Jerry Cotton Sonder-Edition 216 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5201-5 (ISBN)
Sogar New Yorks Presse war zur Stelle, als Emilio Masperi nach sechsunddreißig Jahren wieder den Boden der USA betrat. Er war einmal New Yorks brutalster Gangsterboss gewesen. Jetzt war er ein alter Mann. Lächelnd beteuerte er vor den Kameras: 'Ich möchte hier friedlich mein Leben beschließen.' Mr. High glaubte ihm kein Wort. Er fürchtete, dass Masperi nicht sein Leben, sondern das vieler anderer Bürger zu beschließen im Sinn hatte. Deshalb wurden Phil und ich auf ihn angesetzt. Das blutige Verhängnis war jedoch nicht aufzuhalten. Denn der Alte überlistete uns - durch den Stellvertreter eines Killers ...
I
Gefährliche Vorbereitungen
1
Federal Bureau of Investigation
»Da kommt er«, sagte Phil.
Die Kühlerhaube meines Jaguar glitzerte im Sonnenlicht. Schräg über die Windschutzscheibe lief der Schatten eines Alleebaums. Ungefähr vierzig Yards vor uns kreuzte die Hauptstraße die enge Gasse, in der wir parkten. Und dort vorn war Frank G. Marlow um die Ecke gebogen.
Er trug einen hellgrauen Anzug, ein rosafarbenes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Als er sich uns bis auf etwa zehn Schritte genähert hatte, blieb er stehen.
Marlow war zweiundfünfzig Jahre alt, untersetzt, kräftig und sah noch immer gut aus. Sein kurz gehaltenes schwarzes Haar war an den Schläfen grau wie gebrochener Stahl. Unter den struppigen schwarzen Brauen blickten lichtblaue Augen wachsam in die Welt.
»Los!«, sagte ich.
Wir stiegen aus. Marlow bewegte sich nicht. Seine Arme hingen locker hinab, und ich fragte mich, ob er eine Schusswaffe bei sich führte. Im Augenblick bestand unser einziger Vorteil darin, dass wir zu zweit und gut zwei Yards auseinander waren, was mindestens für einen von uns keine ausreichende Lebensversicherung darstellte, wenn Marlow eine Schusswaffe hatte, misstrauisch war und flink genug mit dem Schießeisen umgehen konnte.
Deshalb sagte ich, als wir erst drei Schritte auf ihn zu gemacht hatten: »Mister Marlow, wir sind Special Agents des FBI.«
Wenn es eine Überraschung für ihn war, verriet er sich nicht. In seinem sonnengebräunten Gesicht bewegte sich nichts.
Er ließ uns noch zwei Schritte näher kommen, dann sagte er: »Stopp! Ich möchte Ihre Ausweise sehen.«
Wir blieben stehen.
»Auch wenn wir vielleicht von Ihren Nachbarn beobachtet werden?«, fragte ich.
»Auch dann.«
»Okay«, erwiderte ich. »Zuerst ich.«
Ich wollte nicht, dass er sich in die Enge getrieben fühlte, weil vor ihm zwei Männer gleichzeitig unter ihr Jackett griffen. Mein Freund Phil Decker blieb reglos stehen, während ich betont langsam die Hand in die innere Brusttasche meines Jacketts schob und das lederne Etui hinauszog.
Ich klappte es auf und hielt es ihm hin. Auf diese Entfernung musste er zumindest die Dienstmarke deutlich erkennen können. Ich gab ihm drei Sekunden Zeit dafür. Dann ließ ich das Etui in die rechte Außentasche gleiten und brummte: »Jetzt du, Phil.«
»Nicht nötig«, sagte Marlow. »Kommen Sie.«
Er setzte seinen Weg fort, als wären wir gar nicht vorhanden. Zwischen uns hindurch ging er zu dem niedrigen Gartentor, stieß es auf und lief über die Steinplatten zur hölzernen Veranda, die drei Stufen hoch vor seinem Vorstadthäuschen entlanglief. Er zog den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss auf.
Gleich hinter der Tür erstreckte sich das große Wohnzimmer mit einem Kamin auf der rechten Giebelseite. Dem Eingang gegenüber führte eine Holztreppe ins Obergeschoss hinauf. Weiter links gab es einen offenen Durchgang zur geräumigen Küche.
Als Phil die Tür hinter sich zudrückte, drehte sich Marlow um. »Muss ich Sie eigentlich reinlassen?«
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Wir haben weder einen Haft- noch einen Durchsuchungsbefehl.«
»Muss ich mit Ihnen sprechen?«
»Auch nicht. Es gehört zu Ihren verfassungsmäßigen Rechten, vor Polizeibeamten jede Aussage zu verweigern.«
Er nickte und zeigte auf eine Sesselgruppe rings um einen großen runden Tisch, auf dem ein riesiger Marmoraschenbecher und ein klobiges Tischfeuerzeug standen. »Setzen Sie sich, G-men. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein danke«, sagte ich. »Wir möchten uns nur mit Ihnen unterhalten.«
Er ließ sich in einen der schweren Polstersessel fallen, wartete, bis auch wir Platz genommen hatten. »Also, was kann ich für Sie tun?«
Ich hätte mein Notizbuch hervorholen können, aber ich wollte das Gespräch möglichst wenig offiziell wirken lassen. Also sagte ich aus dem Gedächtnis: »Mister Marlow, Sie waren vor gut zehn Jahren einmal in Italien, ist das richtig?«
»Sie wissen doch, dass es stimmt. Was fragen Sie dann?«
»Wir möchten nur die Möglichkeit einer Verwechslung ausschließen.«
»Okay, ich war in Italien.«
»Sie gerieten mit einem Mietwagen südlich von Neapel in eine Polizeikontrolle. Die italienische Polizei fand eine Pistole im Handschuhfach und ein Jagdgewehr im Kofferraum. Immer noch richtig?«
»Ja.«
»Was wollten Sie so schwer bewaffnet in einem fremden Land?«
»Das habe ich der italienischen Polizei zu Protokoll gegeben.«
»Wären Sie so freundlich, es zu wiederholen?«
»Die Pistole hatte ich mir zu meinem eigenen Schutz zugelegt. Ich weiß nicht, wie weit es stimmt, aber ich hatte gehört, dass in Italien manchmal sogar Touristen entführt werden.«
»Und das Jagdgewehr?« Marlow zeigte ein dünnes Lächeln, als wollte er im Voraus um Entschuldigung bitten. »Ehrlich gesagt, ich hatte die Absicht, ein bisschen zu wildern. Ich gehe gern jagen.«
»Woher hatten Sie die Waffen?«
»In Rom gekauft.«
»In einem Waffengeschäft?«
»Natürlich nicht. Vor meinem Hotel lungerte ein Bursche rum, der sich ziemlich aufdringlich an jeden Touristen ranmachte. Er könne alles besorgen, was das Herz begehre. Rauschgift, Mädchen, unverzollten Schnaps, unverzollte Zigaretten – und alles viel, viel billiger. Das war gelogen. Ich habe für die Pistole und für das Gewehr sündhaft teures Geld bezahlt.«
»Sie wurden damals des Landes verwiesen. Ist das richtig?«
»Freilich. Warum graben Sie diese alte Geschichte aus?«
Er sah uns furchtlos an. Mir war längst klar geworden, dass uns ein Granitblock gegenübersaß.
Ich beugte mich ein wenig vor. »Wir glauben nicht, dass Sie der italienischen Polizei die Wahrheit gesagt haben.«
Er lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »Was glauben Sie denn?«
Ich stand auf, denn jetzt sollte er merken, dass es hochoffiziell wurde. Auch Phil hatte sich erhoben.
»Mister Marlow, wir glauben, dass Sie damals auf dem Weg nach Sizilien waren und dort einen Mann ermorden wollten«, sagte ich betont.
Für ein paar Sekunden war es still. Seine hellblauen Augen wichen meinem Blick nicht aus.
»Was Sie glauben, ist Ihre Sache«, sagte er endlich.
»Haben Sie einen Waffenschein?«
»Ja.«
»Von wem ausgestellt?«
»Vom Bundesstaat New York und gültig für den ganzen Bundesstaat.«
»Besitzen Sie zurzeit eine Waffe?«
»Nein.«
»Tragen Sie sich mit der Absicht, demnächst eine Schusswaffe zu erwerben?«
»Im Augenblick nicht. Warum fragen Sie?«
Wir gingen zur Tür. Dort drehten wir uns noch einmal um. Frank G. Marlow saß noch genauso entspannt in seinem Sessel wie die ganze Zeit über.
»Sie können es morgen wahrscheinlich in allen Zeitungen lesen und vermutlich heute Abend schon im Radio und im Fernsehen hören, Mister Marlow: Der Mann, den Sie auf Sizilien ermorden wollten, kommt in die Vereinigten Staaten zurück ...«
2
Die »Familie« Bandoglioni
Die Müllkippe war dreimal so groß wie das größte New Yorker Sportstadion. Sie lag im warmen Licht der späten Nachmittagssonne. Weit draußen tuckerte ein Hafenschlepper den East River hinauf. Ganze Heerscharen von kreischenden Möwen schwirrten lärmend über das Gelände.
Der rostrote Lincoln Continental Mark VI, den es früher nur als Prestige-Coupé gegeben hatte, war von der neuen viertürigen Serie. Er rollte fast lautlos die Fahrspur der Müllautos entlang und blieb schließlich zwischen zwei hochragenden Müllbergen stehen.
Am Steuer saß der zweiundzwanzigjährige Hank Bandoglioni, hinter ihm sein fast zwanzig Jahre älterer Bruder Joseph. Auf dem Beifahrersitz hatte sich Steven Cherucci halb nach hinten gedreht. Er war knapp fünfzig, aber so hager und knochig wie ein Junge, der zu schnell gewachsen war. Sein faltenreiches Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die alles Mögliche bedeuten konnte.
»Schau, Fred«, sagte er mit seiner krächzenden Stimme, »wir wollen ja nur wissen, wie du es gemacht hast. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?«
Der Angesprochene saß auf dem Rücksitz neben Joseph Bandoglioni. Er hieß Albert Allan, war achtundzwanzig Jahre alt und zweimal wegen Diebstahls vorbestraft. Jetzt schwitzte er außerordentlich stark, obgleich es gar nicht so warm war. Von den nassen Flecken in seinen Achselhöhlen ging ein scharfer Geruch aus.
Über die Schläfen her liefen ihm Rinnsale von Schweiß an den Wangen hinab, über den kantigen Kiefer und den Hals. Sein leichter Sommeranzug stammte von einem Maßschneider, und auch die Seidenkrawatte verriet, dass Allan gute...
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2023 |
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Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-5201-3 / 3751752013 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5201-5 / 9783751752015 |
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