Science Fiction Dreierband 3064 (eBook)
700 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-8615-0 (ISBN)
Prolog
GEGENWART
Ein Baum – und andere Rätsel
Jelto flanierte tief gebeugt die von ihm eigenhändig angelegten Wege entlang und nahm das Bild der Verwüstung wohl zum hundertsten Mal seit Verlassen des Aquakubus in sich auf.
Eine Woche war es her, dass sie aus Tovah’Zara geflüchtet waren. Eine Woche, in der John Cloud die RUBIKON in ein Versteck gesteuert und dort gehalten hatte. Es befand sich in relativer Nähe zu der »Sonne«, hinter deren Maske der uralte Wasserwürfel sich verbarg – seit dort Treymor das Sagen hatten.
In dieser Woche hatte Jelto den Schock zu verdauen versucht, der ihn bei seiner Rückkehr auf die RUBIKON erwartet hatte. Während der Abwesenheit des Großteils der Crew hatten die Treymor eine Säuberungsaktion ohne Gleichen durchgeführt. Ihr Ziel war es gewesen, jeglichen Widerstand an Bord zu brechen, der von Lebewesen ausgehen konnte. Der Ex-Besatzung, die vor dem Aufbringen des Rochenraumers spurlos von Bord verschwunden war und von der zu dem Zeitpunkt Teile wieder gesichtet worden waren. Die Treymor hatten eine tödliche Strahlenwelle durch das Schiff laufen lassen, der insbesondere die Gewächse des kleinen Paradieses zum Opfer gefallen waren, das Jelto im hydroponischen Garten geschaffen hatte.
Seitdem präsentierte sich dieser Ort als Wüste. Das Erdreich war von ungesunder Farbe, nicht mehr schwarz und saftig wie der Humus, den Jelto hier ausgebreitet hatte. Alles wirkte krank und für alle Zeit verdorben, und im ersten Moment hatte Jelto tatsächlich geglaubt, noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. Mit dem Komplettaustausch des Nährbodens. Inzwischen jedoch hatte er mittels seiner speziellen Psi-Kraft, die er über seine Aura entfaltete, herausgefunden, dass längst nicht alles verloren war, was im Garten einmal spross und gedieh. Schon wenige Zentimeter unter der Oberfläche hatten Kulturen überlebt. Wurzelgeflechte, Myzelien, Samenkörner…
Und dennoch fand Jelto für sich selbst keinen Weg, sich dieser Hoffnung zu widmen, wie es seine Pflicht gewesen wäre.
Er selbst war innerlich so tot wie der Boden, auf dem er dahin schritt. Verständlich wurde dies, wenn man bedachte, dass der Florenhüter jedes Pflänzchen, jeden Busch und jeden Baum als sein Kind betrachtete. Und hier waren nicht nur vereinzelt ein paar Gewächse eingegangen, was trotz aller Fürsorge und Pflege immer einmal passierte, hier waren – so schien es zunächst – alle seine Zöglinge ausgerottet worden.
Er hatte so viel Zeit mit ihnen verbracht, so oft zu ihnen gesprochen und ihren lautlosen Stimmen gelauscht. Viele – die meisten eigentlich – von ihnen waren außerirdischen Ursprungs. Und in manch einer Gattung hatte ein Kollektivgedächtnis geschlummert, das anzuzapfen sein größter Ehrgeiz gewesen war. Auf diese Weise hatte er viel über die Herkunftswelten seiner Zöglinge erfahren; es Dramen, Tragödien… aber mitunter auch beschwingte Komödien , die an ihn herangetragen worden waren. Hier in seinem Garten hatte Jelto in meditativer Ruhe Ausflüge in mannigfache Welten unternommen, indem er sich einfach nur dem öffnete, was seine Kinder ihm anboten.
Und jetzt wandere ich über einen Friedhof, in dessen kränklicher Erde offenbar noch Spuren von Leben zu finden sind – Leben, das nicht von der Säuberungswut der Treymor erreicht und umgebracht wurde… aber will ich mich seiner annehmen? Will ich noch einmal ganz von vorne beginnen, auf das Risiko hin, dass auch das, was ich diesem Boden entlocke, irgendwann, durch irgendein Ereignis, wieder hinweggerafft wird?
Genau diese Angst ließ ihn zögern. Ließ ihn nun schon zum hundertsten Mal in der zurückliegenden Woche mit sich hadernd durch die Ödnis flanieren. Bislang hatte er eine Antwort, die ihn überzeugt hätte, nicht gefunden.
»Diese Barbaren!«
Jelto zuckte zusammen. Unweit von ihm stand ein Narge. Er hatte nicht bemerkt, wie er in den Garten gekommen war. Aber es genügte ein Blick, um zu sehen, dass es sich bei dem geflügelten Humanoiden mit der ockergelben Haut weder um Jiim noch um dessen Junges Yael handelte.
Charly!
Eine andere Möglichkeit blieb nicht, denn es gab nur diese drei… (diese zwei , korrigierte sich Jelto) Nargen an Bord der RUBIKON.
Misstrauisch wandte er sich dem in besonderer Weise mit Yael verbundenen Phantom zu. »Was tust du hier?«
»Mitleiden.«
»Mit wem?«
»Mit dir natürlich. Wem sonst?«
Jelto machte ein paar schnelle Schritte auf das weder reale noch völlig irreale Wesen zu, von dem Jiim ihm in einer stillen Stunde erzählt hatte. Charly war kein Unbekannter mehr. Anfänglich hatte ihn selbst Sesha verleugnet, aber inzwischen schien erwiesen zu sein, dass er existierte, irgendwie jedenfalls. Sein Schöpfer war Yael, der damit ein noch weitgehend unerforschtes Paratalent demonstrierte, von dem er lange selbst nichts geahnt hatte. Jelto glaubte sich zu erinnern, dass Charly bei seinen ersten Auftritten noch von perfekt menschlicher Gestalt gewesen war und sich erst nach und nach den Nargen angeglichen hatte. Warum und wieso – darüber schieden sich die Geister, selbst Yael schien dazu keine gefestigte Meinung zu haben.
Charly machte keine Anstalten, vor Jelto zurückzuweichen. Mit stoischem Gleichmut stand er in einem ehemaligen Blumenbeet.
Jelto brauchte fünf Schritte, um den imaginär-realen Nargen mit seiner Aura zu berühren. Zwei weitere Schritte, und Charly tauchte komplett in das vitalisierende Licht, das Jeltos Körperzellen erzeugten. Es war mehr als bloße Helligkeit, es war Jeltos sechster Sinn. Über die Aura kommunizierte er mit seinen Pflanzenkindern, und über die Aura leitete er ihnen die Energie zu, die sie zum besonderen Gedeihen anregte.
Jelto hatte keine Ahnung, wie – und ob überhaupt – Charly darauf reagieren würde.
Aber das Yaels Vorstellung entsprungene Wesen reagierte tatsächlich.
Vorbei war es mit der Ruhe.
Ein gellender Schrei, der in Jeltos Ohren dröhnte…
… und Charly sprang zurück, als wäre er mit flüssigem Feuerübergossen worden.
Wild flügelschlagend hob er ein paar Meter vom Boden ab, brachte sich damit endgültig aus der Reichweite der Aura und zeterte: »Warum tust du mir weh? Ich war freundlich zu dir – oder nicht? Dankst du es mir so?«
»Es tut mir leid«, log Jelto und winkte Charly zu sich herunter. »Komm wieder her. Ich achte in Zukunft darauf. Ich wusste ja nicht, dass… nun, dass du allergisch auf mein Licht reagierst.«
»Das hast du mit Absicht getan!«, grollte Charly weiter. Er entfernte sich ein Stück weit und landete erst wieder, als er gut zehn Meter zwischen sich und den Florenhüter gebracht hatte.
»Ich wundere mich, dass du so darauf reagierst«, sagte Jelto. »Warum ist das so? Menschen… nein, alle, die ich sonst kenne, empfinden den Kontakt mit meiner Aura eher wohltuend, erfrischend.«
Charly spulte sein ganzes Repertoire an Flüchen ab. Schließlich wandte er sich dem Schott zu und machte Anstalten, sich zurückzuziehen.
Jelto wusste genug über Charly, um zu bezweifeln, dass er das Schott gebraucht hatte, um hierher zu gelangen. Demzufolge konnte sein Abgang in diese Richtung nur dramaturgischen Zwecken dienen.
»Bleib noch!«
Charly schüttelte schmollend den Kopf. »Hast deine Chance gehabt. Jetzt verdufte ich. Wo ich nicht gemocht werde –« Den Rest des Satzes schenkte er sich.
»Seit wann legst du Wert darauf, gemocht zu werden? Da hat Yael...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
ISBN-10 | 3-7389-8615-4 / 3738986154 |
ISBN-13 | 978-3-7389-8615-0 / 9783738986150 |
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