing, so hoch am Boden lag, kein Gräschen sich regte. Er hätte gerne geschlafen, um nicht an seine Bühne denken zu müssen, auf der kein Heu mehr war, durch die der Wind so schaurig pfif‌f; doch Sorgen sind Wächter, die nicht schlafen lassen.

Am ersten Apriltage wehten Frühlingslüf‌te durchs Land, und frohe Hoffnungen schwellten alle Herzen; aber alle Hoffnungen wurden in den April geschickt. Schnee wehte wieder durch alle Lande, legte in Deutschland mannshoch sich, er lagerte sich ordentlich, als ob er übersömmern wollte im erstaunten Lande.

Zum eigentlichen Schneemonat ward der April, selten leuchtete die Sonne, und: ob sie warm sei? erfuhr man nicht; Gras sah man nicht, kein Lebenszeichen gaben die Bäume.

Die Not ward groß im Lande. Heizen sollte man die Stuben und hatte kein Holz; füttern sollte man das Vieh und hatte kein Futter. Es war Jammer zu Berg und Tal; in den Stuben seufzte, in den Ställen brüllte es tief und nötlich.

Mancher Bauer machte sich, so oft und so weit er konnte, in Weid und Wald hinaus, und wenn er wieder heimmusste, so wollten seine zögernden Füße nicht vorwärts, wollten gar nicht auf den Platz, wo ihm, wie er genau wusste, das hungrige Muhen seiner Kühe wieder ins Ohr dringen, im Herzen wiedertönen würde. Des Nachts wusste er nicht, auf welche Seite sich legen, damit er nicht höre, wie es seufze und stöhne draußen in den Ställen. Endlich übermannte das Elend sein Herz, er stieß seine schnarchende Frau an und sagte: Frau, du musst morgen zeitlich auf, musst mir zMorge machen, ich muss in die Dörfer hinab, muss um Heu aus, ich kanns my armi türi nümme usgstah. Dann stund er auf, machte nicht einmal Licht, zählte seine Fünfunddreißiger im Gänterli und rechnete mühselig nach: Ob es wohl ein oder zwei Klafter erleiden möge? Hatte er das ausgerechnet und sich wieder ins Bett gelegt, so kam es ihm erst vor, wie das wieder einen Strich durch seine Rechnung mache, dass er keinen neuen Wagen könne machen lassen, dass ein dritter oder vierter Zins ihm auf‌‌laufe, und statt des Schlafes kam eine neue Trübseligkeit über ihn. Am Morgen zog er seufzend die Überstrümpfe an, die Frau band ihm das Halstuch um, ermahnend: Er solle doch zeitlich heimkommen, sie hätte nicht Zeit zu füttern, und die Magd gebe gar unerchant yche.

Er wanderte, er zog von Dorf zu Dorf, er fragte von Haus zu Haus, nicht nach dem Preise des Heus, sondern bloß nach Heu, und glücklich pries er sich, wenn er welches fand. Freilich tat es ihm weh, 20 bis 25 Kronen zahlen zu müssen für ein Klafter, und vielleicht am Ende für was – für Esparsettenstorzen; aber es war doch etwas Fressbares, es war besser als Tannennadeln, die auch an Orten zu 3 Fr. per Zentner verkauft worden sein sollen.

Wenn er endlich seinen matten Pferden das Füderchen lud, wie sprang er jedem Heuhalm nach, den der neckische Wind ihm entführen wollte; und wenn mit dem Füderchen die Pferde matt das Land auf sich schleppten, wie schwermütig und beladen zottelte er hinter dem Gespann her!

Hat niemand wohl hinter einem der Hunderten von Fudern, die für so viele, viele tausend Franken Heu ins Emmental führten, einem Fuhrmann ins Gesicht geschaut? In demselben hat er in großer Schrift lesen können ohne Brille, was in dem armen Manne vorging, wie er rechnete und rechnete: Wie lange er an diesem Heu füttern könne? War er mit der trostlosen Rechnung fertig, so sah er auf zum Himmel: ob nicht bald die Sonne kommen wolle warm über den Schnee. Und wann dann der alte eisige Wind ihm das Wasser aus den Augen peitschte, sah niemand, wie schmerzlich seine Gedanken sich hinwandten zu seinem leeren Gänterli, in welchem keine Fünfunddreißiger mehr waren. Aber wie der arme Mann später, nachdem dieses Heu zu Ende war, das Stroh aus den Strohsäcken, das Stroh vom Dach, wo man Strohdächer hatte, fütterte, das sah selten jemand, denn das tat er im Verborgenen. Wenn aber der Mann mit nassen Augen in finsterm Stalle den letzten Strohsack leerte, so rieb manche Kuh den ungeschlachten Kopf dem armen Manne am schmutzigen Zwilchkleid ab und leckte erst seine rauen Hände, ehe sie hungrig ins zerknitterte Stroh biss; es war fast, als ob die gute Kuh den Schmerz ihres Ernährers mehr fühlte als den eigenen Hunger.

Freilich gab es auch Leute, die nicht Heu kauf‌ten, nicht Mitleid hatten mit ihrem Vieh, und zwar nicht aus Geiz, sondern aus – Stolz und Hochmut. Der Ätti habe auch nie Heu gekauft, sagten sie, und sie wollten lieber ihr Vieh verhungern lassen, als dass man ihnen nachrede, dass sie einmal auf ihrem Hofe nicht Futter genug für ihr Vieh gemacht hätten. Ja, sie wollten nicht einmal Vieh verkaufen, damit man ihnen nicht entweder Geld- oder Futternot vorwerfe, damit es nicht heiße: Sie hätten nur so und so viel Stück zu überwintern vermögen. Sie fürchteten, das täte ihren Ehren Abbruch; aber wie zwanzig Kühe, die Tag und Nacht von einem Knubel herab brüllen, was sie in die Haut zu bringen vermögen, einen Bauer verbrüllen können fast bis ins Länderbiet hinein, fast bis ins Aargau hinab, daran dachten sie nicht. Es gab welche, deren Pferde des Morgens nicht mehr aufstehen konnten, die mit Fuß und Gabel das Älteste aufjagten, es zum Stall austrieben, um es dem Hungertode preiszugeben.

Da wehten am ersten Maitage wieder Frühlingslüf‌te; es grünte in den Matten, laut jauchzten die Menschen, und gierig graste das ausgetriebene Vieh das Wenige, was es fand.

Karst und Pflug wurden eiligst gerüstet, die Kuttlein an die Ofenstange gehängt, die Winterstrümpfe in den Spycher, aus den Dörfern schwärmte es aus wie aus dem Stock die Bienen, und am heißen dritten Maitag glaubte man alles gewonnen. Aber ein Gewitter verzehrte die vorrätige Wärme und – der Winter war wieder da.

Man jammerte in allen Hütten, auf allen Höfen, ganz besonders aber die Küher. Viele wussten kein Futter mehr zu kaufen, mussten fort aus den Ställen, und Schnee verfinsterte noch die Luft, lag weiß über die Ebenen und klaftertief auf den Bergen. Manchen Küher trieb die Angst auf seine Alp, er hoffte es droben besser anzutreffen, als es von unten das Ansehen hätte, hoffte aufzuziehen, und anfangs mit dem Heu nachhelfen zu können, das er auf dem Berge gemacht und im Staffel gelassen hatte. Aber was fand er? Schnee fast mannstief, und wenn er mit Lebensgefahr zum Staffel sich durchgearbeitet hatte – kein Heu mehr! So konnte er nicht auf den Berg, konnte aber auch nicht bleiben unten im Lande. Da wuchs manchem Küher der Gram über den Kopf, und das Sterben wäre ihm lieber gewesen als das Leben.

Und wenn sie wegfahren mussten aus ihren Winterquartieren im Schneegestöber, die hungrigen Kühe, wenn sie am Wege ein mager Gräschen abraufen wollten, das Maul voll Schnee kriegten, auf den Bergen der Schnee höher und höher sich zu türmen schien, und sie auf diese Berge zu mussten in Gottesnamen: Da sah man manchen harten Kühersmann die Augen wischen, ja, manchen hörte man schluchzen, und zwar weit.

Wie es anfangs auf den Bergen gegangen, wie Tannkris das Köstlichste war, was man den Kühen, die dazu noch fast erfroren, bieten konnte, will ich nicht erzählen. Und wenn ich’s erzählte, so würde sich niemand darüber verwundern, schneite es doch auch unten im Lande noch den 19. Mai.

Da grub sich tiefer und tiefer grimmig Zagen bei den Menschen ein. Man hörte wieder rollen durchs Volk Weissagungen über den nahenden Untergang der Welt. Alle drei, vier Jahre wird der Untergang der Welt ganz bestimmt vorausgesagt, und eine Menge Leute glauben daran, nehmen es aber ziemlich kaltblütig und bereiten sich nach ihrer Weise darauf vor.

Vor sechs, sieben Jahren sollte der Merkur die Erde zerstören; da wurde man in einem gewissen Schachen rätig: mit dem...

Erscheint lt. Verlag 25.10.2023
Reihe/Serie Gotthelf Zürcher Ausgabe
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bauern • Die schwarze Spinne • die seltsame Magd • Die Wassernot im Emmental • Dorf • ELSI • Emmental • Familie • Gottesfurcht • Kalendergeschichten • Kurzgeschichten • Landleben • Naturkatastrophe • Neuedition • Pakt mit dem Teufel • Philipp Theisohn • Sagen • Schauergeschichte • Schweiz • Schweizer Literatur • Wie Joggeli eine Frau sucht • Zürcher Leseausgabe
ISBN-10 3-257-61415-2 / 3257614152
ISBN-13 978-3-257-61415-2 / 9783257614152
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