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Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Kommissar Jörgensen und der programmierte Mord
von Alfred Bekker
1
Mein Name ist Uwe Jörgensen und ich bin Kriminalhauptkommissar in Hamburg. Zusammen mit meinem Freund und Kollegen Roy Müller gehöre ich einer Sondereinheit an, die sich vor allem mit den sogenannten großen Fällen beschäftigt, worunter meistens nichts anderes als die sogenannte organisierte Kriminalität zu verstehen ist.
Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes, so nennt sich die Abteilung.
Einmal im Monat gehe ich auf den Schießstand, um mich in der Handhabung meiner Dienstwaffe zu üben.
Ja, ich gebe zu: auch ich schieße manchmal daneben.
Im Ernstfall könnte das ein Menschenleben kosten.
Entweder mein eigenes oder das eines Kollegen oder einer Geisel… Da lassen sich viele verhängnisvolle Situationen konstruieren. Noch schlimmer wäre, wenn man im Einsatz den Falschen trifft - und auch sowas kommt vor. Oder man trifft jemanden, die Kugel durchschlägt den Körper und tötet am Ende noch jemand anderen, der völlig unbeteiligt ist. Auf das Problem von Querschlägern will ich an dieser Stelle gar nicht erst eingehen.
Schießereien, bei denen nur das getroffen wird, was getroffen werden soll, gibt es nur im Film.
Und selbst da geht manchmal was daneben.
Also wäre es doch eigentlich schön, wenn es Munition gäbe, die sich ihr Ziel selber sucht.
Munition, die ihr Ziel nicht verfehlen kann, egal wie schlecht oder unvorsichtig der Schütze ist.
Munition, die programmiert werden kann und das Ziel verfolgt.
Fast so, wie eine Drohne - nur viel kleiner.
Glauben Sie mir: Das wäre ein Albtraum.
Aber es wird längst daran gearbeitet, ihn wahr werden zu lassen.
*
Lee Jiang betrat mit seinem Gefolge das Nobellokal 'Schlemmertempel' in der Saarlandstraße. Der kahlköpfige Mann mit den asiatisch-starren Gesichtszügen wurde von einem Dutzend Männern in dunklen Maßanzügen begleitet. Die meisten von ihnen trugen MPis im Anschlag. Sie flankierten ihren Chef von allen Seiten.
Lee Jiang selbst trug eine kugelsichere Kevlar-Weste unter dem Jackett.
Der große Boss aus St Pauli blieb stehen, fixierte mit seinem Blick die Männer, die bereits an der langen Tafel Platz genommen hatten.
Es handelte sich um Mario Savoca und seine kalabrischen ‘Ndrangheta-Leute. Blitzschnell gingen auch bei ihnen die Hände zu den Waffen. Ein Dutzend Mündungen von MPis und automatischen Pistolen zeigten in Richtung der Chinesen.
Der Kellner wartete erstarrt neben dem Buffet.
Sekundenbruchteile lang herrschte Stille.
Dann murmelte Lee Jiang einen knappen Befehl auf Kantonesisch. Seine Männer senkten die Waffen. Das Gesicht des Chinesen blieb völlig unbewegt.
»Verstehen Sie so einen Empfang etwa als Ausdruck Ihrer Gastfreundschaft, Herr Savoca?«, fragte er in makellosem Deutsch.
Mario Savoca war noch keine dreißig. Ein fast zierlich wirkender Mann, mit kinnlangem, schwarzblauem Haar und dünnem Knebelbart, bis auf den Millimeter genau rasiert. Eine dunkle Sonnenbrille verdeckte seine Augen. Er zögerte noch eine Sekunde, machte dann seinen Leuten ein Zeichen.
Auch die senkten jetzt die Waffen, die Lage entspannte sich.
»Setzen Sie sich!«, bot Savoca an.
Lee Jiang nickte. Zusammen mit einem Teil seines Gefolges trat er an die Tafel heran, während sich der Rest im Raum verteilte. Jemand zog für den Chef den Stuhl zurück, Jiang setzte sich.
»Ein schönes Lokal haben Sie für dieses Treffen ausgesucht«, sagte der Mann anerkennend.
Savoca grinste schief, kicherte, wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
»Seit kurzem gehört es mir«, erklärte er.
»Mein Respekt.«
»Ihre Gorillas können hier ruhig herumschnüffeln, soviel sie wollen! Meinetwegen auch in der Küche! Ich habe nichts dagegen.«
»Ich gehe davon aus, dass Sie ein Ehrenmann sind, Herr Savoca.«
»Ach, ja?«
Savoca grinste.
Lee Jiangs Gesicht blieb unbeweglich wie eine Maske.
»Sollte sich etwas anderes herausstellen, gibt es keinen Ort auf der Welt, an dem Sie noch sicher wären. Ich - oder mein Nachfolger - würden sich dann nicht nur damit begnügen, Sie einfach zu töten ...«
Savocas Gesichtsausdruck wurde hart.
»Wollen Sie mir drohen?«
»Ich möchte das Geschäft mit Ihnen neu ordnen.«
»Es wird uns niemand dabei stören«, erklärte Savoca.
»Wie Sie sehen, haben wir diesen Nobelschuppen heute für uns ganz allein.«
»Es gab in der Vergangenheit einige Unstimmigkeiten, die wir aus der Welt schaffen sollten. Einen Krieg können wir uns im Moment beide nicht leisten.«
Savoca bleckte die Zähne.
»Ich teile Ihre Analyse, Herr Jiang.«
Einer der Bodyguards, die Jiang begleiteten, hatte sich an der großen Fensterfront postiert. Er blickte hinaus. 'Schlemmertempel' lag im 10. Stock. Man hatte eine traumhafte Aussicht auf den Stadtpark.
Der Bodyguard genoss sie einige Augenblicke lang. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
Es verzog sich zu einer Maske des Entsetzens.
Er trat einen Schritt zurück, schrie ein paar Worte auf Kantonesisch.
Die Chinesen an der Tafel wirbelten herum.
Auch Savocas Männer starrten jetzt zur Fensterfront.
Das Glas zersprang.
Pfeilschnell drang ein Geschoss ins Innere des 'Schlemmertempel’'.
Sekundenbruchteile danach gab es eine gewaltige Detonation, der einen Moment später noch eine zweite und dritte folgte.
Die Todesschreie gingen im Lärm der Explosionen unter.
Eine mörderische Druckwelle breitete sich aus, ließ menschliche Körper wie Puppen durch den Raum fliegen. Innerhalb von Sekunden verwandelte sich 'Schlemmertempel' in eine grausame Flammenhölle.
2
Die Saarlandstraße war durch die zahllosen Einsatzfahrzeuge völlig blockiert. Wagen der Polizei und der Feuerwehr befanden sich dort. Außerdem mehrere Krankenwagen, Fahrzeuge von Notärzten, Einsatzwagen des Kriminalpolizei und dem zentralen Erkennungsdienst aller Hamburger Polizeieinheiten.
Ich stellte den Sportwagen am Stadtpark ab. Roy und ich stiegen aus.
Einige hundert Schaulustige hatten sich angesammelt. Die Kollegen der Polizei hatten ihre Mühe, sie davon abzuhalten, näher an den Tatort heranzugehen.
Wir starrten die Fassade des Hochhauses hinauf. In Etage 10 war es geschehen. Die Folgen der gewaltigen Explosion, die sich ereignet hatte, waren auch von außen nicht zu übersehen. Eine Rauchsäule hing über dem Stadtpark. Aber es quoll nichts mehr aus der zerstörten Fensterfront der 10. Etage heraus. Offenbar war der Brand gelöscht.
Ein gewaltiger Rußfleck verdunkelte die Fassade auf einer Fläche von mindestens zwanzig Quadratmetern.
Roy und ich zeigten den Kollegen unsere Dienstausweise, nachdem wir uns durch die Schaulustigen gedrängelt hatten. Ein Polizist winkte uns weiter.
Wir erreichten das Foyer.
Die Security-Leute wirkten ziemlich hektisch. Der Einsatzleiter der Feuerwehr gab über Walkie-Talkie seine Befehle.
Wir mussten noch einmal unsere Ausweise vorzeigen. Der Einsatzleiter wurde auf uns aufmerksam.
»Kriminalpolizei?«, fragte er. »Ihre Kollegen vom Erkennungsdienst sind schon oben.«
»Haben Sie eine Ahnung, was hier passiert ist?«, fragte Roy.
»Fragen Sie mich Leichteres. Es sieht aus, als hätte jemand eine Handgranate durchs Fenster geworfen!«
»In den 10. Stock?«, hakte Roy nach.
»Ich sagte ja nur, dass es so aussieht. Wenn Sie wollen, können Sie hinauf, aber Sie müssen über das Treppenhaus. Die Aufzüge sind noch nicht wieder in Betrieb.«
Ich atmete tief durch. Das hatte ich schon befürchtet.
Aber das war bei jedem Hochhausbrand die eiserne Regel: Nie die Fahrstühle...