Jerry Cotton Sonder-Edition 219 (eBook)

Neues vom Maulwurf

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Aufl. 2023
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5764-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jerry Cotton Sonder-Edition 219 - Jerry Cotton
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Noch nie besaß ich so viele Vollmachten wie in diesem Fall. Aber noch nie hatte ich auch so gefährliche Gegner. Der Justizminister der USA empfand die Mafiahierarchie in New York als einen nationalen Notstand. Deshalb durfte ich die Gangster mit den modernsten Mittel bekämpfen. Bald kannten sie meinen Decknamen Der Maulwurf. Sie wussten allerdings nicht, dass ich ein G-man war. Und doch wurde so mancher brutale Boss plötzlich bleich, wenn er Neues vom Maulwurf hörte ...


I


»Es ist keine Frage der Kraft«, sagte der kleine Mann und trat vor.

Er hieß Tai Nang Lee. Sein Vater war Japaner, seine Mutter Koreanerin. Jetzt stand er vor den übereinander getürmten Ziegelsteinen und hatte die Augen geschlossen. Der Kopf war halb gesenkt. Die Lippen waren ein wenig geöffnet. Es sah fast aus, als schliefe er im Stehen.

Dann schien etwas in ihm zu explodieren. Er öffnete die Augen. Sein Arm schoss hoch, und aus den Tiefen seiner Kehle entstieg ein rauer Urlaut.

Die Ziegelsteine spritzten buchstäblich auseinander.

Ich holte Luft und schüttelte unwillkürlich den Kopf. Wenn es mir jemand erzählt hätte, hätte ich es nicht geglaubt. Aber ich hatte es mit eigenen Augen gesehen.

»Wenn es keine Frage der Kraft ist«, sagte ich beeindruckt, »was ist es dann?«

»In erster Linie ist es eine Frage der Konzentration«, erwiderte der hagere kleine Mann. »Die meisten Menschen schlagen immer nur mit der Hand. Sie schlagen niemals mit ihrem ganzen Wesen. Deshalb ist in ihrem Schlag nur die Kraft der Hand, nie die Kraft ihres ganzen Seins.«

»Hm«, brummte ich zweifelnd. »Und was ist es in zweiter Linie?«

»In zweiter Linie ist es eine Frage der Übung.« Er sah mich prüfend an. »Üben können wir. Ob Sie sich ausreichend konzentrieren können, Mister Cotton, das werden wir bald wissen.«

Als der Wecker an diesem denkwürdigen Mittwoch rappelte, fiel mir meine erste Begegnung mit Tai Nang Lee wieder ein, noch bevor ich die Augen geöffnet hatte.

Ich blieb liegen, reckte mich und ließ mir durch den Kopf gehen, was in den vergangenen sechs Wochen geschehen war. In diesen sechs Wochen, die ich vorwiegend mit Tai Nang Lee verbracht hatte. Dabei befühlte ich die Hornhaut an meinen Händen.

Und ich kam zu der Überzeugung, dass es einige rätselhafte Dinge auf dieser Welt gibt, die wohl nur Asiaten je verstehen und beherrschen können. Zum Beispiel die Sache, für die die Ziegelsteine nur eine äußere Erscheinungsform darstellten. Das war ja schon halb asiatisch gedacht. Ein Zeichen dafür, was mir Tai Nang Lee alles beigebracht hatte.

Ich machte die Augen auf, starrte an die Decke und dachte an das, was mir an diesem Tag bevorstand. Heute konnte ich mir Gemächlichkeit leisten, denn ich brauchte nicht wie sonst meinen Freund Phil Decker abzuholen. Heute mussten wir nicht zum FBI fahren, mussten uns nicht an unsere Schreibtische setzen und hatten auch keine Ermittlungen durchzuführen. Heute würde alles ganz anders laufen als sonst.

Nach ein paar Minuten spürte ich, dass ich hungrig war. Mit den routinierten Handgriffen des erfahrenen Junggesellen setzte ich Kaffeewasser auf, die Pfanne mit dem Frühstücksspeck, drehte die Dusche auf und legte das Rasierzeug mit der Wilkinson-Klinge zurecht. Zehn Minuten später duftete es in meiner Wohnung nach Kaffee und gebratenem Speck mit Spiegeleiern. Ich hatte immerhin schon Hose, Socken und Schuhe angezogen. Gerade wollte ich, nun schon heißhungrig, anfangen zu essen, da klingelte es.

Ich holte den 38er aus dem Schlafzimmer, bevor ich die Wohnungstür einen Spalt breit aufzog.

Phil stand auf der Matte. »Ich bin ein bisschen früh dran. Ich konnte nicht wieder einschlafen. Du bist ja auch schon halb angezogen.«

Was er nicht sagte, ich ihm aber ansah, war, dass er vor Sorgen um mich kaum geschlafen hatte. Deshalb war er viel zu früh aufgestanden und hatte garantiert noch nicht gefrühstückt. Also schob ich die Pfanne ein zweites Mal auf den Herd und stellte eine weitere Tasse auf den Tisch.

Als wir das Haus verließen, schien die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, der sich wie blaue Seidentapete über Manhattan spannte. Wir schleppten meine beiden schweren Koffer mit uns – das heißt, es waren nicht wirklich meine Koffer. Sie stammten aus der Requisitenkammer des New Yorker FBI, und es gab zwei identische Gepäckstücke, mit denen sich in diesen Minuten wahrscheinlich einer unserer Kollegen beschäftigte, nämlich der G-man Allan Petersen. Allan ist der einzige Kollege, der so ziemlich die gleiche Figur hat wie ich.

Mein roter Jaguar schnurrte behaglich, als ich auf dem Brooklyn Queens Expressway endlich ein bisschen Gas geben konnte. Der Expressway ist die direkte Zufahrt vom Süden der Stadt zum Flughafen LaGuardia an der Nordküste von Queens.

»Eigentlich ist es Wahnsinn, was wir vorhaben«, meinte Phil unvermittelt.

Ich erwiderte nichts, denn ich musste mich aufs Fahren konzentrieren. Vor mir zuckelte ein zitronengelber VW-Käfer über alle drei Fahrspuren hin und her, als könnte er sich für keine bestimmte entscheiden. Ich wartete auf den richtigen Augenblick und gab meinen 264 Pferden die Sporen. Der rote Jaguar schoss an dem flatterhaften Zitronenfalter vorbei wie eine Rakete.

»Jerry, wir könnten noch alles abblasen«, sagte Phil. Je näher wir dem Flughafen kamen, desto mehr Sorgen machte er sich offenbar.

»Nein, Phil«, widersprach ich. »Das können wir nicht mehr. Zu Rädchen sind in Bewegung gesetzt, zu viele Leute haben sich auf ihren Teil der Arbeit vorbereitet. Ich werde gewiss nicht darauf verzichten, die Lunte zu dem Dynamitfass anzuzünden ...«

Er trug wie immer einen zerknitterten Anzug und einen speckigen Hut, unter dessen Band sein Presseausweis hervorlugte. Johnny O'Connor, der wohl beste Gerichts- und Polizeireporter der ganzen Ostküste, erwartete uns wenig später am verabredeten Nebeneingang. Er kaute auf einem zerfaserten Zigarrenstrunk und grinste, als er uns kommen sah.

»Alles okay?«, fragte ich.

»Na, sicher doch«, erwiderte Johnny und schob sich den Hut noch ein paar Inch weiter ins Genick. »Sie werden einen Presserummel haben, Cotton, um den Sie jeder Politiker beneiden wird.«

»Ich bin gespannt«, sagte ich und zog einen dicken Briefumschlag hervor, den ich Johnny in die Hand drückte. »Da. Alle Bilder, die Sie von mir haben wollten. In Badehose, in Freizeitkluft, im weißen Dinnerjacket und im schwarzen Smoking. Mitsamt den Negativen, wie abgesprochen.«

Johnny warf einen flüchtigen Blick in den Umschlag, dann stopfte er ihn in eine seiner ausgebeulten Taschen. »Von mir aus kann's losgehen. Mein Gepäck habe ich schon aufgegeben. Fahrt vor dem mittleren Haupteingang vor.«

Mit seinem Entengang watschelte er davon. Wir ließen ihm genügend Zeit. Dann drehten wir mit dem Jaguar eine große Runde über die Parkplätze, bevor wir auf den mittleren Eingang der Haupthalle zusteuerten. Ich ließ den Jaguar im absoluten Halteverbot stehen, nachdem Phil das magnetische Warnlicht aufs Dach gesetzt und eingeschaltet hatte.

Angesichts eines rotierenden Warnlichts würde kein übereifriger Kollege von der City Police auf den Gedanken kommen, uns ein Strafmandat zu verpassen. Außerdem wollten wir ja das Aufsehen. Wir luden uns jeder einen der schweren Koffer auf die Schulter und betraten die Halle.

Johnny O'Connor kam uns entgegengewatschelt und strahlte.

»Endlich, Cotton!«, rief er. »Ich dachte schon, Sie würden's verschlafen.«

Wir setzten die Koffer ab und schüttelten ihm die Hand, als hätten wir ihn an diesem Tage noch nicht gesehen. Er winkte einen wie zufällig in der Nähe herumlungernden Gepäckträger mit einer Elektrokarre heran. Ich drückte ihm mein Ticket und zwei Dollar in die Hand. Und Johnny erklärte ihm, wo das Gepäck und für welchen Flug es aufzugeben sei. Die Karre schnurrte davon.

Ungefähr zehn Schritte von uns entfernt hatten sie die Batterie mit ihren Mikrofonen aufgebaut. Wir sahen die Schildchen der drei großen Fernsehgesellschaften NBC, ABC und CBS, und wir sahen die Mikrofone von rund einem Dutzend lokaler Rundfunkstationen. Es wimmelte von Aufnahmeleitern, Kameraleuten und Kameraassistenten mit tragbaren Handlampen. Und es wimmelte von Zeitungsreportern. Johnny hatte nicht übertrieben. Was er da meinetwegen zusammengetrommelt hatte, hätte bei einem hohen Politiker auch nicht viel aufwendiger sein können.

Die Aufnahmeleiter zerrten mich vor die Mikrofone, die Toningenieure stülpten sich ihre Kopfhörer über und schalteten ihre Bandgeräte und die Mikrofone ein. Die Handscheinwerfer flammten auf, die Kameras surrten kaum hörbar.

»Jerry, wohin geht die Reise?«, kreischte einer.

»Nach Rio.«

»Warum gerade Rio?«

»Warum nicht Rio?«

»Fährt Phil mit?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Der Personalstand beim FBI erlaubt es derzeit nicht, zwei G-men gleichzeitig in den Urlaub zu schicken.«

»Jerry, Sie gelten als New Yorks Gangsterjäger Nummer eins. Sehen Sie rosige Zeiten für die Unterwelt, wenn Sie Urlaub machen?«

»Fragen Sie Phil und meine Kollegen, ob sie das zulassen werden.«

Einige lachten. Meine Augen hatten sich inzwischen an das grelle Licht der Scheinwerfer gewöhnt, und ich sah mich unauffällig um. Inzwischen prasselten weiter ihre Fragen auf mich ein.

»Wie viel Geld werden Sie ausgeben, Jerry?«

»Das hängt von den örtlichen Getränkepreisen ab.«

»Möchten Sie eine...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2023
Reihe/Serie Jerry Cotton Sonder-Edition
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner
ISBN-10 3-7517-5764-3 / 3751757643
ISBN-13 978-3-7517-5764-5 / 9783751757645
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