Mein Sommer ohne Arme -  Gabi Ebermann

Mein Sommer ohne Arme (eBook)

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2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99152-505-9 (ISBN)
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»... das Schicksal spielte meiner Mutter voll in die Karten und richtete sich von Anfang an gnadenlos gegen mich - es verlieh mir engelsgleiche, unbändige, blonde Locken. Dermaßen eingerahmt, mit unverschämt langen Wimpern versehen, mit der süßesten Stupsnase der Welt ausgestattet, klein und zart von Statur, hielt mich, zur großen Freude meiner Mutter, die oberflächliche Außenwelt stets für ein herziges Mädchen.« Pascal Marie Martin ist ein Junge! Tatsache genug, dass seine Mutter ihn nicht lieben kann. Disziplin und Ordnung beherrschen seine freudlose Kindheit. Die besten Voraussetzungen, sich zu einem schrägen Vogel zu entwickeln. Seine Introvertiertheit wächst proportional zu seiner Größe. Bis zu dem Sommer, in dem er beschließt, erwachsen zu werden und sein Selbstbewusstsein auf eine neue Ebene zu stellen. Auf das Unglück, das dieser Selbstverwirklichung vorausgeht, hätte er allerdings gerne verzichtet.

Gabi Ebermann wurde 1965 in Wien geboren. Sie wuchs als jüngstes von drei Kindern in Wien-Donaustadt auf. Nach wie vor lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann in ihrer Lieblingsstadt Wien. Ihre Liebe zu Büchern hat sich schon in Kindertagen manifestiert. 2017 hat sie sich mit ihrem Debütroman 'Lottes Liste' den Traum vom eigenen Buch erfüllt. Begegnungen zweier ungleicher Menschen faszinieren sie, die Leser auf diese Reise mitzunehmen empfindet sie als inspirierend.

1

Adele war ein Ausbund an Unbekümmertheit, die Liebenswürdigkeit und Geradlinigkeit in Person. Ein Herzensmensch, wie ich noch nie zuvor einen kennengelernt hatte. Die affektierten Freundinnen meiner Mutter wären neben ihr wie im Sonnenlicht vor sich hin bleichende Fahnen verblasst. Sie war kräftig gebaut, hatte kurzes brünettes Haar und ein eindrucksvoll markantes Gesicht, auf dessen übergroßer Nase eine rote Lesebrille thronte, über deren Rand hinweg sie mich keck anblickte. Sie war nicht eben hübsch zu nennen. Trotz alledem hatte sie eine Strahlkraft, die ihresgleichen suchte. Ihr Elan löste schon beim bloßen Zuschauen einen Schwindelanfall in mir aus.

Ich war mir nicht sicher, was da gerade über mich hinwegrollte. Sie stand mit zwei Koffern und einer Papiertüte voller Einkäufe in der Tür, tätschelte meine Wangen und kniff mich mit gebeugtem Zeige- und Mittelfinger an der Nase. »Na das kriegen wir schon hin, wir zwei.«

Da ich in den nächsten Wochen ziemlich sicher gar nichts hinbekommen würde, wusste ich nicht so recht, wen sie mit ›wir zwei‹ meinte. Sie schob mich sanft zur Seite und blickte mich fragend an. Nachdem ich nur dämlich zurückblickte, hob sie ihre beiden Koffer hoch und fragte augenzwinkernd: »Wohin damit?«

Meine Mutter hatte mir zu ihrer Ehrenrettung und um klarzustellen, dass mein armseliges Befinden nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiel, eine Familienhelferin organisiert. Adele.

Meine Wohnung war klein, aber gut geschnitten und so hatte ich zum Glück ein extra Zimmer anzubieten, in dem sie ihre Habseligkeiten abstellen konnte. Ein Bett, ein Nachtkästchen, eine kleine Kommode und ein Garderobenständer bevölkerten die kleine Kammer. Dem Zimmer fehlte, wie auch dem Rest meiner Wohnung, jeglicher Charme. Von der Decke baumelte eine Glühbirne als spartanische Beleuchtung. Für Gemütlichkeit hatte ich nie gesorgt. Adele schien das nicht weiter zu stören. Sie ließ sich rücklings aufs Bett fallen, schaukelte ihr eindrucksvolles Volumen einmal von links nach rechts und merkte dann lakonisch an: »Das sollte passen!«

Ich war ihr wie ein kleiner Junge hinterhergetrottet, sodass sie mich nun abermals zur Seite schieben musste und mit der Bemerkung: »Dann wollen wir mal!«, das ihr für die nächsten Wochen zugedachte Imperium wieder verließ. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, inspizierte sie den Rest der Wohnung. Ich war dieser fremden Person hilflos ausgeliefert. Schließlich konnte ich mich weder allein an- noch ausziehen, mich nicht waschen, Zähne putzen, essen oder trinken, geschweige denn auf die Toilette gehen. Meinen Drang, auf die große Seite zu müssen, unterdrückte ich ohnedies schon seit geraumer Zeit. Eine Art Panikattacke schien sich in mir breit zu machen und ich fasste den spontanen Entschluss mir derlei körperliche Bedürfnisse für die nächsten Wochen einfach zu verkneifen. Adele hatte derweil die Küche erobert, Teewasser aufgestellt und hantierte bereits so selbstverständlich mit meinen Pfannen und Töpfen, als würde sie schon eine Ewigkeit lang eine WG mit mir teilen. Ihre Einkäufe hatte sie auf dem kleinen Küchentisch ausgebreitet. Sie verstaute Käse, Wurst und Fleisch in meinem Kühlschrank. Dass ich seit einigen Monaten versuchte, möglichst vegetarisch zu leben, würde hier in nächster Zeit wohl kaum Berücksichtigung finden.

»Wie stellst du dir das mit uns beiden vor, junger Mann?« Sie briet bereits ungefragt zwei Spiegeleier und schnitt dicke Scheiben Schwarzbrot zurecht.

Ich stellte mir vor, dass sich der Boden vor mir auftat und mich für die nächsten Wochen behutsam verschluckte. Tatsächlich jedoch war ich dazu verdonnert, wie ein Wickelkind gefüttert und gebadet zu werden. Mein Leben lang hatte ich mir gewünscht, umsorgt zu werden, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich blickte dümmlich vor mich ins Leere und antwortete nicht.

»Wie nennen dich eigentlich deine Freunde?«

Vermutlich kannte sie meinen Namen aus den Akten und konnte es ebenso wenig glauben wie ich selbst, dass man mit so einem Fluch durchs Leben gehen musste. Vielleicht hatte sie sogar eine Frau als Gegenüber erwartet? Wieder dachte ich viel zu lange nach und wieder antwortete ich deshalb nicht.

»Also ich bin Adele und dich nenn ich dann eben Bürschchen, wenn dir nichts Besseres einfällt.« Sie drehte sich wieder um und füllte zwei Tassen mit Tee. Mir wurde kläglich bewusst, dass ich meine nicht selbst zum Mund führen würde können. Satte Schamesröte stieg in meinem Gesicht auf und schraffierte meine Wangen und meine Stirn mit hässlichen, roten Flecken. Meine Mutter nannte mich von jeher ›Passi‹, das würde ich niemals preisgeben, lieber ließ ich mir von dieser Adele den Hintern auswischen. Von dem mahnenden ›Mari‹ durfte sie auch nie im Leben etwas erfahren, meine Lage war schon prekär genug.

»Pascal«, erwiderte ich daher endlich monoton und richtete damit überhaupt das erste Wort an sie. Wenn ich mich recht entsann, hatte ich sie nicht einmal begrüßt.

Mittlerweile saßen wir gemeinsam am Küchentisch, Adele zog die Schwarzbrotstücke durch den glibberigen Dotter und stopfte sie mir Stück für Stück in den Mund. Sie hatte mich nicht gefragt, was ich eigentlich normal zu frühstücken pflegte. Vermutlich sollte ihre deftige Auswahl zu einer raschen Kräftigung meiner geschundenen Knochen beitragen. Den Tee hatte sie mir, mit einem Strohhalm versehen, vor die Nase gestellt, sodass ich wenigstens hier selbst entscheiden konnte, wann und ob ich etwas trinken mochte. Ich bevorzugte für gewöhnlich Honigbrot und Kaffee, aber das schien hier nicht von Belang zu sein. Nachdem ich den letzten Brocken Brot artig hinuntergewürgt hatte, stupste mich Adele Richtung Bad. Waschen, Zähneputzen und Kämmen war angesagt. Seit geraumer Zeit trug ich meine Haare zum Leidwesen meiner Mutter als Undercut-Zopf. Das war so ziemlich das einzige, das ich bisher in Sachen Mode eigenständig riskiert hatte. Der weiche Übergang vom Undercut zu meinem 3-Tagebart ließ mich irgendwie verwegen aussehen. Jetzt allerdings standen meine Locken widerspenstig in allen Richtungen ab und Adele wusste mit meinem langen Deckhaar nicht so recht etwas anzufangen. Sie bürstete meine Zähne und wusch mit einem Waschlappen zum Glück nur mein Gesicht und meinen Oberkörper. Dann versuchte sie erneut mein gewelltes Haar zu bändigen. Als ich gerade fürchtete sie würde es im Pipi Langstrumpf-Stil zu zwei dicken, abstehenden Zöpfen flechten, bekam sie völlig unerwartet einen Lachkrampf. Ich schaute kurz verdutzt zu ihr hoch und stimmte dann mit ein. Humor war vermutlich das einzige, das mich über die nächsten Wochen hinwegretten würde. Tatsächlich wies ich sie nun an, wie sich meine festen Locken am Oberkopf am besten zu einem Zopf bändigen ließen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Endlich wirkte ich wieder einigermaßen zivilisiert. Immer noch war ich nur mit Badeshorts bekleidet, immer noch spürte ich den äußerst unangenehmen Druck in meinem Enddarm. Ich fürchtete langsam, aber sicher, dieses menschliche Bedürfnis nicht länger unterdrücken zu können. Adele schien mein Unwohlsein zu bemerken, denn ich stand stramm und zwickte meine Pobacken wie ein Zinnsoldat zusammen. Meine Gesichtsmuskeln spiegelten meine Not deutlich wider. Adele drehte mich Richtung Toilette, zog kurzerhand meine Shorts hinunter und drückte mich sanft nieder. »Lass dir Zeit, ich habs nicht eilig damit, dir deinen Allerwertesten abzuwischen«, flugs drehte sie sich um und war dahin. In mir machte sich einerseits Erleichterung, andererseits wilde Scham breit. Irgendwann musste ich wohl wie ein kleiner Junge ›fertig‹ rufen. Das Unbehagen beeinflusste wohl meine Zeitwahrnehmung und ich saß eine gefühlte Stunde am Klo, als Adele endlich nach mir sah. Meine Augen waren hilflos aufgerissen und mein Blick drückte pure Verzweiflung aus.

Adele lachte nur. »Hop, hop, mein Junge!«

Sie drängte mich in die Dusche und kärcherte meinen Allerwertesten mit dem Duschkopf gründlich ab. Alles halb so wild, der Bann zwischen uns beiden war gebrochen. Als ich wieder trockengelegt war und in eine Jeans, meine einzige wohlgemerkt, sowie wegen meiner sperrigen Arme mühsam in ein T-Shirt hineingestopft war, begann Adele mir ein wenig aus ihrem Leben zu erzählen.

Adele war einundfünfzig Jahre alt, damit fast fünfzehn Jahre jünger als meine Mutter, alleinstehend und hatte drei erwachsene Töchter, die sie allein großgezogen hatte, allesamt etwa in meinem Alter. Ihr Mann hatte sie nach der Geburt der dritten Tochter verlassen, weil er sie für unfähig hielt, ihm einen Stammhalter zu schenken.

Welche Ironie des Schicksals! Wir lebten wahrlich in einer verkehrten Welt!

»Meine Mädels sind das Beste, das mir je...

Erscheint lt. Verlag 3.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99152-505-4 / 3991525054
ISBN-13 978-3-99152-505-9 / 9783991525059
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