Jahrhundertsturm (eBook)

Eine Familiengeschichte zur Zeit der Ungarnstürme im 10. Jahrhundert
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2023 | 2. Auflage
426 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-4108-9 (ISBN)

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Jahrhundertsturm -  Wolfgang Schildge
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Schwaben im dunklen 10. Jahrhundert. Eine Zeit des Übergangs. Das Reich der Karolinger ist in Ost und West zerbrochen. Seit 894 leiden große Teile Europas unter den Raubzügen der Magyaren aus der ungarischen Tiefebene. 926 wird Schwaben schwer getroffen. Doch mit Heinrich, dem ersten Ottonen, beginnt Neues zu reifen und damit Hoffnung auf Frieden im Land. In den Wirren dieser Jahre träumen Eilhart und Richinza von Familienglück. Sie züchten Pferde, sind unwillig eingebunden in die hohe Politik und dabei feindlichen Kräften ausgesetzt. Da sind aber auch ihre Sippen und starke Freundschaftsbande, etwa zu Eticho aus dem Welfenhaus, Bischof Ulrich von Augsburg und Wilbert von Marchtal, auf deren Unterstützung sie rechnen dürfen. Eine Familiengeschichte zwischen Alb und Bodensee, Donaulanden und Oberschwaben, den Zentren Augsburg und Konstanz.

Wolfgang Schildge ist Buchhändler und Autor landeskundlicher Titel. Er schreibt auch unter dem Pseudonym "Frank Belser".

Oktober 926
Burg Marchtal über der Donau


Graue Nebel lagen schwer über den Niederungen des Donaulandes. Kaum vierzig Schritte weit betrug die Sicht und die beiden Reiter mussten sich konzentrieren, um den Weg nicht zu verlieren. Hier und da führte der Pfad um tote Flussarme herum, andernorts war er von den starken Regenfällen der letzten Tage überschwemmt und kaum mehr zu erkennen.

Eilhart und Ewein hatten bereits im Morgengrauen Altheim verlassen, um nach Marchtal zurückzukehren, folgten jetzt der Brunhildenstraße am südlichen Ufer des Flusses. Die kalte Feuchte drang durch ihre Kleider und ließ sie frösteln, so dass beide kein großes Verlangen verspürten, geschwätzig zu sein und viele Worte zu wechseln. Auch die Natur hüllte sich in Schweigen; nur der dumpfe Klang der Hufe auf dem schwarzen, morastigen Boden und das rhythmische, stoßweise Atmen der Pferde, das sich manchmal, wenn der Weg schwierig wurde, zu angestrengtem Schnaufen steigerte, durchbrach die gedämpfte Stille.

Am frühen Vormittag stießen dann erste Sonnenstrahlen durch die graue Wand. Die herbstliche Sonne gewann an Kraft und gespenstisch gaben Nebelschwaden den Blick frei auf die Flusslandschaft ringsum und auf den eingefärbten Herbstwald an den südlichen Hängen des Albgebirges.

Drüben lag in einer Donauschleife die Cella der St. Galler Mönche, errichtet vor langen Jahren hier an Stelle des aufgegebenen Marchtaler Klosters. Wie ein Hufeisen umfasste das weißlich-blau schimmernde Band des Flusses die Halbinsel. Man sah noch verkohlte Gerippe niedergebrannter Gebäude, Zeichen des verheerenden Wütens der Feinde, daneben waren schon zwei neue im Entstehen und auch die Arbeiten an der kleinen hölzernen Kirche gingen sichtlich voran. Von drüben hallten Hammerschläge zu ihnen herüber.

»Schau, Ewein«, wandte sich Eilhart an seinen Begleiter, »wenn die Brüder weiter so tüchtig arbeiten, werden die Schäden bald beseitigt sein; zumindest werden sie im Winter ein Dach über dem Kopf haben.«

Ewein nickte still und lenkte seinen Falben mit einem leisen Schenkeldruck um eine Lache herum.

»Du hast Deinen Oheim Arno wohl sehr gemocht«, wechselte Eilhart das Thema.

»Woher weißt du ...? Ah, der Bote aus Buchau, nicht wahr?«

»Ja! Ich musste ihm seine Schlafstelle zuweisen. Er hat mir alles bei einem Krug Wein erzählt.«

»Dass er so hat umkommen müssen ...« Ewein senkt wehmütig den Kopf und Eilhart wartete respektvoll, bis der Freund bereit war, seine Seele zu erleichtern.

»Der Pfeil traf ihn im Rücken – kein fairer Kampf, kein ehrenvoller Tod ... Ermordet, hinterrücks ermordet! Verdammte Fehde! An ihm lag es nicht. Er hat den Streit gütlich beilegen wollen. Aber wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt ... Irgendwann werde ich herausbekommen, wer der feige Schütze war. Und dann ..., dann – ich schwöre bei allem, was mir heilig ist – schicke ich ihn in die dunklen Abgründe der Hölle!« Er verstummte und sein Blick verdüsterte sich.

»Man konnte so gut mit ihm reden«, fuhr Ewein nach Minuten des Schweigens fort, »und er verstand sich aufs Zuhören. Vor allem war er ein freier Mensch.«

»Ein freier Mensch? Sind denn nicht alle aus eurer Sippe frei geboren?«, fragte Eilhart verwundert nach.

»So hab ich’s nicht gemeint. Unser Leben ist eingeengt von zahllosen Gewohnheiten und Pflichten. So sollte man nicht mit Sklaven verkehren, wenn man etwas auf sich hält und wir sind stolz darauf, wenn es gelingt, durch geschickte Schachzüge unseren Besitz auf Kosten anderer zu vermehren. Der Rücksichtslose überlebt leichter. Ist das Freiheit, wenn ich nicht zu jedermann freundlich sein darf und ausgenutzt werde, wenn ich versuche, gute Nachbarschaft zu pflegen?«

Eilhart nickte und entgegnete: »Stärke ist notwendig, damit die Sippe überlebt.«

»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Aber gilt denn Kraft mehr als Recht? Wer befiehlt denn, dass wir auf diese Weise leben müssen? Ich empfinde es als Zwang.«

Eilhart war nachdenklich geworden. »Es ist nicht einfach, edelmütig und friedliebend zu sein und dennoch respektiert zu werden. Dazu bedarf es auch der Stärke. Erst die Kombination verschafft uns den Respekt, bei Freunden wie bei Feinden. Wer zwischen Eiern zu tanzen versucht, braucht viel Geschick, um wenig zu zerbrechen. Vielleicht ist dies ein Ziel, das sich der Mensch in seinem Leben stellen sollte.«

»Zwischen Eiern zu tanzen?«, lachte Ewein erheitert und Eilhart gab grinsend zurück:

»Du Gimpel! Sich die Menschen zum Freund zu machen; die Persönlichkeit zu formen. Ja, wenn du so willst, gottgefällig zu leben, ohne gleich ins Kloster zu gehen. Ich versuche zu lernen, mein Verhalten zu verbessern und Fehler künftig zu vermeiden. Aber vielleicht zeigt dir die Kirche einen gangbaren Weg.«

»Ach was, die Kirche! Sie verhält sich wie alle anderen nach dem Motto: Ich seh’ das Gute, häng’ dem Schlechten an. Streben die Klöster nicht auch nach Besitz – und halten sie nicht Leibeigene wie wir Weltlichen?«

»Mag sein«, gab Eilhart zu bedenken, »wirklich reich sind wohl nur St. Gallen und die Reichenau, wie ich von Vater weiß, die kleineren Klöster fristen eher eine kümmerliche Existenz. Und die Leibeigenen – schau die vielen kleinen freien Landbesitzer, die kaum die Ausrüstung für den Kriegsdienst aufbringen können und deren Besitz herunterkommt, wenn sie in den Krieg ziehen müssen. Für sie kann es durchaus von Vorteil sein, sich unter den Schutz eines Großen zu begeben. Aber was kümmert’s dich? Als Mönch vermöchtest du ein gottgefälliges Leben zu führen, frei von weltlichen Zwängen. Vielleicht solltest du wirklich ins Kloster eintreten und das Schwert beiseite legen«, lachte Eilhart provozierend, doch Ewein war es sichtlich ernst und er reagierte gereizt. »Hör auf zu spotten. Ich und ein Betbruder ..., lächerlich! Doch reden wir nicht mehr davon.« Er schlug seinem Pferd auf die Kruppe und ritt voraus.

Gegen Mittag waren sie nicht mehr weit von Marchtal entfernt. Die Donau traf auf die Ausläufer des Albgebirges und verschaffte sich Respekt. Das Tal wurde eng, die Hänge steil, die Auen schmiegten sich an das schneller strömende Wasser an, rundum ließ die mittägliche Oktobersonne den Herbstwald in den schönsten Farben leuchten. Mit Spannung würzte der Schöpfer die Schönheit der Natur.

Nach einer letzten Biegung gab der Fluss endlich den Blick frei auf die Grafenburg hoch über dem Tal. Wie lange lebte er nun schon hier? Eilhart zählte die Monate an den Fingern ab. Damals, im Frühling, als er mit Centenarius Wilbert hier eingetroffen war und die mächtige steinerne Mauer mit den dahinter aufragenden Gebäuden erstmals zu Gesicht bekommen hatte – er erinnerte sich genau –, da war er vor Bewunderung im Sattel zusammengesunken. Niemals zuvor hatte er sich so klein und unwichtig gefühlt. Heute empfand er nichts dergleichen; Gewöhnung lässt selbst Wunder bald verblassen. Ein bisschen Wiedersehensfreude regte sich dann doch in ihm. War es wegen der Sicherheit versprechenden Mauern? Nein, eigentlich nicht. Sein heftig knurrender Magen machte sich bemerkbar und er erheiterte sich an der aufkommenden Vorstellung: So musste ein Pferd empfinden, das endlich in den warmen, heimatlichen Stall hineintrotten durfte, hin zur gut gefüllten Krippe. Sein Blick wanderte hinüber zu den gegenüberliegenden Hängen. Von dort oben hatten er und Conrad auf die im Tal lagernden Magyaren hinabgesehen; dort drüben am jenseitigen Ufer hatten sie Richinza aus den Fängen der Mordbrenner befreit. Ihr Bild entstand vor seinem geistigen Auge, das Kinn stolz erhoben mit festem Blick. Ja, er vermisste sie sehr. Heftiges Flattern ließ ihn zusammenzucken und holte ihn in die Wirklichkeit zurück: ein aufgeschreckter Graureiher.

An der neuen Mühle und am halbfertigen Mühlkanal mündete der Weg in das Marchtal ein, führte am Hang entlang hinauf zum ummauerten Burgbezirk und zum Torhaus auf der Südseite, das den einzigen Zugang schützte. Wegen der abfallenden Hänge zum Donau- und Marchtal hin genoss die Burg auf der Nord- und Westseite natürlichen Schutz, auf der Süd- und Ostseite hatte man Wall und Graben errichten müssen. Oben angekommen ragte die vier Mannslängen hohe Mauer eindrucksvoll auf. Zwar bestanden ihre Wachtürme nur aus einem verkleideten Holzrahmengerüst und auch der Wehrgang dahinter war einfach gehalten und nicht überdacht. Dies minderte jedoch nicht den Eindruck auf den unkundigen Besucher: Weit und breit gab es keine solche Mauer aus Stein.

Sie ritten über die dumpf dröhnenden Dielen der hölzernen Brücke, ließen den Graben hinter sich, passierten die beiden Torwächter, erwiderten ihren Gruß und gelangten in den äußeren Hof: Hier lagen die Wirtschaftsgebäude, die Stallungen, die Unterkünfte der Besatzung und das...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Ausgburg • Bodensee • Oberschwaben • Pferde • Schwäbische Alb
ISBN-10 3-7578-4108-5 / 3757841085
ISBN-13 978-3-7578-4108-9 / 9783757841089
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