Die Flucht der Waldgräfin (eBook)

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2023 | 1. Auflage
544 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3354-7 (ISBN)

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Die Flucht der Waldgräfin - Dagmar Trodler
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Die Götter gönnen der jungen Eifelgräfin Alienor, ihrem geliebten Mann Erik und ihren Töchtern keinen Frieden. Auch Eriks Vaterland im finsteren Norden Europas kann ihnen nicht zur Heimat werden, und sie müssen sich erneut auf den Weg machen. Einen Weg, der sie zurück führt in Eriks Vergangenheit, an den Hof des Guilleaume von der Normandie, von dem Erik einst den Ritterschlag erhielt. Ihm folgen sie nach England, und das Schicksal will es, dass sie schon bald die Willkür der normannischen Eroberer am eigenen Leib erfahren müssen. Alienors einzige Stütze in diesen dunklen Tagen ist Lionel, ein Mönch, dessen Leben eine geheimnisvolle Verbindung zu ihrem eigenen zu haben scheint. Als Erik bei einer Belagerung König Guilleaume die Gefolgschaft verweigert und fliehen muss, ist Alienor mit ihren Töchtern in einem fremden Land ganz auf sich gestellt ...

Das Buch erschien vormals unter dem Titel 'Die Tage des Raben'.



Dagmar Trodler, 1965 in Düren/Rheinland geboren. Sie arbeitete zunächst als Krankenschwester und studierte Geschichte und Skandinavistik. Sie lebt heute meistens auf Island. Gleich ihr erster Roman »Die Waldgrä?n« wurde ein Bestseller. www.dagmar.trodler.de

2. Kapitel


Angst und Not haben mich getroffen, ich aber habe Lust an deinen Geboten. Die Gerechtigkeit deiner Zeugnisse ist ewig, unterweise mich, so lebe ich.

(Psalm 119, 143-4)

Ich hatte die verfallene Hütte schon vor Tagen entdeckt.

Sie lag hinter einem Wäldchen, wo ich Kräuter gesucht hatte, obwohl Erik allen verboten hatte, alleine loszugehen. Mehr als einmal schon hatte nämlich wildes Volk vor unserem Hof gestanden, ausgemergelte, zerlumpte Kreaturen mit Hunger und unverhohlener Mordlust im Gesicht, die wir nur mit Waffengewalt davon abhalten konnten, unsere Bleibe nach Essbarem abzusuchen. Wer konnte wissen, wo sie sonst herumlungerten oder ihr Lager hatten?

Nun aber war ich schon einmal hier, am Rande des Wäldchens, und bis zu dem Haus waren es nur ein paar Schritte. Mein kurzes Schwert steckte in der Decke, die ich mitgenommen hatte, um meine Kleider nicht zu verschmutzen. Ein feuchtes Land, dieses England, selbst an sonnigen Tagen klebte der Lehm in dicken Lagen an den Schuhen … Ich lehnte mich gegen den Baum und starrte hinüber zu der Hütte. All die Tage war niemand ein oder aus gegangen, kein Huhn hatte gegackert, kein Hund gebellt. War es verlassen? Alle Bewohner tot, wie in fast jedem Dorf, das ich hier in Yorkshire bislang gesehen hatte? Mein Herz wurde schwer. Was für eine geschundene, zerstörte Gegend, die angeblich voller Rebellen steckte und für mich nach nichts als dem Tod roch. Waffenstarrende Rebellen hatte ich bislang noch nicht entdecken können.

Ich stieß mich von dem Baum ab und stieg die kleine Anhöhe hinab. Hohes, blühendes Gras verriet, dass sich seit Monaten niemand mehr hierher verirrt hatte. Brombeerranken verhedderten sich in meinen Röcken, umklammerten meine Beine, als wollten sie mich hinunterziehen zum kühlen nassen Boden, wo halb Yorkshire erschlagen und begraben lag. Ich zog das Schwert aus der Decke und hackte die Ranken kurz entschlossen entzwei. Der vertraute Griff meiner Waffe gab mir Zuversicht, und meine Schritte wurden mutiger.

Das verfallene Häuschen kauerte über seinem Hausrat wie ein einsamer Wächter. Hocker, Kisten, Scherben, Holzgerätschaften lagen zertrümmert und verwitternd auf einem Haufen, den die Todesreiter wohl vergessen hatten anzuzünden. Vielleicht war er auch den Zunder nicht wert gewesen. Wind und Wetter hatten daraufhin ihr Zerstörungswerk begonnen und die Gegenstände verrotten lassen. Blank genagte Schädel der Bewohner zierten das Gras, ausgebleichte Lumpen flatterten im Wind. Eine Krähe erhob ärgerlich krächzend ihre Schwingen und segelte zum Nussbaum hinüber. Ich hatte sie bei ihrem grausigen Mahl gestört, obwohl es doch zwischen den Knochen kaum mehr etwas zu fressen gab.

Bilder vom zerstörten Uppsala kamen mir in den Sinn, jener Tag, an dem ich meinen Mann heimatlos machte, und weinend sank ich zu den Toten ins Gras. Es spielte wohl keine Rolle, welche Sprache die Schlächter sprechen – die Sprache ihrer vernichtenden Waffen schien in allen Ländern gleich zu sein: ein gespaltener Schädel, ein Speer im leeren Brustkorb, ein zerschmettertes Kinderskelett, Arme und Beine, verwehte Asche in den vergehenden Haaren der Toten, die niemand beweinte. Selbst die Vögel hatten dieses verwüstete Land verlassen. Die Stille in der warmen Frühsommerluft war unerträglich.

Ich riss mich zusammen. Sprach ein nutzloses Gebet in den Wind, das niemand hörte, denn Gott hatte sich anscheinend zurückgezogen. Hatte ich ernsthaft etwas anderes erwartet? Ich packte mein Schwert und näherte mich dem Eingang der Hütte. Ein leises Meckern ließ mich erstarren. Mit klopfendem Herzen schlich ich unter dem durchgebrochenen Türbalken hindurch und spähte ins Halbdunkel. Der englische Regen hatte auch hier die lehmgefüllten Wände zusammenbrechen lassen und eigenwillige Erdhäufchen daraus gebaut. Hinter einem wild wachsenden Holunderstrauch hörte ich das Meckern wieder. Doch nicht der Teufel saß hier im Dunkeln, sondern eine kleine Ziege, die in das Erdloch gefallen war, das Leute mancherorts ausgraben, um Dinge zu verstecken, wenn sie keine Truhe besitzen … Hier gab es nichts mehr zu verstecken, Plünderer hatten selbst die Wände nach Brauchbarem durchwühlt. Ich vergaß Hunger und Müdigkeit und dass Eriks Ärger über mein Ausbleiben wie ein Sturm über mich kommen würde und kniete stattdessen nieder, um das Tier aus seiner Falle herauszuholen.

Die Ziege war jung und wild und sehr mager, und ein totes Junges lag neben ihr. Das Euter jedoch war noch nicht zurückgegangen. Ich vergaß nun jede für diesen unheimlichen Ort gebotene Vorsicht.

»Dich schickt der Himmel, obwohl du eine Ziege bist, kleine Freundin …«, murmelte ich, legte meinen Gürtel ab und knotete ihn ihr um den Hals, damit sie mir nicht weglief. »Vielleicht hast du ja auch noch Milch für mich? Lass mal schauen, kleine Freundin …«

Sie war zu erschöpft, um sich gegen meine Finger zu wehren. Sanft strich ich über ihr weiches Euter, liebkoste es und befühlte die Zitzen. Sie wehrte sich auch nicht, als ich an ihnen zu ziehen begann, vorsichtig, dann fordernder, und ein Glücksschauder überlief mich, als ich ein paar Tropfen warme Milch an meinen Fingern herabrinnen fühlte … Milch – wir würden Milch haben! Gute, warme Ziegenmilch!

Ich quälte sie nicht zu lange. Bald würde mehr Milch in ihrem Euter sein, dessen war ich mir sicher. »Kleine Freundin, kleine Runa, du kommst mit mir und sollst es gut haben«, murmelte ich. Vielleicht verstand sie mich, denn mit rauer Zunge leckte sie dankbar meinen Unterarm. Das geflochtene Band fest um die Hand gewickelt, trat ich den Rückzug aus der muffigen Hütte an. Piepsend stoben Mäuse vor meinen Füßen ins Dunkel. Scherben knackten unter meinen Stiefeln. Die Normannen waren gründlich gewesen.

Nicht gründlich genug. Neben meinem Fuß raschelte es. Es klang wie ein Steinchen … Körnchen … Wieder fiel ich auf die Knie, suchte mit beiden Händen im Erdreich, während Runa dazu meckerte. Und ich ertastete Körner, Getreidekörner, die aus einem Krug herausrieselten! Ich unterdrückte einen Triumphschrei – diesen unerlaubten Ausflug musste Erik mir verzeihen! Der Himmel legte mir Saatgut in die Hände! Hastig knüpfte ich meine Decke auseinander und schaufelte so viel von Erdreich und Körnern hinein, wie nur ging. Daheim würden wir genug Zeit haben, es zu verlesen, die Körner in die Erde zu stecken und mit ihnen einen Anfang auf den zerstörten Äckern zu machen. Als der Boden sauber gefegt war, band ich mir das Bündel um die Taille – wer es mir wegnehmen wollte, würde bitter darum kämpfen müssen. Dann steckte ich das Schwert in den improvisierten Gürtel und trat den Rückzug aus der verfallenen Hütte an.

Die Ziege folgte mir brav. Vielleicht war sie doch nicht wild? Auf jeden Fall war ich froh über ihre Gesellschaft in dieser gottverlassenen Gegend. Hurtig kletterten wir die kleine Anhöhe hinauf und wollten schon im Schutz des Wäldchens verschwinden, als ein fürchterlicher Fluch aus Menschenmund die Luft erzittern ließ.

»Mierd … verfluchter Bockmist, was tut das weh …« Instinktiv warf ich mich ins tiefe Gras und spähte umher. Die Krähe von eben flog auf und schiss gezielt hinter einen Holzstoß. »Gottverfluchter Teufelsbraten, schwarzer, verwünschter, dass dich die Pocken holen …«, schallte es ihr aus der Niederung entgegen. Ein Stein flog in die Luft, doch sie flatterte nur höhnisch keckernd davon, weil Pocken für einen Vogel ein lustiger Spaß sind und Steine sowieso niemals treffen. Vorsichtig kroch ich den Abhang herunter, Runa hinter mir herziehend. Der Fluch zitterte immer noch in der Luft, nach einem Opfer suchend, man wusste ja nicht, wann er verging … Die Sprache aber war Normannisch gewesen, daher siegte meine Neugier über die Angst.

Und der, dessen Mund so blasphemische und wüste Beschimpfungen entsprangen, war ein Mönch. Er lag nur wenige Fuß von mir entfernt in einer Senke neben dem verrottenden Holzstoß, und er schien tatsächlich Erleichterung zu finden durch seine furchtbaren Worte.

Angewidert verzog ich das Gesicht.

Natürlich, ein Diener Gottes, einer von denen, die den Sünden¬ und Bußkatalog auswendig konnten und auf Flüche eine Art angeborene Absolution hatten. Einer von denen, die mich auf Sassenberg auf die Knie gezwungen hatten, die mich nackt und gefesselt ins Wasser geworfen hatten, weil sie mich für schuldig hielten, einer von denen, die Erik gedemütigt hatten … Die Tonsur leuchtete mir aus dem Gras entgegen. Er lag halb auf der Seite und hielt sich, weiter wilde Beschimpfungen murmelnd, das verletzte Bein. Runa meckerte leise, und er fuhr herum.

»Der Teufel – Barmherziger! Oder doch nicht …? Gottallmächtiger, hast du mich erschreckt! Klopft man in diesem Lande nicht an?«, fauchte er mich an und versuchte, sich auf den Rücken zu drehen.

Neugierig sah ich ihn an. »Seid Ihr verletzt?«, fragte ich in der Sprache des Landes.

»Wie kommst du darauf?«, entgegnete er launisch, des Angelsächsischen offenbar mächtig, wobei sein Akzent sich schlimmer anhörte als der meine. »Ich liege hier in der Sonne und halte ein Verdauungsschläfchen!« Und gnatzte auf Normannisch weiter: »Gottverdammte Barbaren – wer hat behauptet, dass hier irgendjemand missioniert und zivilisiert ist?! Solche dämlichen Fragen sollten verboten werden …«

Ich grinste hämisch. Was für ein Fund! »Nun, dann will ich Euch nicht länger stören bei Eurem wohlverdienten Verdauungsschläfchen. Gott sei mit Euch, heiliger Mann.« Und wandte mich zum Gehen.

»He! Du da!« Auf dem...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2023
Reihe/Serie Wege der Eifelgräfin
Wege der Eifelgräfin
Sprache deutsch
Original-Titel Die Tage des Raben
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Barbaren • Burgherrin • Eifel • Grafentochter • Gräfin • Liebe • Wiedersprüche • Wilddieb
ISBN-10 3-8412-3354-6 / 3841233546
ISBN-13 978-3-8412-3354-7 / 9783841233547
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