Die Beretta Kaliber 22 zitterte in Malcolm Hastings’ Hand. Er hatte die Waffe auf den fast nackten Körper von Jane Chapman gerichtet. Die Schönheit mit der wallenden blonden Haarmähne rekelte sich wollüstig auf dem französischen Bett.
Mit ihrer Zungenspitze befeuchtete sie ihre vollen roten Lippen.
Daß Hastings mit der italienischen Pistole auf ihr Herz zielte, machte der abgebrühten Verbrecherin nichts aus. Im Gegenteil. Sie spielte mit ihm. Zeigte ihm deutlich, daß sie keine Angst vor ihm hatte.
Janes feingliedrige Hand glitt zwischen ihren festen Brüsten hinunter. Über ihren flachen Bauch. Verharrte dann. Sie bewegte die langen Beine, die in schwarzen Strümpfen steckten, spreizte die wohlgeformten Schenkel, und ihre Hand glitt noch tiefer.
Auf der Stirn des Mannes bildete sich ein Netz aus feinen Schweißperlen.
»Mache ich dich nervös, Malcolm-Baby?«
Sie flötete die Worte. Doch in den Ohren des Managers klang ihre Stimme wie eine Stahlsäge, die seine Nervenstränge durchtrennte.
Warum schoß er nicht einfach? Warum tötete er sie nicht? Diese Frau, die sein Leben ruiniert hatte.
Er konnte es nicht. Obwohl er den Zeigefinger bereits am Abzug hatte. Aber seine Glieder waren wie gelähmt.
Malcolm Hastings war Jane Chapman hoffnungslos verfallen. Er konnte sie nicht erschießen.
Und inzwischen hatte er auch die letzte Gelegenheit versäumt, die sich ihm dazu bot.
Die Tür des geräumigen Schlafzimmer öffnete sich geräuschlos hinter ihm. Der Manager spürte nur einen sanften Luftzug. Und einen plötzlichen, heftigen Schmerz.
Der Mann mit der Beretta brach in sich zusammen und blieb reglos am Boden liegen. Sein Genick war gebrochen.
Jane Chapman blickte auf zu dem großen kräftigen Japaner, der sich ins Zimmer geschlichen hatte.
»Das wurde aber auch. Zeit, Nagai.«
Der Asiate betrachtete zufrieden seine Handkante, mit der er Hastings getötet hatte.
Die blonde Frau zündete sich eine Zigarette an…
***
»Hinterher, Milo!«
Wir hatten uns seit zwei Tagen an die F ersen von Stoney Watson geheftet. Im Wechsel mit unseren FBI-Kollegen Clive Caravaggio und Blackfeather waren wir ihm in Pornokinos, Pfandleihen und schmierige Imbißstuben gefolgt.
Irgendwie hatten mein Freund und Kollege Milo Tucker und ich es geschafft, von ihm unbemerkt zu bleiben.
Bis jetzt.
Der kleine Ganove hatte sich plötzlich umgedreht, mich angestarrt, und etwas war in seinen Augen aufgeflackert. Etwas wie Panik.
Er nahm die Beine in die Hand und floh in eine Straße, die aussah wie das Eingangstor zur ewigen Verdammnis.
Schweren Herzens entschlossen wir uns, die Tarnung fallen zu lassen. Wir mußten an ihm dranbleiben. Stoney war unsere einzige Trumpfkärte in einem Spiel, in dem wir bisher nur verloren hatten.
Drei Morde. Alle begangen in Midtown Manhattan. Und bei allen die gleiche Todesursache. Gebrochenes Genick.
Die Opfer: ein prominenter Rechtsanwalt, ein Manager eines Elektronikkonzerns - und ein hoher Bundesbeamter.
Deshalb hatten wir als FBI den Fall von den Kollegen der City Police übernommen. Denn Mord an Bundesbeamte fiel in unser Ressort.
Die Verbrechen mußten miteinander zu tun haben. Doch bisher hatten wir keine Verbindung zwischen den Ermordeten herstellen können.
Außer Stoney.
Er hatte sich in allen drei Fällen in der Nähe des Leichenfundorts herumgedrückt. Ein Gewohnheitsverbrecher. Ein alter Bekannter sowohl des NYPD als auch des FBI.
Der Mann, hinter dem ich jetzt mit Höchstgeschwindigkeit herrannte.
Es war, als ob Stoney Watson mit uns eine Stadtführung durch die miesesten Gegenden von Manhattan veranstalten wollte. Zunächst lief der kleine Kerl rechts an der Müllverbrennungsanlage vorbei, die ihren wenig dezenten Duft Tag und Nacht in die Großstadtluft blies.
Wir ließen die eingezäunten und heruntergekommenen Piers am Hudson River hinter uns. Der Ganove warf einen gehetzten Blick über die Schulter.
Wir holten auf.
Trotz seiner kurzen Beine hatte Stoney sich zunächst einen ordentlichen Vorsprung zusammengehechelt. Kein Wunder. Der Bursche mußte gut im Training sein. Die Hälfte seines Lebens war er flitzen gegangen, um sich vor den Cops in Sicherheit zu bringen. Und weil ihm das nicht immer gelungen war, hatte er die andere Hälfte seines Daseins in Erziehungsheimen und Gefängnissen verbracht.
Rings um das tortenstückförmige Motel ›Liberty Inn‹ an der West Street brandete der Verkehr. Mit Todesverachtung warf sich der kleinwüchsige Ganove in den nicht abreißenden Strom von Autos und Trucks.
Wütendes -Hupen erklang. Ich fürchtete schon, daß es ihn erwischen würde. Seine Angst vor einem Unfall mußte geringer sein als seine Furcht vor uns.
Und plötzlich kam mir eine Idee. Was, wenn er uns für Gangster hielt? Wir hatten uns nicht als G-men zu erkennen gegeben.
Das wollte ich schnell nachholen.
Stoney war in letzter Sekunde einem Truck ausgewichen. Der Driver hatte voll in die Eisen steigen müssen und hupte nun wütend.
Milo und ich sprangen ebenfalls in den fließenden Verkehr. Wieder blickte sich der Ganove um.
»FBI!« rief ich und hielt meine Marke mit dem goldenen Wappen gut sichtbar hoch. »Bleiben Sie stehen!«
Für einen Moment schien der Kleine zu zögern. Doch dann entschloß er sich, im Gewimmel von Manhattans Fleischmarkt unterzutauchen.
Ich fluchte laut und anhaltend. Hier in dem Dreieck zwischen 14th Street, Gansevoort und Hudson Street ist eine der besten Gegenden, um Verfolger abzuhängen. Überladene Fleischtransporter reihten sich an den Gehsteigen. Zwischen ihnen ist manchmal nur wenige Fußbreit Platz. Muskulöse Kleiderschränke in blutbeschmierten weißen Kitteln wuchten die Kadaver von Schafen, Rindern und Schweinen aus den Kühlwagen, um sie an Laufkatzen zu hängen, so daß sie hinter den Plastikschwingtüren in den Schlachthöfen weiterverarbeitet werden können.
Der Gestank von Blut und Dieseltreibstoff hing in der schweren Luft.
In diesem Moment rutschte Stoney Watson in einer öligen Pfütze aus!
Milo und ich tauschten mitten im Lauf einen triumphierenden Blick. Noch fünfzig Yards, und wir würden ihn am Kragen haben. Was wir dann mit ihm anstellen wollten, darüber würden wir uns später Gedanken machen.
»Vorsicht, Jesse!«
Der Warnruf meines Freundes kam zu spät. Ich hatte mich so auf Stoney konzentriert, daß ich den Schlachtereiarbeiter übersah, der sich gerade mit Schwung eine Schweinehälfte über die Schulter geworfen hatte.
Ich rannte mitten in das tiefgefrorene Fleisch hinein. Prallte voll dagegen.
Für einen Moment kam ich mir vor wie der Schauspieler Sylvester Stallone, der in ›Rocky‹ als Boxer im Schlachthof trainiert und auf die Tierkadaver eingedroschen hatte. Doch dieser Eber hätte mich beinahe ausgeknockt.
»Passen Sie doch auf!« herrschte Milo den Mann mit der Schweinehälfte an. »Wir haben hier einen Einsatz!«
»Was glaubst du, was ich hier tue, du Würstchen?«
Der Arbeiter mit der blutbefleckten Schürze ließ das gefrorene Fleisch in den Rinnstein fallen und schwang seine riesige Faust in Richtung von Milos Kinn. Er schien nicht abgeneigt, seinen öden und anstrengenden Job durch eine kleine Schlägerei etwas aufzulockem.
Ich konnte nicht zulassen, daß er meinen Freund durch die Mangel drehte. Zumal einige weitere Riesen in Weiß nun ihrem Kollegen zu Hilfe kommen wollten.
Mit einem herzhaften Judo-Fußfeger riß ich den ersten von den Beinen. Er schlidderte unter den Truck.
Den nächsten empfing ich mit einem Kopfstoß gegen sein Kinn. Bei diesen rauhen Burschen mußte man gleich von Anfang an hart durchgreifen, wenn man überleben wollte.
Milo machte ebenfalls kurzen Prozeß. Sein Gegner war zwar größer und schwerer als der blonde G-man. Aber diesen Nachteil konnte mein Kollege durch Schnelligkeit und Taktik ausgleichen.
Wie alle anderen FBI-Agenten werden wir ständig in den Techniken des waffenlosen Zweikampfs gedrillt. Deshalb haben wir die besseren Karten gegen Zeitgenossen, die sich ohne Sinn und Verstand auf der Straße prügeln wollen.
Trotzdem - ich mußte mich nun mit zwei Angreifern gleichzeitig herumärgern.
Ich unterlief die Fausthiebe eines baumlangen Schwarzen und tauchte gleichzeitig in den toten Winkel des anderen, der seinem flammendroten Haar nach ein Ire sein mochte. Ich verpaßte ihm einen Leberhaken und sprang aus dem Stand auf die Hebebühne eines Trucks, der, zum Ausladen bereit, in der zweiten Reihe parkte.
Das war nicht klug. Die Hebebühne des Spezialfahrzeugs war vereist. So etwas darf...