Er hatte auf sie gewartet. Und dann war alles ganz schnell gegangen.
Sie wusste, dass sie nun einen schrecklichen Tod sterben würde. Denn sie kannte das Gesicht des Mannes, der ihr aufgelauert hatte. Der sie in dem engen Gang zu Boden gerissen und sich auf brutalste Weise an ihr vergangen hatte. In den kalten Angstschweiß mischten sich Tränen, die ihr aus den Augen schossen und die zu glühen schienen …
Warum hat er das getan?, fragte sie sich, während sie kaum noch Luft bekam und neben ihrer panischen Angst keimte auf einmal auch ohnmächtige Wut. Wut über die Erniedrigung, aber auch Wut über sich selbst, weil sie sich in ihren letzten Gedanken damit beschäftigte, was ihren Vergewaltiger zu seiner Tat bewogen haben könnte.
Absurd!, dachte sie und versuchte noch einmal sich zu wehren, den schweren Körper abzuwerfen, der sie wie eine tonnenschwere Last zu Boden drückte.
Es war vergeblich. Immer fester presste die Faust auf ihre Lippen und verschloss auch die Nasenlöcher. Sie hörte noch, wie ihre Knochen knirschten, dann wurde alles schwarz vor ihren Augen …
*
Einige Zeit später
Zum ersten Mal seit jenen bewegenden Ereignissen, in deren Verlauf D’koh, ohne es zu wollen, eine Verschwörung in den höchsten Adelsschichten der ontidischen Gesellschaft aufgedeckt hatte, befand er sich wieder an Bord eines Raumschiffes.{*}
Diesmal allerdings aus freien Stücken, und er freute sich darüber, obwohl die interstellare Passage auch durch einen Wehrmutstropfen getrübt wurde, wie seine terranischen Freunde sagen würden. Er hatte Qua’la zu Hause zurücklassen müssen. Sie konnte nicht für einen so langen Zeitraum ihr neues gemeinsames Zuhause und ihren alten Arbeitsplatz in der Botschaft der Humanen Welten auf Ontis VI verlassen. Vor allem nicht jetzt, da sie sich in einem gesegneten Zustand befand. Nein, die in ihr heranreifenden Eier waren zu kostbar, als dass D’koh zulassen konnte, Qua’las Körper den Strapazen eines Weltraumfluges auszusetzen.
Doch er war ja zum Glück nicht alleine auf dieser Reise.
»Hättest du dir damals gedacht, als wir uns das erste Mal begegnet sind, dass wir einmal zusammenarbeiten würden …«, fragte ihn der junge Ontide mit dem für ihn so typischen, unbekümmerten Vibrieren in den Knarrlauten.
»Vor allem nicht freiwillig«, erwiderte D’koh. Das leise Scharren, mit dem er seine Aussage unterstrich, kam einem Kichern gleich oder einem verschmitzten Grinsen.
Die beiden Ontiden verstanden die kleinen Feinheiten, mit denen sie ihre aus Klicklauten bestehende Unterhaltung würzten.
»Und vor allem nicht unterstützt von Gla’Thal …«, fügte Kkiku’h hinzu.
»Ohne Gla’Thals Beziehungen und vor allem ohne seinen Einfluss hätten wir niemals die Senderechte bekommen«, erwiderte D’koh bestätigend.
Es war viel geschehen – und einiges von dem, was geschehen war, blieb ein gut gehütetes Geheimnis, über das nur D’koh, sein Gesprächspartner Kikku’h und der ontidische Starreporter Gla’Thal Bescheid wussten.
»Das war ein schneller und dennoch weiter Weg vom kleinen Bildballon-Techniker zum Teilhaber und Berichterstatter eines unabhängigen Senders …«, sagte D’koh versonnen.
»In der Tat«, bestätigte Kkiku’h. »Das konnte nur einem Helden gelingen.«
»Unfug!«
»Doch, die Leute sehen in dir einen Helden …«
»Quatsch!«, wiegelte D’koh energisch ab.
Davon wollte er nichts wissen. Er empfand sich immer noch als ein einfacher Ontide, als ganz normale Person, die sich in nichts von den Milliarden anderen unterschied.
Andererseits war es eine Tatsache, dass er seit kurzem nicht mehr in einem der schäbigsten Vororte der Hauptstadt eine heruntergekommene Werkstatt betrieb. Dort hatte er abgerauchte Bildballone repariert und ohne den kleinsten Funken Hoffnung davon geträumt, mit der schönsten Frau zusammenzukommen, der er je begegnet war. Diese Frau – Qua’la – stammte zufällig aus einer der am höchsten angesehenen Familien von Ontis VI. Er dagegen war ein Niemand vom Bodensatz der ontidischen Gesellschaft. So hatte die Situation einmal ausgesehen. Aber jetzt?
Inzwischen war Qua’la seine Frau, und er hatte das Angebot angenommen, beim unabhängigen Sender QXKG einzusteigen und mitzuarbeiten.
»Ausgerechnet Gla’Thal …«, murmelte D’koh und schüttelte die Fühler über seinen großen Augen.
»Wir haben schon früher immer wieder mal zusammengearbeitet«, sagte Kkiku’h. »Es ist ein Geben und Nehmen.«
D’koh schaute ihn fragend an.
»Nun, er verfügt über hervorragende Informationsquellen – klar, als Haus- und Hofreporter für Ihre Majestät und die Regierung. Aber an ganz bestimmte Informationen kommt auch ein Gla’Thal nicht heran …«
»Verstehe«, sagte D’koh, »eine Hand wäscht die andere.« Er rieb die Feinhände aneinander.
»Klar, wir wollen beide leben. Und Gla’Thal ist schlau genug, um zu wissen, dass ihm eine gute Beziehung zu QXKG mehr nützt als schadet, obwohl wir Konkurrenten sind.«
»Er hat einfach einen Narren an dir gefressen«, sagte D’koh. »Ihm imponiert deine unbekümmerte und forsche Art. Das kann er sich in seiner Position nicht leisten. Deshalb unterstützt er dich und den Sender, wo er nur kann. Aber natürlich immer so, dass es diskret bleibt und niemand etwas von seinem Engagement erfährt …«
»Er unterstützt nicht mich, sondern uns …«, korrigierte Kkiku’h.
D’koh musste seinem Freund Recht geben. Noch war ihm seine neue Rolle als Journalist nicht vertraut genug, um sich mit ihr vorbehaltlos zu identifizieren.
Sie schwebten im Null-Grav-Center des hantelförmigen Ontiden-Raumers, der mit knapp halber Lichtgeschwindigkeit ihrem Ziel entgegenflog. Immer wieder zischte und fauchte es rings um sie herum. Jedes Mal, wenn ein heißer Dampfstrahl direkt auf die Chitinoberfläche ihrer Körper traf, klapperten sie mit wohligem Schnarren, das ein Translator am treffendsten mit einem zufriedenen Grunzen übersetzt hätte.
»Doch trotz aller diskret-freundlichen Unterstützung, die uns Gla’Thal zukommen lässt …«, sinnierte D’koh. »Ich frage mich, warum er QXKG ausgerechnet bei einem so bedeutenden Ereignis den Vortritt gelassen hat.«
»Das ist ausnahmsweise kein Geheimnis«, antwortete Kkiku’h. »Die Berichterstattung über die USW wird uns viele Zuschauer bescheren. Aber überleg doch mal, wie Reportagen über solche Sportarten in einem konservativen und regierungsnahen Sender vom Publikum aufgenommen würden?«
»Mit ungläubigem Staunen?«, spekulierte D’koh.
»Mehr als das«, sagte Kkiku’h. »Stell dir nur einmal vor, jemand wie Gla’Thal würde versuchen, den zahllosen Fans von Space-Wave den sportlichen Höhepunkt dieser Sportart nahe zu bringen.«
»Es könnte schon etwas lächerlich wirken.«
»Nicht nur das. Der Ursprung des Space-Wave ist immer noch lebendig. Ein Sport von Außenseitern und Rebellen. Leute, die sich keine Vorschriften machen lassen, sondern ihr Ding durchziehen. Es war ihnen egal, wie andere darüber dachten. Und vielen geht es noch heute so. Ihnen ist es gleichgültig, welches Medienecho sie erzeugen, sie wollen nur ihren Spaß und sich mit den Besten in ihrer Kunst messen.«
»Aber diese Puristen haben heute nicht mehr viel zu sagen«, warf D’koh ein. »Das öffentliche Interesse hat sie überrollt. Das Ganze ist zu einem gigantischen Ereignis mutiert …«
»Und zu einem noch größeren Geschäft. Trotzdem – der alte Geist ist immer noch lebendig und jeder Veranstalter tut gut daran, ihn lebendig zu halten.«
D’koh blickte seinen Partner fragend an.
»Du fragst dich, warum?«
Bejahend seine Fühler bewegend, saugte D’koh geräuschvoll an einem Selen-Cocktail, der durch dünne Schläuche in das Null-Gravcenter gepumpt wurde. Der matidische Körper verarbeitete Selen ähnlich wie der Mensch Sauerstoff.
»Ganz einfach, weil die Zuschauer es so wollen. Der Geist von Ungebundenheit, Freiheit und Rebellion … Davon träumen selbst die, die es niemals zugeben würden. Beim Space-Wave schwingt immer etwas davon mit. Es imponiert den Zuschauern zu sehen, wie andere etwas riskieren, ein nicht zu unterschätzendes Wagnis eingehen – stellvertretend für alle.«
»Und jetzt stell dir vor«, fuhr Kkiku’h fort, »ein Ontide wie Gla’Thal würde von so einem Ereignis berichten. Im schlimmsten Fall wären die Space-Wave-Fans so enttäuscht, dass sie denken würden, dieser Sport sei endgültig zu einer Angelegenheit von Hochadel und Establishment geworden …«
Den Rest seiner Überlegung ließ Kkiku’h unausgesprochen. Denn durch das gewaltige Panoramafenster des Null-Gravcenters waren nun immer deutlicher jene beeindruckenden Phänomene zu sehen, die in den kommenden Tagen die Kulisse der Universal Space-Wave Championship liefern würde.
*
...