Die Suche der Heilerin (eBook)

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2023 | 1. Auflage
416 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3355-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Suche der Heilerin -  Dagmar Trodler
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Eine starke Frau in den Wirren der normannischen Zeit.

Um für ihren ertrunkenen Verlobten zu beten, pilgert Ima von Lindisfarne auf dem Pfad des heiligen Jakob nach Santiago. Das Schicksal jedoch weist ihr einen dornenreicheren Weg, als Aidan, der Bruder des Verstorbenen, dem raubeinigen Ritter Gérard nach Salerno folgt. Während sich die normannische Streitmacht darauf vorbereitet, Papst Gregor XII. zu befreien, schließt Ima sich einer Gauklertruppe an, um Aidan zurückzuholen. Bald brennt Rom - und Aidan stirbt in Imas Armen. Der mutigen jungen Frau bleibt nur noch die Reise nach Salerno, an der Seite von Gérard, der sich liebevoll um sie bemüht ...

Das Buch erschien vormals unter dem Titel 'Die Rose von Salerno'.



Dagmar Trodler, 1965 in Düren/Rheinland geboren. Sie arbeitete zunächst als Krankenschwester und studierte Geschichte und Skandinavistik. Sie lebt heute meistens auf Island. Gleich ihr erster Roman »Die Waldgrä?n« wurde ein Bestseller. www.dagmar.trodler.de

1. Kapitel


Dich lieben ist mein Verhängnis,

dir angehören mein Sein,

Dein Staub mein Eden, mein Frieden

das Wohlgefallen von dir.

(Hafis)

Der leise Schrei der Pilgerin verklang im vielstimmigen Raunen des Pater noster.

Kaum jemand bemerkte, dass sie in sich zusammengesackt war; immer wieder fielen in den großen Kathedralen Pilger um, weil sie schwach oder erschöpft waren, ausgehungert, halb verdurstet, weil der Weihrauchnebel ihnen die Luft nahm – oder weil Gott sich ihnen zeigte. Man ließ sie dann ehrfurchtsvoll liegen und küsste ihren Mantelsaum, und oft wagten nur Priester, den Geschwächten wieder auf die Beine zu helfen.

Als die Frau umkippte, kreischte ihre Nachbarin und sprang auf. »Seht nur … Seht, sie trägt Wundmale … Seht! Ein Wunder, seht nur, ihr Blut! Wundmale wie der Herr am Kreuz! Mein Gott …« Fassungslos hob sie ihre Hände zum Himmel. Gläubige fuhren zurück – und fielen auf die Knie, um Gottes Nähe teilhaftig zu werden. Der Körper der Pilgerin zuckte.

»Seht ihr das Blut?«, flüsterte die Frau. »Es kommt von der Dornenkrone …«

»Unfug, sie ist gefallen.«

»Gefallen? Wo? Wer ist gefallen? Ist der Teufel hier?«

»Sie ist besessen«, raunte jemand voller Furcht. Unruhe kam auf. Die Kerzen flackerten. Besessen? Strich der Böse vorbei auf der Suche nach Seelen?

»Ich sah aber Wundmale«, beharrte die Nachbarin. »Wundmale und Blut sah ich – und ich hörte die Stimme des Herrn, ich sah Seine Engel …«

»Engel!«, rief ein Mann. »Sie trägt die Dornenkrone, seht nur!« Und er sank auf die Knie, während die Umstehenden sich nicht recht entscheiden konnten, was nun das größere Wunder war – Blut auf der Stirn oder Engelserscheinungen.

Ima war schneller. Sie fasste die Frau an den Schultern und drehte sie zu sich um. Blut rann ihr über die Stirn, vermutlich war sie unglücklich gefallen, in die Scherben eines Tongefäßes, das ein Pilger dort hinterlassen hatte. Dünner weißer Schaum stand ihr im Mundwinkel, und ihre Augen quollen unnatürlich hervor. Ihr schmaler Körper war hart wie Stein unter den einfachen Flachskleidern. Ohne weiter nachzudenken, wischte Ima ihr schnell den Schaum von den Lippen. Sie erkannte dieses Zeichen, sie hatte Anfälle dieser Art schon oft bei ihrer kranken jüngeren Schwester erlebt und wusste, wie aufgeregt die Leute darauf reagierten, erst recht an einem so brütend heißen Sommertag, wie ihn das Jahr des Herrn 1083 bescherte. Schon am frühen Morgen war eine junge Frau auf dem Weg zum Brunnen in Ohnmacht gefallen. In der Pilgerhalle hatten sie einen toten Säugling gefunden, seine Mutter war zu schwach, um aufzustehen. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man schon von einem Fieber, das die Runde machte, von einem Fluch über Avignon … Und nun dieses. Ein übler Tag, man würde vermutlich noch mehr beten müssen. Noch viel mehr. Ima seufzte.

»Fass mit an, Mädchen.« Die tiefe Stimme des Großvaters brachte augenblicklich Ruhe in ihr aufgewühltes Gemüt. Der Mönch vom Mont St. Michel fasste die Krampfende unter den Armen und bedeutete Ima, die Beine zu nehmen, um sie vom Altar wegzuschaffen, hinaus an die frische Luft, wo sie wieder zu sich kommen konnte.

»Ihr dürft sie aber doch nicht anfassen!«, rief der Erste.

»Engel!«

»Sie trägt eine Dornenkrone, lasst sie hier vor dem Altar!«

»Teufelswerk«, murmelte ein alter Mann, »Teufelswerk!« Rasch humpelte er davon, denn wieder lief ihr feinblasiger Schaum aus dem Mundwinkel. Irma warf ihr Halstuch über das starre Gesicht, dann hasteten sie los und drängten sich energisch durch die Menschenmassen, die auch bereitwillig auseinandertraten. Hinten hatte sowieso kaum jemand mitbekommen, was genau passiert war. Nur dass ein Engel erschienen war.

»Ein Engel? Wirklich?«

»Ein ganzer Chor!«

Die Kirche des burgundischen Valence war in Aufruhr, und die Wände warfen sich das Echo der Stimmen so erregt zu, dass man bald sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Vielleicht hatte auch Gott angefangen zu raunen – bestimmt hatte Er das. Die burgundische Pilgerstadt, voll von Pilgern des heiligen Jakob, erbebte, weil sich ein Wunder zugetragen hatte, wie man es selten erlebte: Engel hatten sich gezeigt, gleich mehrere direkt vor dem Altar, gesungen hatten sie und gestrahlt, dass es selbst die Sonne geblendet hatte!

Dank der Engelseherin, die, umringt von Gläubigen, immer entrückter von ihrer Vision berichtete, blieb nicht mehr viel Aufmerksamkeit übrig für eine Dornenkrone, die blutige Spuren auf einem Frauenantlitz hinterlassen hatte. Niemand vermisste die Kranke.

Frère Lionel und Ima legten sie schweratmend auf den Stufen der Kathedrale ab. Über dem Transport hatten sich die Krämpfe der Frau gelegt, und ihr Körper fühlte sich wieder schlaff und weich an. Das Blut war längst getrocknet. »Immer das Gleiche«, seufzte der Mönch, »kein Essen, zu wenig Wasser, Schmutz und Weihrauch, Pein, weil sie barfuß laufen. Frauen halten das nicht aus. Kinder erst recht nicht. Aber auf mich hört ja keiner …«

Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel Burgunds und verwandelte alles zu Staub – Staub, der in die Atemwege drang und den Mund ausdörrte. Menschen eilten achtlos an ihnen vorbei. Nicht mal Priester fanden die Zeit, nach der Frau zu schauen oder Wasser anzubieten. Die Kunde von der Engelserscheinung in der Kathedrale hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und Besitz von Geist und Herzen ergriffen. Ein Engel – Gott hatte sich gezeigt! Ima seufzte.

»Schau nicht so abschätzig drein«, tadelte Frère Lionel. »Ich weiß genau, was du denkst.« Ima lachte grimmig. Als Tochter eines tief im Herzen heidnischen Vaters war ihr ein sündhaft kritischer Verstand mitgegeben worden, und so sah sie dort, wo andere den Allmächtigen vermuteten, eher Weihrauchschwaden, Löcher in den Kutten und tiefe Taschen unter den Soutanen, die viel Platz für Münzen und Donationen boten. Natürlich hatte sie damit auch oft recht. Der Mönch sah einem feisten Bischöflichen hinterher, der die Stufen der Kathedrale hochkeuchte, ohne nach der Kranken zu schauen, um nichts von den heiligen Ereignissen zu verpassen.

»Na, weißt du wirklich, was ich denke?«, fragte sie.

»Dir fehlt die nötige Ehrfurcht, Kind. Manchmal zeigt Gott sich auch den Kleingläubigen.« Sein besorgter Blick drückte aus, was er sich für sie wünschte.

»Pfff …« Um ihn nicht noch mehr zu verärgern, verkniff sie sich jede weitere Bemerkung und beugte sich stattdessen über die Pilgerin, um mit geschickten Händen an den Blutkrusten herumzufingern. Ima interessierte körperliches Heil weitaus mehr als das Seelenheil. Sie hörte ihn nur seufzen.

Ein Jüngling kam um die Kathedrale herumspaziert, offenbar tief in Gedanken versunken, die Arme auf dem Rücken verschränkt, die Stirn in finstere Falten gelegt. Leise murmelnd führte er Selbstgespräche, und nicht gerade nette, so hatte es den Anschein. Ima sah hoch.

»Aidan!«, rief sie. »Aidan, komm und hilf uns!«

Schlagartig hellten sich seine Züge auf. Mit zwei Sätzen war er bei Ima, und seine Augen strahlten.

»Hier bin ich, Ima, was soll ich für dich tun? Hast du auch so einen Hunger? Ich könnte …«

»Du sollst ein Christenwerk vollbringen und diese Frau zum Brunnen tragen«, sagte der Mönch statt ihrer trocken. »Wir möchten ihre Wunden versorgen.« Aidan nickte, und kurz darauf befanden sie sich abseits der Kathedrale am Rand des Brunnens, wo jemand sein Trinkgefäß vergessen hatte. Ein paar Vögel flatterten empört auf, als Ima um den Brunnen herumhastete. Im Schatten saßen zwei Bettler. Der eine beschmierte gerade seinen Beinstumpf mit dem Blut einer erlegten Ratte, des anderen Arme waren von schwärenden Pusteln bedeckt, die er vorsichtig aufkratzte. Sein Hemd war just so zerrissen, dass man die Pusteln sah. Schlimme Krankheiten öffnen Almosenbeutel, hieß es.

»Meinst du, das hilft?«, fragte Ima stirnrunzelnd.

»Habt Ihr eine bessere Idee?«, gab der Bettler unfreundlich zurück. Seinen lauernden Blick auf ihre Pilgertasche ignorierte sie, nahm stattdessen wortlos den Wassereimer vom Brunnenrand und drehte ihnen den Rücken zu.

Der Junge legte die Pilgerin neben dem Brunnen ab und beugte sich über die Frau. »Ui, wie sieht die denn aus?«, staunte er. »Hat sie sich geprügelt?«

»Höchstens mit ein paar Wanzen aus dem Strohsack.« Ima ließ ihre dichten blonden Brauen vielsagend tanzen. Den Juckreiz, den Wanzen verursachten, kannten alle Reisenden, die in miefigen Herbergen unterkamen und Bekanntschaft machten mit allem, was biss, stach und Blut saugte.

»In der Kirche glauben sie an ein Wunder«, bemerkte Lionel und schob sich die Kapuze vom Kopf, was man in dieser Bullenhitze nur kurzzeitig machen konnte, weil einem sonst die frisch geschorene Tonsur verbrannte. Aber besser Hitze und Sonnenbrand als diese ewige nasse Kälte auf Lindisfarne, der kleinen Klosterinsel im Norden von Northumbria, von wo aus sie vor Wochen zur Pilgerfahrt aufgebrochen waren. Ima wusste, dass ihm das Wetter dort nicht gutgetan hatte, obwohl er seine Insel liebte.

Sie hatte den Wassereimer auf den Boden gestellt und tupfte der Frau das Blut von der Stirn. Die kam zu sich und schlug die Augen auf. Sie murmelte ein paar fremdländische Worte, erhob sich, schwerfällig und schwankend zwar, aber zielstrebig – und ging einfach ihrer Wege.

»Und?«, krächzte...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2023
Reihe/Serie Wege der Eifelgräfin
Sprache deutsch
Original-Titel Die Rose von Salerno
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Barbaren • Burgherrin • Eifel • Grafentochter • Gräfin • Liebe • Wiedersprüche • Wilddieb
ISBN-10 3-8412-3355-4 / 3841233554
ISBN-13 978-3-8412-3355-4 / 9783841233554
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