Dunkle Wolken über Südtirol - Veritas - Conducit - Lux (eBook)
900 Seiten
Herzsprung-Verlag
978-3-96074-725-3 (ISBN)
Sandra Pfändler: 1972 geboren, wächst in einem malerischen Städtchen am Schweizer Ufer des Rheins auf. Bereits in der Primarschule überzeugt sie mit einem außerordentlichen Schreibtalent. Sie ist fasziniert vom Spiel mit den Buchstaben und malt mit bunten Worten Erzählungen, die begeistern. Ihre Erstausbildung absolviert sie in einem Verlag, entscheidet sich anschließend aber für eine berufliche Karriere fernab ihrer geliebten Bücher.
Sandra Pfändler: 1972 geboren, wächst in einem malerischen Städtchen am Schweizer Ufer des Rheins auf. Bereits in der Primarschule überzeugt sie mit einem außerordentlichen Schreibtalent. Sie ist fasziniert vom Spiel mit den Buchstaben und malt mit bunten Worten Erzählungen, die begeistern. Ihre Erstausbildung absolviert sie in einem Verlag, entscheidet sich anschließend aber für eine berufliche Karriere fernab ihrer geliebten Bücher.
*
1
„Lisa! Kind, wo bleibst du?“
Der milde Südtiroler Wind trug die sanften, aber bestimmten Worte ihrer Mutter durch das offene Fenster ins Badezimmer bis an ihr Ohr.
Begleitet wurden sie von Idefix’ erwartungsvollem Gekläffe. Der fröhliche, unternehmungslustige Norwich Terrier hatte sich vor vielen Jahren in ihre Seele geschlichen. Seither war das Waudile mit seinem weizenfarbigen drahtigen Haar, das sich wie eine Mähne um sein vorwitziges Köpfchen, die warmen Augen und die keck aufrecht stehenden Öhrchen formte, als wichtiges Mitglied der Familie Moroder nicht mehr wegzudenken. Das kleine Kerlchen war verspielt, aber auch sehr begabt, vor allem wenn es darum ging, sich zur richtigen Zeit genau dort aufzuhalten, wo seine ausgeprägte Neugierde gestillt werden konnte. Seinen Namen verdankte er Obelix’ Weggefährten, in den sich Lisa schon als kleines Mädchen verliebt hatte. Tatsächlich waren die beiden sich sehr ähnlich.
Lisa stand unter der Dusche und hatte gerade den Wasserhahn zugedreht. Vom Hof schallten Stimmen zu ihr hinauf, die sie nicht zuordnen konnte. Sonst war es ruhig. Idefix hatte es aufgegeben, nach ihr zu rufen. Ihre niedliche Stupsnase kräuselte sich und für einen kurzen Moment blitzte die Spitze der rosigen Zunge zwischen ihren schmalen Lippen auf.
„Gönn mir ein paar Minuten, Mama, bitte“, rief sie in Gedanken hinunter. Es lag ein anstrengender Arbeitstag hinter ihr. Nur noch für einen Moment wollte sie dem wohligen Gefühl nachspüren, das das heiße Wasser auf ihrer Haut hinterlassen hatte.
„Kind!“ Der Tonfall der Mutter verriet, dass ihre Geduld kurz davor war, sich zu verabschieden.
Ein tiefer Seufzer rutschte aus Lisas Kehle. Sie schob den transparenten, mit bunten Tupfen übersäten Vorhang zur Seite, kletterte aus der Wanne und rubbelte sich trocken. Der sinnliche Duft von Vanille und Kokosnuss stieg ihr in die Nase.
Ihre Haut liebte es, verwöhnt zu werden, denn bei der täglichen Arbeit draußen im Weinberg, wo sie nicht nur Sonne und Wärme ausgesetzt war, sondern auch Kälte, Wind und Regen, litt sie oft fürchterlich. Ihre Haut verstand es, Lisa darauf aufmerksam zu machen, wenn sie vernachlässigt wurde – mit einem unangenehmen Spannungsgefühl zum Beispiel, Kratzern, Schürfwunden, rauen Stellen und Juckreiz. Manchmal rebellierte sie gar mit Blutergüssen in den unterschiedlichsten Formen und Farben.
Lisa kümmerte sich natürlich um ihr Äußeres, nur standen der Gutshof mit seiner Weinkellerei, der Vinothek und die Arbeit in ihrem zwanzig Hektaren großen Traubenland an erster Stelle. Da war kein Platz für Schickimicki, Wimperntusche, Lippenstift und Nagellack. In ihrem Kleiderschrank befanden sich fast nur bequeme Klamotten und anstelle von Stöckelschuhen dekorierten Gummistiefel oder Slipper ihre feingliedrigen Füße, wenn sie nicht gerade barfuß unterwegs war.
Trotzdem widmete sie sich ihrer Haut sorgsam, sobald diese um Hilfe rief, und das wäre heute eigentlich dringend notwendig gewesen.
„Kind! Muss ich dir eine schriftliche Einladung schicken?“ Bedrohlich kämpfte sich die Stimme ihrer Mutter durch den Schleier feuchtschwüler Luft, der Lisa trotz des geöffneten Fensters zart umhüllte.
„Du sollst mich nicht immer Kind nennen, Mama!“, konterte sie lautstark. Dabei beobachtete sie ihr Spiegelbild, das die Augen verdrehte und angestrengt versuchte, weitere Kommentare hinunterzuschlucken. Denn was immer sie zu diesem Thema zu sagen hatte, es würde sich in den Tiefen der Gehörgänge ihrer Mutter verlieren. Also schickte sie stattdessen ein deutliches: „I kimm glei!“, hinterher.
Sie angelte ihr Lieblingshandtuch von der Halterung und warf es sich über die nackte Schulter. Wäre ihr etwas Zeit vergönnt gewesen, sie hätte liebend gerne wieder einmal den Geschichten gelauscht, die das abgenutzte Stück Stoff zu erzählen wusste. Es hatte nämlich schon im Badezimmer ihrer Oma gehangen und so manches mitbekommen, was sich dort abgespielt hatte.
Mit einem wissenden Lächeln entwirrte sie mithilfe eines großzahnigen Holzkamms das schulterlange mahagonibraune Haar. Dann wickelte sie Omas buntes Geschichtentuch flink und geschickt um den Kopf, sodass daraus im Nu ein geknoteter Turban entstand.
Bevor sie davonstürzte, griff sie nach dem dunkelblauen Bademantel, der an einem Haken an der Tür hing, und zog ihn über. Er war viel zu groß für ihren zierlichen Körper, aber sie mochte es, sich in ihn hineinzukuscheln.
Lisas nackte Füße patschten über den ausgetretenen Dielenboden bis zur alten steilen Nussbaumtreppe. Geschwind schlang sie die beiden Enden des Gürtels um ihre schmale Taille und verknotete sie fest miteinander, um sicherzustellen, dass der Mantel genügend Schutz bot. Schließlich wusste sie nicht, was sie unten erwartete, und sie hatte keine Lust, zu präsentieren, was Gott erschaffen hatte. Dann schwang sie sich rittlings auf das Geländer und rutschte mit dem Po voran jauchzend dem Erdgeschoss entgegen, wo ihre fröhliche Rutschpartie in zwei starken Armen endete.
„Lukas!“, kreischte sie. „Was machst du denn schon hier?“
Der groß gewachsene junge Mann mit den breiten Schultern, dem honigblonden, kurz geschnittenen Haar und Augen, die im Sonnenlicht mit dem Gold des Bernsteins um die Wette funkelten, zwinkerte ihr schelmisch zu. Gleichzeitig spürte sie einen sanften Klaps auf ihrem Hintern. „Lass das, Kleiner!“ Liebevoll schlug Lisa auf seine Finger.
„Kleiner, ja?“ Er kniff sie in die Seite und baute sich in voller Größe vor ihr auf. „Wie ist denn das Wetter da unten, süße Maus?“ Grinsend und mit neckisch hochgezogenen Augenbrauen wartete er ihre Reaktion ab.
„Du weißt doch, bei mir scheint meistens die Sonne.“ Lisa lachte ihr unverkennbar herzliches Lachen und tat, was sie immer tat, wenn er sie auf diese Weise aufzog. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte sich und biss ihn ins Kinn.
„Autsch!“, winselte Lukas theatralisch. Dann fügte er ernster, vor allem aber leiser hinzu: „Bisch sicher, dass du sou do ausi gian willsch?“
„Warum?“, gab Lisa gespielt entrüstet zurück. „Gefalle ich dir etwa nicht?“ Sie hob die Arme, verlagerte das Gewicht auf ein Bein und drehte kunstvoll eine Pirouette, sodass er sie von allen Seiten betrachten konnte.
„Jo, logisch“, rief Lukas und lachte, „aber auf meine Meinung wird es heute nicht ankommen, glaub mir.“
Lisa runzelte überrascht die Stirn und versetzte ihm einen übermütigen Stoß gegen den rechten Oberarm. Schließlich stemmte sie die Hände in die Hüften und durchbohrte ihn mit ihrem Blick.
„Puh, jetzt krieg ich aber Angst“, witzelte er. Sanft fasste er sie an den Schultern, drehte sie vorsichtig um und schob sie in Richtung Ausgang.„Lass Mama nicht warten. Du weißt, sie kann es nicht leiden.“
Lisa wandte sich um, weil sie ihm eine passende Bemerkung zuwerfen wollte, entschied sich aber dagegen, da von draußen eine ungemütliche Stimmung ins Haus drang. Dieses Mal ließ der Tonfall der Mutter keine Zweifel daran aufkommen, dass ihre Tochter auf der Stelle zu gehorchen hatte. „Lisa! Kind, wo bleibst du denn?“
„Mama! Wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass du mich nicht immer …“ Lisa blieb abrupt im Türrahmen stehen. Einen nervösen Wimpernschlag später purzelte ein: „A geh?“, über ihre Lippen. Blitzschnell schlug sie sich die Hand vor den Mund, um weitere unbedachte Äußerungen zu verhindern.
Mama hätte etwas sagen müssen!
Und Lukas! Er hätte …
Er hatte sie gewarnt. Sie hatte nur nicht zugehört.
Unsicher tat sie ein paar Schritte aus dem Schutz der Wohnung hinaus in den Hof. Zu ihrer Linken erstreckte sich bis zur Straße hin das Wirtschaftsgebäude, wo ein großes Eisentor, das säulengleich von zwei Steinmauern eingerahmt wurde, die Zufahrt zum Hof freigab – oder versperrte, je nachdem, ob der Moroder-Hof geöffnet hatte oder nicht. Auf der rechten Seite führte ein schmaler gemauerter Durchgang zum Garten und der Holzterrasse, die einen fantastischen Ausblick über die malerische Rebenlandschaft am Fuße des Mendelgebirges bot. Ein Rundbogen verband das Wohnhaus mit der Weinkellerei, an die sich die Vinothek anschloss.
Langsam überquerte sie den schwungvoll angelegten Streifen aus Pflastersteinen zwischen dem Eingang und der kleinen Böschung, die das Haus und den Hofplatz voneinander trennten. Zögerlich ließ sie die beiden Blockstufen aus Muschelkalk hinter sich, um ihre Füße in dem feinen Kieselsand, der von der Sonne aufgewärmt worden war, zu vergraben. Verstohlen warf sie einen Blick über die Schulter zurück, wo ihr zwölf Jahre jüngerer Bruder lässig grinsend am Türpfosten lehnte. Mehrmals tippte er mit dem Zeigefinger an sein Ohr. Damit gab er seiner Schwester zu verstehen, dass es hin und wieder ganz nützlich sein konnte, ihm zuzuhören.
Lisa verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Ihre Augen durchbohrten ihn mit der Frage, die sie im Moment am meisten beschäftigte. „Wer ist das?“
Lukas schaute sie unschuldig an und zuckte mit den Schultern.
„Und ob du es weißt, du...
Erscheint lt. Verlag | 10.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bozen • Familiengeheimnis • Genussmomente • Intrigen • Krimi • Lebensfreude • Mafia • Spannung • Südtirol • Thriller • Überetsch • Weindorf • Weinstraße |
ISBN-10 | 3-96074-725-X / 396074725X |
ISBN-13 | 978-3-96074-725-3 / 9783960747253 |
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