Horror-Western 10: Westwärts auch die Ängste ziehen (eBook)

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2024 | 1. Auflage
182 Seiten
BLITZ-Verlag
978-3-7579-5555-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Horror-Western 10: Westwärts auch die Ängste ziehen -  Michael Tillmann
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Michael Tillmann ist auf makabre Art davon fasziniert, dass es in dieser aussichtslos erscheinenden Weird-Fiction-Welt immer wieder Situationen gibt, in denen sich Menschen dazu entscheiden, Hoffnung zu haben und zu neuen Gestaden aufbrechen. Die Besiedlung Amerikas durch die Europäer war so ein Kapitel trügerischer Hoffnung. Es gibt viel zu erzählen. Beispielsweise wenn Rache nur noch einen einzigen Tag unter der Sonnenglut warten muss, um perfekt zu werden. Oder wenn ein Cowboy so lakonisch ist, dass er damit selbst uralte Dämonen aus dem Spessart in den Wahnsinn treibt. Und was ist eigentlich mit den unglücklichen Auswanderern, die Amerika nie lebend erreichten? Und mehr Geschichten, in denen die europäische Finsternis über die Neue Welt fällt.

Michael Tillmann wurde 1969 in Gelsenkirchen geboren. Tillmann hat circa 50 Erzählungen in einschlägigen Phantastik-/Fantasy- und Science-Fiction-Publikationen wie z.B. EXODUS oder phantastisch! veröffentlicht. Bei MEDUSENBLUT sind zwei Bücher aus seiner Feder erschienen Ein Gänsekiel aus Schwermetall (2010) und Schatten suchen keine Ewigkeit (2013). 2012 war er mit seiner Geschichte "Das Himmelreich der Autisten" für den Vincent Preis nominiert.

Silberne Belohnung in silberner Nacht


Durch Belohnung oder Strafe kann man Menschen zwingen,

zu erklären oder zu beschwören,

dass sie glauben, und zu handeln, als ob sie glauben.“

Jonathan Swift

„Sondern wir reden, wie geschrieben steht:

Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat

und in keines Menschen Herz gekommen ist,

was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“

1 Korinther 2:9

Manchmal glaube ich, in einsamen Abendstunden im Knacken des Lagerfeuerholzes die knarzige Stimme meines Großvaters mütterlicherseits zu hören. Ich denke dann zurück an meine Kindheit, ich fühle Geborgenheit und schlafe bisweilen sitzend ein. Insbesondere, wenn ich selbst zu viel von der billigen Tinktur getrunken habe, die ich sonst den Hinterwäldlern auf den Farmen des Westens als Wundermedizin verkaufe.

Sollte ich dann erst wieder aufwachen, wenn bereits alle Glut erloschen ist, so sehe ich die weite Prärie gebadet wie in Silber. Das Licht des Mondes, die Weite des flachen Graslandes und ich, viele Nächte haben wir zusammen verbracht. Nur die Prärie kennt meine Einsamkeit und meine Sehnsucht nach Wärme. Nur das Mondlicht schaut meine Tränen.

Es kam jedoch eine Nacht, da war es ebenso und doch anders. Eine erhabene Silberhaut lag über der staubigen Welt. Doch als ich mit schlafverklebten Augen zum ewigen Firmament blickte, sah ich keinen Mond und keine Sterne. Der Himmel war wolkenverhangen und düster. Woher kam nur das silberne Licht, wenn nicht vom Mond? Über diesen Gedanken schlief ich beunruhigt erneut ein.

Ich träumte von einer Silbermine, von langen, winkeligen Gängen und von adergleichen Wasserrinnsalen an der Wand. Doch da schien noch mehr zu sein. Im Gestein dieser Mine sah ich menschliche Gesichter im Schein meiner Petroleumlaterne. Gesichter, die ich kannte. Gesichter von Toten. Nie hat ein noch Lebender mein Traumland betreten. Seltsam, im Schlaf kenne ich nur die Gesichter Verstorbener. Ihre Augen jedoch lebten und ihre steinernen, spröden Lippen bewegten sich. Sie wollten mit mir sprechen, wollten, so glaubte ich, mir ein Geheimnis über das Metall des Nachtglanzes verraten, doch ich wachte vorher abermals auf.

Und immer noch war die mond- und sternenlose Nacht in gespenstisches Silber getaucht. Da erblickte ich neben mir eine große, schlanke Gestalt. Sie strahlte das metallene Licht ab, welches alles einhüllte. Trotzdem wurde ich seltsamerweise nicht geblendet. Auch strahlte das Licht keine Wärme ab.

Vor mir stand ein nackter Engel von unglaublicher Schönheit. Weiblicher Schönheit. Übermenschlich weiblicher Schönheit. Auch wenn das Licht mich nicht blendete, so war es doch fast so, als könnte diese Anmut mich blenden.

Es sprach der Engel: „Fürchte dich nicht!“

Doch mir wurde sofort bewusst, dass dies nur die Worte waren, die ich zu hören wünschte; in Wahrheit hatte das Wesen eindeutig gesagt: „Fürchte dich!“

Ich folgte dieser Aufforderung; ich fürchtete mich, hob abwehrend die Hände.

Und das vollkommene Geschöpf sprach weiter: „Ja, fürchte dich, Christ, fürchte dich, denn das ist ein Teil der Verehrung! Doch in dieser Nacht braucht es mehr als nur Anbetung. Fürchte dich, denn den Indianern wird heute einer geboren, den werden sie ihren Heiland nennen, denn ihr Glaube verändert sich. Doch ihr Heiland ist kein Heiland! Da ist nur ein Heiland im Himmel, und der duldet nicht die Söhne anderer Väter neben sich. Der Aberglaube der Indianer ist falsch und gefährdet die Ordnung im Universum. Es kann nicht zwei Heilande geben.“

Meine Verwirrung war so groß, dass ich meine mich fast zermahlende Angst überwand und fragte: „Dann ist dieser andere der Antichrist? Ein Sohn des Bösen?“

Äonenlang schwieg der Engel, bevor er vielleicht mit einer Spur von Mühsamkeit antwortete: „Nein, er ist nicht der Antichrist. Er ist der Sohn eines Götzen. Muss ich dich erst belehren über das Wort des Herrn? Als Gott sprach, dass ihr Menschen keine anderen Götter neben ihm haben sollt, da meine er nicht nur Teufel und Dämonen, sondern insbesondere auch Götzen. Wisse: Nur unser Herr und Gott entscheidet, wer oder was das Böse ist. Alle anderen Götter sind Götzen. Alle Götzen sind böse vor Gott, auch wenn ihr Handeln nicht böse sein sollte, nach den Maßstäben der Menschen. Denn Gott und sein Wort ist der einzige Maßstab für euch Menschen.“

Es platze aus mir heraus: „So ist der falsche Heiland nicht des Teufels Sohn? So ist er vielleicht der Sohn von ...?“

Der Engel unterbrach mich und befahl mir: „Schweige! Frage nicht länger! Dies ist keine Verkündigung, denn ich bin kein Engel der Ersten Triade. Wisse: Ich bin Impetus, Engel der Zweiten Triade und unsere drei Chöre singen supra omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem.* [Fußnote Anfang] *hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften (Paulus, Epheserbrief) [Fußnote Ende] Steh also auf, sattle dein Pferd und reite in die Gegend, die ihr Hügelwall nennt! Dort befindet sich das Dorf der Heiden. Nimm dein Gewehr und töte sie alle. Verschone insbesondere nicht den falschen Heiland! Denk nicht darüber nach. Nur Gott entscheidet, welche Tat gut und welche Tat böse ist. Vertraue bedingungslos auf die Weisheit Gottes! Sein Maßstab ist auch sein Zepter!“

Mir jedoch kam erneut die Angst und die Verzweiflung, sodass ich einwendete: „Aber bei aller Bereitschaft den Willen meines Gottes widerspruchslos zu erfüllen, so kann ich doch nicht alleine ein ganzes Dorf bekämpfen! Man kann über sie sagen, was man will, aber die Indianer sind mutige Kämpfer. Was kann da ein einzelner Mann tun, selbst, wenn er ein Gewehr hat?“

Die vollen Lippen des Engels formten ein Lächeln, welches so süß war wie Nektar. „Zweifle nicht! Zweifle niemals! Du wirst nicht alleine sein. Es gibt andere Männer wie dich, und es gibt andere Engel wie mich.“

Ich ließ trotzdem den Kopf hängen, zu klein kam ich mir vor. Auch widerstrebte mir die Aufgabe trotz aller Beteuerung meiner widerspruchslosen Dienerschaft heimlich doch. Der Engel der bezaubernden Schönheit sah mein Zögern, senkt seine mit langen, spinnenfadenfeinen Wimpern versehenen kobaltblauen Augen und sprach sehr leise: „Wisse, wenn du wiederkommst und deine heilige Pflicht erfüllt hast, dann darfst du mich küssen, Sterblicher!“

Ich hob erneut meinen Kopf vollends und betrachte abermals die wohlgeformten, sinnlichen Lippen des Engels. Alles an der Gestalt schien so wunderbar. Aber die Lippen waren eine Verheißung der Glückseligkeit. An diesen Lippen ergötzte ich mich mehr als an all den anderen weiblichen Attributen. Für diese Lippen hätte ich alles Gold und Silber, ja, sogar meine Seele hergegeben. Doch es ging nicht um meine Seele. Es ging um meinen Gehorsam.

Der Engel stand wie eine metallene Statue in der Nacht. Mindestens einen Kopf größer als ich. Sein von langen Haaren absolut windstill umrahmtes Haupt nickte mir noch einmal lächelnd und auffordernd zu. Da stand ich auf, richtete meinen Hut, sattelte meinen Schimmel, lud mein Gewehr, stieg aufs Pferd, sah mich noch einmal um zu den sich knospenartig öffnenden Lippen und ritt los in die Gegend, die wir als Hügelwall bezeichnen.

Der Hufschlag meines Pferdes war seltsam gedämpft. Jedoch das Tier ging schnellen und sicheren Schrittes, denn die mondlose Nacht glänzte immer noch hell und majestätisch. Auch mein schweigend flatternder Staubmantel war wie mit flüssigem Quecksilber überzogen. Selbst meine eigene Mutter hätte sich vor meinem gespenstischen Aussehen gefürchtet. Meine mit Schweineschmalz gepflegten Lippen formten die Worte: „Fürchtet euch! Fürchtet euch! Fürchtet euch!“

Doch in Wahrheit dachte ich nicht an meine Aufgabe, nicht an den Willen Gottes. Allein die Lippen der Verheißung flüsterten in meinem Kopf: „Wisse, wenn du wiederkommst und deine heilige Pflicht vor Gott erfüllt hast, dann darfst du mich küssen, Sterblicher!“

Mein Pferd war in dieser Nacht schneller, als je ein irdisches Ross gewesen. Auch sein Fell sträubte sich vor Silberglanz. Schließlich stand ich auf dem ersten der Hügel und erblickte unter mir die Zelte des erstaunlich großen Indianerlagers. Ebenso sah ich aus allen Richtungen geräuschlos weitere silberne Männer auf silbernen Pferden auf das Dorf zureiten. Männer wie ich. Staubige, unrasierte Männer, die man aus dem traumgetränkten Schlaf gerissen hatte. Männer, denen das alte Herz unter der Wildlederweste klopft wegen eines Engels, der ihnen die Berührung seiner knospenden Lippen versprochen hatte.

So ging es hinab. Als wir alle das Dorf zeitgleich erreichten, da sahen wir uns nicht an. Wir grüßten uns nicht. Wir beratschlagten uns nicht. Wir sprachen kein Wort. Nur unsere Waffen ließen wir sprechen.

Ein Chaos entstand. Einige Krieger stellten sich uns unter Kriegsgeheul mit Tomahawks in den Weg. Gewiss, sie waren schnell und kämpften mit dem erschreckenden Mut der Verzweiflung, aber sie konnten nichts gegen unsere modernen Schusswaffen ausrichten.

Einige der Alten warfen sich schützend vor die weinenden Kinder, doch auch das war ohne Sinn. Denn unser Herr und Gottvater war bei uns, so wie er damals schon bei den Engeln von Sodom und Gomorrha stand, als diese gnadenlos die Kessel mit Feuer und Schwefel über den Menschen leerten.

Pulvergeruch in der Luft. Schreie in unseren Köpfen. Sehnsucht in unseren Herzen. Es war ein großes Massaker, kein richtiger Kampf. Wir streckten alle Rothäute nieder. Den Häuptling, die Krieger, die Alten, die Frauen, die Kinder und den in dieser Nacht gerade erst...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2024
Reihe/Serie Horror-Western
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Anthologie • Geschichten • Phantastik • Roman • Weird Western • Wilder Westen
ISBN-10 3-7579-5555-2 / 3757955552
ISBN-13 978-3-7579-5555-7 / 9783757955557
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