Der Dorfladen (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wo der Weg beginnt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
576 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-26250-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Dorfladen -  Anne Jacobs
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Ein kleiner Dorfladen am Fuße des Taunus: Ein Ort voller Geborgenheit und Wärme, das Herzstück der Dorfgemeinschaft, wo jeder Unterstützung und Rat in allen Dingen des Lebens erhält.
Der kleine Dorfladen von Marthe Haller ist das Herz des Örtchens Dingelbach am Fuße des Taunus. Hier kauft man ein, erfährt die neuesten Nachrichten und findet Unterstützung in allen Lebenslagen. Marthes Töchter greifen ihrer Mutter unter die Arme, wo es nur geht. Doch Frieda, die Mittlere der drei, hat große Träume: Sie hat sich in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden - zum Entsetzen ihrer Mutter. Zwischen dörflicher Tradition und Zusammenhalt, harter Arbeit und den Verlockungen der großen Stadt Frankfurt, muss Frieda noch einige Steine aus ihrem Weg räumen ...
Sie konnten von der »Tuchvilla«-Reihe nicht genug bekommen? Dann freuen Sie sich auf den Auftakt der neuen großen Saga von SPIEGEL-Bestsellerautorin Anne Jacobs!

Anne Jacobs lebt und arbeitet in einem kleinen Ort im Taunus, wo ihr die besten Ideen für ihre Bücher kommen. Unter anderem Namen veröffentlichte sie bereits historische Romane und exotische Sagas, bis ihr mit der SPIEGEL-Bestseller-Reihe »Die Tuchvilla« der große Durchbruch gelang. Seit Jahren begeistert sie inzwischen auch Leser*innen in einem Dutzend Ländern von Frankreich bis Norwegen. Nach den SPIEGEL-Top-10-Bestsellern »Der Dorfladen - Wo der Weg beginnt« und »Der Dorfladen - Was das Leben verspricht« legt sie nun den dritten Teil der Reihe vor.

Kapitel 1


Ende Oktober 1923

Es ist kurz nach sieben. Frieda zieht den Fenstervorhang beiseite und schaut in die morgendliche Dunkelheit hinaus. Drüben im Pfarrhaus brennt Licht, hinter dem Fenster liegt das Studier­zimmer von Pfarrer Seybold. Rechts davon, im Hof Grossmann, sind sie noch im Stall zugange, auf den anderen Höfen ist das Vieh um diese Zeit längst gemolken und gefüttert. Die Lichter sind verzerrt, das bedeutet, dass Morgennebel über dem Dorf liegt. Frieda zieht das Nachthemd enger um den Körper und wünscht sich weit fort. Nach Eschnapur in Indien, wo goldgeschmückte Fürstinnen auf Elefanten reiten. Das hat sie im Kino gesehen. Oder wenigstens nach Frankfurt, wo das richtige Leben stattfindet.

Dingelbach ist schrecklich öde.

»Bist du immer noch nicht aus den Federn?«, schimpft hinter ihr die ältere Schwester Herta. »Willst du schon wieder zu spät zur Schule kommen?«

Sie meint nicht Frieda, sondern die dreizehnjährige Ida, deren rötlicher Haarschopf zwischen Kissen und Federbett vergraben ist. Ida ist das Nesthäkchen, sie ist aufsässig und altklug; sie tut nur, was sie will, von der braven Herta lässt sie sich nichts sagen. Als Herta ihr das Federbett wegziehen will, klammert sie sich daran fest und kreischt dann, weil Herta bei diesem Kräftemessen schließlich die Gewinnerin ist.

»Los, aufstehen! Wasch dich anständig. Frieda macht dir die Zöpfe.«

Herta zieht den Nachttopf unter dem Bett hervor und geht damit die Stiege herunter, um ihn draußen im Häuschen auszuleeren. Ida hockt immer noch in ihrem Bett, das lange Nachthemd über die angewinkelten Knie gezogen, die dicken Zöpfe sind mal wieder vollkommen verfilzt. Frieda wendet sich vom Fenster ab und zieht die Gardine wieder vor, dann gießt sie Waschwasser aus der Kanne in die Emailleschüssel.

»Du warst gestern an meinen Sachen!«, sagt sie ärgerlich zu Ida.

Ida antwortet nicht. Sie steigt umständlich aus dem Bett, tunkt den Waschlappen ein und wischt sich über ihr Gesicht. Das Wasser ist kalt, aber sie sind zu faul, hinunter in die Küche zu gehen, um sich eine Kanne warmes Wasser zu holen.

»Du hast Blätter aus meinem Heft gerissen!«

In der Schlafkammer gibt es drei Betten. Jedes Mädchen besitzt einen Nachttisch, darin verwahren sie ihre wenigen Besitztümer. Der Schrank wird gemeinschaftlich genutzt, daneben steht der Waschtisch mit der großen Emailleschüssel. Für weitere Möbelstücke ist es zu eng, es ist so schon schwierig, am Schrank vorbei zu Idas Bett zu gelangen, weil Schuhe, Schultasche, Socken und allerlei andere Dinge auf dem Fußboden herumliegen.

»Das war nur geliehen«, gibt Ida unwillig zu. »Mama muss mir heute neue Schreibhefte geben, dann kriegst du eins.«

Frieda ist trotzdem zornig. Ida ist eine diebische Elster, nichts ist vor ihr sicher.

»Papierschiffchen auf dem Bach schwimmen lassen«, sagt sie und rollt mit den Augen. »Für so’n Quatsch das teure Schreibpapier!«

Die Mädchen haben beide die Nachthemden abgestreift und waschen sich mit dem eingeseiften Lappen. Vor allem »unten­herum«, das hat die Mutter ihnen so beigebracht. Da muss man sauber sein, das ist wichtiger, als das Gesicht zu waschen. Zuletzt sind die Füße dran, dann kippt Frieda das Waschwasser in den ­Eimer.

»Wir haben eine Regatta gemacht«, erklärt Ida mit wichtiger Miene. »Mein Schiff hat gewonnen.«

»Glückwunsch!«, versetzt Frieda böse. »Wegen dir kann ich mein Theaterstück nicht fertigschreiben!«

»Schreib es doch auf Klopapier!«

Frieda zeigt der kleinen Schwester einen Vogel, dann hakt sie den von der Mutter geerbten Büstenhalter zu, zieht Strumpfbandgürtel, Hemd und Unterhose an, darüber Bluse und Rock. Die langen Strümpfe sind aus Baumwolle, die kratzen nicht. Im Winter muss sie die wollenen anziehen, das ist eine Qual. In der Stadt tragen die Frauen seidene Strümpfe und feine Unterwäsche mit Spitze dran. Das hat sie mal in einem Schaufenster in Frankfurt gesehen. Hier in Dingelbach sind solche Dinge die pure Sünde.

»Zwei Schreibhefte will ich dafür haben!«, verkündet sie.

Ida macht nur spöttisch »Pfff« und tippt sich an die Stirn.

»Zwei Schreibhefte. Unbenutzt. Mit Linien!«, beharrt Frieda.

Sie fährt in die hölzernen Hausschuhe und greift sich im Hi­nausgehen noch rasch die graue Strickjacke. Die gehörte auch einmal der Mutter und ist an den Ärmeln geflickt, trotzdem ist sie schöner als die selbst gestrickten Jacken, weil Papa sie der Mutter einmal in einem Laden in Bad Homburg gekauft hat. Damals, vor dem Weltkrieg, als sie Geld hatten und der Vater noch bei ihnen war.

Die Stiege ist eng und dunkel, man muss aufpassen, dass man mit den hölzernen Schuhen nicht eine Stufe verfehlt oder abrutscht. Vor allem, wenn man den Nachttopf hinunterträgt. Unten in der Küche ist es angenehm warm, weil die Mutter den Herd angefeuert hat, es riecht nach Malzkaffee und den Brotscheiben, die auf der Herdplatte rösten. In einem Topf wärmt die Mutter Milch auf, das riecht weniger gut. Frieda hasst den Geruch von warmer Milch.

»Hast du ihr die Zöpfe geflochten?«, will Herta wissen.

»Noch nicht …«

Herta seufzt und steckt den Schlüssel in die Küchenuhr, um sie aufzuziehen. Den Tisch hat sie schon gedeckt, jetzt nimmt sie die Brotscheiben vom Herd und legt sie in ein Körbchen. Dann bringt sie der Mutter die Kanne für die warme Milch. Herta kann keine Minute dasitzen, ohne etwas zu tun, sie muss ständig beweisen, wie fleißig sie ist, und dann seufzen, dass sie den ganzen Tag noch nicht gesessen hat. Frieda trägt anstandshalber den Malzkaffee zum Tisch, und da es für sie weiter nichts zu tun gibt, lässt sie sich auf ihrem Schemel nieder. Draußen dämmert der Morgen, trotzdem kann man durch das Küchenfenster nicht einmal das Hühnerhaus im Garten sehen, weil es so nebelig ist.

Idas Holzschuhe poltern auf der Stiege, sie hat den Schulranzen in der Hand, ein Strumpf hängt über dem Knie, die Zöpfe sehen aus, als hätten die Mäuse daran geknabbert.

»Mama soll mich kämmen«, fordert sie. »Bei Frieda ziept es immer ganz schlimm.«

»Setz dich hin, Idchen«, sagt die Mutter und stellt ihr einen Becher Malzkaffee mit viel Milch zurecht. Während Ida das warme Getränk in sich hineinschüttet und Röstbrot mit Pflaumenlattwersch verdrückt, löst die Mutter die verfilzten Zöpfe und arbeitet vorsichtig mit dem Kamm. Ida hat das rotblonde Haar ihres Vaters geerbt, die Mutter und Herta sind dunkelblond, aber Friedas Haar ist schwarz und lockig. Dazu hat sie braune Augen, keine blauen wie fast alle Leute im Dorf. Darüber ist oft gespottet worden, Onkel ­Georg hat sogar gemeint, ob da vielleicht einmal ein Italiener oder ein Spanier auf der Durchreise gewesen wäre. Onkel ­Georg ist Mutters Bruder, sein Hof liegt gleich neben dem Dorfladen.

Gerade hat sich Herta ein Brot mit Mus geschmiert, da bollert es an der Ladentür. Der Dorfladen wird zwar erst um acht geöffnet, aber wenn jemand etwas außer der Zeit haben will, sagt die Mutter niemals Nein.

»Ich geh schon«, verkündet Herta und legt das Brot wieder auf den Teller. Die Mutter nickt nur, weil sie Idas Zopfspangen zwischen den Lippen eingeklemmt hat. Sie kämpft noch immer mit Idas verwuscheltem Haarschopf. Drüben hört man die laute, ­herrische Stimme der Gertrud Schütz: Sie braucht Zimt, weil sie Birnenmus einkochen will, und jammert, dass das Obst auf der Schoppenwiese so viele faule Stellen hat. Zahlen tut sie nicht, weil der Otto Schütz, ihr Schwiegersohn, ja der Marthe Haller den Acker gepflügt hat. Marthe Haller – das ist Friedas Mutter.

Eine halbe Stunde später ist Ida mit fest geflochtenen Zöpfen und hochgezogenem Strumpf hinüber zum Schulhaus gelaufen, wo sie knapp nach dem Läuten der Schulglocke eintrifft. Herta hat im Garten die Hühner herausgelassen und die Eier eingesammelt, jetzt spült sie das Geschirr, während die Eier in einem Topf hartkochen. Das gibt Soleier, die kauft der Rabenwirt bei ihnen ein und verkauft sie seinen Gästen um das Doppelte.

Frieda muss der Mutter im Laden helfen, wo es um diese Zeit aber nicht viel zu tun gibt. Die Ladenscheibe hat Herta gestern erst geputzt, und ausgefegt wird am Abend. Frieda ist gern hier, weil sie stolz auf den Laden ist, den die Eltern so schön eingerichtet haben. Der Vater hat seinerzeit aus dem Eingangsflur und den beiden Zimmern einen großen Raum gemacht, der fast zwanzig Quadratmeter misst. Die Tragebalken des Fachwerks musste er stehen lassen, aber sie haben sie grün angestrichen, an einigen hängen bunte Werbeschilder, manchmal auch Zettel, auf denen steht, welche Waren gerade neu eingetroffen sind. Zumindest früher war das so, jetzt, bei der Inflation, kauft die Mutter nur selten neue Waren ein. Hinten an der Wand sind die Regale und Schubladen, davor steht der lange Ladentisch mit einer gläsernen Vitrine, in der man Niveacreme, Kölnisch Wasser und zwei Fläschchen mit Likör bewundern kann.

Das Schönste im Dorfladen ist aber die dicke grüne Schlange aus Holz, die über dem Ladentisch hängt. Sie hat einen schmalen Kopf mit einer roten Zunge und windet ihren schuppigen Körper bis zum anderen Ende des Tisches, wo ihr Schwanz geringelt ausläuft. An der Schlange befinden sich viele Haken, an denen unterschiedlich große Papiertüten hängen. Wenn man eine Tüte braucht, greift man einfach hinauf und reißt sich eine ab.

Draußen ist es jetzt hell, der Nebel hat sich gehoben, die ersten schwächlichen Sonnenstrahlen fallen schräg über die Dorfstraße, und die kahlen Kastanienbäume vor der Kirche...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2023
Reihe/Serie Die Dorfladen-Saga
Die Dorfladen-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er Jahre • 2023 • Das Erbe der Tuchvilla • Das Gutshaus • Die Töchter der Tuchvilla • Dorfgemeinschaft • Dorfladen • Dorfleben • eBooks • Familiensaga • Frankfurt am Main • Frauenromane • Frauenunterhaltung Neuerscheinung 2023 • große Träume • Historische Romane • Hochzeit • Kino • Landleben • Liebe • Liebesromane • Neuerscheinung • nr.1-spiegel-bestsellerautorin • Oberursel • Rückkehr in die Tuchvilla • Schauspielerei • Schauspielerin • Schirmfabrik • Schwestern • Sturm über der Tuchvilla • Taunus • Trilogie • tuchvilla-saga • Wanderarbeiter • wiedersehen in der tuchvilla • Zusammenhalt
ISBN-10 3-641-26250-X / 364126250X
ISBN-13 978-3-641-26250-1 / 9783641262501
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