Die andere Stimme -  Jens Korbus

Die andere Stimme (eBook)

Joseph Haydn und Rebecca Schröter

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 2. Auflage
88 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-5448-6 (ISBN)
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Bei seinen zwei Englandaufenthalten, die zu seinem Ruhm führten, war Rebecca Schröter die Geliebte, Freundin, Agentin und Mäzenin des österreichischen Komponisten Joseph Haydn. Rebecca Schröter, geb. Scott, war die Witwe von Samuel Schröter, dessen Schwester Corona Goethe Ende 1776 als Sängerin an den Weimarer Hof geholt hatte und die dort fünf Jahre lang Goethes Geliebte und Muse war. Ihr Bruder Samuel war als Pianist nach England gegangen und wurde dort berühmt. Man weiß nicht viel über die Ehe zwischen Rebecca und Samuel, der früh starb. Haydn hat sich Rebeccas zweiundzwanzig englische Briefe (die er ihr zurückgab) in sein Londoner Notizbuch abgeschrieben. Sie sind das einzige Zeugnis ihrer Beziehung. Das Buch erzählt die Geschichte ihres zweimal eineinhalb Jahre dauernden Zusammenlebens in der englischen Hauptstadt, es erzählt von Haydns Musik und seinen sagenhaften Erfolgen auf der Insel.

Jens Korbus studierte Germanistik, Philosophie und ein bisschen Schwedisch. Er war Assistent am Germanistischen Institut der Universität Düsseldorf und ging dann in den Schuldienst. Für seinen Brief an Goethe bekam er einen der höchsten Literaturpreise in Rheinland-Pfalz, den Fachinger Kulturpreis. Seine Veröffentlichungen umfassen 35 Bücher, neun davon über Goethe, dessen Umfeld und Motive aus dessen Werk. Darüber hinaus hat er auch einiges über seine Heimatstadt Koblenz und über Ostpreußen geschrieben, das Land, aus dem seine Eltern stammen.

Teil 1


ER WAR MIT SEINEN SECHZIG JAHREN noch immer gut dabei. Sie war ehrlich zu sich selbst, aber er war rätselhaft und überwältigend mit seinem Charme und seiner Begabung. Sah sie noch hübsch aus? – Ständig wollte sie etwas, das er nicht geben konnte. – Sie wollte nur bei ihm sein, solange er hier war. – So war es auch mit ihrem ersten Mann Samuel Schröter gewesen. Der war aber nicht so erfolgreich gewesen wie Haydn. – Bald würde Haydn eine Brille brauchen. Um seine Gesundheit kümmerte sie sich. – Spätestens in einem Jahr war er wieder weg. Eigentlich war er nicht ihr Typ. – Aber ein begnadeter Musiker. – Rebecca Schröter war in London sehr beliebt und umwerfend reich. Deshalb konnte sie sich ihn leisten. – Vielleicht liebte sie Haydn sogar. Konnte sie nicht einfach den Beziehungsstatus ändern? Sie hatte gedacht, sie hätten mehr Zeit, als er sagte, dass er wieder nach Ungarn zurückkehren müsse. – Demnächst? – Was hieß das? – So einfach ziehen lassen würde sie ihn nicht. Seine Berühmtheit strahlte auf sie ab. – Das ermöglichte ihr, auf jedem Gebiet ein besseres Urteil abzugeben. Auch in der Musik. Auch über ihn.

Aus den Augen lassen würde sie ihn hier in England nicht! Sie dachte, er würde jetzt ein bisschen reden, aber er sagte nichts. Zuviel reden machte die Stimme kaputt. – Jede dieser flüchtigen Gedanken machte sie unklar im Kopf. Er mochte die Art, wie sie ihre Wäsche über den Stuhl legte. Wenn sie sich einander zuwandten, seufzte er vor Glück. – Was sie hier taten, war Sünde. – Und trotzdem glaubte sie an etwas. – Er sagte, er habe Hunger, und sie ging in ihre Küche und holte zwei Kabeljau-Frikadellen, die sie im Bett aßen. Das Dinner war eigentlich üppig gewesen. – Sie wusste: Am nächsten Tag würde sie sich an nichts mehr erinnern. – War das grausam? – Am übernächsten Tag würde sie ihm aber doch weiter ihre Briefe schreiben. Zum Beispiel am 7. März 1792:

My Dear, es tat mir sehr leid, mich letzte Nacht so plötzlich von Ihnen zu trennen, unser Gespräch war besonders interessant und ich hatte Ihnen tausend Dinge zu sagen, mein Herz WAR und ist voller Zärtlichkeit für Sie, aber keine Sprache kann die Hälfte der LIEBE und Zuneigung ausdrücken, die ich für Sie empfinde, Sie sind mir jeden Tag meines Lebens lieber. Sagen Sie mir, wann Sie kommen werden.

Stellen, die zu kühn waren, hatte sie wieder ausgestrichen. Sie wusste: Irgendwann, spätestens wenn er wieder über den Kanal segelte, würde er ihr ihre Briefe zurückgeben. – Sie wollte keine Trophäe in Männerhänden. – Und selbst wenn jemand ihre Briefe (oder gar Kopien) in die Hände bekam: außer ihrer glühenden Liebe, gab es keine Hinweise auf sie oder ihr Umfeld. Es war ein Wunder, dass diese Beziehung zwischen einer englischen Frau der Oberschicht und Haydn nicht den Klatschjournalisten zum Opfer gefallen war. Haydn hatte den musikalischen Stil seiner Epoche hervorgebracht: Vom Rokoko, über Sturm und Drang und Klassik, tatsächlich hinein in die träumenden Augen der Romantik. Die Vielstimmigkeit des 18. Jahrhundert hatte sich dem Ende zugeneigt. Und jetzt gab es plötzlich einen neuen Namen für Musik: Die Sinfonie. Neue, spannungsreiche Themen, die nach Entwicklung drängten, das gleichartige Gegenspiel von kräftig und leise. Es gab Kammermusik, die russischen Quartette waren das Beste, fand sie jedenfalls. Die Instrumente in den Quartetten führten Gespräche. Es gab Rede und Wechselrede. Es war, als würden sich vier Persönlichkeiten, bald ernst, bald lustig, über das Thema unterhalten, zu dem die erste Geige den Ton angab. Der Aufbau des Quartetts wurde aus einem einzigen musikalischen Grundgedanken entwickelt. Ernst und befreiender Witz taten zum Beispiel im Lerchen-Quartett das ihre, um jede Einseitigkeit zu vermeiden. Sie mochte darin besonders den langsamen Satz, das Allegro-Menuett und den schnellen Schluss. Der Schlusssatz, der die einmal angeschlagene Sechzehntelbewegung unablässig beibehielt.

Sie hatte später oft Haydns Oratorium Die letzten sieben Worte des Erlösers am Kreuz gehört, und sie wusste, dass die jungen Mädchen im Workhouse gezwungen wurden, sich morgens dieses Oratorium anzuhören und sich dabei, zusammen mit den Vorbetern, auf den Steinboden zu werfen und die Worte des Erlösers nachzusprechen. – Sie hatte einmal einer solchen Morgenmesse im Workhouse beigewohnt und war erstaunt über die Armut die jungen Mädchen, ihre Abgerissenheit, auch über ihren mangelnden Glauben, den ihnen jeder ansah.

Sie hatte im Vorraum die Finger in das Weihwasserbecken getaucht, das Wasser hatte sich gekräuselt, und sie hatten sich beide bekreuzigt, bevor sie durch die Flügeltür in den kargen Raum traten. Mitten im Kirchenschiff beugten sie mühelos das Knie und rutschten auf eine Sitzbank. Alte und junge Frauen mit Kopftüchern beteten flüsternd den Rosenkranz hinunter und nestelten an ihrer Kleidung. Es waren auch ein paar dabei, die mehr Geld hatten, und die schritten, stark parfümiert, bis ganz nach vorne, klappten die Scharniere der Kniebretter herunter. Manche waren stehengeblieben, um besser gaffen zu können. Haydn hatte in seinem Leben ehrliche Frauen kennengelernt; sehr reich, auch mit Geschmack. Doch keine war ihm so nahegekommen wie Rebecca. Er wusste: Manche dieser Frauen hatten nichts außer ihrem Reichtum. Rebecca hatte ihre Schönheit und ihre Musikalität. Es war keine Affäre. Es war eine Romanze. Im Traum stand ihr riesiges Haus leer. Er träumte, dass er durch London streunte, und ihre Mutter erzählte ihm, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Da kam Rebecca durch die Gasse, und er schlug sie mit einem schweren Buch auf den Kopf. – Warum verstand er seinen Traum nicht? Sie war ihm doch immer nahe gewesen.

Rebecca wusste, dass Haydn verheiratet war, mit der drei Jahre älteren Maria Theresia Keller. Sie wusste aber auch, dass das Ehepaar nicht zusammenlebte und dass seine Frau wenig Verständnis für Musik hatte. Warum hatte sie ihn überhaupt geheiratet? Das war in der Zeit gewesen, bevor er in Ungarn im Hause Esterházy zum Weltmusiker aufgestiegen und Freimaurer geworden war. Und da war auch noch Luigia Polzelli, eine Sängerin im Esterházy-Fürstentum, mit der Haydn eine längere Affäre, vielleicht auch einen Sohn hatte. Haydn hatte ihr erzählt, dass er diese Sängerin, die auch verheiratet war, seit langer Zeit finanziell unterstützte und dass sie ohne ihn ihr Leben nicht hätte fristen können.

Nachdem sie von verschiedenen Arten der Liebe gesprochen hatten, erzählte ihr Haydn eine weitere Traumsonate:

Er war in seinem Wohnraum in Esterháza in Ungarn, und es war dunkel. Es gelang ihm nicht, ein Licht anzuzünden. Plötzlich war eine Frau mit ihm im Zimmer. Er zog sie aus, aber es klappte nicht. Er sagte, es gehe nicht, und sie zogen sich wieder an. Ein Gemälde von Angelika Kauffmann hatte an der Wand gehangen. Er hatte in diesem Traum auf kein gelerntes Wissen zurückgreifen können und musste sich darauf verlassen, was er an Alltagswissen jederzeit parat hatte. Es war nicht viel. Er hatte irgendeine Prüfung nicht bestanden. Dann hatte er in Rohrau, wo er geboren war, Reutter, einen der ersten Männer getroffen, die ihm in die Musik geholfen hatten und seine Begabung erkannt hatten. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte er sich von seiner frühen Kindheit emanzipiert. Im Traum gab Haydn Reutter ein paar selbstkomponierte Notenblätter, die er aus einem Tresor nahm. Das, was Haydn für am wichtigsten hielt, war aber verschwunden. Er sah das Gesicht seines Lehrers mit der großen Perücke, die seine dünnen Haare verdeckte. Reutter hatte manchmal auch zugeschlagen. Seine Mutter sagte: Vielleicht kannst du einmal Lehrer oder Geistlicher werden. Haydn wusste damals schon, dass er aus Rohrau hinaus musste.

Der Traum hatte auf die tieferen Schichten gezielt. Wollte ihm der Traum klarmachen, dass er sein Ziel schon erreicht hatte? Rohrau: das war dunkel und billig. Jetzt war Haydn nicht nur Komponist, sondern auch ein Lehrer für die jungen Nachwuchsmusiker. Die freuten sich, dass Haydn alle seine Kompositionsaufgaben so neu und originell gelöst hatte. Im Traum hatte er vor Freude und Zuneigung seinen Kopf und sein Oberkörper über die Knie eines jungen Mädchens gelegt. Er schrieb in diesem Traum mit Kohle etwas auf eine Glaswand. Er sagte Rebecca, dass er begonnen habe, ihr zu misstrauen. Nachts hatte sie ein paar Mal an seiner Londoner Wohnungstür geklingelt, und das habe ihn misstrauisch gemacht. – Sie konnte ihn aber mit einem neuen Briefchen schnell beruhigen: Oh, wie sehr ich Sie sehen möchte, hoffe ich, dass Sie morgen zu mir kommen. Ich würde mich freuen, Sie morgens und abends zu sehen. Gott segne Sie, mein Lieber, meine Gedanken und besten Wünsche, die Sie je begleiteten. Ich bin immer die Ihre mit der aufrichtigsten und unververänderlichsten Haltung, my Dear.

ER WAR KATHOLIK UND WÜRDE SEINE EHE MIT MARIA ANNA KELLER bis ins Unendliche fortsetzen müssen. 1795 ging Haydn endgültig in...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7568-5448-5 / 3756854485
ISBN-13 978-3-7568-5448-6 / 9783756854486
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