Max Esterl und die Rachelnippel
Ohetaler Verlag
978-3-95511-185-4 (ISBN)
Max Esterl und die Rachelnippel
Max Esterls elfter Fall – Ein Böhmerwaldkrimi
700 Jahre Frauenau. Der kleine Glasmacherort am Fuße des Rachel im Bayerisch-Böhmischen Grenzgebirge feiert sein Gründungsfest und die Wiedereröffnung des altehrwürdigen „Gistlsaals“. Die Festlaune im Dorf wird getrübt, als bekannt wird, was die Pächter des Saals als erste
Veranstaltung planen: Die Erotikmesse „Rachelnippel“.
Dann wird ein wertvoller Glasschatz gestohlen, den die Gemeinde unbedingt braucht, um ihre Schulden zu begleichen. Jetzt kann nur noch einer helfen: Ex-Kommissar Max Esterl.
Pressestimmen zu Ossi Heindl:
Wie gewohnt packt Ossi Heindl Seelenbilder der Menschen und der Landschaft mit aktuellen Ereignissen in eine spannende Krimihandlung.
Quelle: Hannelore Summer in „Schöner Bayerischer Wald“, November/Dezember 2022, Nr. 269
ISBN 978-3-95511-185-4
14,90 €
Prolog Die Flucht (Herbst 1946) „Loss des liegen!“ Franz Hasenkopf, der Meister, bedeutete seinem Buben, dem 16-jährigen Rudi, mit einer Handbewegung, dass er alles Glasmacherwerkzeug zurücklassen sollte. Rudi, der Lehrbub, weinte. „Vater, wos soll mer denn toa, ohne Werkzeig? Da kimma ja aa draußt bei de Boiern koa Glas net mocha.“ „A Werkzeig krejgt ma überoll, aber des Glos, wos ma mir mitnehmand, des krejgt ma nirgends mehr. A so a Glos macht heit koana mehr auf da Welt, wia ma´s mia da gmocht hamd, da in der Klostermühle.“ Der Meister packte die Vasen aus dem Musterschrank eine nach der anderen in Papier und verstaute sie vorsichtig in drei großen Rucksäcken. „De Zeit is vorbei, Bua. Mia mejssma furt! Der bluats Kriag hat olles hi gmocht. Koana is mehr da, der sich um ebbs kümmert. Mia hamma de letztn. Und moagn werdn´s scho kemma, und wenns do hand, dann iss z´spät. Dann nehmands uns ois! Du kanntst as am End no dalebn, Bua, aber i nimma. I kimm nimma do her zu unsana Gloshüttn. Olle hamds scho vertrieben. Da gonze Böhmerwold is scho so laar, so laar wej, wej…“, dem Meister fiel kein Vergleich ein. „Wej mei Taller wenn´s an Sterz und a Kraut gebn hat“, versuchte der Bub ein Bild für das schier Undenkbare zu finden. Der Vater lachte bitter. „Ejtz hoißt´s Abschied nehma. Abschied für immer! Da: pack´s ei, des Glas. Steh net a so ummananda. Heit aaf d´Nacht mejss ma no des letzte Mal umme. Des hand wieder sechs Stundn Fuaßmarsch bis aaf d´Grenz. Mit de schwarn Vasn wahrscheinla no mehra. Aber de Vasn, de hand unser Zukunft, dei Zukunft!“ Zwei Mal schon war der Vater in den letzten Tagen über die Grenze nach Bayern gegangen. Zwei Mal hatte er Glas, wertvolles Glas hinüber gebracht und in einem Haus knapp jenseits der Grenze bei Bekannten deponiert. Jetzt wollte er zu seinem letzten Gang aufbrechen und seinen Buben mitnehmen. Mit seinen rissigen Fingern strich der alte Meister über eine auch noch im Dämmerlicht geheimnisvoll blau irisierende edle Vase. „De han i no gmocht, da bin i kaam älter gwen wia du ejtz. Des is no de guade Zeit gwen. Da hat unsa Lötz-Glos no an Weltruf ghot. De und de andern wenn ma vokaffa kinnand, dann kimma aft nei ofanga.“ „Aber Vota, wer hat denn so vej Geld, dass er des ollas kaffa kann?“ „I woaß scho oan. Der hat des Geld. Und der hat aa den Verstand, dass er woaß, wos unser Glos wert is.“ „Und wer is des, Vota?“ „Morgn hamma durt bei eahm, wenn ois guat geht und wenns uns net dawischnd, ummezou über Rehberg und hintre übern Mittagsberg aaf d´Grenz. „Bei wem, Vota, bei wem hamma morgn?“ „Beim Gistl in Frauenau.“ Bis Rehberg hinauf war es noch ganz gut gegangen. Erst die Ou (Wottawa) entlang, da waren sie noch frisch gewesen. Der Rudi, der für sein Alter schon recht kräftig war, trug zwei Rucksäcke, der alte Franz einen. Die ersten zwei Stunden marschierten sie im Finstern den Fluss hinauf, dessen Rauschen den Franz ein Leben lang begleitet hatte. Ihr Häusl, nicht weit entfernt von der Glashütte und der berühmten Spaun-Villa, war an einem kleinen Hang direkt oberhalb der Wottawa gestanden. Hier war der Franz aufgewachsen und sein Leben lang war er gut Freund mit den schwarzen Wassern gewesen, auch wenn diese manchmal im Frühjahr bedrohlich angewachsen waren, weiße Schaumkronen aufgesetzt hatten und immer wieder auch Stücke seines kleinen Gartens mitgenommen hatten. Oft war er mit seiner Frau Maria am Abend auf dem Hausbankl gesessen und sie hatten hinuntergeschaut auf die Fluten und die Maria, die im Glasmacherdorf Eleonorenhain an den Ufern der Moldau aufgewachsen war, hatte ihr Lieblingslied angestimmt: „Auf d´Wulda, auf d´Wulda, scheint d´Sunna so gulda…“ Und dann hatte er, der Franz, mit seinem Tenor, die Überstimme zum Refrain gesungen: „Da schwimmand de Scheiter talab allweil weiter, und koans kimmt mehr zruck.“ Franz liefen die Tränen durch seinen weißen Bart. Zum Glück musste seine Maria das alles nicht mehr erleben. Vor fünf Jahren, im Anfangsjahr des großen Krieges, als alle noch begeistert waren vom großen Führer, da hatte der Franz seine Gattin beerdigen müssen. Er selber hatte sich zurückgezogen. Als junger Glasmacher, damals in Deffernik war er Sozialdemokrat gewesen und das war er in seinem Herzen auch geblieben. Mit dem Henlein- und Hitlerkult, der aus dem Reich in den Böhmerwald geschwappt war, hatte er nichts anfangen können. Zum Glück war er schon zu alt und sein Bub noch zu jung gewesen. Keiner von ihnen hatte in den Krieg ziehen müssen. Der Krieg war verloren gegangen und sie mussten ihre Heimat verlassen, weil die Sieger es so wollten. Und jetzt waren sie auf dem Weg hinüber. Hinüber nach Bayern. Hinüber in eine ungewisse Zukunft. Zwischen Rehberg und Stubenbach, kurz hinter der Moosau, hörte der Alte ein Geräusch, das nicht hierher in die Stille der Böhmerwaldnacht passte. Franz stoppte, der Rudi, der wie in nächtlicher Trance hinter ihm hergegangen war, wäre bald in ihn hineingelaufen. „Wos is, Vota?“ „Psscht! Bi staad! Da kimmt ebbs.“ Schweigend verhielten die beiden einige Augenblicke. Da! Jetzt hörte es der Rudi auch. Ein Wunder, dass der Vater, der sich die letzten Jahre mit dem Hören immer schwerer getan hatte, das Geräusch vor ihm wahrgenommen hatte. Motorengeräusch war das. Ein Lastwagen. Den Straßengraben zu queren war gar nicht so einfach mit ihrer Last, die noch dazu ebenso zerbrechlich wie wertvoll war. Während Vater und Sohn hinter einer alten Fichte Zuflucht suchten, näherten sich die Geräusche und bald schon sahen die zwei auch Scheinwerferlicht, das seinen Weg durch den Wald suchte. Ganz dicht drückten sie ihre zitternden Leiber an den Fichtenstamm, der zum Glück einen solchen Umfang hatte, dass sie beide hinter ihm verschwanden. Rudi war mit den Fingern seiner rechten Hand in ein Rinnsal von Baumpech geraten, das ihn direkt am Stamm kleben ließ. Aber er achtete nicht darauf, denn die Scheinwerfer des Fahrzeugs, es schien ein alter deutscher Wehrmachtslastwagen zu sein, leuchteten für kurze Zeit genau in ihre Richtung. Wenn die tschechische Grenztruppe sie erwischt hätte, dann wären sie beide wohl im Gefängnis oder – noch schlimmer - in den Bergwerken gelandet, von denen sie in der letzten Zeit öfter gehört hatten. Ihre schwere Straftat, der illegale Grenzübertritt, würde noch um ein Vielfaches verschlimmert werden durch ihren Raub des Volksvermögens und keiner würde es ihm, dem Franz Hasenkopf, Glasmacher aus Klostermühle, glauben, dass fast die Hälfte der Vasen von ihm selber gefertigt worden und in seinem Privatbesitz war. Während sich der Lastwagen Richtung Rehberg entfernte, kamen die zwei Glasmacher hinter dem Baum hervor, der ihnen Schutz gewährt hatte, querten den Straßengraben und marschierten weiter. Rudi wischte sich die vom Baumpech klebrigen Hände an seiner tscherkenen Joppe ab. „Glei doama rastn, Rudi“, beschied der Glasmacher seinem Sohn. „Da, vor der Hauswaldkapelln, da is a Bankerl, da kimma uns a paar Minutn hisetzn und du kannst wos essn.“ Ihm selber war nicht nach Essen, aber der Bub brauchte sicher eine Stärkung. Die Rast an der Hauswaldkapelle hatte der Franz ganz bewusst gewählt. Dort hatte er, vor vielen Jahren, seine Maria kennen gelernt, am Frauentag, bei der großen Wallfahrt hierher. Aus dem ganzen Böhmerwald und sogar aus dem Bayerischen waren damals die Pilger alljährlich zu Mariae Himmelfahrt hierher gekommen, nach Rehberg, dem kleinen Kirchdorf im höchsten Böhmerwald. Auch er war von der Klostermühle hier herauf gekommen, allerdings weniger aus religiösem Anlass. Franz hatte zwei seiner Lehrjahre bei einem mit seinem Vater gut bekannten Meister an der Glashütte in Hurkenthal abgeleistet und dort mit dessen Sohn Michael Freundschaft geschlossen, eine Freundschaft, die sie beide jedes Jahr bei der Hauswaldkirchweih neu bestätigten. Im Jahre 1926, er hatte sich in der Klostermühle gerade eine Position als bester unter den Nachwuchsglasmachern erworben, machte sich Franz wieder auf zur Hauswaldkapelle. Zu seiner Verwunderung hatte sein Freund Michael diesmal Gesellschaft. Mit den Hurkenthalern, die immer in einer größeren Gruppe in den Nachbarort Rehberg kamen, war auch ein Mädchen gekommen, das dem Franz ausnehmend gut gefiel. Ihr Lachen, bei dem kleine Grübchen auf ihren Wangen erschienen, ihr bescheidenes und doch selbstbewusstes Auftreten, alles an ihr ließ in Franz ein Sehnen aufkommen, das er bis dahin noch nie so stark gespürt hatte. Und als der nicht ehr so ganz junge Glasmacher nach einiger Zeit merkte, dass die Maria nicht die Freundin vom Michael, sondern dessen Base aus dem über einen Tagesmarsch entfernten Eleonorenhain war, da nahm er sein Herz in die Hand und forderte sie auf zum Kirchweihtanz. Aus dem einen waren viele Tänze geworden und ein Jahr später verlobten sich die beiden an der Hauswaldkapelle und wieder ein Jahr später wurden sie in Unterreichenstein getraut. An all dies musste Franz denken, als er hier, kurz vor Mitternacht, auf einer der Bänke für die Wallfahrer saß, an der kalten Kirchenmauer lehnte und hinaussah in eine Zukunft, die ihm so ungewiss schien wie die Finsternis, die sie beide, Vater und Sohn, umgab. Den Vater überkam ein dringendes Bedürfnis: „Ejtz bet ma, Bua!“ „Jo, Vota, ejtz kimma a Helf braucha!“ Der Sohn murmelte ein Vaterunser, der Vater sprach die Gebetsworte auch, aber seine Gedanken waren woanders: Was waren das für Zeiten, in denen man bei Nacht und Nebel seine Heimat und das Grab seiner Frau verlassen musste und nicht einmal das mitnehmen durfte, was einem das Wertvollste war? Wie oft hatte der Franz in den letzten Wochen darüber nachsinniert, wie es dazu hatte kommen können. Er war bestimmt kein Parteigänger von Henlein und auch kein Anhänger Adolf Hitlers gewesen. Den Anschluss des Sudetenlandes 1938 ans Reich allerdings, das musste er zugeben, hatte er nicht ungern gesehen. Aber das, was der Hitler danach anstellte, das hatte den Franz angewidert. Erst wurden alle mundtot gemacht, die anders dachten. Der Seidl aus Unterreichenstein, ein alter Sozi, war zweimal wegen despektierlicher Äußerungen eingesperrt worden, auch ihn, den Franz, hatte man gewarnt, als er sich im Hüttenwirtshaus, das er eh nur selten besuchte, eine ganz vorsichtig-kritische Bemerkung gestattet hatte. „Is vorher aa net ois schlecht gwen“, hatte er gesagt, mehr nicht. Dann verschwanden nach und nach die Juden, von denen es gerade im Böhmerwald, in der Hartmanitzer Gegend, viele gab, und es kam der unsinnige Krieg, der mit den Jahren ständig noch schrecklicher wurde, der Terror im benachbarten böhmischen Protektorat, von dem immer wieder hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde: Das alles bereitete dem Franz schlaflose Nächte, die mit dem plötzlichen seiner geliebten Frau Maria im 1940er Jahr noch schlimmer wurden. Franz fröstelte, und er konnte nicht sagen, ob es die kalte Herbstnacht war, die ihn erschauern ließ, oder die Gedanken an seine und seines Buben ungewisse Zukunft. „Pack mas wieder, Bua!“ „Ja, Vata. Iss no weit bis af d´Grenz?“ Zum Glück war dem Franz die Gegend, durch die sie jetzt mussten, schon seit Langem vertraut. Während seiner Lehrzeit in Hurkenthal waren sein Freund Michael und er an den Sonntagen oft schon in aller Herrgottsfrüh aufgebrochen und durch den Böhmerwald gewandert, der rund um Hurkenthal, Stubenbach und Rehberg am wildesten und ursprünglichsten war. Ihre Wege führten sie hinauf zum nahen Lakasee, hinüber ins Bayerische zum Falkenstein und zum Geierhäusl. Sie suchten den Weg über Mader am Lusenbach entlang bis zum Pürstling, dem romantisch liegenden Försterhaus, wagten sich auf den mächtigen Felsenkobel des Lusen, marschierten zurück nach Mader mit seinen kreischenden Sägewerken, kehrten danach im Gasthaus zum Auerhahn ein und hatten dann noch die Kraft, über den Mittagsberg zurück nach Hurkenthal zu gehen. Auch den Weg über die Grenze hinab nach Buchenau und weiter nach Frauenau hatten sie einige Male genommen. Ein Onkel vom Michael hatte als Glasmacher in Frauenau gearbeitet, in der Gistlhütte. Stolz hatte er seinem Besuch aus dem Böhmerwald die Hütte gezeigt. Michael und Franz hatten nicht schlecht gestaunt über die riesige, moderne Glasfabrik, die der berühmte Kommerzienrat Gistl da in Frauenau aus dem Boden gestampft hatte. „Kommt nächsten Samstag, da ist Tanz im Gistlsaal. Bei mir kinnt´s übernachten.“ Die zwei Freunde waren überwältigt gewesen von dem, was sie am nächsten Samstag erlebten. Einen Saal wie den Gistlsaal hatten sie ihr Lebtag noch nicht gesehen. Über fünfhundert Leute fasste dieser riesige Raum, mehr als Hurkenthal Einwohner hatte, und er war voll bis zum letzten Platz. Glasmacher mit ihren Frauen, ganze Gruppen von jungen Leuten, fesch herausgeputzt, manche sogar in ihren bayerischen Trachten. Und ein Tisch mit geschniegelten Herren im Frack oder Anzug, die Damen waren fein in Schwarz gekleidet und dem Franz schien es eine ganz andere Welt, in die er da gekommen war. Ein ganzes Geschwader von Bedienungen mit einheitlich weißen Schürzen sorgte dafür, dass den Glaserleuten das Bier nicht ausging, die Schenkkellner hatten alle Hände voll zu tun. Über die Tische hatten sich Rauchschwaden gelegt, es herrschte ein Lärm in dem Saal, dass man das eigene Wort kaum verstand, die Leute scherzten und lachten, Franz und Michael, die so etwas noch nie erlebt hatten, wussten gar nicht, wohin sie ihren Kopf wenden sollten, so viel gab es zu schauen. Und zu hören: Die Kapelle auf dem Podium spielte einen Tusch und ein Herr stand vom Tisch der feinen Leute auf, legte seine Zigarre in den Aschenbecher und bewegte sich auf die Bühne zu. Es fiel ihm schwer, die vier oder fünf Stufen hinauf zu nehmen. Der Herr im schwarzen Anzug war dick, gewaltig dick und mächtig. Sein Gesicht, das wie eine Mondscheibe aussah, zierte ein sorgfältig aufgezwirbelter schwarzer Schnurrbart. „Des is der Gistl, äh, der Kommerzienrat Gistl“, verbesserte sich der Onkel, „der Hüttenbesitzer und der reichste Mann im ganzen Umkreis. Siebenhundert Leut hand beim Gistl beschäftigt, und heut hand fast olle da!“ Der Kommerzienrat sah auf seine schwere Uhr, die an einer goldenen Kette über seinem riesigen Bauch hing, machte eine einzige Handbewegung und es war ruhig im Saal. Auch als der Kommerzienrat sprach, war es mucksmäuschenstill. Man merkte, dass die Glasmacher Respekt hatten vor dem Dicken… „Hoffentlich kafft er unser Glos!“ Der Junge hatte den Stoßseufzer seines Vaters gehört. „Wer kafft unser Glos?“ „Des wirst na scho sehgn, wenn ma in Frauenau hand, geh nur zou, in ana Stund kemma af d`Grenz hi.“ Seit einer halben Stunde wateten sie durch dichtes Reischgras, das jetzt, im Herbst, schon eine braune Färbung angenommen hatte. Franz wusste, dass die Grenze nicht mehr weit war. Gerade hier aber musste man ganz besonders aufpassen. Überall konnte eine tschechische Patrouille herkommen, nichts war sicher. Wie ein Spürhund witterte er nach allen Seiten. Nichts zu sehen und nichts zu hören, außer den tiefen, röhrenden Brunftschreien der Hirsche, die sie nun schon seit geraumer Zeit begleiteten und die jetzt, kurz vor der Morgendämmerung immer vereinzelter erklangen und schließlich ganz erstarben. Zum Glück war es noch so finster, dass man die einzelnen Fichten, die der rauen Natur in der Moorlandschaft hier heroben auf über elfhundert Metern Höhe trotzten, nur schemenhaft wahrnehmen konnte und zum Glück hatte sich über die geheimnisvolle Feuchte der Moore und Filze bis hin zum Grenzbach ein feiner Nebelschleier gelegt. „Da is des Grenzbachl, ejtz hammas gschafft.“ Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich dem Franz, als sie das schmale Bächlein querten. „Ejtzt hamma herausd und brauchma koa Angst mehr haben.“ Ein paar hundert Meter legten sie dennoch zwischen sich und die Grenze, ehe sie kurz anhielten, um durchzuschnaufen. Nach einer Viertelstunde erreichten Vater und Sohn ein aus Steinen und Holz gebautes Haus, das sich inmitten einer großen Lichtung befand und von den ersten Strahlen der Sonne beleuchtet wurde, die hinter dem Mittagsberg hervorzuluren begann. „Des is s´Schachtenhaus“, erklärte der Vater. „Da hamma da Mich und i öfter eikehrt, wemma ins Boiern umme hand. De Frau Treml da is a Vowandtschaft vo eahm.“ Zur Frau Treml hatte der Franz das Glas gebracht, das er in der letzten Woche herübergepascht hatte. Sie hatte versprochen, es zu lagern, bis der Franz mit seinem Buben kommen würde. Heute war es soweit. „Wird no neamd aaf sei, da herobn!“, fuhr der Vater mit gedämpfter Stimme fort. „Wird aber aa nimma lang dauern, bis´s aafstehnand.“ Er legte seinen Rucksack vorsichtig neben der Hausbank ab und bedeutete dem Rudi, das Gleiche zu tun. Dann zog er seinen Tabaksbeutel heraus, setzte sich auf die Bank und stopfte sich eine Pfeife, während der Rudi wolfshungrig über die Reste ihrer Wegzehr herfiel. Wer die zwei so gesehen und nicht gewusst hätte, was sie hinter sich und was sie vorhatten, der hätte das Bild für eine Idylle halten können: Zwei Männer, Vater und Sohn saßen da auf einer raugezimmerten Holzbank mit dem Rücken an einer aus blanken Feldsteinen gemauerten und teilweise verputzten Hauswand.
Erscheinungsdatum | 20.09.2023 |
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Reihe/Serie | Böhmerwaldkrimis ; 11 |
Verlagsort | Grafenau |
Sprache | deutsch |
Maße | 150 x 210 mm |
Gewicht | 400 g |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | |
Schlagworte | Heindl Ossi • Max Esterl • Ohetaler Verlag |
ISBN-10 | 3-95511-185-7 / 3955111857 |
ISBN-13 | 978-3-95511-185-4 / 9783955111854 |
Zustand | Neuware |
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