Das Schweigen (eBook)

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31091-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schweigen -  Jan Costin Wagner
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Ein grandioser Roman über Schuld und Sühne, Verlust und Verbrechen Niemand weiß besser als Kimmo Joentaa, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Wenn die Angst der Gewissheit weicht, dass der andere fort ist. Für immer. Deshalb hütet sich der Kriminalkommissar aus Turku davor, den Eltern von Sinikka Vehkasalo zu widersprechen. Ihnen die Hoffnung zu nehmen, dass ihre Tochter noch leben könnte. Auch wenn er es besser weiß. Wissen muss. Denn die Parallelen sind zu offensichtlich. Wenn dreiunddreißig Jahre nach dem ungeklärten Mord an einem jungen Mädchen an genau der gleichen Stelle ein anderes Mädchen unter ähnlichen Umständen verschwindet, muss es einen Zusammenhang geben.

Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main. Seine Romane um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa wurden von der Presse gefeiert, vielfach ausgezeichnet (u. a. Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Tage des letzten Schnees und Das Licht in einem dunklen Haus wurden 2019 und 2022 vom ZDF u.a. mit Henry Hübchen und Bjarne Mädel verfilmt. Sommer bei Nacht erhielt den Radio Bremen Krimipreis, Am roten Strand ist nominiert für den Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi. 

Jan Costin Wagner, Jahrgang 1972, lebt als Schriftsteller und Musiker bei Frankfurt am Main. Seine Romane um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa wurden von der Presse gefeiert, vielfach ausgezeichnet (u. a. Deutscher Krimipreis, Nominierung zum Los Angeles Times Book Prize) und in 14 Sprachen übersetzt. Tage des letzten Schnees und Das Licht in einem dunklen Haus wurden 2019 und 2022 vom ZDF u.a. mit Henry Hübchen und Bjarne Mädel verfilmt. Sommer bei Nacht erhielt den Radio Bremen Krimipreis, Am roten Strand ist nominiert für den Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi. 

Inhaltsverzeichnis

Dreiunddreißig Jahre danach

Januar


1


Am Tag seiner Verabschiedung stand Ketola um sechs Uhr auf.

Er duschte unter kaltem Wasser und zog sich an, was er am Vorabend neben seinem Bett zurechtgelegt hatte. Ein dunkelgrünes Jackett und die dazu passende schwarze Hose.

Er aß zwei Scheiben Brot mit wenig Butter, las den Leitartikel der Tageszeitung, trank eine Tasse Kaffee, einen Schluck Wodka und ein Glas Wasser, um den Geschmack des Alkohols zu übertünchen.

Er spülte das Glas und die Tasse ab, stellte beides zurück in den Geschirrschrank, legte die Zeitung zusammen und saß anschließend fünf Minuten am Tisch, um durch das Dunkel hinter dem Küchenfenster die verschneiten Bäume im Nachbargarten zu betrachten.

Nach Ablauf der fünf Minuten stand er auf, nahm seinen Mantel vom Kleiderhaken, zog ihn an und ging zu seinem Wagen. Das Auto stand unter einer Überdachung, aber die vergangene Nacht war sehr kalt gewesen, die Scheiben waren vereist.

Er kratzte das Eis von den Fenstern, stieg ein, schaltete das Gebläse an und wartete eine Weile, bis ihm die Sicht klar genug erschien. Er steuerte den Wagen durch den dichten Schnee auf die Landstraße in Richtung Turku.

Im Wagen breitete sich langsam Wärme aus, und Ketola begann, die Müdigkeit zu spüren. Er hatte die Nacht wach gelegen. Ab und an war er aufgestanden und hatte versucht, sich zu beschäftigen. Er hatte eine Weile in einem Buch gelesen, wusste aber nach einer gelesenen Seite nicht mehr, was auf dieser Seite gestanden hatte, er hatte den Fernseher ein- und wieder abgeschaltet und die letzten Stunden damit verbracht, an die Decke zu starren und auf den schrillen Ton des Weckers zu warten.

Jetzt schaltete er den CD-Player an, um sich wach zu halten, und wählte das Lied, das er in letzter Zeit immer mal wieder hörte, wenn er zur Arbeit fuhr, er hatte wenig Ahnung von Musik, aber dieses Stück gefiel ihm, ein Duett zweier Querflöten, dessen Komponisten er nicht kannte. Die CD stammte von seinem Sohn Tapani, der sie ihm vor einigen Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte.

Tapani hatte ihm die CD gegeben, ohne ein Cover beizulegen, das Auskunft über die Herkunft der Musik gab. Das war typisch für Tapani, Ketola hatte sich über das Geschenk gefreut, aber es war typisch, dass kein Cover beilag, und dafür, Tapani nach dem Komponisten dieser Musik zu fragen, war es zu spät, zumindest voraussichtlich, auch wenn er sich jetzt vornahm, es demnächst mal zu versuchen.

Das Stück gefiel ihm, die Traurigkeit dieser Musik war wirklich außergewöhnlich, sie war derart ausgeprägt, dass sich Ketola beim Hören in den vergangenen Wochen immer gleich ein wenig besser gefühlt hatte.

Er musste sich zwingen, die Augen offen zu halten, und lachte zweimal innerhalb weniger Sekunden auf, weil er kurz hintereinander zwei Gedanken hatte, die ihn belustigten oder wenigstens zum Lachen brachten.

Dass es schade wäre, ausgerechnet am letzten Arbeitstag bei einem zu allem Überfluss selbst verschuldeten Unfall ums Leben zu kommen. Und dass er vielleicht, wenn Nurmela nachher seine mit Spannung erwartete Rede zu halten begann, endlich einschlafen würde. Nurmela würde es ihm nicht übel nehmen können … an diesem Tag …

Ketola kicherte noch eine Weile vor sich hin, und dann begann dieses Lied, ihn traurig zu machen, er schaltete den CD-Player aus.

Das Rauschen des Gebläses füllte den Raum. Es war inzwischen heiß im Innern des Wagens, Ketola spürte die Hitze und bildete sich ein, zum ersten Mal unmittelbar den Unterschied wahrzunehmen zwischen der Hitze im Wagen und dem kalten Dunkel jenseits der Windschutzscheibe.

Ständig fielen ihm die Augen zu, es war nichts dagegen zu machen, aber er war ja gleich da, er stand schon im zähen Verkehr in der Innenstadt, von dem er wusste, dass er schlimmer aussah, als er war, seine Fahrt würde nur noch wenige Minuten dauern.

Der Schnee vermengte sich mit Abgasen, gelben Frontlichtern und roten Bremsleuchten zu einem eigentümlichen Bild, von dem er den Eindruck hatte, es zum ersten Mal zu sehen, zum ersten Mal auf diese Weise. Was natürlich Unsinn war, und er begann, genau das zu tun, was er unbedingt hatte unterlassen wollen, er begann, das Besondere an diesem Wintertag zu suchen, der in Wirklichkeit genau so war wie alle anderen.

Er bog schließlich links ab und fuhr auf der weniger befahrenen, schmaleren Straße bis zu dem großen Gebäude, das sein Arbeitsplatz war.

Wie seit Jahren ging sein Blick in den dritten Stock, in Richtung des Fensters, hinter dem sich sein Büro befand. Es brannte noch kein Licht, er würde heute der Erste sein, was seine Richtigkeit hatte, denn er war schließlich jahrzehntlang der Erste gewesen.

Erst in den vergangenen zwei Jahren, seit Kimmo Joentaa seine Frau verloren hatte, hatte recht häufig das Licht im Büro schon gebrannt und Kimmo hatte am Schreibtisch vor dem surrenden Computer gesessen, als Ketola eingetreten war. Ketola war heute absichtlich noch ein wenig früher gefahren als sonst, um diesen kleinen, albernen Wettstreit zu gewinnen, er vermutete allerdings oder war sich vielmehr sicher, dass Kimmo diesen Wettstreit gar nicht als solchen wahrnahm, sondern einfach immer dann früh im Büro saß, wenn er es zu Hause nicht aushielt.

Warum Kimmo häufig so früh im Büro saß, verstand Ketola jedenfalls besser als seine eigenen Gründe. In seinen ersten Dienstjahren war es sicher Ehrgeiz gewesen, der Versuch, sich zu profilieren, was letztlich auch gelungen war. Aber später hatte sich dieser Grund erübrigt, denn Ketola hatte die angestrebte leitende Position erhalten, und warum er dann immer noch Tag für Tag als Erster hatte da sein müssen, wusste er nicht.

Wie auch immer … heute würde Kimmo sicher darauf achten, nicht zu früh zu kommen. Ja, wie er Kimmo kannte, würde der heute besonders spät kommen, bloß um Ketola an seinem letzten Arbeitstag den Raum zu geben, im leeren Büro was auch immer zu tun, im Zweifelsfall zur Ruhe zu kommen, in sich zu gehen.

Ketola kicherte leise, während er durch den stärker werdenden Schneefall lief. Er mochte Kimmo, die Integrität dieses Mannes oder wie immer man das nennen wollte, war ein wenig penetrant, die Art, wie er alles so verdammt ernst nahm … aber er mochte ihn wirklich, und er hatte zwei volle Jahre lang mit dem Gedanken gespielt, mit Kimmo irgendwann länger über den Tod seiner Frau zu sprechen, weil er das Gefühl nicht los wurde, dass dieser Mann in aller Stille am Tod seiner Frau verrückt wurde, und mit Verrückten, vor allem mit Verrückten in jungen Jahren, kannte Ketola sich aus.

Er begrüßte wie an jedem Morgen den Mann an der Pforte. Mit einem Nicken, und der Mann hinter der Glasscheibe nickte zurück. Wenn er sich nicht sehr täuschte, hatten er und der Mann hinter der Scheibe sich jeden Tag auf diese Weise gegrüßt, ohne die ganzen Jahre über ein Wort zu wechseln. Er musste später noch mal darüber nachdenken, aber im ersten Moment erinnerte er sich wirklich nicht an ein einziges Gespräch.

Ketola fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock und ging über den dunklen Flur zu seinem Büro. Er schaltete das Licht ein, setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Ein ganz neues Gerät, auf dem aktuellen Stand der Technik, obwohl auch die Vorgängercomputer gut funktioniert hatten und vor allem Ketola nach langem Üben in der Lage gewesen war, das Betriebssystem zu bedienen.

Aber die Direktion war auf die Investition so stolz gewesen, dass sie einen großen Artikel in der Tageszeitung platziert hatte. Nurmela hatte bereitwillig und ziemlich überzeugend vor einem der Geräte posiert, obwohl Nurmela im Team der einzige war, der von neuen Technologien noch weniger verstand als Ketola selbst. Und Tuomas Heinonen hatte der beeindruckten Journalistin gezeigt, was man mit diesen Computern und diesem perfekt vernetzten System alles machen konnte, denn Heinonen war in diesen Dingen sehr bewandert, er hatte auch Ketola häufig geholfen, wenn dessen Bildschirm schwarz wurde oder sich Fehlermeldungen einstellten, und dabei hatte Heinonen eine bemerkenswerte Geduld bewiesen.

Ketola hatte Nurmela zuliebe an den Schulungen wichtigtuerischer IT-Experten teilgenommen, obwohl alle wussten, dass er nur noch wenige Wochen mit den neuen Computern arbeiten würde. Er kicherte schon wieder bei der Erinnerung an die Seminartage, denn er hatte sich da wirklich ein wenig gehen lassen, hatte manchmal wie ein kleines Kind im Schulunterricht Witze gerissen, war ein Mal sogar so lange auf seinem Stuhl hin und her geschaukelt, bis er ziemlich hart zu Boden gefallen war.

Heinonen, der neben ihm gesessen hatte, war zusammengezuckt, Petri Grönholm hatte schallend gelacht, sogar der immer ernste Kimmo hatte gegrinst, und der Referent hatte endlich mal für zwei Sekunden sein Maul gehalten und ihn angestarrt wie einen Außerirdischen.

In seinem Alter durfte man sich diese kleinen Extravaganzen schon mal gönnen, fand Ketola, schließlich wollte er auch gar nicht wissen, und ihm wurde fast ein wenig...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2023
Reihe/Serie Ein Kimmo-Joentaa-Roman
Ein Kimmo-Joentaa-Roman
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Finnland • Jan Costin Wagner • Kimmo Joentaa • Kommissar Kimmo Joentaa • Kriminalroman • Krimireihe • Melancholie • Mordserie • Psychologischer Krimi • Trauer • Turku • Verlust Partner
ISBN-10 3-462-31091-7 / 3462310917
ISBN-13 978-3-462-31091-7 / 9783462310917
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