Als die Bombe fiel, umklammerte Fang seinen wertvollsten Besitz so, als könne er das Buch mit seinem Körper vor dem tödlichen Blitz schützen. Doch der aus den vielen Millionen Stimmen bestehende Gesang der Zerstörung war von einer Kraft, die alles durchdrang und vor nichts haltmachte. Der Blitz ließ sogar die Felsen und Höhlenwände in einem tödlichen Rhythmus erzittern und brachte sie dazu, zu feinem Staub zu zerfallen. Das Lied der Vernichtung floss durch das organische Geflecht, das einmal Fang und sein Buch gewesen waren, als hätte es beide nie gegeben. Und so lautete der Schlussrefrain: »Was immer du einst warst, wirst du nie mehr sein und das, zu dem du geworden bist, schwebt über dem Nichts einer verblassenden Erinnerung …«
***
Die Wucht meines Gesangs hat deine Vergangenheit, deine Gegenwart und deine Zukunft ausgelöscht. Das, was von dir einmal existierte, ist zu einem Schatten verblasst, den niemand mehr zu deuten vermag. Ich bin der Herrscher und du das Nichts. Die Flammen lodern zu meinem Ruhm, das Werk des Todes ist die Hymne meiner Erhöhung. Die vollständige Auslöschung dessen, was du von dir glaubtest, dass du einst gewesen seiest und alles, was du erschaffen hast, deiner Arbeit Mühen, ist von meinem Gesang hinweggefegt worden, auf dass du der Vergessenheit anheim fällst und ich – der allmächtige Zerstörer – weiterhin den ewigen Ruhm meiner unendlichen Macht bejubeln kann.
So also sprach der Herr der Bomben, des aus Millionen Stimmen bestehenden Gesangs der Vernichtung, als er sein Werk vollendete und die Welt der Wyyryy der Agonie des Todes überließ.
Doch er irrte.
Er übersah den Schatten, den die Vernichtung Fangs auf der Felswand hinterließ und dass er zwar sein Leben, nicht aber die Erinnerung an seine Existenz auszulöschen vermochte. Denn gibt es einen besseren Beweis für das Gegenteil seiner Behauptung, als die Schrift des Chronisten, die gerade im Begriff ist, diese Zeilen zu formulieren und ihn und seine Arbeit damit weiterleben lässt?(Aus den Aufzeichnungen des Namenlosen. Überlebender Schreiber Wyyryys, der nach der Katastrophe seinen Namen auslöschte, um damit an das Schicksal all jener zu erinnern, von denen keine Schatten und keine Namen blieben.)
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»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren …«, sagte Steven Van Doren, wobei er lange Pausen zwischen den Worten machte, »dass uns letztlich auch die Nostan in die Irre geführt haben …«
Nicht wenige machte die gedehnte Sprechweise, in die der Erste Offizier der STERNENKRIEGER verfallen war, ziemlich nervös. Mit heimlich auf der Tischplatte trommelnden Fingern warteten seine Gesprächspartner dann ab, was er zu sagen hatte. Und hinter seinem Rücken gab es gelegentlich den einen oder anderen Witzbold, der versuchte, seinen Tonfall nachzuahmen. Doch im Gegensatz zum Interims-Captain des Sonder-Einsatzkreuzers, der auf den klangvollen Namen Milton Warrington III. hörte, benutzte Van Doren diese Art zu reden nur, wenn er tief in Gedanken versunken war, weshalb er auch die Nervosität seiner Zuhörer überhaupt nicht registrierte.
Die Zeit des dritten Warrington war zur Erleichterung von so manchem endgültig vorbei. Zumindest an Bord der STERNENKRIEGER. Seit den glücklichen Tagen, als es Rena Sunfrost gelungen war, ihrer Versklavung durch die Morrhm glücklich zu entkommen, war er nicht mehr an Bord des Schiffes gewesen.
Heute jedoch klopfte niemand mit den Fingernägeln auf die Tischplatte, denn im Grunde sprach Van Doren nur aus, was alle anderen auch empfanden. Gemeinsam werteten sie die ersten Berichte der verschiedenen Voraus-Kommandos aus. Allein die Tatsache, dass sie im Verlauf ihrer Expedition immer wieder mit Schiffen der Morrhm konfrontiert worden waren, sorgte für eine nervöse Anspannung, ein Gefühl übersteigerter Wachsamkeit. Da scherte der gelegentlich gedehnte Tonfall des Ersten Offiziers auch niemanden mehr.
Sie teilten dieses unangenehme Gefühl eines ständig präsenten Bedürfnisses nach Ruhe, Entspannung und Schlaf, dem keiner von ihnen nachgeben durfte, mit den Expeditionsteilnehmern auf den anderen Schiffen.
Noch viel schmerzhafter war der Anblick der Bilder, die ihnen die verschiedenen Landungs-Trupps kommentarlos übermittelten, die auf den fünf Planeten des Systems abgesetzt worden waren. Jedes Schiff der Expedition hatte einen der Planeten übernommen, um erste Vor-Ort-Erkundungen durchzuführen. Die Ergebnisse wurden an alle Schiffe gleichzeitig gesendet, um einen schnellen Informationsfluss zu gewährleisten. Und es verstand sich mittlerweile von selbst: Keiner der Trupps war unbewaffnet.
Die STERNENKRIEGER hatte zehn Marines in schweren Panzeranzügen auf eine Sauerstoffwelt mit mildem Klima geschickt, die als vierter Planet das Zentralgestirn umkreiste. Der Stern von der anderthalbfachen Größe der Heimatsonne der Menschen war den Expeditionsteilnehmern von den Nostan genannt worden. Hier – so ihre unmissverständlichen Hinweise – würde ihre Suche nach näheren Hinweisen zu Herkunft und Verbleib der Alten Götter, am ehesten erfolgreich sein.
Es war ja nicht so, dass ihre Expedition ausgehend von der Hohlwelt 2 bisher völlig ergebnislos gewesen war, aber einen echten Durchbruch in Bezug auf die zahlreichen Geheimnisse, die von den Relikten der Alten Götter aufgeworfen wurden, hatten sie noch nicht erreicht. Derzeit hielten sich die Neugier und der Wille mehr herauszubekommen mit einer milden Resignation die Waage. Denn immer, wenn sie geglaubt hatten, kurz vor dem entscheidenden Durchbruch zu stehen, die lang ersehnten Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, zeigte es sich, dass sie statt Antworten nur auf weitere Fragen und Rätsel gestoßen waren oder dass andere auf eine fatale Weise schneller gewesen waren.
Auch diesmal schienen ihnen die Morrhm zuvorgekommen zu sein.
»Es sieht beinahe danach aus, als ob die Morrhm über unsere Mission genauer Bescheid wissen, als wir selbst«, knurrte Robert Ukasi.
»Man kann tatsächlich diesen Eindruck bekommen, Lieutenant Commander«, gab Rena Sunfrost dem Waffenoffizier recht. »Es ist wie in dieser alten Kindergeschichte vom Wettrennen zwischen dem Hasen und dem Igel. Immer wenn der Hase völlig außer Atem am Ziel ankommt, grinst ihn der Igel nur an und sagt in aller Seelenruhe ›Ich bin schon längst hier!‹«
»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Captain, der Wettlauf zwischen den Morrhm und uns ist alles andere als eine Kindergeschichte. Schauen Sie sich die Berichte an, das ist blutiger, tödlicher Ernst«, entgegnete Ukasi.
»Unterschätzen Sie die alten Märchen von der Erde nicht«, sagte Rena ungerührt und warf ihm einen kurzen Blick zu.
Doch Ukasi schüttelte zur Antwort nur den Kopf und zuckte mit den Schultern.
»Am Ende krepiert der Hase aus Erschöpfung, weil er die List nicht durchschaut, mit der ihn die Igel die ganze Zeit gefoppt haben.«
»Aha! Die Igel!«, warf Wiley Riggs ein. »Ich kenne zwar die Geschichte nicht, aber Sie haben sich selbst verraten, Captain. Bei diesem Wettlauf waren mehrere Igel beteiligt.«
Rena nickte.
»Wenn der Igel losgerannt ist, hat er nur so getan, als ob er in Richtung des Ziels sprinten würde, in Wirklichkeit hat sein Kumpel bereits am vereinbarten Ziel auf den armen Hasen gewartet und als es die Strecke zurückging, war es nicht anders.«
»Ganz schön gemein«, maulte Susan Jamalkerim, »und vor allem ziemlich brutal. Immerhin stirbt der Hase. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass man Kindern solche schrecklichen Geschichten überhaupt erzählen sollte …«
»Unsere Altvorderen hatten kein Problem damit, Kindern mit Hilfe von Märchen die Wahrheit über das Leben nahezubringen«, sagte Steven Van Doren und blickte abwechselnd zu Rena und zu Susan Jamalkerim.
»Es gibt noch viel grausamere Märchen«, ergänzte Rena, »solche in denen Menschen gesiedet, gekocht und mit flüssigem Teer übergossen werden oder in Fässer gesteckt und einen Berg herabgerollt werden, Fässer, deren Inneres mit langen Nägeln gespickt wurde. Da ist eine kleine Geschichte über List und Tücke wirklich harmlos dagegen …«
»Wenn ich mir aber dieses Werk der Vernichtung anschaue, dann hat das eher mit den zuletzt von Ihnen erwähnten Geschichten zu tun, als nur mit Hinterlist und einer gewissen Durchtriebenheit«, sagte Ukasi und konnte nicht verhindern, dass er trotzig klang.
*
»Fertig mit den Aufnahmen, Rag?«, rief Ray Kelleney in das Funkmikrophon seines Panzeranzugs. »Wir müssen weiter …«
»Alles auf dem Weg, Sergeant!«, antwortete Corporal Raggie S. Terrifor.
»Dann los!«, befahl der Sergeant und wies mit dem ausgestreckten Arm in die Richtung, die das Erkundungskommando einschlagen sollte.
Terrifor schaltete den transportablen Sandström-Sender ab, mit dem er ihre bisherigen Aufzeichnungen zu den Expeditionsschiffen gefunkt hatte. Prinzipiell wurde permanent alles um sie herum von den in die Kampfanzüge integrierten Kameras aufgezeichnet, aber diese Daten- und Bilderflut konnte kein einzelner Betrachter alleine auswerten. Diese Aufzeichnungen dienten...