Tochterland -  Mike Mateescu

Tochterland (eBook)

Die Wahrheit über Wilhelm Tell
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-6589-3 (ISBN)
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Der 1. August steht unmittelbar bevor, doch es könnte der letzte Nationalfeiertag werden. Denn Bundesrat und Medienmogul Konrad Bimsinger hat ein Auge auf ein Artefakt aus den Gründungstagen geworfen, das den Kurs der Schweizer Geschichte für immer verändern wird. Dabei erhält er Unterstützung von der jungen Billionenerbin Délphine Courant, deren Familie seit siebenhundert Jahren ein schockierendes Geheimnis hütet. Um die beiden daran zu hindern, das Land auseinanderzureissen, müssen Bundesagent Glarus Greif und Journalistin Franka Feist die Wahrheit über Wilhelm Tell ans Licht bringen. Im Auftrag der Bundespräsidentin machen sie sich auf eine halsbrecherische Schatzjagd quer durch die Schweiz, stets verfolgt von abtrünnigen Militärs. Sollten sie scheitern, ist der Untergang der Schweizer Eidgenossenschaft besiegelt.

Mike Mateescu hat beim Emons-Verlag vier Bände der Enitta Carigiet-Serie veröffentlich. Mordsfondue (2014), Auf glühendem Eis (2016), Der König von Wiedikon (2018) und Altstetten (2019). Weitere Titel: Heldenstadt (2022) und Superzukunft (als Sidney Ford, 2023)

1


Mittwoch, 30. Juli, Sion, Kanton Wallis, 2.30 Uhr


Er hatte ihm wiederholt gesagt, dass es eine schlechte Idee sei. Eine richtig schlechte Idee. An die zwanzig Morddrohungen, alleine in den letzten achtundvierzig Stunden. Doch Bundesrat Konrad Bimsinger hatte darauf bestanden, sich vorübergehend in der Hauptstadt des Kanton Wallis einzuquartieren. In einem Ferienhaus, das selbst den Mindestanforderungen für Sicherheitsstandards spottete.

Zumindest nach den Vorstellungen von fedpol-Detektiv Glarus Greif, der für die Sicherheit des Herrn Bundesrats zuständig war. In Bimsingers Hauptdomizil im aargauischen Seengen hatten es Linksradikale eine Woche zuvor geschafft, bis ins Wohnzimmer vorzudringen. Gottseidank kam außer den Einbrechern selbst niemand zu Schaden, und wenigstens war sich Greif relativ sicher, seinen Schützling in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unbemerkt evakuiert zu haben.

Dabei war das Wallis eigentlich kein schlechter Schlupfwinkel. Das labyrinthartige Gebirgsdreieck im Südwesten der Schweiz wurde von einem Graben durchzogen, der, entlang des Flusses Rhone, die meisten seiner Einwohner beherbergte. Das kleine Holzchalet mit den blauen Fensterläden lag am südlichen Hang. Der zugehörige Garten verfügte über einen Pool, in den Greif bei den hohen Tagestemperaturen gerne mal eingetaucht wäre. Aber da sie unentwegt auf der Hut sein mussten, planschten darin nur unglückliche Insekten.

Das kleine Anwesen war lediglich über eine befestigte Straße und einen Waldweg erreichbar. Auf beiden Zufahrtswegen war Kreuzen unmöglich, was eine rasche Flucht per Auto so ziemlich verunmöglichte. Doch immerhin war der Hang steil genug, um Angriffe zu Fuß auszuschließen.

Wäre es nach Greif gegangen, hätte er Bimsinger lieber an jedem anderen Ort untergebracht. Doch dieser hatte aus unerfindlichen Gründen auf Sion gepocht. Seit fünf Tagen bereits verschanzte sich der Spitzenpolitiker in seinem kleinen Zimmer im Obergeschoss und trat, außer für kurze Spaziergänge im Garten, kaum je in Erscheinung. Er verschlang Bücher, wälzte Dokumente und telefonierte den ganzen Tag. Einmal hatte Greif mitbekommen, wie Bimsinger vom Anbruch einer neuen Ära faselte.

Dessen Ambitionen hatten ihm schon früh eine große Opposition beschert, und nun konnte er sich mit Recht und Fug den meistverhassten Mann der Schweiz nennen. Gleichzeitig war er auch der meistgeliebte Mann des Landes. Doch dies spendete Greif keinen Trost. Es bedurfte bloß eines Einzelnen, der Bimsinger verbissen ans Lebendige wollte, um jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme zu rechtfertigen. Der Presse war sein Untertauchen nicht verborgen geblieben. Sie verspottete ihn bereits als Ferien-Bundesrat, während sie vergeblich über seinen Aufenthaltsort spekulierte.

Greif beendete gerade seine Runde durch das verwinkelte, zusammengeschusterte Chalet. Draußen hielten zwei Mitarbeiter die Gegend im Auge. Greif brauchte nur Licht in jenen Räumen, in denen er unterwegs war. Schatten schreckten ihn nicht, denn sie beflügelten sein Gehör, das weit ausgeprägter war als bei anderen Menschen. Seine Augen konnten ihn trügen, aber seine Ohren hatten ihn noch nie genarrt. Er lauschte der Nacht. Irgendwo brummte ein Generator, Regenwasser rann durch Rohre und im Obergeschoss knarzte das Holz unter Bimsingers Schuhen. In der Ferne röhrte ein Donnerschlag, der den Grund erschütterte. Die Gewitter zwischen heißen Tagen waren kurz und heftig. Fast so, als wüteten sie nicht im Himmel, sondern in einer Erdspalte.

Greif musterte das Gemälde über dem toten Kamin im Wohnzimmer. Eine Replik, die Bimsinger aus seiner umfangreichen Privatsammlung hatte herschaffen lassen, und von der er selbstverständlich das Original besaß. Eine Darstellung von Wilhelm Tell aus dem Pinsel Ferdinand Hodlers – der Glücksbringer des Bundesrates. Der Nationalheld der Schweiz, den Bimsinger als edlen Befreier und überragenden Landesvater verstand. Allerdings hob der weiß gekleidete Tell mit aufgerissenem Mund seine Armbrust und die freie Hand. So als würde er sich gerade bedingungslos ergeben.

Er langte nach einem gerahmten Foto auf dem Kaminsims. Es zeigte ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit roten langen Haaren. Sie war Bimsingers Tochter gewesen und schon in jungen Jahren verstorben. Anna hockte auf einer Schaukel und lächelte wie ein Engel. Greif hatte sich häufig gefragt, ob sie noch am Leben wäre, hätte er an dem Tag auf sie aufgepasst. Dann wiederum lag Annas Tod bereits dreißig Jahre zurück.

Ein Aufschrei lenkte seinen Blick abrupt zur Decke. Gleichzeitig erklang ein dumpfes Krachen. Der Lärm stammte aus dem Obergeschoss. Höchstwahrscheinlich aus Bimsingers Schlafzimmer! Er warf das Bild auf einen Sessel und zog die Dienstwaffe. Mit wenigen Schritten war er an der schmalen Holztreppe angelangt und nahm zwei Stufen auf einmal. Er schnellte um die Ecke, legte die Waffe vor der Schlafzimmertür an und horchte. Totenstille. Hastig drückte er den Griff nach unten und stieß die Tür auf, um die Waffe ins Zimmer zu strecken.

Im Schein einer Nachttischlampe stand Bimsinger zwischen einem kleinen Bett und dem einzigen Fenster. Draußen zuckten Blitze und erhellten Dokumente auf dem Laken. Greif knipste die Deckenlampe an. Er erkannte Landkarten, aufgeschlagene Geschichtsbücher, Memos und Zeitungen, Satellitenaufnahmen, ausgedruckte E-Mails, Geschäftsverträge und Sitzungsprotokolle.

Sein Schützling trug ein offenes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Mit dem Telefonhörer in der Hand wandte er sich nach ihm. Er war ein Bär von einem Mann, mit Lesebrille, rundem Gesicht, Knubbelnase und hellgrauem Haarkranz. «Machen Sie das Licht aus.»

Greif schielte erst ins angrenzende, winzige Bad, bevor er die Waffe senkte und den Schalter umlegte. Fragend hob er die Hand.

Doch Bimsinger ignorierte ihn und hielt sich die Hand ans Ohr. Wohl um seinen Gesprächspartner besser zu verstehen. «Ausgezeichnete Arbeit, Major. Dies könnte den Kurs der Schweizer Geschichte für immer korrigieren.»

Greif lehnte sich in den Flur und horchte den Schatten. Der Krach war eindeutig aus diesem Zimmer gekommen. Bevor er die Waffe wegsteckte, trat er ums Bett herum. Mehrere Bücher waren auf den Holzboden gepurzelt. Endlich drückte er die Waffe ins Holster und rückte seinen langen schwarzen Mantel zurecht.

In Bimsingers dunklem Gesicht leuchteten zwei blaue Augen. «Zu niemandem ein Wort, hören Sie? Das Team soll vor Ort bleiben, bis ich eintreffe.» Schon wuchtete er den Hörer auf die Gabel. «Was stehen Sie da noch rum?», blaffte er mit belegter Stimme. «Machen Sie sofort meinen Wagen klar.»

«Verzeihung?», erwiderte Greif. «Es ist mitten in der Nacht.»

«Ja, und Sie arbeiten Tag und Nacht für mich.»

«Sie haben mich angeworben, Herr Bundesrat», erwiderte Greif mit kühler Höflichkeit. «Und ich habe nur unter der Bedingung zugesagt, dass Sie auf etwaige Bedenken hören.»

Bimsinger packte einen Stapel Papier und wedelte aufgeregt damit. «Das Schicksal einer Nation steht auf dem Spiel. Unserer Nation.»

Greif unterdrückte ein Stöhnen. Bei Bimsinger war immer alles von größter Dringlichkeit. Wahrscheinlich handelte es sich erneut um ein Relikt aus der Schweizer Geschichte, von denen der Bundesrat eine ganze Menge angehäuft hatte. Wenn er sich je mal aus der Politik verabschiedete, würde ihm kaum langweilig werden. Dann könnte er hauptberuflich helvetische Devotionalien jagen. «Wenn ich korrekt mitgehört habe, sind Ihre Leute bereits vor Ort. Das Fundstück wird Ihnen also nicht davonlaufen.»

«Aber es befindet sich gleich um die Ecke.»

«Von wie vielen Ecken sprechen wir konkret?»

«Schloss Tourbillon», erwiderte Bimsinger vielsagend.

Die uralte Burgruine thronte über der Stadt auf dem gleichnamigen Berg. Der französische Name bedeutete so viel wie Wirbelwind, weil dort oben selbst bei ruhigem Wetter starke Winde wehten. Greif nickte zum Fenster. «Zu gefährlich. Es herrschen Windgeschwindigkeiten von fast einhundert Stundenkilometern. Außerdem müssen Sie heute Abend ausgeschlafen sein. Für den großen Anlass in Basel.»

«Sie sind mein Bodyguard, nicht meine Kammerzofe.»

«Dafür bezahlen Sie mir auch nicht annähernd genug. Bis Sonnenaufgang sollte sich das Unwetter gelegt haben. Ich werde Sie umgehend wecken, wenn es soweit ist.» Er hob die Bücher zurück aufs Bett und hielt ein. «Was genau wurde denn gefunden?»

«Wenn meine Informationen stimmen? Die Krönung meiner Sammlung.»

Greif nickte. «Gönnen Sie sich etwas Ruhe.» Er verließ das Zimmer und zog vorsichtig die Tür zu. Als er sich der Bundespolizei anschloss, hatte er nicht vorgehabt, Personenschützer zu werden. Geschweige denn, hochrangige Politiker zu bewachen. Doch seit der Krise waren gerade Mitglieder der Exekutive Zielscheibe von Wutbürgern geworden, welche mit den...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7562-6589-7 / 3756265897
ISBN-13 978-3-7562-6589-3 / 9783756265893
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