Die Waldgräfin (eBook)

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2023 | 1. Auflage
608 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3352-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Waldgräfin -  Dagmar Trodler
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Man schreibt das Jahr des Herrn 1066: Eigenwillig, hoch gewachsen und von unbändigem Freiheitsdrang, hadert Alienor, die Tochter des verwitweten Freigrafen zu Sassenberg in der Eifel, mit ihrem eintönigen Schicksal als Burgherrin. Ausgerechnet der weihnachtliche Almosengang in den Kerker verändert ihr Leben.
Sie findet heraus, dass der angeblich stumme, rätselhafte Gefangene Normannisch spricht, die Sprache ihrer Mutter. Alienor erhält den »Barbaren« von ihrem Vater als Reitknecht zum Geschenk. Doch erst als der Fremde beinahe mörderischen Intrigen zum Opfer fällt und sein Leben in ihren Händen liegt, weiß Alienor, was sie will. Und ergreift ihre Chance zur Unabhängigkeit...



Dagmar Trodler, 1965 in Düren/Rheinland geboren. Sie arbeitete zunächst als Krankenschwester und studierte Geschichte und Skandinavistik. Sie lebt heute meistens auf Island. Gleich ihr erster Roman »Die Waldgrä?n« wurde ein Bestseller. www.dagmar.trodler.de

2. Kapitel


Sie schlagen mich, aber es tut mir nicht wehe;

sie klopfen mich, aber ich fühle es nicht.

Wenn will ich aufwachen, dass ich’s mehr treibe.

(Sprüche 23,35)

Eines Morgens erwachte ich früher als gewohnt. Im Burghof war das morgendliche Trappeln und Wiehern der Pferde zu hören, die auf die Weiden am Hang getrieben wurden. Nur die wertvollen Zuchttiere verbrachten die Nacht im Burgstall, da Vater nicht Gefahr laufen wollte, eines der Tiere an Wölfe oder Diebe zu verlieren. Unsere Pferdezucht brachte ihm einen guten Verdienst ein, und seine edlen Rösser waren in Jülich wie in Köln gleichermaßen begehrt. Sie hatten uns die beiden Mächtigen des Rheinlandes, den Grafen von Jülich und den Erzbischof von Köln, mit ihren Eroberungsgelüsten bislang vom Hals gehalten. Die kleine Grafschaft Sassenberg am Tor zur Eifel war seit Jahrzehnten als Pufferstaat zwischen Köln und Jülich unabhängig und nur der Krone verantwortlich, ein Privileg, das Vater in einer Urkunde vom Kaiser persönlich garantiert worden war und auf das er großen Wert legte.

Da ich nun einmal wach war, stand ich auf und kleidete mich leise an. Emilia und unsere Frauen schliefen noch fest. Vorsichtig öffnete ich unsere Kammertür und kletterte die schmale Stiege zum Dach des Frauenturms hoch. Meine Mutter hatte hier oben eine kleine Bank aufstellen lassen. Nachts saß ich manchmal dort und berauschte mich an der Unendlichkeit des Firmaments. Heute Morgen jedoch genoss ich den Blick über unsere Ländereien und die weiten Wälder rings um unseren Burgberg. Im Osten färbte die Morgendämmerung den Himmel blutrot, ein milder Wind ließ die Fahne der Sassenberg auf dem Burgfried flattern. Das warme Wetter hatte den Schnee fast weggeschmolzen, nur noch vereinzelt lagen weiße Flecken auf den Wiesen. Gottlob war der Winter bald vorbei! Ich hasste diese Jahreszeit, in der es in den Ecken nach Tod roch und die Kälte einem den Verstand raubte … Schon bald würden Bauern wieder mit dem Pflug über die Äcker unterhalb des Berges ziehen, und das Korn, das sie von der letzten Ernte zurückbehalten hatten, als Saat in die Furchen streuen. Wenn sich die ersten Halme durch die Ackerkrume der Sonne entgegenreckten, würden auf den Brachen Raps, Kornblumen und Mohn blühen, und die Frauen würden zwischen den Blumen nach Schnecken, essbaren Kräutern und Pflanzen suchen gehen. Ihr rhythmischer Gesang und das Pfeifen der Hütejungen würden endlich den Sommer ankündigen …

Im Westen schmiegten sich die Hütten eines der Dörfer an den Hang, die ersten Frühaufsteher waren sicher schon auf den Beinen und unterwegs zur Burg oder zum Kloster, um ihren täglichen Frondienst zu verrichten. Es war eine harte Arbeit, dem kargen Boden der Eifel Getreide und Früchte abzutrotzen, und wie groß die Armut in den Dörfern war, konnte ich an den Almosenkörben ablesen, die wir jede Woche verteilten.

Ein paar Meilen östlich vom Burgberg, dort, wo sich die Sonne über dem Wald erhob, glänzte nun sicher auch die Kirchturmspitze der Benediktinerabtei St. Leonhard. So sehr ich mich auch reckte, ich konnte sie hinter den Baumwipfeln nicht ausmachen. Die Kirche war noch keine fünf Jahre alt, meine Eltern hatten den Hauptteil der Bausumme gespendet, voller Hoffnung, nach ihrem Tode Gnade vor Gott dem Allmächtigen zu finden. Zur Einweihung hatte es einen feierlichen Gottesdienst gegeben, zu dem der Kölner Erzbischof mit Gefolge angereist war. Von dem anschließenden Fest sprachen die Leute noch lange.

Auch für mich war es ein großer Tag gewesen, ereignete sich auf unserer Burg doch kaum je etwas Außergewöhnliches. Mein Vater reiste zwar oft zum Hof des Kaisers, doch tat er das stets ohne meine Begleitung.

Erst vergangenen Monat war er von einer Reise an des Kaisers Pfalz zurückgekehrt. Ich hatte wieder einmal zu Hause bleiben und Grütze essen müssen, während die halbe Burg sich an den kaiserlichen Gelagen erfreute. Obwohl ich mich, den Empfehlungen meines Beichtvaters getreu, um Bescheidenheit mühte und diese letzten Tage des Kirchenjahres im Gebet zu verbringen versuchte, schmerzte die neuerliche Zurücksetzung sehr, und es hatte mich nur wenig getröstet, dass Pater Arnoldus mir ein geweihtes Kreuz aus der Pfalzkapelle mitgebracht hatte, denn auch seine schmalen Wangen waren rosig überhaucht von der kaiserlichen Tafel gewesen. Ich formte aus meinen Händen ein Nest und hauchte heißen Atem in die Öffnung.

Ein einziges Mal nur hatte ich meine Eltern auf einer Reise begleiten dürfen – damals, als Kaiser Heinrich III. seinen Sohn, den kleinen Rotzlöffel Heinrich, in Aachen zum König krönen ließ. Man schrieb das Jahr 1054. Ich zählte gerade einmal fünf Jahre und stand zitternd vor Aufregung in den kaiserlichen Gärten an der Stadtumwallung, zu denen Kaiserin Agnes’ Hofdamen mir als Tochter des Freigrafen Zutritt ermöglicht hatten.

Die Prinzessin Adelheid und Judith-Sophie zogen mich an den Kleidern und hänselten mich wegen meiner damals noch leuchtend roten Haare – »Eifelfuchs« nannten sie mich, »Fackelkind« und »Zundermarie« –, und wie zwei kleine Pfauen stolzierten sie vor mir auf und ab und präsentierten ihre Schleppen, während Prinz Heinrich sich schreiend im Gras wälzte und vor Wut die kaiserlichen Hosen nässte, weil er am Krönungstag den Thron ohne seine Mama besteigen sollte. Der ältesten Schwester, Prinzessin Mathilde, gelang es schließlich, den Kleinen zu beruhigen, und als wir nebeneinander auf der Wiese hockten und Honiggebäck schleckten und ich dem Prinzen zuraunte: »Du, deine Hose ist nass«, da flüsterte er mit mutwillig blitzenden schwarzen Augen zurück: »Na und? Ich bin der König.«

Heute, zwölf Jahre später, regierte dieser König, der so alt war wie ich, als Kaiser ein Reich von Hamburg bis nach Italien, während ich immer noch keinen Fuß vor diese Eifelburg gesetzt hatte. Keines der kaiserlichen Kinder hatte ich je wieder gesehen, obwohl mein Vater, als Freigraf nur der Krone untertan, zu allen Festen im Gefolge weilte. Doch weder zur Hochzeit Judith-Sophies mit dem König von Ungarn noch zu Adelheids Weihe zur Äbtissin von Quedlinburg hatte man mich mitgenommen, stets hatte es Gründe gegeben, mich daheim zu lassen – ein Fieber, schlechtes Wetter oder ein Kindbett meiner Mutter. Der Hochzeit Prinzessin Mathildes mit Herzog Rudolf von Rheinfelden im Jahre des Herrn 1059 war mein Vater sogar selbst ferngeblieben. Man erzählte sich, dass der Herzog die Salierprinzessin zuvor entführt hatte, um die Heirat zu erzwingen. Was für uns Kinder reichlich abenteuerlich klang, war für meine Eltern politisch so unannehmbar, dass sie es lieber riskierten, Kaiserin Agnes vor den Kopf zu stoßen, als dem Bräutigam die Ehre zu erweisen. Ich nagte an meinem Daumen. Ob er sie damals auf einem Pferd entführt hatte? Bei Nacht und Nebel aus ihrem Bett geraubt, ohne Umhang durch die Nacht getragen? Oder hatte eine Armee sie aus der Pfalz geholt, mit Waffen gedroht, damit sie freiwillig mitkam? Bilder tanzten durch meine Gedanken, ich sah eine Burg, Herolde, ein riesiges Schlachtross, einen wehenden Mantel, blonde Haare im Wind … Ob die Prinzessin mit den schönen braunen Augen Angst gehabt hatte?

Das erste der Pferde erreichte die Weide am Bergrücken, die letztes Jahr erst gerodet worden war. Übermütig sprang es herum und wieherte laut. Die anderen folgten in wildem Galopp, jemand trieb sie mit Geschrei zu noch mehr Tempo an. Ich beugte mich weiter vor und erkannte zu meinem größten Erstaunen meinen Knecht, der mit einer Gerte in der Hand neben den Pferden herlief. Wieso brachte er die Pferde auf die Weide? Das war nicht seine Aufgabe – aber sicher hatte der Zuständige sich auf diese Weise eine zusätzliche Mütze Schlaf verschafft. Die Stallburschen hatten schnell herausgefunden, dass »Hans Pferdeapfel«, wie der Fremde im Stall genannt wurde, besonders gut mit den kapriziösen Streitrössern umgehen konnte.

Voller Neugierde beobachtete ich, wie Hans immer schneller neben den umhertollenden Pferden herlief und quer über die Weide hinter dem Rappen mit der langen Mähne herjagte – großer Gott, das war das prächtige Kampfross, das Vater für den Kölner Erzbischof vorgesehen hatte, es war noch nicht ausgebildet, und niemand durfte es reiten! Ich hielt den Atem an. Aus vollem Lauf sprang Hans geschmeidig wie eine Katze auf den Rücken des Pferdes und trieb es einige Runden über die Wiese. Ohne zu bocken, folgte es seinen Befehlen, die Ohren aufmerksam aufgestellt. Pferd und Reiter wirkten wie ein einziges Wesen, wie ein Kentaur aus Naphtalis Geschichten über die Griechengötter – er musste verrückt sein! Wenn dem Pferd etwas geschah …

Schließlich hatte die wilde Jagd ein Ende, er glitt herab, streichelte den Schwarzen und trottete in die Mitte der Weide. Dort zog er sich Hemd und Rock aus und ließ sich mit nacktem Oberkörper zu Boden fallen. Seine Hände krallten sich in die matschige Grasnarbe, bohrten sich in die Erde, als wollte er sie umarmen. Ich schlang die Arme um mich und biss mir auf die Lippen. Irgendwie schämte ich mich plötzlich, ihn zu beobachten. Lange Zeit rührte er sich nicht, obwohl das Pferd des Erzbischofs spielerisch über seinen Rücken schnoberte.

»Er spielt mit seinem Leben.« Erschrocken fuhr ich herum. Hinter mir stand Maia, noch ganz verschlafen in eine Decke gehüllt, die Augen auf die Weide gerichtet. »Der Graf wird ihn töten …« Gemeinsam sahen wir zu, wie er auf die Pferdetränke zuging. Dort wusch er sich mit dem eiskalten Wasser die Erde vom Leib und steckte den Kopf in den Trog. Gleich darauf war er mit seinen...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2023
Reihe/Serie Wege der Eifelgräfin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Barbaren • Burgherrin • Eifel • Grafentochter • Gräfin • Liebe • Wiedersprüche • Wilddieb
ISBN-10 3-8412-3352-X / 384123352X
ISBN-13 978-3-8412-3352-3 / 9783841233523
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