Lovecrafts Schriften des Grauens 35: Die Astronautenvilla (eBook)

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2024 | 1. Auflage
224 Seiten
BLITZ-Verlag
978-3-7579-5418-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lovecrafts Schriften des Grauens 35: Die Astronautenvilla -  Michael Buttler
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Alexander Hirtenbach, Astronaut und Held des Dorfes Klarenfeld, erhängt sich in der Scheune. Sein Neffe Marvin erbt das Haus seines Onkels. Und das dunkle Geheimnis, das sich darin eingenistet hat.

Michael Buttler wohnt mit seiner Familie und zwei Katzen im Rhein-Main-Gebiet. Er arbeitet als Bankkaufmann bei einem Kreditinstitut. Anthologien, an denen der Autor beteiligt war, wurden verschiedentlich für den Deutschen Phantastik-Preis nominiert. Im Jahr 2012 war er mit einer Geschichte in dem Buch vertreten, das den ersten Preis gewann.

Sonntag


Er hatte schlecht geschlafen. Das Alleinsein machte ihm zu schaffen. In der Stille der Nacht hatte er sich immer wieder vorgestellt, was dazugehörte, sich an einem Balken in der Scheune aufzuhängen. Das Nachdenken, die innere Bereitschaft, die Vorbereitungen, das Durchführen – was hatte sein Onkel von der Planung bis zur Tat durchgemacht, um zu dem Schluss zu kommen, dies sei der richtige Weg? Was war der Grund dafür gewesen?

Als sich das erste Licht des Tages seinen Weg ins Haus suchte, war Marvin aufgestanden und in Onkel Alex’ Arbeitszimmer gegangen. Auf dem Schreibtisch hatte schon immer eine beeindruckende Ordnung geherrscht.

Marvin öffnete die Schubladen und durchsuchte sie, ohne zu wissen, was er zu finden hoffte. Abgesehen von einem Abschiedsbrief. Trotzdem suchte er weiter. Nachdem er jedes Papier einmal umgedreht hatte, schaltete er Onkel Alex’ Laptop ein. Marvin nahm ihn mit in die Küche und ließ ihn hochfahren, während er die Kaffeemaschine in Gang brachte.

Das Passwort kannte Marvin natürlich. In manchen Dingen war Onkel Alex vorhersehbar gewesen. Brain Damage war schließlich sein Lieblingslied gewesen. Erschreckend, wenn man daran dachte, dass bei Onkel Alex vielleicht irgendetwas im Oberstübchen durcheinandergeraten war. Ein Wissenschaftler, ein kühler Kopf, der die Mathematik und die Physik über alles stellte. Und dann hängte er sich auf.

Auf dem Rechner war nichts Interessantes zu finden. Neben dem Üblichen fand Marvin nur ein Programm, das offensichtlich mit seiner Arbeit zu tun hatte. Das war mit einem Anwendernamen und einem Passwort geschützt, vermutlich, weil es der Vorschrift des Arbeitgebers entsprach. Dann ein paar Dateien: Briefe an öffentliche Stellen und Versorger und die Bank, dann eine Datei, die eher aussah wie ein Notizzettel, weil dort viele Einzelbegriffe standen, Buchtitel hauptsächlich. Wahrscheinlich Bücher, die er sich kaufen wollte. Diese Datei war recht aktuell, das Speicherdatum von letzter Woche. Von den Autoren hatte er nie gehört. Da waren ein Ludwig Prinn und ein von Junzt darunter, sowie ein vermeintlicher Franzose, ein Araber, ein Kjell Snorrison und zum Schluss ein Prof. Dr. Dr. Nathan Eelsaep. Der letzte Name sprach sich wie ein Zungenbrecher aus.

Die Titel der Bücher kannte er nicht. Na ja, Fachliteratur eben, dachte Marvin zuerst, aber die Titel passten eher zu einem Roman von Stephen King als zu Astronomie oder Physik. Sie waren teilweise in Latein.

Marvin schloss die Datei wieder. Jeder hatte so seine Geheimnisse oder verborgenen Liebhabereien. Vielleicht hatte Onkel Alex damit begonnen, sich für so ein Zeug zu interessieren. Was immer dieses Zeug war.

Schnell waren zwei Stunden vergangen, in denen er sich einmal durch den Computer geklickt hatte. Seufzend lehnte sich Marvin in dem Stuhl zurück. Sonntage waren für sich gesehen in einem Kaff wie Klarenfeld schlimm. Zu wissen, allein auf der Welt zu sein, machte es nicht besser.

Musste er jetzt darauf warten, bis sich das Amtsgericht bei ihm meldete? Würde ein Notar oder ein Anwalt auf ihn zu kommen? Konnte er einfach so weiterstudieren? Letzteres würde ihm schwerfallen. An Konzentration war nicht zu denken. Zum Studieren musste er wieder weg, damit er an den Vorlesungen teilnehmen konnte. Man wusste von Onkel Alex’ Tod. Die Zeitungen, sogar das Fernsehen, hatten davon berichtet. Was, wenn sich ein geisteskranker Fan oder ein Dieb daran machte, in das Haus einzusteigen, weil er beobachtete, dass Marvin in der Woche nicht im Haus war? Was, wenn das dem Fan oder Dieb egal war und er trotzdem einstieg, wenn Marvin hier wohnte. Diese Leute waren skrupellos.

Unwillkürlich lauschte Marvin, ob er ein verdächtiges Geräusch hörte. Das Haus war schon alt, mindestens aus den Fünfzigern, deshalb knackte und knarrte es immer irgendwo. Jetzt hörte er zuerst das Dag-Dag-Dag der Heizung, dann das Zischen des Gasbrenners im Keller.

Der Keller. Er war schon überall im Haus durchgelaufen, aber er war noch nicht im Keller gewesen. Im ganzen Haus waren die Fenster geschlossen, das hatte er kontrolliert. Was war dort unten los? Und in der Scheune?

Zuerst den Keller. Dort, wo die Treppe nach oben ging, gab es eine Tür, und dahinter ging es nach unten. Marvin betätigte den Lichtschalter und sah die schlichten Betonstufen hinab. Sie waren mit roter Farbe gestrichen: Das Relikt einer vergangenen Geschmacksverirrung, wie Marvin meinte. Er hatte Onkel Alex häufig damit aufgezogen. Daraufhin hatte Onkel Alex graue Farbe besorgt und es Marvin überlassen, die Treppe neu zu streichen. Natürlich war das nie passiert, und die Farbe stand seit fünf oder sechs Jahren irgendwo dort unten und war bestimmt nicht mehr zu gebrauchen. Und wenn doch, so würde Marvin sie nicht anrühren. Er wollte an diese kleinen, spaßigen Auseinandersetzungen immer wieder gern erinnert werden. Gerade jetzt, da Onkel Alex nicht mehr da war.

Marvin schaltete das Licht an und ging hinunter. Die Räume, die zu beiden Seiten abzweigten, hatten eigene Schalter.

Zuerst kam auf der linken Seite der erste Vorratsraum, in dem auch die Gasheizung untergebracht war. Der Brenner zischte geschäftig und tat seine Arbeit.

Marvin runzelte die Stirn: In den Regalen hatten zum Lagern geeignete Essensvorräte gestanden: Dosen, Nudeln, Gläser mit Eingelegtem und Eingekochtem, doch das war alles nicht mehr da. Stattdessen lagen überall die leeren Behälter auf dem Boden, aufgeschraubt oder aufgerissen, je nach Verpackung. Alles sauber, wie ordentlich ausgeleckt. Ausgespült, verbesserte sich Marvin. Aber warum lagen die Verpackungen alle auf einem Haufen?

Er würde den Müll entsorgen müssen. Seufzend wandte er sich dem Raum gegenüber zu. Dies war Onkel Alex’ persönliches Gym. Dort standen Sport- und Ausdauergeräte, denn als Astronaut musste man sich fit halten. An der Wand hing ein großer Fernseher. Hatte gehangen, jetzt lag er auf dem Boden, die Halterung auf dem Rücken wie zu kurze Flügel. Nein, fliegen kannst du nicht, dachte Marvin. Die Löcher in der Wand waren deutlich größer, als Onkel Alex die gebohrt hatte, um die Halterung festzuschrauben. Konnte der Krempel einfach von der Wand gefallen sein? Oder hatte Onkel Alex einen Tobsuchtsanfall gehabt, weil es ihm nicht gut gegangen war?

Nun kam die Waschküche dran. Dort gab es eine Tür hinauf in den hinteren Hof.

Marvin blieb vor Schreck stehen. Was war denn hier los? Waschmaschine und Trockner standen in einer Ecke und schienen in Ordnung zu sein, doch die Spüle, die Schränke und Hängeschränke, Überreste von Onkel Alex’ erster Küche, als er noch zur Miete gewohnt hatte, waren, um es kurz zu sagen, Kleinholz. Alles war von der Wand gerissen und geschoben, zerhackt und zerstört. Die Inhalte, altes Geschirr, Bestecke, Kunststoffdosen oder Töpfe, lagen kreuz und quer, ebenfalls zerschlagen, verbogen, eingedellt, je nach Beschaffenheit des Materials.

Was, um Himmels willen, war hier passiert?

Marvin starrte minutenlang auf das Chaos, identifizierte die Büchsen, die alten Teller und Tassen und sonstigen Gerätschaften. Er dachte an Onkel Alex, der, in den Klauen irgendeines Wahns gefangen, alles zerstörte, was ihm in die Hände kam. Oder waren hier Einbrecher am Werk gewesen? Das wären dämliche Einbrecher gewesen, die hier lärmend ein Chaos hinterließen und vermeintlich Wertvolles oben in der Wohnung verschmähten. Trotzdem schaute Marvin zur Tür nach draußen. Sie war geschlossen. Marvin durchquerte das Durcheinander, stieg über die Trümmer, schob mit der Fußspitze einiges zur Seite, damit er überhaupt auftreten konnte. Nichts wäre jetzt schlimmer, als wenn er hinfiel und in ein altes Brotmesser oder in die Scherben eines zerborstenen Wasserglases fiel.

Die Tür war abgeschlossen. Das Fenster daneben, mit einem Gitter versehen, war ebenfalls geschlossen.

Mit weiten, ausfallenden Schritten durchquerte er den Sperrmüllhaufen auf dem Weg zurück.

Blieb die Scheune. Sie war nicht direkt mit dem Haus verbunden. Vielleicht schien es keine gute Idee zu sein, den Ort zu betreten, an dem sich Onkel Alex das Leben genommen hatte, nachdem er das Chaos hier unten im Keller entdeckt hatte. Aber es würde Marvin keine Ruhe lassen, nicht auch dort nach dem Rechten gesehen zu haben.

Ob die Polizei in der Scheune aufgeräumt hatte? Waren die Reste des Seiles entfernt? Lag die Leiter noch umgekippt auf dem Boden?

Marvin ging nach oben, zog sich die Jacke an und trat mit gemischten Gefühlen hinaus. Er blieb stehen, atmete die frische Luft ein und ließ den Keller gedanklich hinter sich. Ja, er würde zur Scheune gehen. Irgendwann musste er es ja tun. Dann hatte er es hinter sich. Dann konnte er sich auf das konzentrieren, was als Nächstes kam, und konnte das Vergangene begraben, so wie sie Onkel Alex begraben würden.

Die Scheune war im Verhältnis zum Wohnhaus vergleichsweise groß. Sie hatte Onkel Alex als Geräteschuppen und als Garage gedient. Neben dem zweiflügeligen Tor hatte sie noch einen Hintereingang. Durch die Lichtluken, die auf halber Höhe zum Dach, also einen guten Meter über Marvins Scheitel, angebracht waren, fiel genug Licht herein, sodass Marvin die Lampen nicht einschalten musste.

Alles wirkte unspektakulär und vertraut, obwohl es sich um einen Tatort handelte. Nicht weit vom Tor stand Onkel Alex’ SUV. An einer Wandseite standen die Werkbank, die einmal ein Esstisch gewesen war, und die zwei Schränke, die all das Werkzeug enthielten, das Onkel Alex besessen hatte.

Auf der anderen Seite befand sich einiges Gerümpel. Da waren die alten Zimmertüren, die Onkel Alex nach dem Austausch im Haus vor einigen Jahren aufgehoben hatte, weil man ja nie wissen konnte, wofür man die noch brauchen...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2024
Reihe/Serie Lovecrafts Schriften des Grauens
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Astronaut • dunkle Phantastik • Erbe • Geheimnis • Selbstmord
ISBN-10 3-7579-5418-1 / 3757954181
ISBN-13 978-3-7579-5418-5 / 9783757954185
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