»Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis« (eBook)
350 Seiten
Elisabeth Sandmann Verlag
978-3-949582-25-7 (ISBN)
Welche Art von Brief würde man an diejenigen schreiben, die in Frieden und Freiheit leben und nicht wissen, wie es ist tagtäglich im Krieg? Diese Frage haben 38 Frauen zwischen 10-72 Jahren beantwortet, indem sie Briefe verfasst haben, die nun in ihrer ganzen Wucht, Dichte, Schmerz, Kraft und Kompromisslosigkeit vorliegen. Fotografiert wurden die Frauen von drei Ukrainerinnen. Und die gute Nachricht ist: Sie sind alle noch am Leben.
Mit einem Nachwort von Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk
»Aurélie Bros hat mit vielen ukrainischen Frauen gesprochen. In diesem feinfühligen, zum Nachdenken anregenden Buch haben die Frauen ihr eigenes Leben in ihrer eigenen Stimme beschrieben. Aurélie Bros zeigt uns auf einfühlsame und aufschlussreiche Weise, wie wichtig es ist, nicht zu ignorieren, was um uns herum geschieht.« Lily Brett
»Dieses Buch ist die Geschichte von 38 ukrainischen Frauen, die sich entschieden haben zu wählen, was sie werden wollen, und es wird Sie von der ersten bis zur letzten Seite fesseln und inspirieren.« Stephen Fry
Aurélie Bros stammt ursprünglich aus Frankreich. Ihre Doktorarbeit in ihrem Forschungsfeld der Geopolitik befasste sich mit der Exportstrategie von Gazprom über die Ukraine nach Europa. Danach lehrte sie an verschiedenen Universitäten, darunter die Wirtschaftshochschule in Moskau und Harvard University, wo sie ein Forschungsprogramm über die Folgen der globalen Energiewende in traditionellen Öl- und Gasförderländer leitete. Neben zahlreichen Vorträgen, unter anderem am MIT und Université du Québec, sensibilisert sie mit ihrem Programm EcoKidsProject, Kinder und Teenager für die Folgen unseres Energieverbrauchs. Seit März 2022 koordiniert sie ein Hilfsprojekt des Handelsblatts, mit dem ukrainischen Journalisten unterstützt werden, und hat dadurch die Protagnistinnen ihres Buches kennengelernt. Kristina Parioti wurde am 11. September 2002 in Mariupol, Ukraine, geboren. Die Ukrainerin mit ursprünglich griechisch-italienischen Wurzeln machte 2019 ihr Abitur und studierte im selben Jahr an der Staatlichen Universität Mariupol Philologie mit den Schwerpunkten Englisch und Deutsch. Während der Belagerung von Mariupol versteckte sich Kristina wochenlang mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder in einem Keller. Am 23. März 2022 floh sie unter abenteuerlichen Umständen mit ihrer Familie nach Deutschland. Anastasia Potapova wurde 1997 in Odesa geboren und hat dort Fotografie studiert. Seit Mitte März 2022 lebt sie in Deutschland. Lydia Nagel, geboren in Wismar, studierte Slawistik und Kulturwissenschaft, leitete ein Praktikumsprogramm für ukrainische und belarusische Studierende im Land Brandenburg und arbeitete von 2011 bis 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Universität Wien. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für slawische Sprachwissenschaft am Institut für Slawistik der Universität Greifswald. Sie übersetzt aus verschiedenen slawischen Sprachen ins Deutsche, insbesondere zeitgenössische Prosa und Dramatik. Emily Channell-Justice ist Direktorin des Temerty Contemporary Ukraine Program am Ukrainian Research Institute der Harvard University. Oleksandra Matwijtschuk ist eine ukrainische Juristin, Menschenrechtsaktivistin, Vorsitzende des Center for Civil Liberties (CCL) und Verwaltungsratsmitglied der International Renaissance Foundation. Der Kampf für Menschenrechte bewegt sie seit der Kindheit. 2022 hat sie für das von ihr geleitete CCL den Friedensnobelpreis entgegengenommen.
Olena Biloserska
*5. August 1979, Kyjiw · Offizierin der Streitkräfte der Ukraine. Vor Beginn des Krieges war sie Journalistin (2004 – 2014). · Erste Begegnung mit dem Krieg: 2014 · Aufenthaltsort am 24. Februar 2022: Kyjiw.
1. Juli 2022
Ich heiße Olena Biloserska, ich wurde in Kyjiw in eine Ingenieursfamilie hineingeboren. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern.
Seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Literatur und Poesie. Ich war oft krank, deshalb habe ich in der Schule viel versäumt, war trotzdem immer eine ausgezeichnete Schülerin.
Meine Muttersprache war von klein auf Russisch, wie bei allen aus meiner Generation, die in Großstädten aufgewachsen sind (mit Ausnahme der Westukraine, wo immer Ukrainisch gesprochen wurde). Denn während der 300 Jahre russischer Besatzung wurde die Ukraine sehr stark russifiziert. Als die Sowjetunion zerfiel und die Ukraine unabhängig wurde, war ich zwölf Jahre alt. In meiner Kindheit wurde über die Ukraine und die Ukrainer in der Öffentlichkeit nie so gesprochen, als wären sie etwas von Russland Getrenntes, und die meisten Ukrainer konnten sich überhaupt nicht vorstellen, dass wir unseren eigenen Staat so schnell und einfach und ohne Blutvergießen bekommen würden. Es stellte sich dann ja auch heraus, dass dies durchaus nicht so war. Staatliche Unabhängigkeit muss man mit Blut bezahlen – wenn nicht sofort, dann in der nächsten Generation, wie es bei uns der Fall ist.
Zur ukrainischen Sprache wechselte ich bewusst, schon als junge Erwachsene, aus patriotischen Gründen. In der Öffentlichkeit schreibe und spreche ich nur Ukrainisch. Aber im Alltag spreche ich immer noch oft Russisch, höre russische Rockmusik und russische Liedermacher – die Musik, die ich seit meiner Jugend mag. Ich kenne russische Lyrik und schätze sie. Das ist das Schicksal der Intellektuellen meiner Generation. Die nächste Generation wird das alles nicht mehr kennen und Russisch bestenfalls als Fremdsprache sprechen.
Nach dem Abschluss meines geisteswissenschaftlichen Studiums versuchte ich mich einige Jahre im Journalismus und war recht erfolgreich dabei. Zehn Jahre lang war ich eine relativ bekannte Reporterin und Publizistin, berichtete sowohl in Text- als auch in Foto- und Videobeiträgen über patriotische Aktionen und Proteste in Kyjiw. Während des prorussischen Regimes von Janukowytsch wurde ich als oppositionelle Journalistin verfolgt, und man konstruierte Straftatbestände gegen mich. Aber die Öffentlichkeit – die ukrainische wie auch die ausländische – verteidigte mich, und ich habe erlebt, wie wirksam öffentliche Solidarität sein kann. Neben meiner Tätigkeit als Journalistin habe ich mich für Menschenrechte eingesetzt.
Diese zehn Jahre, von 2004 bis 2014, war ich Mitglied einer ukrainischen patriotischen Militärsportorganisation, in der wir für den Fall einer russischen Invasion ausgebildet wurden. Wir machten uns mit den Grundlagen des Militärwesens vertraut, lernten Taktiken der Fortbewegung in kleinen Gruppen, die Organisation von Hinterhalten usw. Unsere Ausbildenden waren Veteranen verschiedener lokaler Kriege, die in den 1990er Jahren auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR stattgefunden hatten. Damals glaubte ich nicht, dass Russland wirklich angreifen würde, dass der Krieg für uns alle Realität werden würde, und noch weniger konnte ich mir vorstellen, dass ausgerechnet ich, eine Frau mit offensichtlich unzureichendem Training, würde kämpfen müssen. Unsere Ausbildung sah ich als ein Hobby an, als einen interessanten Zeitvertreib an der frischen Luft. Gleichzeitig waren wir jedoch alle, die an diesen Schulungen teilnahmen, bereit, sofort geschlossen an die Front zu gehen, falls Russland wirklich angreifen würde. Und so ist es dann auch gekommen.
Im Frühjahr 2014, als der Krieg begann, und er begann damals, nicht erst am 24. Februar 2022 – im Februar, acht Jahre nach Kriegsbeginn, hörte Russland nur auf, die Lüge zu verbreiten, dass die Bewohner des Donbas, die angeblich mit der Politik Kyjiws unzufrieden waren, gegen uns kämpfen würden, und griff uns offen an –, im Frühjahr 2014 war ich bereits in der Ostukraine. In den ersten dreieinhalb Jahren kämpfte ich als Scharfschützin im Ukrainischen Freiwilligenkorps »Rechter Sektor« und in der Ukrainischen Freiwilligenarmee. Diese informellen Einheiten waren damals nicht Teil der offiziellen ukrainischen Streitkräfte. Wir erhielten kein Gehalt und auch keine Zahlungen im Falle von Verletzung oder Tod. Lebensmittel, Kleidung und Ausrüstung brachten uns Zivilisten, die an der Front helfen wollten. In der Ukraine nennen wir solche Menschen Freiwillige. In den westeuropäischen Sprachen sind Freiwillige Menschen, die irgendetwas freiwillig tun, anderen helfen, das können Zivilisten oder Soldaten sein. Im Ukrainischen hat sich während des Krieges ein anderer Sprachgebrauch herausgebildet, dort gibt es zwei unterschiedliche Begriffe für »Freiwillige«, einen für diejenigen, die als Zivilisten an der Front helfen, und einen für jene, die freiwillig kämpfen. Wir waren also freiwillig Kämpfende. Und obwohl wir von den Befehlshabern der Armee Befehle und Munition erhielten, waren wir sozusagen »illegal« an der Front und mussten unsere Anwesenheit an der Kontaktlinie mit dem Feind oft verbergen. Deshalb heißt auch das dokumentarische Buch über diese Zeit, das ich geschrieben und veröffentlicht habe, Tagebuch einer illegalen Soldatin. Es erschien in zwei Auflagen, wurde für den Schewtschenko-Preis, die höchste literarische Auszeichnung der Ukraine, nominiert und war sogar in der Endauswahl. Übrigens hassen und fürchten die Russen alle ukrainischen freiwillig Kämpfenden und nennen sie »Nazis«. Mich kennen und »lieben« sie noch aus Vorkriegszeiten und präsentieren mich oft im Fernsehen als die größte aller »Nazis« in der Ukraine.
Ein anderes Mal traf mich ein Leuchtspurgeschoss im Gesicht, und die Brandnarbe von dem Phosphor war noch lange danach auf meiner Wange zu sehen. Aber wenn ein bisschen Zeit vergangen ist, erinnert man sich an solche Momente mit einem Lachen.
Dreieinhalb Jahre lang, von 2014 bis 2017, kämpfte ich also als nicht registrierte Freiwillige. Als Scharfschützin habe ich mehr als zehn bestätigte Treffer. Ich wusste immer, schon vor dem Krieg, dass ich Scharfschützin werden würde, falls der Krieg beginnt, denn diese Spezialisierung passt am besten zu meinen Fähigkeiten. Ich habe schon immer ganz gut geschossen, bin geduldig und ausdauernd, und ich sehe diese Arbeit einfach als Arbeit an, ohne jegliche Emotionen – Emotionen sind angebracht, wenn man gute Musik hört, einen Film sieht oder ein Buch liest, aber nicht, wenn man auf den Feind schießt.
Damals habe ich überhaupt nicht darunter gelitten, dass ich kämpfen musste. Mein Mann, mit dem ich gemeinsam in den Krieg gegangen war, und andere wunderbare Kämpfer waren immer an meiner Seite. Von Anfang an waren wir mental auf den Krieg, auf Ruinen und Verluste vorbereitet, und uns war klar, dass dieser Krieg eine Tatsache darstellte, seine innere Logik hatte, etwas Unvermeidliches war, weil das imperiale Russland seine Versuche, sich die Ukraine einzuverleiben, niemals freiwillig einstellen würde, und dass wir das nur mit Gewalt abwehren können.
Natürlich ist mir während des Krieges einiges passiert. Einmal wurde ich durch eine Explosion aus einem Gebäude geschleudert und erlitt eine Gehirnerschütterung und einen Bänderriss am Fuß. Ein anderes Mal traf mich ein Leuchtspurgeschoss im Gesicht, und die Brandnarbe von dem Phosphor war noch lange danach auf meiner Wange zu sehen. Aber wenn ein bisschen Zeit vergangen ist, erinnert man sich an solche Momente mit einem Lachen.
Ende 2017 kehrte ich nach Kyjiw zurück, absolvierte einen Offizierslehrgang an der Militärakademie, erhielt den Rang eines Unterleutnants und eine Spezialausbildung zur Artilleriesoldatin und unterzeichnete einen Vertrag mit den Streitkräften der Ukraine. Für die Artillerie habe ich mich nicht bewusst entschieden und mochte es auch nie besonders – aber in dem Jahr wurden einfach keine anderen Spezialisierungen angeboten. Dann, von 2018 bis 2020, diente ich als Artillerieoffizierin bei der Marine. Ich habe einen extrem schwierigen Hindernisparcours erfolgreich absolviert und mir das Recht erworben, das Marine-Barett in der Farbe der Meereswellen zu tragen. Außerdem habe ich eine hohe staatliche Auszeichnung erhalten – den Orden für Tapferkeit, III. Klasse.
Ende 2020 schied ich aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee aus. Ich hatte auch nicht vor, in die Armee zurückzukehren, ich wollte mich um meine Gesundheit und die Familie kümmern. Mitte 2021 wurde mein Mann ebenfalls demobilisiert. Wir verbrachten einen kurzen Urlaub am Meer, danach wurde ich wieder ernsthaft krank und unterzog mich einer Behandlung; dann begann die offene russische Invasion.
Im Gegensatz zu den meisten meiner Landsleute empfinde ich keinen Hass auf die Russen, obwohl ich mir all ihrer Verbrechen sehr wohl bewusst bin und mich fast jeden Tag Nachrichten über den Tod naher Bekannter erreichen.
Ich wollte nicht mehr zurück – weder zum Militär noch an die Front. Ich war und bin im Herzen ein friedlicher, ziviler Mensch. Um ehrlich zu sein, fällt es mir auch immer schwerer, vor allem körperlich, wir werden ja alle nicht jünger. Aber ein Mensch mit Kampferfahrung hat nicht das moralische Recht, sich in Zeiten wie diesen von den Kampfhandlungen fernzuhalten. Mein Mann und ich sind noch am selben Tag in die Armee zurückgekehrt. Jetzt bin ich...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2023 |
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Illustrationen | Kristina Parioti, Anastasia Potapova |
Nachwort | Oleksandra Matwijtschuk, Emily Channell-Justice |
Übersetzer | Lydia Nagel |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | aktuelles Buch • Anastasiia Potapova • Angriffskrieg • Bücher Neuererscheinung • bücher neuerscheinungen • Daria Biliak • Demokratie • Freiheit • Frieden • Geopolitik • Jerry Heil • Krieg • kriegsreportage • Kristina Parioti • Mut • Neuererscheinung • Neuerscheinungen • neues Buch • Oleksandra Matwijtschuk • Olena Selenska • #standwithukraine • Ukraine • Ukraine-Krieg • Wladimir Putin • Wolodymyr Selenskyj • Würde • Zeitdokument |
ISBN-10 | 3-949582-25-8 / 3949582258 |
ISBN-13 | 978-3-949582-25-7 / 9783949582257 |
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