Der Weg der Wünsche (eBook)
224 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12255-8 (ISBN)
Patrick Rothfuss, geboren 1973 in Wisconsin, unterrichtet als Englisch-Dozent am Stevens Point College in Wisconsin. Die ersten beiden Bände der Königsmörder-Chronik wurden weltweit bei Kritikern und Fantasylesern begeistert aufgenommen und gehören seit Erscheinen zu den meistgelesenen Werken der Fantasy. 2007 wurde Patrick Rothfuss für seinen Roman Der Name des Windes mit dem Quill Award sowie dem Pulishers Weekly Award für das beste Fantasy-Buch des Jahres ausgezeichnet, 2009 hat das Buch den Deutschen Phantastik Preis als bester internationaler Roman erhalten.
Patrick Rothfuss, geboren 1973 in Wisconsin, unterrichtet als Englisch-Dozent am Stevens Point College in Wisconsin. Die ersten beiden Bände der Königsmörder-Chronik wurden weltweit bei Kritikern und Fantasylesern begeistert aufgenommen und gehören seit Erscheinen zu den meistgelesenen Werken der Fantasy. 2007 wurde Patrick Rothfuss für seinen Roman Der Name des Windes mit dem Quill Award sowie dem Pulishers Weekly Award für das beste Fantasy-Buch des Jahres ausgezeichnet, 2009 hat das Buch den Deutschen Phantastik Preis als bester internationaler Roman erhalten. Jochen Schwarzer, geboren 1967 in Nienburg/Weser, lebt als Übersetzer englischsprachiger Literatur in Berlin. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen Stephen King, Redmond O'Hanlon, Patrick Rothfuss und Hunter S. Thompson.
Als Bast eintraf, lugte die Sonne schon über die Bäume und färbte die wenigen zarten Wolken hellrosa und violett.
Zwei Kinder warteten bereits auf der Lichtung. Sie hielten sich respektvoll von der Hügelkuppe fern und spielten auf dem großen Graustein, der halb umgestürzt am Fuß des Hügels lag. Sie kletterten an einer Seite hinauf und sprangen lachend ins hohe Gras hinab.
Da Bast wusste, dass sie ihn beobachteten, ließ er sich beim Ersteigen des kleinen Hügels Zeit. Auf dessen Kuppe stand der Baum, den die Kinder den »Blitzbaum« nannten – von dem allerdings nur noch ein massiver, astloser Stamm übrig war. Ursprünglich musste der Baum einmal sehr groß gewesen sein, denn selbst dieser zerschmetterte Rest war noch so hoch, dass Bast kaum bis ans obere Ende reichen konnte.
Die Rinde war längst abgefallen, und die Sonne hatte das kahle Holz im Laufe der Jahre ausgebleicht. Nur ganz oben am Stamm war es auch nach all der Zeit noch tiefschwarz und schartig. Von der höchsten Stelle des Stammrests hinab hatte der Blitz ein wildes, dunkles, sich gabelndes Abbild seiner selbst in das knochenfahle Holz gebrannt, als wollte er sein Werk signieren.
Bast legte die Fingerspitzen der linken Hand an den glatten Stamm und schritt langsam um den Baum herum. Er ging gegen den Uhrzeigersinn, gegen den Lauf der Welt. Den Weg des Zerstörens. Dreimal.
Dann wechselte er die Hand und schritt in entgegengesetzter Richtung um den Baum herum, folgte also dem Lauf der Sonne. Drei langsame Kreise im Uhrzeigersinn. Der Weg des Erschaffens. So ging er, während die Kinder ihm zuschauten, hin und her, als wäre der Baum eine Spule, deren Garn er auf- und abwickelte.
Schließlich setzte sich Bast und lehnte sich mit dem Rücken an den Baum. Er legte das Buch auf einem nahen Stein ab, und die aufgehende Sonne tauchte die geprägte Goldschrift des Titels in ihr rotes Licht: Celum Tinture. Dann zerstreute er sich damit, Steinchen in den Bach zu werfen, der dem Graustein gegenüber die Hügelflanke durchschnitt.
Es dauerte eine Minute, dann kam ein pausbäckiges blondes Mädchen den Hügel heraufgestapft. Sie hieß Brann und war die jüngste Tochter des Bäckers. Sie roch nach Schweiß und Brot und … noch etwas anderem. Etwas, das nicht hierhergehörte.
Die langsame Annäherung des Mädchens hatte etwas von einem Ritual. Sie erstieg den kleinen Hügel und blieb kurz stehen. In diesem Moment waren nur noch die anderen Kinder zu hören, die sich unten auf der Lichtung wieder ihrem Spiel widmeten.
Schließlich wandte Bast den Kopf und musterte das Mädchen. Sie war höchstens neun Jahre alt und ein wenig besser gekleidet und wohlgenährter als die meisten anderen Kinder des Dorfes. Sie hielt ein weißes Tuch in der Hand.
Dann trat das Mädchen ängstlich schluckend einen Schritt vor. »Ich brauche eine Lüge«, sagte sie.
Bast nickte mit ungerührter Miene. »Und was für eine?«
Brann öffnete zaghaft die Hand, und dabei kam auf dem weißen Tuch ein roter Fleck zum Vorschein. Das Tuch, das sich nun als behelfsmäßiger Verband herausstellte, haftete auch ein wenig an der Hand. Bast nickte, und ihm wurde klar, was er da zuvor gerochen hatte.
»Ich hab mit den Messern meiner Mama gespielt«, sagte Brann verlegen.
Bast streckte eine Hand aus, und das Mädchen kam ein paar Schritte näher. Bast löste mit seinen langen Fingern das Tuch und untersuchte die Schnittwunde. Sie verlief in Daumennähe über den Handteller und war nicht allzu tief. »Tut es sehr weh?«
»Nicht so weh wie die Tracht Prügel, die ich kriege, wenn sie rausfindet, dass ich mit ihren Messern gespielt habe«, murmelte Brann.
Bast sah sie an. »Hast du das Messer sauber gemacht und zurückgelegt?«
Brann nickte.
Bast tippte sich nachdenklich an die Lippen. »Du dachtest, du hättest eine große schwarze Ratte gesehen. Die hat dir Angst eingejagt. Darum hast du ein Messer nach ihr geworfen, und dabei hast du dich geschnitten. Gestern hat dir eins der anderen Kinder eine Geschichte erzählt, in der es darum ging, dass Ratten den Soldaten, während sie schlafen, die Ohren und Zehen abknabbern. Davon hast du Albträume bekommen.«
Brann schauderte. »Und wer hat mir diese Geschichte erzählt?«
Bast tat die Frage mit einem Achselzucken ab. »Such dir jemanden aus, den du nicht magst.«
Das Mädchen grinste boshaft.
Nun begann Bast, die einzelnen Punkte an den Fingern abzuzählen. »Schmier ein wenig frisches Blut an das Messer, bevor du es wirfst.« Er zeigte auf das Tuch, das sich das Mädchen um die Hand gewickelt hatte. »Das musst du loswerden. Das Blut darauf ist schon trocken und offensichtlich nicht frisch. »Kannst du ordentlich weinen?«
Das schien das Mädchen ein wenig in Verlegenheit zu versetzen, und sie schüttelte den Kopf.
»Streu dir etwas Salz in die Augen«, sagte Bast ganz sachlich. »Und vielleicht auch ein wenig Pfeffer in die Nase. Sieh zu, dass du ganz verrotzt und verheult bist, bevor du zu deinen Eltern rennst. Und dann …«, sagte er und hob mahnend den Zeigefinger, »solltest du möglichst nicht weinen. Nicht mal schniefen oder blinzeln. Wenn sie dich nach deiner Hand fragen, sagst du deiner Mama, dass es dir leidtut, falls du ihr Messer kaputt gemacht hast.«
Brann hörte zu und nickte, erst langsam, dann schneller. Schließlich lächelte sie. »Das ist gut.« Sie schaute sich nervös um. »Was bin ich dir schuldig?«
»Kennst du irgendwelche Geheimnisse?«, fragte Bast.
Die Bäckerstochter dachte kurz nach. »Die Witwe Creel hat was mit dem Mann der Müllerin …?«, versuchte sie es.
Bast winkte energisch ab, als wollte er eine Fliege verscheuchen. »Schon seit Jahren. Das ist kein Geheimnis«, sagte er abweisend. »Das weiß jeder, sogar seine Frau.« Er rieb sich die Nase. »Was hast du denn in deinen Taschen?«
Das Mädchen kramte darin herum und zeigte es dann mit ihrer unversehrten Hand vor: ein Knäuel Schnur, zwei Eisen-Scherflein, ein flacher grüner Stein, ein blauer Knopf und ein Vogelschädel.
Bast nahm die Schnur und hob mit spitzen Fingern den grünen Stein unter den anderen Dingen hervor, wobei er sehr darauf achtete, die Scherflein nicht zu berühren. Der Stein war unregelmäßig geformt und mit dem Gesicht einer schlafenden Frau verziert. »Ist das etwa ein Embril?«, fragte er mit erstauntem Blick.
Brann zuckte die Achseln. »Sieht für mich wie ein Teil von einem Telgim-Set aus. Das nimmt man zum Wahrsagen.«
Bast hielt den Stein ins Licht. »Wo hast du den her?«
»Von Rike, wir haben getauscht«, sagte Brann. »Er meinte, es wäre ein Ordal, aber …«
Basts Augen verengten sich, als der Name des Jungen fiel, und sein Mund verzog sich zu einem Strich.
Da bemerkte Brann ihren Fehler und verstummte. Ihr Blick huschte ängstlich hin und her. »Äh …« Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Du hast mich gefragt …«
Mit säuerlicher Miene sah Bast auf den Stein hinab, als hätte der mit einem Mal angefangen zu stinken. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihn aus reiner Bosheit in den Bach zu werfen.
Dann überlegte er es sich jedoch anders und schnippte ihn stattdessen wie eine Münze empor. Er fing ihn wieder auf, und als er die Hand öffnete, lag die andere Seite des Steins oben. Die Frau hatte die Augen geöffnet und lächelte.
Bast rieb den Stein nachdenklich zwischen den Fingern. »Dann also den hier. Und jeden Tag ein süßes Brötchen, eine ganze Spanne lang.«
»Den Emerel – oder was es auch ist«, sagte Brann, »und die Schnur, die du genommen hast, und ich bringe dir heute noch ein Brötchen, und zwar ein ofenwarmes.« Brann blickte entschlossen, hob aber zum Ende des Satzes hin doch ein wenig die Stimme an.
»Zwei Brötchen«, konterte Bast. »Aber nur welche mit Ahornsirup – nicht mit Melasse.«
Nach kurzem Zögern nickte das Mädchen. »Und was ist, wenn ich trotzdem eine Tracht Prügel bekomme?«, fragte sie.
»Das ist deine Angelegenheit«, sagte Bast mit einem Achselzucken. »Du wolltest eine Lüge. Ich habe dir eine gute Lüge geliefert. Wenn du willst, dass ich dir persönlich aus der Patsche helfe, wäre das ein ganz anderes Geschäft.«
Die Bäckerstochter sah ein wenig enttäuscht drein, machte dann aber kehrt und ging den Hügel hinab.
Als Nächster kam einer der Alard-Jungs den Hügel herauf. Es gab unzählige von ihnen, die aus mehreren Familien stammten, die sich beständig neu miteinander verquickten. Sie sahen sich alle so ähnlich, dass Bast sie kaum auseinanderhalten konnte.
Der hier schaute so wütend, wie nur zehnjährige Jungen es können. Er trug zerlumpte, selbstgenähte Sachen, hatte eine aufgeplatzte Lippe und eine Blutkruste um ein Nasenloch herum. »Ich hab meinen Bruder hinter der alten Mühle erwischt, wie er Grett geknutscht hat!«, sagte der Junge, als er oben angelangt war, ohne Basts Frage abzuwarten. »Und dabei wusste er genau, dass ich Grett mochte!«
Bast breitete mit einem hilflosen Achselzucken die Hände.
»Rache!«, spie der Junge.
»Rache vor allen anderen?«, fragte Bast. »Oder heimliche Rache?«
Der Junge legte sich kurz die Zungenspitze an die aufgeplatzte Lippe. »Heimliche«, sagte er leise.
Diese Geste half Bast auf die Sprünge: Der Junge hieß Kale. Er hatte einmal bei einem Tauschgeschäft versucht, Bast zwei Frösche anzudrehen für »einen Fluch, der jemanden für immer und ewig furzen lässt«. Die Verhandlungen waren zusehends hitzig verlaufen und letztlich gescheitert. Der Junge besaß ungefähr die Intelligenz einer mittelgroßen Schale Hafergrütze, doch Bast kam nicht umhin, ihn auf widerwillige Weise zu bewundern.
»Und wie groß soll...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2023 |
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Übersetzer | Jochen Schwarzer |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer • BASt • Bestseller 2023 • Bestseller Serie • epische Fantasy • Fantastische Welten • Fantasy Buch 2023 • Fantasy Bücher • Fantasybücher die man gelesen haben muss • Fantasy Reihe • Furcht des Weisen • Game of Thrones • Gasthaus Zum Wegstein • Geschenk Fantasyleser • Königsmörder • Königsmörder-Chronik • kult serie • kulturpass • Kvothe • Magie • Name des Windes • Weihnachtsgeschenk • Weihnachtsgeschenk Fantasy • Wünsche |
ISBN-10 | 3-608-12255-9 / 3608122559 |
ISBN-13 | 978-3-608-12255-8 / 9783608122558 |
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