Die Buchbinderin von Oxford (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
512 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-31524-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Buchbinderin von Oxford -  Pip Williams
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England, 1914: Als die Männer in den Krieg ziehen, halten die Frauen die Nation am Laufen. Zwei von ihnen sind die Zwillingsschwestern Peggy und Maude, die in der Buchbinderei der Oxford University Press im Arbeiterviertel Jericho arbeiten und auf einem Hausboot voller Bücher leben. Peggy träumt davon, eines Tages an der Universität zu studieren. Doch ihr wird gesagt: 'Dein Job ist es, die Bücher zu binden und nicht zu lesen!'. Maude ist ein ganz besonderes, verletzliches Mädchen, und Peggy fühlt sich nach dem Tod ihrer Mutter für ihre Schwester verantwortlich. Mit der Ankunft von belgischen Flüchtlingen in Oxford und der Unterstützung neuer Freunde rücken Peggys Träume ganz unerwartet in greifbare Nähe. Und sie beschließt, eine andere Zukunft für sich zu erschaffen - eine, in der sie nicht nur ihre Hände, sondern auch ihren Verstand einsetzen kann.
  • Ein emanzipatorischer Roman, der Licht wirft auf die unsichtbare Arbeit von Frauen und das alte Handwerk des Buchbindens
  • Der Nr.-1-Bestseller aus Australien: Ein historischer Schmöker für Buchliebhaber*innen zum Eintauchen und Entspannen
  • »(Williams) Charaktere sind so überzeugend, so voller Leben, dass sie eher entdeckt als erfunden wirken.« (The Sydney Morning Herald)


Pip Williams, geboren in London, aufgewachsen in Sydney, lebt mit ihrer Familie in Südaustralien. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und neben ihrer Forschung leidenschaftliche Autorin eines Reisememoirs, von Artikeln, Buchrezensionen, Flash Fiction und Gedichten. Ihre Faszination für Sprache und ihre Recherchen in den Archiven des Oxford English Dictionary inspirierten ihren ersten Roman »Die Sammlerin der verlorenen Wörter«, der ein Nr.-1-Sensationserfolg in ihrer australischen Heimat wurde. Mehrfach preisgekrönt, stand dieser Roman auf der Shortlist für den Walter Scott Prize for Historical Fiction. Auch »Die Buchbinderin von Oxford« wurde zum Nr.-1-Bestseller in Australien.

1


Bruchstücke: Das war alles, was ich hatte. Fragmente, die ohne die Wörter davor oder dahinter keinerlei Sinn ergaben.

Wir falzten die gesammelten Werke von William Shakespeare und ich hatte die erste Seite mit dem Herausgebervorwort bestimmt schon hundert Mal überflogen. Deren letzte Zeile ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, ich wollte dringend wissen, wie es weiterging. Ich habe mir erlaubt, nur dort abzuweichen, wo ich den Eindruck hatte, dass …

Mir erlaubt abzuweichen. Sobald ich einen Bogen falzte, blieb mein Blick an diesem Satz hängen.

Wo ich den Eindruck hatte, dass …

Dass was?, fragte ich mich. Um mit einem weiteren Bogen zu beginnen.

Erster Falz: The Complete Works of William Shakespeare. Zweiter Falz: Herausgegeben von WJ Craig. Dritter Falz: mir erlaubt, nur dort abzuweichen … Himmel Herrgott!

Meine Hand verharrte, während ich die letzte Zeile las und mich bemühte, sie zu ergänzen.

WJ Craig hat Shakespeare umformuliert!, dachte ich. Wo er den Eindruck hatte, dass …

Ich wollte unbedingt mehr wissen.

Verstohlen schaute ich mich in der Buchbinderei um. Mein Blick fiel auf den Arbeitstisch, auf dem sich die noch ungefalzten Bögen und bereits gefalzten Lagen türmten. Ich sah zu Maude hinüber.

Sie interessierte sich kein bisschen für die Wörter auf den Seiten. Ich konnte hören, wie sie leise vor sich hin summte, wobei jeder Falzvorgang den Takt vorgab wie ein Metronom. Falzen war ihre Lieblingsbeschäftigung, und das machte ihr so schnell niemand nach. Was sie allerdings nicht davon abhielt, Fehler zu machen – Fehlfalze, wie Ma das immer so schön nannte. Selbst ausgedachte Falze. Dann nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, wie sich ihr Rhythmus änderte. Es genügte, ihre Hand zu packen, dann begriff sie. Sie war nicht geistig zurückgeblieben – egal, was die Leute behaupteten. Und wenn ich solche Anzeichen übersah? Nun, dann war eine Lage ruiniert. Das konnte jeder von uns passieren, wenn ein Falzbein ausrutschte. Aber wir bemerkten es wenigstens und sortierten die fehlerhafte Lage aus. Nicht so meine Schwester. Und deshalb blieb mir nichts anderes übrig als …

… sie im Auge zu behalten.

… auf sie aufzupassen.

… tief einzuatmen.

Ach, Maude! Ich liebe dich, ich liebe dich wirklich. Aber manchmal … So viel zu meinen Gedanken.

Schon jetzt sah ich eine gefalzte Lage, die nicht bündig auf dem Stapel links von Maude, also zu meiner Rechten, lag. Ich würde sie später zurechtrücken, ohne dass sie etwas davon mitbekam. Genauso wenig wie Mrs. Hogg. Damit sie nicht verwarnt wurde.

Die Einzige, die hier noch Chaos stiften konnte, war ich. Wenn ich nicht bald herausfand, warum WJ Craig Shakespeare umformuliert hatte, würde ich noch laut schreien. Ich hob die Hand.

»Ja, Miss Jones?«

»Ich müsste austreten, Mrs. Hogg.«

Sie nickte.

Ich beendete meinen letzten Falzvorgang und wartete, bis sich Mrs. Hogg entfernt hatte, diese hässliche Kröte! Maude hatte das mal laut ausgesprochen, was mir bis heute nicht verziehen wurde. Denn für Mrs. Hogg waren wir so was wie ein und dieselbe Person.

»Bin gleich wieder da, Maudie.«

»Gleich wieder da«, wiederholte sie.

Lou falzte die zweite Lage. Als ich hinter ihrem Stuhl vorbeiging, blieb ich kurz stehen und beugte mich über sie. »Kannst du kurz innehalten?«, fragte ich.

»Ich dachte, du musst dringend austreten.«

»Natürlich nicht. Ich möchte bloß unbedingt wissen, wie es weitergeht.«

Sie wartete, bis ich den Satz zu Ende gelesen hatte. Ich rief ihn mir im Ganzen ins Gedächtnis und flüsterte leise: »Ich habe mir erlaubt, nur dort abzuweichen, wo ich den Eindruck hatte, dass die Nachlässigkeit eines Kopisten oder Druckers ein Wort oder einen Satz völlig sinnentleert hat.«

»Darf ich jetzt weiterfalzen, Peggy?«, fragte Lou.

»Ja, Louise«, sagte Mrs. Hogg.

Lou errötete und warf mir einen vielsagenden Blick zu.

»Miss Jones …«

Mrs. Hogg war mit Ma zur Schule gegangen und kannte mich und Maude bereits von Geburt an. Trotzdem: Miss Jones. Mit Betonung auf Mas Mädchennamen, nur für den Fall, jemand in der Buchbinderei könnte diese Schmach inzwischen vergessen haben.

»Ihre Aufgabe besteht darin, Bücher zu binden, nicht sie zu lesen …«

Sie war noch nicht fertig, aber ich hörte ihr längst nicht mehr zu. Ich hatte mir schon unzählige Male anhören müssen: Die Bögen seien dazu da, gefalzt, nicht gelesen zu werden. Die Lagen gelte es zusammenzutragen und zu heften, nicht zu lesen. Und unzählige Male hatte ich gedacht, dass es das Lesen der Seiten war, was die Arbeit überhaupt erst erträglich machte. »Ich habe mir erlaubt, nur dort abzuweichen, wo ich den Eindruck hatte, dass die Nachlässigkeit eines Kopisten oder Druckers ein Wort oder einen Satz völlig sinnentleert hat.«

Mrs. Hogg hob den Finger, und ich fragte mich, welche Antwort ich ihr wohl schuldig geblieben war. Wie immer lief sie knallrot an. Da mischte sich unsere Vorarbeiterin ein.

»Peggy, wo Sie schon mal stehen: Können Sie mir etwas holen?«

Mrs. Stoddard wandte sich mit einem Lächeln an die Aufseherin. »Sie können sie doch sicherlich für zehn Minuten entbehren, Mrs. Hogg?«

Die hässliche Kröte nickte und fuhr damit fort, die Reihe der jungen Frauen abzuschreiten, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich sah zu meiner Schwester.

»Maude kommt schon zurecht«, sagte Mrs. Stoddard.

Wir liefen ans Ende der Buchbinderei. Hin und wieder blieb Mrs. Stoddard stehen, um eine der jüngeren Frauen zu ermutigen oder ihre Haltung zu korrigieren, wenn diese einen allzu krummen Buckel machten. In ihrem Büro griff sie zu einem neu gebundenen Buch. Darauf prangten goldene Lettern, die dermaßen glänzten, dass sie wie nass wirkten.

The Oxford Book of English Verse: 1250 – 1900. Eine Lyrikanthologie, die wir fast jedes Jahr nachdruckten.

»Hat denn seit 1900 niemand mehr Gedichte geschrieben?«, fragte ich.

Mrs. Stoddard unterdrückte ein Lächeln. »Der Oberaufseher möchte wissen, wie die neueste Auflage geworden ist.« Sie reichte mir das Buch. »Ein kleiner Spaziergang zu seinem Büro dürfte Ihnen eine willkommene Abwechslung sein.«

Ich führte das Buch an die Nase. Leder, dazu kam ein schwacher Duft nach Druckerschwärze und Leim. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Das war ein Duft, der nach neuen Ideen roch, nach einer spannenden alten Sage, nach einem aufregenden Reim. Ich wusste, dass er nach einem Monat verfliegen würde, deshalb atmete ich tief ein, als könnte ich so auch aufsaugen, was auf diesen Seiten stand.

Zwischen zwei langen Arbeitstischreihen, auf denen sich planierte bedruckte Bögen und Lagen türmten, trat ich den Rückweg an. Frauen und Mädchen waren damit beschäftigt, das eine in das andere zu verwandeln, doch mir hatte man eine kurze Verschnaufpause gewährt. Ich wollte das Buch gerade aufschlagen, als eine warzige Hand die meine packte und das Buch zuknallte.

»Ich werde nicht zulassen, dass der Buchrücken einen Knick bekommt«, sagte Mrs. Hogg. »Schon gar nicht durch jemanden wie Sie, Miss Jones

***

Ich ließ mir Zeit, während ich durch die Flure der Clarendon Press lief.

Mr. Hart hatte gerade Besuch: Die Worte der Frau waren auch für mich zu verstehen. Sie war jung und drückte sich gewählt, mit einem leichten Midland-Akzent aus. Ich dämpfte meine Schritte, damit sie nicht verstummte.

»Und was sagt Ihr Vater dazu?«, fragte Mr. Hart.

Kurz vor seiner halb offen stehenden Bürotür machte ich halt. Ich konnte ihre modischen Schuhe und schmalen Fesseln unter dem gerade geschnittenen lila Rock erkennen. Darüber trug sie ein passendes Jackett.

»Er war zunächst gar nicht begeistert, hat sich dann aber umstimmen lassen.«

»Er ist Geschäftsmann, ein Pragmatiker. Er musste nicht studieren, um die Papiermühle zu betreiben. Vermutlich versteht er nicht, welchen Sinn das für eine Frau haben sollte.«

»Ja, ganz genau«, sagte sie, und ich spürte ihre Verbitterung. »Deshalb muss ich ihm beweisen, dass es sehr wohl einen Sinn hat.«

»Und wann wollen Sie nach Oxford kommen?«

»Im September. Kurz vor Michaeli, zum Herbsttrimester. Ich gehe nach Somerville, wir werden also Nachbarn sein.«

Somerville. Jeden Morgen stellte ich mir vor, Maude vor dem Verlagsgebäude stehen zu lassen, die Straße zu überqueren und Somerville College zu betreten. Ich stellte mir den Campus und die Bibliothek, einen Schreibtisch in einem der Räume mit Blick auf die Walton Street vor. Ich stellte mir vor, meine Zeit mit dem Lesen von Büchern zu verbringen, statt damit sie zu binden. Kurz stellte ich mir auch vor, ich wäre nicht gezwungen, Geld zu verdienen und Maude könnte für sich selbst sorgen.

»Und was wollen Sie studieren?«

Die Antwort lag mir auf der Zunge, aber die junge Frau kam mir zuvor.

»Englisch. Ich möchte Schriftstellerin werden.«

»Nun, vielleicht haben wir eines Tages die Ehre, Ihr Werk zu binden.«

»Ja, vielleicht, Mr. Hart. Ich freue mich schon darauf, meinen Namen zwischen Ihren Erstausgaben zu entdecken.«

Es wurde geflüstert, aber...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2023
Übersetzer Christiane Burkhardt
Sprache deutsch
Original-Titel THE BOOKBINDERS OF JERICHO
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2023 • Asperger-Syndrom • Autismus • Buchbinderei • Buchliebhaber • eBooks • Emanzipation • England • Erster Weltkrieg • Eskapismus • Familiengeschichte • Frauenarbeit • Frauenbewegung • Freundschaft • Geschenk für die Freundin • Hausboot • Historische Romane • historischer Schmöker • Jericho • lesemotiv eintauchen • Liebesgeschichte • Neuerscheinung • nummer-1-bestseller in australien • Oxford English Dictionary • Reese Witherspoon • Schwestern • Suffragetten • Unsichtbare Frauen
ISBN-10 3-641-31524-7 / 3641315247
ISBN-13 978-3-641-31524-5 / 9783641315245
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