MERKUR 9/2023 (eBook)
104 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12176-6 (ISBN)
Christian Demand, Jg. 1960, hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Er war als Musiker und Komponist tätig, später als Hörfunkjournalist beim Bayerischen Rundfunk. Nach Promotion und Habilitation in Philosophie unterrichtete er als Gastprofessor für philosophische Ästhetik an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2006 wurde er auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg berufen, wo er bis 2012 lehrt. Buchveröffentlichungen: Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte (2003), Wie kommt die Ordnung in die Kunst? (2010). Christian Demand ist Herausgeber des MERKUR.
Christian Demand, Jg. 1960, hat Philosophie und Politikwissenschaft studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Er war als Musiker und Komponist tätig, später als Hörfunkjournalist beim Bayerischen Rundfunk. Nach Promotion und Habilitation in Philosophie unterrichtete er als Gastprofessor für philosophische Ästhetik an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2006 wurde er auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg berufen, wo er bis 2012 lehrt. Buchveröffentlichungen: Die Beschämung der Philister: Wie die Kunst sich der Kritik entledigte (2003), Wie kommt die Ordnung in die Kunst? (2010). Christian Demand ist Herausgeber des MERKUR.
DOI 10.21706/mr-77-9-18
Trevor Jackson
Der Preis für Krypto
Nichts von alledem hätte passieren müssen. Als im Herbst 2008 die internationale Finanzordnung zusammenbrach, schlug eine anonyme Einzelperson – oder vielleicht auch eine Gruppe –, die unter dem Namen Satoshi Nakamoto schrieb, ein neues elektronisches Bargeldsystem vor, das sie Bitcoin nannte. Das »white paper«, in dem das System vorgestellt wurde, zirkulierte zunächst in einer Mailingliste zum Thema Kryptografie. Nakamoto behauptete darin, dass Bitcoin es ermöglichen würde, »Online-Zahlungen direkt von einer Partei an eine andere zu senden, ohne dass eine Finanzinstitution dazwischengeschaltet werden muss«. Um das Problem zu umgehen, dass Nutzer dasselbe immaterielle Geld zweimal ausgeben, schlug Nakamoto etwas vor, das er »verteilter Zeitstempel-Server« nannte, heute als »Blockchain« bekannt ist und bei dem es sich um eine Art digitales Kassenbuch handelt. Wann immer jemand eine Zahlung vornimmt, wird diese im Kassenbuch verzeichnet, das so zum permanenten, offenen, transparenten Aufzeichnungsort für alle Zahlungen wird. Anders als bei Banken gäbe es keinen Zentralspeicher, keine autoritative Kopie des Kassenbuchs. Stattdessen würde jede Teilnehmerin eine eigene Kopie auf ihrem Rechner haben.
Bei jeder Transaktion würden die Teilnehmer sich eilig an die schwierigen Rechenprobleme machen, die das System lösen muss, um den Vorgang gegenüber allen vorangehenden Transaktionen im Kassenbuch zu verifizieren. Derjenige, dem diese Verifikation als Erstem gelingt, würde dann neue Bitcoins erhalten. Dieses System nennt sich »proof of work« (»Leistungsnachweis«). Auf diese Weise werden nach und nach neue Bitcoins geschaffen oder »geschürft«, bis ein Limit erreicht ist, das die immer aufwändigeren Berechnungen zur Verifikation der Transaktionskette vorgeben – irgendwann würde die Produktion neuer Bitcoins gegen Null gehen, was die Möglichkeit einer Inflation ausschlösse. Weil es keine zentralisierte Instanz gäbe, gäbe es auch keine Bank, die zusammenbrechen könnte – und keinen CEO, den man zur Rechenschaft ziehen könnte. Und so ist aus den Ruinen des Jahres 2008 die Krypto-Währung erstanden.
Aber Bitcoin war und ist eine Katastrophe: »Proof of work« heißt, dass jeder im Netzwerk zur Verifikation jeder einzelnen Transaktion eilte, wobei es immer nur eine Gewinnerin geben konnte. Das führte natürlich zu einer riesigen Menge verschwendeter, redundanter Anstrengungen und einem wahrhaft abstoßenden Verbrauch von Strom und Computerchips, da sich die Teilnehmer in einem Wettrüsten um immer größere und mächtigere Computer befanden. Das Netzwerk konnte nur ein paar Transaktionen pro Sekunde bewältigen – zum Vergleich: bei Firmen wie Visa sind es Tausende –, und manchmal dauerte eine einzelne Transaktion Stunden, was dazu führte, dass sich der Preis der Bitcoins, und damit der Wert der Transaktion, währenddessen veränderte.
Auch die Auszahlung und Rückkehr in den realen Geldkreislauf hat sich als sehr problematisch erwiesen: Finanzbetrugsbeamte beobachten nicht rückverfolgbare, anonyme Zahlungsvorgänge mit Argusaugen. Aus diesen Gründen war Bitcoin von begrenztem Nutzen: ein spekulatives Investment für manche, die die Preisschwankungen genau verfolgten, und ein Zahlungsmittel für Leute, die mit derart unerlaubten Dingen befasst waren, dass die langsamen Transaktionen, die Unvorhersehbarkeit und die Nichtliquidität durch die Anonymität aufgewogen wurden. Ende 2013 machte das FBI Silk Road dicht, den wichtigsten Online-Schwarzmarkt, was zur Folge hatte, dass Bitcoin-Besitzer nicht einmal mehr Drogen kaufen konnten. Da hätte es schon vorbei sein können.
Ethereum
Während Bitcoin auf die genannten technischen und rechtlichen Probleme stieß, hatte ein neunzehnjähriger Programmierer und Autor für das Bitcoin Magazine namens Vitalik Buterin eine Idee, wie sich die Krypto-Währungs-Technologie auf weitere Aspekte des wirtschaftlichen und sozialen Lebens anwenden und ausweiten ließe. Er stellte sein Projekt Ethereum Anfang 2014 vor, und seit 2018 ist es, was die Marktkapitalisierung angeht, die zweitgrößte Krypto-Währung nach Bitcoin.
Wie Bitcoin hat Ethereum seine eigene Währung, Ether, aber mit zwei entscheidenden Neuerungen: »proof of stake« (»Anteilsnachweis«) und »smart contracts«. »Proof of stake« ist leichter zu erklären: Statt durch ein verschwenderisches und redundantes Proof-of-Work-System werden Ethereum-Transaktionen durch eine Lotterie verifiziert, an der diejenigen Nutzer teilnehmen, die Sicherheiten (»stake«) hinterlegt haben – je höher die Einlagen, desto größer die Chancen auf den Gewinn. Das System hat den Vorzug, dass es die redundanten Berechnungen eliminiert, bedeutet aber auch, dass Spieler, die viel Geld hinterlegen können, ständig mit neuem Ether belohnt werden. Außerdem entsteht so ein Flaschenhals, da die Transaktionen nur von relativ wenigen Teilnehmern verifiziert werden können. Zwischen 2020 und 2022 hat Ethereum komplett auf »proof of stake« umgestellt, was, wie die Entwickler behaupten, den Stromverbrauch um 99 Prozent reduziert hat – davor hatte das Netzwerk ungefähr so viel Strom verbraucht wie ganz Finnland.
Smart contracts, also intelligente Verträge, sind etwas schwieriger zu verstehen, weil sie weder Verträge noch intelligent sind. Sie sind Teile von Computer-Code, die etwas automatisch geschehen lassen: etwa nach Empfang von x Ether durch Person y den Betrag z an Person y zu übertragen. Sie sind (noch) keine rechtlichen Vereinbarungen, obwohl einige US-Staaten begonnen haben, Gesetze zu ihrer Anerkennung als solche zu erlassen. Dennoch sind sie nur gelegentlich und mit Glück rechtlich durchsetzbar. Sie sind dumm auf die Weise, auf die alle Computer dumm sind: Sie können nicht zwischen Absicht und Fehler, zwischen Transaktion und Diebstahl, zwischen guten und schlechten Inputs unterscheiden.
Buterins Idee bestand darin, dass sich das Ethereum-System auf alles anwenden ließe. Die Journalistin Laura Shin bietet in ihrem Buch The Cryptopians dieses erhellende Beispiel:1 Stellen Sie sich vor, sie wollen ein dezentrales Mitfahrnetzwerk starten – ein Uber-ähnliches Netzwerk, nur ohne Uber. Sie schaffen eine neue Krypto-Währung – nennen wir sie CabCoin – und starten einen »Vertrag« für das CabCoin-Fundraising im Ethereum-Netzwerk. Der Vertrag könnte so programmiert sein, dass er jeder und jedem das neue Token schickt, der ihm Ether geschickt hat, und zwar in einem vorgegebenen Verhältnis, also etwa zehntausend CabCoins pro Ether. CabCoin-Besitzer können diese nun nutzen, um für Fahrten zu zahlen oder bei Veränderungen des Netzwerks abzustimmen, also etwa, was Preisfestsetzung, Fahrerlöhne und das Marketing-Budget des Netzwerks betrifft.
Ökonomische Demokratie
In einem Artikel für das Bitcoin Magazine aus dem Jahr 2014 behauptete Buterin, bei seinem Projekt handle es sich um »eine neue Art ›ökonomischer Demokratie‹«, was er wie folgt erklärte: »Es ist möglich, Währungen aufzusetzen, deren Seigniorage, das heißt deren Emission, bestimmte Zwecke unterstützt, und Menschen können für diese Zwecke stimmen, indem sie bestimmte Währungen in ihren Unternehmen akzeptieren. Wer kein Unternehmen hat, kann sich stattdessen am Marketing beteiligen und bei anderen Unternehmen Lobby-Arbeit für die Akzeptanz der Währung betreiben. Jemand kann SocialCoin schaffen, die Währung, die jedem Menschen auf der Welt tausend Einheiten im Monat auszahlt, und wenn genug Leute diese Idee mögen und zu akzeptieren beginnen, hat die Welt plötzlich ein Bürgergeld, ohne dass dafür eine zentrale Finanzierung erforderlich wäre. Wir können auch Währungen schaffen, die Anreize für medizinische Forschung, Raumfahrt und sogar Kunst bieten; ja, es gibt Künstlerinnen, Podcasts und Musiker, die darüber nachdenken, für just diesen Zweck ihre eigenen Währungen zu erfinden.«
Buterins ursprüngliche Idee bestand darin, Ethereum für Mehrfachsignatur-Treuhandkonten, Sparkonten und Peer-to-Peer-Glücksspiel zu nutzen, aber da ja, wie er meinte, jede Gruppe von...
Erscheint lt. Verlag | 25.8.2023 |
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Reihe/Serie | MERKUR | MERKUR |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
Schlagworte | Debatte • Essay • Essayistik • Essays • Geschichte • Gesellschaft • Kunst • Literatur • Philosophie • Politik |
ISBN-10 | 3-608-12176-5 / 3608121765 |
ISBN-13 | 978-3-608-12176-6 / 9783608121766 |
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