Die Akte Edgar Allan Poe: Historischer Thriller -  Hendrik M. Bekker

Die Akte Edgar Allan Poe: Historischer Thriller (eBook)

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2023 | 1. Auflage
250 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7097-5 (ISBN)
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1911 Ein Privatdetektiv aus Chicago wird angeheuert, um den Jahrzehnte zurückliegenden Mord an einem mittelmäßig bekannten Schriftsteller namens Edgar Allen Poe zu untersuchen. Leicht verdientes Geld, scheint Poe doch eines natürlichen Todes gestorben zu sein... So dringt er in eine Verschwörung ein, von der er vorher nicht einmal geahnt hat.

Work is the best antidote to sorrow.“

- Arthur Conan Doyle, The Adventure of the Empty House

09.09.1911

New Erzdorn, USA

Ich folge dem alten Butler oder Hausdiener des Hauses Lebescha durch die dunklen Flure des alten Herrenhauses.

Es hat definitiv schon bessere Tage gesehen. Die Lücke, die zwischen diesem Teil des Gebäudes und dem abgespaltenen Rest klafft, wurde diesseitig notdürftig von einer unverputzten Ziegelmauer verschlossen. In einigen Abzweigungen kann ich einen Blick darauf erhaschen. Im Winter muss es hier erbärmlich ziehen.

Man führt mich in einen kleinen Raum, der sicher einmal ein Balkon gewesen ist. Nun ist er aber durch Fenster von der Außenwelt abgeschlossen. Das Glas ist dickes Buntglas, das in kleinen runden Butzenscheiben die Szenerie in ein faszinierendes Farbenspiel taucht.

Lady Lebescha ist eine Matrone von sicher über fünfzig Jahren, deren genaues Alter aber schwer zu schätzen ist.

Sie trägt ein fließendes schwarzes Kleid, das bis hoch zum Hals geschlossen ist, und dazu weiße Handschuhe.

Auf ihren Schultern ruht ein Pelzkragen, wie man ihn von Mänteln kennt. Nur besteht dieser aus Federn, dicken, langen Federn.

„Guten Tag, Herr Ziegler. Sie interessieren sich für das Haus, hieß es? Von welcher Zeitung sind Sie denn?“

„Dem Chicago Tribune“, lüge ich sofort. Ich muss zugeben, dass das hier draußen keine Zeitung ist, die Sinn gibt, aber ich bin eben nicht der beste Lügner. Wäre ich ein guter Lügner, würde ich mit weniger Lügen durchkommen. So muss ich noch eine nachschieben. „Wir machen eine Artikelserie über Bauten wie diese und suchen dafür im ganzen Land.“

„Wirklich?“, sagt Lady Lebescha und nickt ihrem Diener zu. Der Alte verschwindet kurz und kommt dann mit einem Tablett, auf dem zwei Teetassen und eine Kanne stehen, zurück.

„Darf ich bitten?“

„Ja gerne, haben Sie vielmals Dank“, erwidere ich und setze mich auf das Sofa der Dame gegenüber. Sie nimmt nämlich Platz in einem alten dick gepolsterten Sessel.

Der Diener füllt uns derweil Tee ein und reicht Tassen. Anschließend verlässt er wortlos den Raum.

„Sagen Sie, kennen Sie die Geschichten Edgar Allan Poes?“, frage ich unvermittelt.

Kurz blitzt es in den Augen der Frau.

Ich weiß also, dass sie lügt, als sie verneint.

„Er ist mir völlig unbekannt. Ein Autor, nehme ich an? Wenn Sie nach seinen Geschichten fragen.“

„Durchaus, auch Verleger, aber ich nehme an, seine langfristigste Reputation wird er als Schriftsteller behalten. Es gibt eine Geschichte, deren Handlungsort diesem hier sehr ähnlich ist, ebenfalls ein gespaltenes Haus. Ich dachte, das könnte ich als Aufhänger für den Artikel nehmen.“

„Ich würde darum bitten, mir diesen Artikel vorher vorzulegen“, sagt sie vorsichtig.

„Natürlich“, erwidere ich. Wieso auch nicht, den Artikel schreibe ich ja eh nie. Sie mustert mich misstrauisch und fragt dann: „Sie sind niemals Journalist. Was soll die Maskerade nun, oder war es nicht Ihre Idee? Sind Sie von der Organisation?“

Ich nicke. Zwar habe ich keine Ahnung, um was es hier geht, aber der Versuch kann nicht schaden. Vielleicht verrät sie mir etwas Nützliches.

Sie entspannt sich sichtlich. „Ich wusste, dass sie jemanden schicken würden. So war es ja besprochen. Aber ich dachte, sie nehmen jemand anderen, Liffey zum Beispiel.“

„Ich mache nur meine Arbeit.“

Sie nickt verständnisvoll.

„So ist das immer. Man erfährt oft viel zu wenig, weil alle so misstrauisch sind. Sind Sie mit der Geschichte des Hauses vertraut? Kennen Sie die Akten?“

„Leider nein.“ Ich bin richtig stolz auf mich, dass ich all diese Halbwahrheiten hinbekomme ohne rot zu werden.

Sie lacht und trinkt aus ihrer Tasse.

„Ja, immer das gleiche Spiel. Ein Neuer wird geschickt. Pah, Sie sollen das Ding holen und kennen kein Wort der Akte? Da kann ja wieder sonst was schief gehen. Also, ich gebe Ihnen mal die Kurzfassung und Sie sagen dem alten Herrn Zweigschaft nichts davon, ja? Der Mann ist paranoid bis ins Mark.“

Ich nicke.

Sie geht zu einer Anrichte und holt einen Schlüssel daraus. Dann sieht sie mich auffordernd an.

„Kommen Sie.“

Wir gehen durch die Korridore zu einer Treppe und hinunter  in die Fundamente des Hauses hinab. Es ist muffig und kalt hier unten und es riecht nach Schimmelpilz.

Schließlich stehen wir vor einer dicken eichenen Tür, die mit Eisen beschlagen ist und die vermutlich einem Schuss aus einer kleinkalibrigen Waffe standhalten würde.

Lady Lebescha steckt den Schlüssel ins Schloss und schließt mit einem knirschenden Geräusch auf, das mich vermuten lässt, dass irgendwo Eisen zerbricht.

Hinter der Tür ist ein kleiner, vier Quadratmeter großer Raum, in dessen Mitte eine Truhe steht.

Sie öffnet sie mit einem verschwörerischen Lächeln und ich sehe echte Ehrfurcht in ihren Augen, als sie einen kleinen Kasten herausholt. In dem wiederum ist ein blauer Opal, der handtellergroß ist.

„Das hier hat damals das Haus gespalten. Wir haben es aus der ersten Anlage der Gewesenen. Der Ewige Wanderer war damals noch ein Kind, wir experimentierten auf eigene Faust mit ihren Hinterlassenschaften und dieses Stück hier, nun wie soll ich sagen? Wir saßen damals im Blauen Salon, Matthew und ich. Packen Sie den Stein nicht an. Wir haben damals eine Entladung verursacht, die wie ein modernes Flakgeschütz losging. Nicht dass ich das damals wusste.“

Ich beobachte den Opal fasziniert und frage mich, wo ich hier reingeraten bin.

„Es ist traurig, dass dieser Poe wie so viele sterben musste“, sagt sie nun unvermittelt und scheint nicht mehr nur mit mir zu reden, sondern vielmehr mit sich selbst.

„Weshalb?“

Sie setzt ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. „Sie haben natürlich recht, es war für die Sache und die Zwecke der Organisation.“

Ich nicke. Was soll ich bloß sagen? Immerhin begreife ich nur die Hälfte.

„Sie nehmen ihn dann mit?“, fragt sie. Wieder nicke ich.

„Ich mag die Schweigsamen, die Matthew immer nimmt. Nicht lange reden, tun, was die Organisation so erwartet. Richtig so. Gut, nun dann hier“, sagt sie und reicht mir den Stein in der kleinen Kiste. Sie ist nicht größer als eine Zigarettenkiste und schmucklos. Ein kleines Schloss ist eingelassen.

„Den Schlüssel brauchen Sie nicht“, erklärt sie wieder mit diesem verschwörerischen Lächeln. „Wir wollen ja nicht, dass Sie Ihren Zug sprengen.“

Ich nicke.

Dabei fühle ich mich immer mehr wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. Was zur Hölle passiert hier?

Wo ist Wilson mit Rat und Tat, wenn ich ihn mal brauche?

„Nun, dann beeile ich mich mal, meinen Zug zu kriegen“, sage ich, um hier irgendwie herauszukommen. Zu viele Fragen sind in meinem Kopf und ich habe langsam Sorge, was passiert, wenn der Bluff auffliegt. Immerhin nannte ich meinen echten Namen.

„Ja, natürlich. Es bereitet deshalb solches Vergnügen, anderer Leute Geheimnisse herauszufinden, weil...?“, fragt sie. Sie will eine Parole, einen Beweis, dass ich zur Organisation gehöre. Verdammt!

Denk nach, Richard, der Satz kommt dir bekannt vor!

„Weil dadurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den eigenen abgelenkt wird“, erwidere ich.

Einige Herzschläge lang bin ich kurz davor in Panik auszubrechen. Es war geraten, ich weiß nicht, was sie hören will. Das Zitat war einfach so da. Sie lächelt und nickt.

„Genau“, sagt sie.

Sie glaubt mir, ich habe richtig geraten! Ich sende ein kurzes Stoßgebet an Gott. Ob er existiert oder nicht, ist mir gerade egal. Dabei danke ich meiner toten Mutter dafür, mir alle Bücher von Oscar Wilde geschenkt zu haben, die sie kriegen konnte. Ich weiß mit Sicherheit, dass er das geschrieben hat.

Die Lady begleitet mich bis zur Tür und verabschiedet mich mit den Worten: „Geben Sie Acht.“

Ich nicke nur. Nicht sehr originell, aber was soll ich tun? Ich weiß ja nicht mal, worauf ich Acht geben soll. Auf einen Stein, der angeblich ein Loch in dieses Haus geschossen hat?

Als sich die Tür hinter mir schließt, muss ich mich beherrschen nicht erleichtert zu seufzen. Ich gehe strammen Schrittes durch den Garten zurück auf die Straße in Richtung Bahnhof.

Ich werde dabei langsamer und versuche zu verarbeiten, was da passiert ist.

Die Organisation ist für Poes Tod also verantwortlich und ich habe nun etwas, was die wollen.

Wer also heuerte mich an? Jemand, der der Organisation schaden will? Möglich ist es.

Ich beeile mich zum Bahnhof zu kommen und sehe dabei immer wieder dezent hinter mich.

Bin ich paranoid? Im Moment würde ich diese Frage definitiv bejahen.

Ich finde niemanden, der mir folgt, trotzdem bin ich mir sicher, dass ich verfolgt...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
ISBN-10 3-7389-7097-5 / 3738970975
ISBN-13 978-3-7389-7097-5 / 9783738970975
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