Mein Chef, der Pflegefall (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
266 Seiten
Herzsprung-Verlag
978-3-96074-713-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Chef, der Pflegefall -  Chris Herdo
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Eigentlich möchte Anke nur, dass ihre drei wichtigsten Wünsche an das Leben in Erfüllung gehen. Wunsch Nummer eins - ihr Verhältnis zu ihrer Mutter soll sich bessern. Wunsch Nummer zwei - Robert, mit dem sie seit zwei Jahren ein Verhältnis hat, soll sich endlich von seiner Frau trennen. Wunsch Nummer drei - ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in der Druckerei, in der sie arbeitet. Dafür erträgt sie sogar monatelang die fiesen Mobbingattacken ihres Chefs. Doch alles kommt anders, als erwartet. 'Man sieht sich immer zweimal im Leben', gibt Ankes Chef ihr am letzten Arbeitstag mit auf den Weg. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, wie mörderisch wahr diese Worte eines Tages werden ...

Chris Herdo ist in Thüringen beheimatet.

Chris Herdo ist in Thüringen beheimatet.

*

1


Es war ein Sonntagabend Mitte Juli 2014. Ein sonniger Sommertag neigte sich dem Ende zu. Ich lag geduscht und mit geputzten Zähnen in meinem Bett, hatte den Fernseher lautlos gestellt und telefonierte mit meiner Mutter. Sie hatte mich angerufen, so wie sie es jeden Tag tat. Meine Mutter genoss ihr Rentnerdasein, in dem sie regelmäßig das Theater besuchte, gern durch die Einkaufspassage unserer Stadt bummelte und mit ihr bekannten Leuten, wenn sie diese traf, redete. Mutter war für ihre 70 Jahre ziemlich fit. Sie las täglich die Zeitung, verfolgte die Nachrichten und konnte allein ihre Steuererklärung ausfüllen. Zwei Jahre zuvor, als mein Vater plötzlich einem Herzinfarkt erlag, währte ihre Trauer nur drei Wochen. Danach war nicht nur mein Vater begraben, auch ihr Selbstmitleid. Zu mir sagte sie damals, dass jetzt der Herbst ihres Lebens noch einmal die buntesten Blätter hervorbringen werde. Was und wie sie es auch meinte, blieb mir ein Rätsel. Ich freute mich, dass sie sich nicht gehen ließ. Da sie aber jemandem ihre Gedanken, ihre Tagesabläufe und ihre Arztbesuche mitteilen musste, rief sie mich täglich an. Ich akzeptierte ihre Anrufe, trotz der häufigen Vorhaltungen und Vorwürfe. Wer weiß, wie ich einmal mit 70 sein werde? Dennoch war ich im Gegenzug nicht bereit, ihr über all meine Schritte und Unternehmungen Rechenschaft abzulegen.

An diesem Abend hatte sie mir erzählt, dass sie sich Klöße mit Rotkohl und Gulasch zu Mittag zubereitet hatte, dass sie danach bis zum Kaffeetrinken allein im Wald spazieren war und dass sie nun eine romantische Komödie ansehen werde.

Ich hatte mir wieder mal nichts gekocht. Stattdessen hatte ich fast den ganzen Tag über auf meiner Couch gelegen und einen Krimi gelesen. Der war so spannend, dass ich nichts anderes auf die Reihe bekam.

Als das Telefonat mit meiner Mutter fast beendet war, wunderte ich mich, weil ich mir von ihr noch nicht den üblichen Sonntagabendvorwurf hatte anhören müssen, denn normalerweise fragte sie mich immer, warum ich sie nicht am Nachmittag auf einen Kaffee besucht hätte. Schließlich wäre ich doch auch allein. Ich atmete tief durch. Mutter glaubte, ich sei Single. Ich war seit zehn Jahren geschieden. Allerdings, mein derzeitiges Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte ich ihr verschwiegen. Auf den immer wieder von ihr gehörten Satz: „Ich dachte, ich hätte meine Tochter ordentlich erzogen!“, konnte ich gern verzichten. Auch wenn meine Mutter davon ausgehen musste, dass ich Single war, so bedeutete dies doch nicht automatisch, dass ich mich langweilte.

In dem Augenblick, als sie mich angerufen hatte, hatte ich es mir in meinem Bett gemütlich gemacht, ein Gläschen halbtrockenen Rotwein getrunken, vielleicht waren es auch zwei oder drei, und den Fernseher eingeschaltet. Ich hatte einen Fernseher im Wohnzimmer und einen im Schlafzimmer. Das hielt ich für sehr praktisch. Es war eine Angewohnheit geworden, den Sonntagskrimi vom Bett aus anzusehen.

Und dann kam die Frage doch. Was sollte ich meiner Mutter nun antworten, weshalb ich sie nicht auf einen Kaffee besucht hatte? Ich dachte mir eine Lüge aus, um ihr das Gefühl zu geben, dass ich gar nicht hätte zu ihr kommen können. Deshalb sagte ich ihr, dass ich meiner Freundin Verena beim Malern ihrer Wohnung geholfen habe. Ihr Mann war nach mehreren Bandscheibenvorfällen und einer darauf erfolgten Operation zu einer Rehakur. Verena wollte ihn mit der renovierten Wohnung überraschen, wenn er nach Hause kam. Das war nicht einmal gelogen. Meine einzige, beste Freundin malerte wirklich, wollte mich allerdings nicht dabeihaben. So etwas mache sie lieber selbst. Mit diesen Worten hatte sie mein Hilfsangebot abgelehnt. Mutter war mit meiner Antwort zufrieden und verabschiedete sich von mir.

Ich atmete tief durch und schaltete den Ton des Fernsehers wieder ein. Der Sonntagskrimi hatte bereits begonnen und ich während des Telefonats nicht mitbekommen, um was es ging. Wie immer sonntags! Auf meine Fernsehgewohnheiten konnte Mutter natürlich keine Rücksicht nehmen. Wenn sie telefonieren musste, dann war es egal, ob es der Person am anderen Ende, die meistens ich war, zeitlich passte.

Einer meiner Wünsche für dieses Jahr war gewesen, dass sich mein Verhältnis zu meiner Mutter verbessern sollte. Es gab aber noch zwei weitere Wünsche, die ich zum Universum geschickt hatte.

Ich zappte durch die Programme, schaltete den Fernseher aus, genehmigte mir noch ein Gläschen Rotwein und nahm mir meinen Krimi zur Hand, den ich bereits bis zur Hälfte durchgelesen hatte. Er war spannend und gut geschrieben. Es ging um eine Frau in einer Bankfiliale, die gemobbt und nun verdächtig wurde, den Filialchef ermordet zu haben. Ich konnte nicht nachvollziehen, dass sie nicht bemerkte, wie sie von ihrem Chef systematisch boykottiert wurde. So etwas konnte ich mir in unserer Firma nicht vorstellen. Ich war anerkannt, verstand mich gut mit meinen Kollegen, die überwiegend weiblich waren, und war fest davon überzeugt, am Jahresende in eine Festanstellung übernommen zu werden. Doch so wirklich überzeugt war ich dann doch nicht! Das war ein weiterer meiner drei dringendsten Wünsche für dieses Jahr. Ich hoffte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten, denn ich war in der Druckerei Offset-Mann nur für ein Jahr befristet eingestellt worden.

Nachdem ich ein paar Seiten meines Krimis gelesen hatte, stellte ich den Wecker und hoffte, gut schlafen zu können. Ich musste um vier Uhr aufstehen, kurz nach fünf zur Arbeit fahren und um sechs in der Druckerei an meinem Computer sitzen.

Mein Wecker riss mich mit seinem durchdringenden Piepton aus dem Schlaf. Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Dieses Piepmonster besaß eine Schlummertaste, die ich drückte, denn ich beabsichtigte, noch zehn Minuten zu dösen. Es half nichts, als mein Wecker zum zweiten Mal piepte, musste ich mein kuschelig, warmes Bett verlassen.

Ich stellte meine Kaffeemaschine an und schlurfte schlaftrunken ins Bad. Es war jeden Morgen der abenteuerliche Versuch einer Metamorphose – die Verwandlung von einer knautschgesichtigen Raupe zu einem ansehnlichen Schmetterling. Oft genug misslang mir dieses Experiment. Doch an diesem Morgen hatte es nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Es gelang mir deshalb, so schnell fertig zu werden, weil ich nur die für andere Menschen sichtbaren Körperteile bearbeitete.

Vor einem halben Jahr hatte ich mir einen zweitürigen Schrank für mein Bad gekauft. Das überzeugende Verkaufsargument waren die Spiegel gewesen, die innen in beiden Türen angebracht waren. Darin konnte ich mich endlich von Kopf bis Fuß und von allen Seiten begutachten. Allerdings entdeckte ich dadurch an meinem Körper größere Baustellen, von deren Existenz ich bis dato keine Ahnung gehabt hatte. Ich trug gern und überwiegend Jeans. Und das würde auch so bleiben müssen, weil ich durch diese Spiegel an der Rückseite meiner Oberschenkel leichte Dellen entdeckt hatte. Ich bekam einen Schock, von dem ich mich lange Zeit nicht erholte. Seitdem schmierte ich mir täglich vor dem Schlafengehen verschiedene Cremes darauf, um die hässlichen Anfänge einer Cellulite nicht weiter wuchern zu lassen. Würde ich diese Unebenheiten meiner Oberschenkelrückseiten morgens auch noch zuspachteln wollen, wäre eine weitere halbe Stunde nötig. So aber hatte ich noch genügend Zeit, meinen Pott Kaffee zu genießen. Essen konnte ich morgens um diese unmenschliche Zeit nicht, aber ohne einen Kaffee getrunken zu haben, verließ ich nie meine Wohnung. Mein Morgenmotto lautete: Auf nüchternen Magen kann ich nichts essen! Meine erste Mahlzeit war das Frühstück um neun in unserer Kantine.

Es war zehn nach fünf, als ich in meinen kleinen Flitzer stieg. Noch blieben mir fünfzig Minuten, bis ich an meinem Arbeitsplatz sitzen musste, was zu schaffen war. Das war auch genau die Zeitspanne, die der Kaffee benötigte, um meinen Körper wieder verlassen zu wollen. Jeden Tag die gleichen Rituale. Es könnte ein sonniger Tag werden, vermutete ich, als ich ins Auto stieg, denn die Sonne kämpfte sich erfolgreich über den Horizont. Die Luft war klar und frisch. Ich glaubte, dass es irgendwie an diesem Morgen nach der See roch, obwohl die Küste noch knapp fünfzig Kilometer von Feudelhagen entfernt war.

Pünktlich um sechs Uhr saß ich an meinem Computer. Während der Rechner hochfuhr, holte ich mir von Daniela, unserer sehr jungen Abteilungsleiterin, die in ihrem kleinen Glaskabuff saß, eine Liste mit mehreren Dateien. Darin waren die Arbeitsaufgaben für die jeweilige Schicht zu finden. Vor mir stand bereits eine kleine Schlange mit Kolleginnen, die auch ihre Dateizettel abholen wollten. Endlich war ich an der Reihe.

„Guten Morgen, Dani, na, schönes Wochenende gehabt?“, gab ich mich freundlich.

„Ging so, ich musste meiner Mutter helfen. Ach übrigens, ich habe vergessen, den anderen zu sagen, dass heute um eins eine Betriebsversammlung stattfindet. Sage es bitte deinen Kolleginnen. Hier, deine Dateien.“ Sie reichte mir einen Ausdruck, auf dem zwölf verschiedene Zahlen standen.

„Danke, ich werde es ausrichten. Gibt wohl etwas Neues in der Firma?“

„Ich weiß auch nichts. Hab nur eine E-Mail auf meinem PC bekommen von der Geschäftsführerassistentin. So, nun zisch ab!“

Ich rief die Info wegen der anstehenden Betriebsversammlung ziellos in...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Altenpflege • Altenpflegerin • Hospiz • Krimi • Liebe • Liebesroman • Mobbing • Mord • Pflegefall • Spannung • Sterben • Umschulung
ISBN-10 3-96074-713-6 / 3960747136
ISBN-13 978-3-96074-713-0 / 9783960747130
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